Was sind die Aussichten des blauen Umfragechampions? Nach Kaisers Blick auf Frankreich lade ich die SIN-Leser zu einem Panoramaflug über die österreichische Politlandschaft ein.
Die EU-Wahl war dank der Briefwahlstimmen ein Wechselbad der Gefühle. In den ersten Prognosen lag Vilimsky von der FPÖ glatt auf 27,5 %. Einige raunten schon vom besten EU-Wahlergebnis aller Zeiten. Doch dann kamen die Briefwähler und Exilstimmen. Das Ergebnis brach ein und die Blauen landeten mit 25,7%gerade noch vor der ÖVP, die mit 24,5 % über die Ziellinie ging.
Damit entschieden die Schwarzen das Rennen um Platz zwei gegen die SPÖ (23,2 %) für sich. Gerade weil sie Teil einer ungeliebten und strauchelnden Regierung sind, kann die Volkspartei das Ergebnis zurecht feiern. Auch die FPÖ betonte den Erfolg, erstmals bei einer nationalen Wahl den ersten Platz zu geholt zu haben. Die Umfragen hatten ihr aber bis zu 30 % prophezeit.
Was sind die Konsequenzen aus der Wahl?
Alle Parteien sahen die EU-Wahl als Testlauf für die Nationalratswahl. Daß die FPÖ den ersten Platz belegen würde, wußte jeder. Daß es so knapp wurde, überraschte viele. Wie so oft litten die Blauen wohl unter der schwachen Mobilisierung und grundsätzlichen EU-Feindseligkeit ihrer Wähler. Dazu wird die FPÖ seit Jahren in Umfragen hochgeschrieben, was ebenfalls Patrioten dazu verleitet, zu Hause zu bleiben. Entscheidend war der Kampf um Platz zwei, den die ÖVP eindeutig gewonnen hat.
Denn bereits jetzt steht für viele fest, daß es im Herbst zu einer „Großen Koalition“ kommen soll. SPÖ und ÖVP wollen eine Regierung bilden und damit an den jahrzehntelangen Proporz und Filz der Nachkriegsjahre anknüpfen. Diese Option hat zwei Schönheitsfehler. Erstens ist sie bei Roten wie Schwarzen und vor allem beim Volk unbeliebt. Nur 11 % der Österreicher wollen laut Umfragen diese Option. Vor allem aber haben die beiden Parteien laut Umfragen und EU-Wahl keine Mehrheit.
Sie brauchen einen Dritten im Bunde, oder wie man hierzulande sagt, ein „Beiwagerl“. Dazu würden sich die linksliberalen „NEOS“ oder die grüne Partei anbieten. Letztere konnte das Potenzial von 14% dank des Lena Schilling-Skandals nicht umsetzen. Ich erspare dem geneigten Leser hier Details. (Wer will, kann sie hier und hier nachhören.)
Interessant ist, daß neben der KPÖ mit 2,96 % auch eine neue Partei namens DNA mit 2,72 % reüssierte. Die Corona- und migrationskritische Liste zeigt mit ihrem Achtungserfolg, daß den Österreichern diese Themenfeld nach wie vor wichtig ist.
Doch zurück zur Zukunft. Nach den Nationalratswahlen wollen die ehemaligen Volksparteien den prospektiven Wahlsieger durch eine Dreierkoalition von der Macht fernhalten. Wer bei der Wahl den zweiten Platz macht, wird darin den Kanzler stellen und zentrale Ministerien besetzen. Die EU-Wahlergebnisse bedeuten für die Altparteien vor allem Verhandlungsmasse für die vorweggenommenen Koalitionsgespräche.
Hätte die SPÖ mit ihrem (post?)marxistischen Parteichef Andreas Babler gewonnen, wäre die Koalition eine Belastungsprobe für die Marktliberalen in der ÖVP geworden. Nachdem sich letztere relativ klar durchgesetzt hat, dürfte ihr Parteichef Karl Nehammer bereits jetzt den Kanzleranspruch stellen.
Für die SPÖ bedeutet das eine demütigende Unterwerfung und möglicherweise sogar einen Obmannwechsel vor der Wahl. Der salbadernde, uncharismatische Apparatschik Babler (übrigens ein Intimus der linksextremen Natascha Strobl) erweist sich als Wählerschreck. Trotz schwacher Grüner, ethnischer Wahl (in Wien sind 35 % der Volksschüler Mohammedaner) und Oppositionsrolle versagte die Sozialdemokratie.
Für die FPÖ ist das EU-Wahlergebnis auf vielen Ebenen bedeutend. Der erste Platz sichert Kickls Kurs. Das Zurückbleiben hinter Umfragewerten nötigt zur Mobilisierung und wird auch viele Nichtwähler aufschrecken.
Zugleich ist das Duell „Kickl vs. Nehammer“ durchaus wünschenswert: Hätte die ÖVP massiv eingebüßt und wäre, wie es manche Umfragen prophezeiten, unter 20 % gefallen, wäre womöglich ein anderer Parteichef zum Zug gekommen. Sogar eine Rückkehr von Sebastian Kurz wäre denkbar gewesen. Jeder andere als Nehammer wäre eine Gefahr für die FPÖ.
Dieser fast schon unerlaubt unsympathische Berufspolitiker wurde nie gewählt. Er verdankt sein Kanzleramt dem Rücktritt von Sebastian Kurz und hat die Hypothek der Coronajahre im Gepäck. Viele ÖVPler wissen das und wollten ihn loswerden. Nach seinem „Erfolg“ bei der EU-Wahl (man hat „nur“ 10,03 % im Vergleich zu 2019 verloren) wird das kaum möglich sein.
Die FPÖ wird also, ganz gleich, wie stark sie am 29.9. abschneidet, vermutlich nicht Teil der nächsten Regierung sein. Warum das kein Grund zur Verzweiflung wäre, erläutere ich gleich, nachdem ich das Alternativszenario beschreibe.
FPÖ und ÖVP hätten laut EU-Wahlergebnis gemeinsam 50,2%, also eine Mehrheit. Es wäre die einzige Zweierkoalition, die mathematisch möglich ist. Überholt die ÖVP die Blauen am 29.9. so könnte sie ihnen ein unmoralisches Angebot machen: gegen eine Personalrochade (z.B. Kickl gegen Svazek/Hofer/Haimbuchner), eine Generaldistanzierung vom rechten Vorfeld mit Fokus auf die IBÖ und eine Kursänderung in der Migrations- und Geopolitik, würde man sie in die Regierung holen.
Derzeit beteueren die Schwarzen ein ums andere Mal, daß sie „niemals“ mit einer „Kickl-FPÖ“ koalieren würden. Gleichzeitig lanciert die ÖVP-nahe „KRONE“ Umfragen, die zeigen sollen, daß eine Mehrheit der FPÖ-Wähler bereit wären, auf Kickl zu verzichten, damit ihre Partei in die Regierung kommt. Würden liberale Kreise in der Partei auf dieses Angebot reagieren? Zwar haben sie Herbert Kickls kompromißloser Politik den Erfolg der Partei zu verdanken, aber Dankbarkeit ist, wie man weiß, keine politische Kategorie. Es winken Posten, Geld, Macht und Politikerpensionsansprüche in der Höhe von 7.500 € im Monat.
Eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der ÖVP könnte durch den allgemeinen europäischen „Rechts“Trend befördert werden. Wenn sogar der Chef der Republikaner in Frankreich mit Bardella koaliert, würde das auch Nehammer Rückenwind geben. Von Seiten einflußreicher, transatlantischer Kreise gibt es offenbar das d’accord für eine westliche getrimmte Rechtswende. Und urplötzlich werden allerorts jahrzehntealte Seuchengürtel durchbrochen ….
In Österreich gestaltet sich eine solche „trans(atlantisch)patriotische“ Wende aufgrund der Neutralität und der klaren außenpolitischen Position der FPÖ allerdings als schwierig. Eine solche Koalition würde wohl in einem Ibiza 2.0 enden.
Was, wenn die FPÖ aber als klarer Wahlsieger von einem bunten Dreiergespann erneut in die Opposition gedrängt würde? Einerseits wäre das eine Ernüchterung für die Wähler. Ein Gefühl der Ohnmacht könnte sich breit machen. Auch in dieser Variante könnte Kickls unter Druck geraten. Seine Gegner in der Partei (sie sind derzeit leise und warten ab), würden ihm das Scheitern der Koalitionsverhandlungen anlasten.
In der Opposition gäbe es jedoch keine lukrativen Posten zu verteilen, weswegen die Partei von cuckservativen Glücksrittern verschont bliebe.
Als Opposition gegen eine impotente Dreierkoalition würden ihre Umfragewerte weiter steigen. Es drohen bittere Krisen: Deglobalisierung, Pensionswelle der Babyboomer, der Krieg und die Endphase des Bevölkerungsaustausch würden gleichzeitig über diese Regierung hereinbrechen.
Gleichzeitig könnte sich in der FPÖ so ein Prozeß fortsetzen, der mit Kickls Übernahme begann. Erst in zarten Schritten, mittlerweile im Laufschritt, prescht die Partei in metapolitisches Neuland vor. Die Emanzipation vom Parlamentspatiotismus begann 2020 mit der legendären Ansage von Michael Schnedlitz:„Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei“.
2024 ist die Partei in der besten Verfassung aller Zeiten. Die Parteijugend ist weltanschaulich fundiert und bewandert in metapolitischer Strategie. Remigration, Souveränität und Kritik an Globohomo sind Markenkern der Freiheitlichen geworden. Distanzierungsreflexe gehören der Vergangenheit an. Selbst bis auf die untersten Funktionärsebenen hat sich mittlerweile herumgesprochen, daß Idealismus und Standhaftigkeit, seit Kickl, nicht mehr bestraft, sondern tendenziell belohnt werden.
Doch diese Phase der Entpuppung ist noch nicht abgeschlossen. Vielleicht ist auch Österreich, selbst wenn es die Wahlergebnisse mathematisch hergeben, metapolitisch noch nicht reif für eine Wende? Auch Viktor Orban verzichtete auf eine voreilige Regierungsbeteiligung, bis die Zeit reif war und er 2010 seinen „nationalen Block“ errichten konnte.
Bei einer Regierungsbeteiligung als Juniorpartner droht die Partei in den Parlamentspatriotismus zurückzufallen wie ein trockener Alkoholiker in den Suff. Mit einem Mal könnten die langfristigen Regenerationsprozesse zunichtegemacht, Distanzierungen, „Ehrenerklärungen“, „Complianceregeln“ und „Historikerberichte“ fabriziert werden. Das wäre womöglich sogar das schlechteste mögliche Ergebnis.
Welche der beiden Optionen ist zu bevorzugen? Meine Hoffnung richtet sich auf eine dritte Variante: Die FPÖ siegt klar und deklassiert die ÖVP, sodaß in dieser Partei eine Umwälzung stattfindet. Sie ist bereit, als Juniorpartner und Mehrheitsbeschaffer für Remigration unter dem Volkskanzler Kickl mitzuarbeiten. Die FPÖ-Regierung wirkt als nationalkonservative, souveräne Kraft mäßigend und richtungsweisend auf andere europäische Rechtsregierungen. Gemeinsam beschließen sie im Frühjar 2025 den „Europäischen Remigrationspakt“ und beginnen im Sommer desselben Jahres mit Massenabschiebungen und dem Bau einer Musterstadt in Nordafrika…
Man wird doch wohl noch träumen dürfen! Wenn dieser Traum unerfüllt bleibt, so ist womöglich die Rolle einer starken Oppositionskraft der Juniorpartnerschaft unter Nehammer vorzuziehen. Das zumindest munkeln die idealistischen Stimmen in der Partei. Die opportunistischen Stimmen schweigen noch. Worauf sie spekulieren, ist aber bereits klar. Es wird ein heißer Herbst in Österreich.
Maiordomus
"Man" würde Herrn Sellner gut und gern eine bedeutsamere Rolle in Oesterreich wünschen. Hier liegt meines Erachtens sein wahres Profil.