Sezession 121 – Bücher, die wir für Sie gelesen haben

Ein Professor – und noch besser: ein Abteilungsleiter! – tourt seit ein, zwei Jahren durch die Republik, um über die „Literaturpolitik der Neuen Rechten“ zu berichten. Will sagen, er schreibt Artikel über uns, organisiert ganze Kongresse über uns. Wie so oft: Wir leben mietfrei in solchen Köpfen, und das haben wir uns verdient.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Denn: Wir lesen, loben und kri­ti­sie­ren, wie es uns beliebt. Aus unse­rer Feder gibt es weder Gefäl­lig­keits­re­zen­sio­nen noch ande­rer­seits Wut­schnau­ben gegen einen mut­maß­li­chen Geg­ner. Liegt einer aus unse­rem Milieu dane­ben: Er wird die Kri­tik sicher sport­lich neh­men. Wenn ein Lin­ker ein klu­ges Buch schreibt – her damit! Unser Tip an unse­re Leser wäre: “Lest es!”

Abtei­lungs­lei­ter Hoff­mann hat für die taz herausgefunden:

In neu­rech­ter Lite­ra­tur­po­li­tik wird gekämpft und geku­schelt. Die­se para­do­xe Dop­pel­stra­te­gie muss als sol­che erkannt und ernst genom­men wer­den, da sie meta­po­li­ti­schen Erfolg ver­spricht. Des­halb ist es fahr­läs­sig, wenn der FAZ-Redak­teur Patrick Bah­ners 2021 auf Twit­ter eine Rezen­si­on von Ellen Kositza lobend erwähnt und ver­linkt, als sei die Sezes­si­on eine gewöhn­li­che lite­ra­tur­kri­ti­sche Institution.

Gut. Dann eben eine unge­wöhn­li­che lite­ra­tur­kri­ti­sche Insti­tu­ti­on. In unse­rer neu­en Aus­ga­be, der Sezes­si­on 121, ver­sam­mel­te ich als Redak­teu­rin vier­zehn Bespre­chun­gen aktu­el­ler Bücher. Eini­ge davon möch­te ich hervorheben.

Ich selbst habe Schi­zo­id Man bespro­chen, das Buch eines wahr­haft erra­ti­schen Debü­tan­ten. (Hier ist die voll­stän­di­ge Bespre­chung.) Ein jun­ger Mann auf der Suche nach nietz­schea­ni­scher Recht­wink­lig­keit, mit zuviel Tes­to­ste­ron und zuwe­nig von der Tugend, die man antik als „Maß“ beschrieb und heu­te bes­ser als „Dis­zi­plin“ faßt.  Nimm Hou­el­le­becq-Vibes, eine Pri­se Chris­ti­an Kracht und die ziel­lo­se Dyna­mik eines John Hoe­wer (Euro­pa Power Bru­tal), mische es gut durch und laß es als Roman des Jah­res 2024 von der Lei­ne. Nichts für Zartbesaitete.

Mar­tin Licht­mesz hat eine wirk­lich illus­tre Bespre­chung des Buches Unde­mo­kra­ti­sche Emo­tio­nen der jüdi­schen Sozio­lo­gin Eva Ill­ouz ein­ge­reicht. Darf ich aus dem Näh­käst­chen plau­dern und erzäh­len, daß es RICHTIG schwie­rig ist, Licht­mesz zum Ver­fas­sen einer Rezen­si­on zu bewe­gen? Was mein Lieb­lings­me­tier ist (Bücher lesen und beur­tei­len), quält ihn fast, und er benö­tigt habi­tu­ell einen lan­gen Anlauf. Dann aber…

Ich (die ich Ill­ouz seit lan­gem lese und schät­ze) wuß­te – das ist ein Buch für ihn! Er hat nun eine wirk­lich lei­den­schaft­li­che Rezen­si­on ein­ge­reicht, die sehr genau beleuch­tet, wo Ill­ouz‘ (und übri­gens auch Netan­ja­hus) blin­de Fle­cken sind.  Er lobt die auf­schluß­rei­chen Inter­views, die Ill­ouz mit Israe­lis unter­schied­li­cher poli­ti­scher Fär­bung führte.

Es ergibt sich ein recht über­zeu­gen­des und abschre­cken­des Bild einer im per­ma­nen­ten Kampf­mo­dus leben­den Gesell­schaft, ins­be­son­de­re, was das an Para­noia gren­zen­de Sicher­heits­be­dürf­nis angeht, das es dem Staat ermög­licht, nicht nur den seit Jahr­hun­der­ten schi­ka­nier­ten Feind, son­dern auch die eige­nen Bür­ger zu kontrollieren.

Haar­sträu­bend kon­tra­fak­tisch sei ihre Dar­stel­lung der „Freun­de“ Netan­ja­hus wie etwa Trump und Orbán, die sie allen Erns­tes als „anti­se­mi­tisch“ bezeichne!

Wei­ter: Bene­dikt Kai­ser nimmt Phil­ip Manows Unter Beob­ach­tung. Die Bestim­mung der libe­ra­len Demo­kra­tie und ihrer Fein­de unter die Lupe.

Phil­ip Manow ist anders. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, der an der Uni­ver­si­tät Sie­gen lehrt, weicht deut­lich vom Main­stream sei­nes Faches ab. Das heißt nicht, daß er prin­zi­pi­ell wei­ter „rechts“ stün­de als die links­li­be­ra­le uni­ver­si­tä­re Mehr­heit. Das heißt aber schon, daß er Fra­gen beant­wor­tet, die sei­ne Kol­le­gen nicht mal stellen.

Äußerst ver­dienst­voll, resü­miert Kaiser.

Caro­li­ne Som­mer­feld hin­ge­gen rühmt eine Nischen­pu­bli­ka­ti­on. Thors­ten Schul­te und Micha­el Hese­mann haben gemein­sam ein Buch mit einem etwas alar­mis­ti­schen Titel ver­faßt: Die gro­ße Täu­schung. John F. Ken­ne­dys War­nung und die Bedro­hung unse­rer Freiheit.

Wir ken­nen Caro­li­ne Som­mer­feld als eine Autorin, die sich auch den sinis­t­res­ten Win­kel­zü­gen auf die Fer­sen hef­tet. Für sie war die­se Publi­ka­ti­on ein Augen­öff­ner, und sie lobt die unor­tho­do­xe Zusam­men­ar­beit der bei­den Autoren.  Co-Autor Schul­te ist nicht ein­ver­stan­den mit Hese­manns pro­is­rae­li­schem Enga­ge­ment und vice ver­sa. Den­noch sei dar­aus ein erhel­len­des Werk ent­stan­den, lobt Sommerfeld.

Und noch ein­mal Som­mer­feld. Sie rät zur Lek­tü­re von Rose Hu: Mit Chris­tus im chi­ne­si­schen Straf­la­ger.  Rose Hu hat­te 26 Jah­re in ver­schie­de­nen chi­ne­si­schen Straf­la­gern ver­bracht – um des Glau­bens wil­len. Stim­men sol­cher Opfer sind weit­ge­hend unerhört.

Erik Leh­nert befaßt sich mit dem Buch der jun­gen, wider­spens­ti­gen Juris­tin Frau­ke Ros­tal­ski über Die vul­nerable Gesell­schaft. Er fin­det sehr gute Ansät­ze – „Ver­letz­lich­keit“ ist heu­te ein Mit­tel im Kampf um Macht und Deu­tungs­ho­heit. Leh­nert hält das Buch für gedie­gen, aller­dings sei Ros­tal­ski noch zu sehr in der Haber­mas­schen Dis­kurs­theo­rie verstrickt.

Felix Dirsch emp­fiehlt mit Abstri­chen einen ech­ten Wäl­zer (knapp 1000 Sei­ten) aus dem Ver­lag Matthes & Seitz: Otto Kall­scheu­ers Papst und Zeit. Heil­ge­schich­te und Welt­po­li­tik. Kall­scheu­er sei ein ech­ter, fun­keln­der Grenz­gän­ger, so pro­gres­siv einer­seits wie kon­ser­va­tiv ande­rer­seits. Wie­viel Welt ist heu­te in der Kir­che? Und umge­kehrt? Auf jeden Fall setzt Kall­scheu­er Maß­stä­be, meint Dirsch.

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Lesen Sie alle die­se und vie­le wei­te­re Rezen­sio­nen in der aktu­el­len Sezession.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (3)

Adler und Drache

16. August 2024 17:17

Zur "angeteasten" Literatur mag ich nichts sagen, ich werde nichts davon lesen - ich kann es nicht mehr, obwohl ich bis Ende 30/Anfang 40 eine Leseratte war. Das hat sich fast schlagartig geändert, es geht nicht mehr. Ganz egal, um welches Buch es sich dabei handelt, ich schaffe es nicht mehr, dranzubleiben. (1000 Seiten - um Himmels Willen!) Ich hab es mit allem möglichen ausprobiert. Als hätte ich ein Talent verloren - oder den Glauben an die Literatur. Kohelet 12,12!
Schön und interessant finde ich das Titelbild der neuen Sezession. Die alte Schrifttype, und wie sich die Sättigung zum Seitenende hin auflöst, gerade bei dem wichtigen Satz ... Vielsagend!  

Maiordomus

16. August 2024 17:35

Die neue Nummer hat abermals intellektuelles Niveau, schon weil einleitend abermals Uwe Wolff zu Wort kommt, der Engelforscher, kein Mann irgendeines Lagers, aber Sprecher und Schreiber des freien Wortes. Mit ihm nicht ganz mithalten kann Scholtysik, der aber den bedeutendsten neueren Vermittler der Emmerich, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, vor 13 Jahren verstorben, imposantesten Kulturhistoriker des neueren Deutschland, zu zitieren weiss, auch den Zusammenhang mit Görres noch realisiert, aber so etwas wie eine kirchenhist. Einordnung nicht schafft. Die Thematik Islam bei Nagel betritt einen Hauptschauplatz der Auseinandersetzung, erfasst aber das Sic-et-non der Annäherung und Distanzierung nicht, wohl aus Unkenntnis der Mystik und von Averroes. Hervorragende kritische Buchbesprechungen v. Wolfschlag betr. den Analphabetismus der Auseinandersetzung mit den Rechten in Hochschulschriften, unterstes nichtwissenschaftliches Feindbildniveau dort,, v. Steuergeldern finanziert. Sellners gutgeschriebener Artikel zeigt, dass man anstelle seiner nur provokativen Lesungen besser das Heft gezielt verteilt hätte, mit intellektuellen Ansprüchen , die weder für Elsässer noch Köppel in ihren Magazinen zugänglich erscheinen. In der neuen WW kommt aber Tellkamp zu Wort, Artikel einer Amerikanerin über Jesus-Ikonografie hingegen bleibt Schrott, auch Grau bleibt leider ein mittelmässiger Philosoph. 

Maiordomus

16. August 2024 21:53

@Adler u. Drache. Ihre Reflexion ist sehr nachvollziehbar. Umso mehr hätte ich Ihnen die literarische Beilage Phonophor zum gedruckten Heft empfohlen, nicht nur wegen Bosselmanns Beitrag. Und im gedruckten Heft auch einiges von Wolfschlag zu den unglaublichen Schwierigkeiten,  denen sich nicht nur rechte Autoren heute gegenüber stehen. Der fatalste Fall ist nicht mal genannt, weil der einschlägige Autor kein Interesse hat, genannt zu werden und mit Verteidigung unfreiwillig zusätzlich denunziert. Weil er vor 13 Jahren ein übrigens sehr schönes, auch in Fachkreisen vorzüglich rezensiertes Buch geschrieben hat, ediert bei einem rechten Verlag, den Leser von hier kennen, wurde er aus der Kandidatenliste für einen bedeutenden Literaturpreis entfernt. Protest hätte ihm bei seinem eigenen, zum Teil linken Heimmilieu nur noch zusätzlich geschadet. Selber habe ich indes keine Mühe, Frau Kositza zu den besten, kundigsten und unvoreingenommensten (auch gegenüber Literatur, die zu Ihrem Denken konträr ist) Rezensentinnen im heutigen deutschern Sprachraum zu rechnen. Zumal ihre Besprechung von Schwärzel in der neuesten Nummer scheint mir sehr anregend.