Christoph Berndt: Er ist authentisch, denn er kommt “aus dem Volk”. Über diese Wendung und über ihn als Typ, den sich jede Partei nur wünschen kann, ist in der 121. Sezession ein großes Porträt erschienen. Das Heft ist fast vergriffen, vergriffen, leider viel zu rasch, aber das ist ja im Grunde ein gutes Zeichen. Wer noch zugreifen will: hier kann man erwerben.
Jedenfalls: Hier ist nun der Text aus dem Heft, und die pdf, die man sich ausdrucken kann und die alle Bilder enthält, ist hier zu finden.
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Aus dem Volk – der Politiker Christoph Berndt
von Wiggo Mann
Wahlkampfauftakt der AfD Brandenburg in Werder (Havel). Die AfD hat sich dazu einen Ort ausgesucht, der einen symbolträchtigen Namen trägt: die Bismarckhöhe, ein altes Ausflugslokal oberhalb von Werder mit einem wunderschönen Tanzsaal aus der Jahrhundertwende und Blick über den Fluß. Symbolträchtig ist der Name Bismarck nicht nur, weil sich die AfD als einzige Partei zum Nationalstaat Deutschland bekennt, sondern auch, weil sie die Spaltung überwinden will, zu der es aufgrund der politischen Agenda der Altparteien in vielen Fragen und quer durch Deutschland gekommen ist.
Die alte Mahnung »Seid einig« könnte als Motto über dem Wahlkampfauftakt stehen. Seid einig, dann kann uns niemand besiegen. Seid einig, dann können wir Deutschland retten. Einig war die AfD in Brandenburg in den letzten Jahren nicht immer. Der Landesverband war lange gelähmt, weil sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstanden. Das hatte weniger mit der politischen Ausrichtung als mit den Personen zu tun. Doch mittlerweile ist Ruhe eingekehrt, die ganze Aufmerksamkeit gilt dem eigenen Programm und dem politischen Gegner.
Der Wahlkampfauftakt ist keine Show wie bei den Republikanern in den Vereinigten Staaten, auch wenn es Anleihen gibt: Der Landeschef René Springer und der Spitzenkandidat Christoph Berndt ziehen mit Musik in den Saal ein, das Publikum schwenkt Fähnchen und hält Schilder hoch. Aber es klappt nicht so ganz. In den nüchternen Preußen steckt kein erweckter Amerikaner. Es geht eben darum, den Wählern das Gefühl eines Aufbruchs zu vermitteln. Die Bilder dafür werden sich finden.
Eigentlich geht es nur um eine Landtagswahl. Aber natürlich geht es um viel mehr: um einen Sieg, um Machtbeteiligung, um Gestaltungsmacht, um eine andere Politik. Es geht um Deutschland, und irgendwo muß man ja anfangen; am besten dort, wo man zu Hause ist. Der Landesvorsitzende Springer hält die Eröffnungsrede. Sie ist gespickt mit Hinweisen auf die Lage in Deutschland und die Notwendigkeit, Abhilfe zu schaffen.
Spitzenkandidat Berndt nimmt den Faden auf: Der AfD gehört die Zukunft, denn die Jugend wählt rechts. Das ist einerseits überraschend, denn die Jugend wird wie kein zweiter Bevölkerungsteil ununterbrochen indoktriniert. Andererseits liegt es nahe: Diese Altersgruppe spürt die Veränderungen im Land am deutlichsten – im Klassenverband, im Freibad, abends auf der Straße.
Die AfD versteht sich aus diesem Grund als Volkspartei. Sie will Deutschland als Land der Deutschen erhalten, sie tritt dem woken Wahnsinn von Masseneinwanderung, Transformation und Umerziehung entgegen. Und schließlich will sie endlich anfangen, ihr Programm umzusetzen. Das Wahlkampfmotto heißt nicht ohne Grund »Es ist Zeit«.
Die AfD ist, so Berndt, regierungsfähig und wird in den ersten hundert Tagen ihre wesentlichen Punkte umsetzen. Das Symbol dafür ist die Regenbogenfahne, die nach der Regierungsübernahme vor keinem öffentlichen Gebäude mehr wehen wird.
Darüber hinaus sieht das 100-Tage-Programm vor: konsequente Abschiebung illegaler Migranten und Start eines umfassenden Remigrationsprogramms, Aufarbeitung des Corona-Unrechts, Unterstützung von Friedensinitiativen und Ende der Sanktionen gegen Rußland, Abschaffung der Rundfunk-Zwangsgebühren, Einführung neuer Rahmenlehrpläne, damit wieder alle Schüler lesen und schreiben lernen, Stopp des Windkraftausbaus und der Verschandelung der Natur, Abwicklung des Verfassungsschutzes, Instandsetzung der Infrastruktur in Brandenburg und schließlich soll das Volk wieder der Souverän sein, indem Volksentscheide erleichtert und Verfassungsänderungen vom Volk abgestimmt werden.
Berndt hält seine Rede. Was zeichnet ihn aus? Er pflegt keinen Verbalradikalismus, ihm geht es um das Ganze. Scharf in der Sache, aber verbindlich im Ton. Er weiß, daß die Hürde, sich zur AfD zu bekennen, für viele Menschen noch immer hoch ist. Durch Phrasen und leere Drohungen macht man sie noch höher. Deshalb ist die Vernunft sein Leitfaden. Man müsse mit den Leuten vernünftig reden, man müsse zeigen, daß man sie verstehe und ihre Sorgen ernst nehme und diejenige Partei sei, die über Probleme nicht nur spreche, sondern sie auch lösen könne.
Berndt ist kein Zyniker, der dem blöden Volk etwas vorbetet und es zugleich verachtet. Er ist im Gegenteil ganz davon überzeugt, daß die Indoktrinationen durch die Altparteien die gesunden Instinkte und die politische Urteilskraft verdorben haben. Hier helfe der heilsame Abgleich mit der Wirklichkeit.
Berndt ist als Spitzenkandidat ein Unglück für die Altparteien und ein Glück für die AfD. Er ist kein Glücksritter, der bei der dritten Partei endlich zum Erfolg gefunden hat. Er hat sein Arbeitsleben hinter sich und braucht die Politik nicht als Lebensversicherung. Er könnte tun, was Rentner tun, Blumen züchten oder um die Welt reisen. Er müßte sich nicht in den Schmutz der politischen Arena begeben. Und es ist auch nicht der Ehrgeiz des zu kurz Gekommenen, der ihn antreten läßt. Für die Altparteien ist ein glaubwürdiger AfD-Spitzenkandidat ein Problem.
Die Erzählung von der bösen Rechtspartei bekommt Risse, wenn der Spitzenkandidat gar nicht diesem Klischee entspricht, sondern authentisch ist. Das merken die Leute sehr schnell.
Der Kampf mit dem politischen Gegner wird von Berndt mit aller notwendigen Schärfe, aber ohne Häme geführt. Es geht ihm um die Sache, nicht um die austauschbaren Personen auf der anderen Seite. Als der brandenburgische CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann im Juli nachts betrunken in Potsdam auf einem E‑Scooter unterwegs war und dabei von der Polizei erwischt wurde, machte Berndt daraus keine Kampagne gegen Redmann. Das hat nichts damit zu tun, daß er Trunkenheit am Steuer nicht scharf verurteilen würde: Berndt ist ein äußerst disziplinierter Mensch, dem so etwas nicht passieren würde.
Der Grund liegt tiefer: Berndt weiß, daß man bei fast jedem Menschen etwas Ähnliches finden und skandalisieren könnte, daß der politische Kampf aber auf einem anderen Niveau ausgetragen werden müsse. Berndt weiß außerdem, wie groß die Spannungen in der unnatürliche Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen in Brandenburg sind und daß deren Protagonisten von ganz allein über Redmann herfallen würden.
Und genau das passiert nun: Im Wahlkampf nehmen die Koalitionspartner keine Rücksicht mehr aufeinander. Der SPD bläst der schlechte Wind der Ampel ins Gesicht, und Redmann hoffte, davon zu profitieren. Seine Gegner revanchierten sich und erzählten die Geschichte von einem, der trunken steuern wolle.
Berndt ist bei aller Schärfe in der Sache freundlich. Nachdem er zum Spitzenkandidaten der AfD für die Landtagswahlen gekürt worden war, gab er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Interview. Die Fragen zielten auf die üblichen Vorurteile: Berndt als Rechtsextremer, der eine Chaotentruppe zur Macht führen wolle. Die Antworten von Berndt waren so bestimmt und dabei so freundlich, daß das Gegenteil erreicht wurde.
Für jeden Zuschauer war klar, daß hier jemand spricht, der integer ist, der sich Gedanken gemacht hat und der es ernst meint. Denn Berndts Äußerungen sind durchdacht. Jeder merkt, daß er es sich mit den Antworten nicht leicht macht, daß zuerst die Analyse kommt und dann die Lösung. Das fällt einem Politikbetrieb auf, in dem viele ihre vorgefaßte Meinung in Parolen und Schlagworte bündeln, weil sie in der Wiederholung den Schlüssel zum Erfolg sehen: Man müsse die Sachen nur lange genug in die Köpfe der Leute hämmern, dann glaubten sie es schon.
Berndt tut das nicht. Er denkt nach, analysiert und argumentiert. Das fällt ihm nicht schwer, denn er weiß die Realität auf seiner Seite und kann oft schlicht auf die Mißstände, das Versagen der Regierung und die Pseudoopposition der Altparteien hinweisen.
Berndt weiß, daß die anderen immer an einem Strang ziehen, wenn es gegen die AfD geht. Auch die Freien Wähler, die 2019 in den Landtag einzogen, verhalten sich nicht anders: Jede parlamentarische Initiative der AfD wird abgelehnt. Die AfD-Fraktion konnte dennoch im Parlament eine rege Tätigkeit entfalten, die nicht ohne Wirkung blieb. Möglich war das durch die Stärke der Fraktion, die mit nur zwei Abgeordneten weniger als die SPD in den Landtag einzog und damit allein die Voraussetzung erfüllte, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Dazu müssen 18 Abgeordnete einen entsprechenden Antrag stellen.
Von dieser Möglichkeit machte die Fraktion angesichts der Corona-Maßnahmen Gebrauch und setzte den ersten und lange einzigen Untersuchungsausschuß zu diesem Thema in Deutschland überhaupt ein. Maßgeblich daran beteiligt war Berndt, den die Vorgänge nicht nur als Mediziner, sondern auch als DDR-Bürger, der seine Erfahrungen mit der Diktatur schon hinter sich hatte, empörten. Das Ergebnis war für die Landesregierung verheerend. Man glaubte den Horrormeldungen und hielt sich sklavisch an die Vorgaben aus Berlin, ohne jemals den Versuch zu unternehmen, die Notwendigkeit und Angemessenheit dieser Maßnahmen zu prüfen. Die Verantwortung dafür wollte keiner übernehmen.
Der Mehrheit des Landtags, die die Maßnahmen kritiklos mitgetragen hatte, sah das naturgemäß anders. Hinzu kommt: Egal, was ein Untersuchungsausschuß an Verfehlungen feststellt, es hat keinerlei Konsequenzen. Es sei denn, ein Politiker tritt freiwillig zurück. Das haben die Verantwortlichen nicht gemacht.
Trotz dieser komfortablen Situation denkt die Landtagspräsidentin laut darüber nach, die Bedingungen für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zu verschärfen, so daß zukünftig zwei Fraktionen einen solchen Antrag stellen müßten. Was das bedeutet, ist klar: Es wäre eine Beschneidung der Minderheitenrechte. Das ist jetzt schon der Fall, wenn die AfD den ihr zustehenden Posten in der Parlamentarischen Kontrollkommission nicht bekommt und damit keine Möglichkeit hat, dem Verfassungsschutz auf die Finger zu schauen.
Berndt reagiert auf solche undemokratischen Winkelzüge allergisch. Sie verletzen sein Gerechtigkeitsgefühl, obwohl er längst weiß und erfahren mußte, daß die demokratischen Spielregeln nicht für alle gelten. Eine grundsätzliche, parteienstaatskritische Opposition ist im Parteienstaat nicht vorgesehen. Das Altparteien-Kartell hat sich mit ihren Ausgründungen gut eingerichtet und möchte dabei nicht gestört werden. Die AfD stört, zumal dann, wenn sie so ist, wie Berndt sie verkörpert. Denn sie entstellt die Altparteien zur Kenntlichkeit, als Beutegemeinschaft, die scharf über ihre Tröge wacht.
Berndt ist ein Spätberufener. Er stellte im Frühjahr 2017, kurz vor den Bundestagswahlen, seinen Aufnahmeantrag in die AfD. Er wollte nicht als Märzgefallener gelten, wenn die AfD wie erwartet erfolgreich bei diesen Wahlen abschneiden sollte. Daß er erst Anfang 2018 in die AfD aufgenommen wurde, lag vermutlich an den damals noch etwas chaotischeren Verhältnissen in den Geschäftsstellen der Partei.
Bis dahin tat sich Berndt immer schwer mit Parteien. In dieser Hinsicht war seine Biographie als Ossi prägend. Wer einmal erfahren hatte, was sich hinter dem Deckmantel scheinbarer Pluralität verbarg, hat da keine Illusionen. In der DDR gab es die Nationale Front, in der die Blockparteien organisiert waren. Nach der Wende waren es vor allem solche Parteigenossen und Westimporte, die den Parteienstaat in den neuen Bundesländern prägten.
Brandenburg machte da keine Ausnahme. Als Ministerpräsident regierte mit Manfred Stolpe ein hoher Beamter der evangelischen Kirche, die aufs engste mit den DDR-Behörden, insbesondere der Stasi, kooperiert hatte. Die Beamten kamen aus dem Westen, vor allem aus dem Partnerland NRW. Die Herrschaft der SPD dauert seit 34 Jahren an, nur die Koalitionspartner wechselten. Die Koalition mit der SED-Nachfolgepartei und schließlich die Kenia-Koalition entlarvten den Parteienstaat in Brandenburg endgültig. Es gibt zwischen den Altparteien keine großen Unterschiede mehr, jeder kann mit jedem koalieren, Hauptsache, man kommt auch einmal zum Zuge.
Das ist es, was Berndt den in der DDR geborenen Protagonisten der Altparteien, darunter Innenminister Stübgen und Ministerpräsident Woidke, nicht verzeihen kann: den Verrat an der friedlichen Revolution von 1989.
Berndt wurde 1956 in Bernau geboren und wuchs im Prenzlauer Berg in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater war Maurer, die Mutter kaufmännische Angestellte. Entscheidend für den weiteren Weg war vielleicht die Tatsache, daß sein Elternhaus katholisch war, was in der DDR eine Außenseiterposition bedeuten konnte.
Wie fruchtbar dieses Abseits sein kann, ist oft beschrieben worden: Es lehrt einen früh, die Dinge etwas differenzierter zu betrachten, denn der Absolutheitsanspruch der offiziellen Wahrheit wird durch die Konkurrenz der inoffiziellen gebrochen. Es verfestigt sich eine Skepsis gegenüber dem Schein der Dinge. Das ist für die Mündigkeit ein großer Vorteil: Man glaubt nicht mehr einfach so, man wird hellhörig für die Schleifgeräusche der Propaganda.
In der Nischengesellschaft der DDR hätte also auch die katholische Kirche eine solche für Berndt sein können. Nach dem Abitur 1975 schlug er zunächst diesen Weg ein und besuchte den Altsprachenkurs in Schöneiche bei Berlin, der auf das philosophisch-theologische Studium am Priesterseminar in Erfurt vorbereiten sollte. Doch dann entschied sich Berndt gegen die geistliche Laufbahn. Er begann in Berlin beim Lampenhersteller Narva eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter und machte nebenher einen Abschluß als Mechaniker. Dann folgte der obligatorische Dienst bei der NVA, anderthalb Jahre als Funkaufklärer in Müncheberg, ebenfalls Brandenburg.
Berndt blieb danach dem Prenzlauer Berg treu und gehörte als Randfigur zu der dortigen Szene, die sich vor allem kultureller und künstlerischer Mittel bediente, um eine Distanz zum real existierenden Sozialismus herzustellen. Der eigentliche Studienwunsch, Humanmedizin, ließ sich nicht verwirklichen, so daß Berndt auf das ungeliebte Fach Zahnmedizin ausweichen mußte. Er mußte nach seiner Approbation jedoch nie als Zahnarzt arbeiten, sondern konnte eine Ausbildung zum Facharzt für Labormedizin anschließen. Als solcher verfaßte Berndt auch seine Promotion, deren Verteidigung genau in die Zeit zwischen Wende und Wiedervereinigung fiel.
Die Zeit danach war nicht einfach. Es erging Medizinern nicht besser als anderen Wissenschaftlern. Die Zerschlagung der DDR-Strukturen und die Vorgaben aus dem Westen stellten alles auf den Kopf. Berndt blieb an der Charité und engagierte sich für den Erhalt der Arbeitsplätze. Er war Mitbegründer der Interessenvertretung »Für unsere Charité«, die erfolgreich mit den Gewerkschaften, den eigentlichen Platzhirschen, konkurrieren konnte. Er führte Tarifverhandlungen und war Mitglied von Personalvertretungen, bis er schließlich ab 2006 als freigestellter Personalrat an dieser weltberühmten Klinik tätig sein konnte. Aus dieser Zeit rührt sein Geschick, unterschiedliche Interessen auszugleichen.
Diese Zeit hatte ein Ende, als sich Berndts Engagement für »Zukunft Heimat« herumsprach. Sein Arbeitsvertrag wurde aufgehoben. Die Gründung des Vereins »Zukunft Heimat« war die Reaktion auf die sogenannte Flüchtlingskrise, die illegale Masseneinwanderung, die Herrschaft des Unrechts. Ganz konkret ging es um ein Flüchtlingsheim in seinem Wohnort. Für ihn, wie viel andere, war das ein weiterer Beleg dafür, daß der Regierung die Interessen der Deutschen egal seien. Als gelerntem DDR-Bürger kamen ihm die BRD-Phrasen bekannt vor. Daß Demokratie etwas anderes bedeuten könne als Volksherrschaft, war ihm schon vor der Wende klar.
Berndt organisierte mit Gleichgesinnten regelmäßige Protestveranstaltungen und nahm damit den Impuls der Bürgerbewegung Pegida auf, nicht zuletzt in der Hoffnung, daß solcher Straßenprotest etwas ändern könne, und sei es nur, daß der einzelne sich in seiner Verzweiflung nicht alleine fühlt, sondern aus der Gemeinschaft neue Kraft schöpfen kann. Berndt lud bekannte Redner auf seine Veranstaltungen ein und hatte schließlich so großen Zulauf, daß der Verfassungsschutz auf ihn aufmerksam wurde.
Aus seiner Zeit bei »Zukunft Heimat« ist vor allem das Hoffest in Sagritz übriggeblieben, das der Verein jedes Jahr am Pfingstmontag durchführt. Es findet auf dem Hof von Berndt in dem nur wenige Häuser umfassenden Ort statt. Berndt und seine Frau hatten sich vor fünfzehn Jahren entschlossen, Berlin zu verlassen, und diesen Resthof gekauft, den sie seither ausbauen und restaurieren.
Das Fest ist keines exklusiv für AfD-Anhänger, sondern für jedermann. Keine Sicherheitsvorkehrungen behindern das Kommen und Gehen. Es gibt selbstgebackenes Brot aus dem hofeigenen Backofen, Getränke, Kuchen und Gegrilltes, und für Unterhaltung sorgen verschiedene Szene-Musiker. Es geht nicht zuletzt darum, den Druck, dem viele AfD-Mitglieder ausgesetzt sind, einmal hinter sich zu lassen und mit Gleich- und Wohlgesinnten so etwas wie gesellschaftliche Normalität zu erleben.
Von seinem bürgerschaftlichen Engagement rührt die starke Affinität Berndts zu dem her, was manche das Vorfeld nennen. Von der Partei aus gesehen, ist alles, was nicht unmittelbar zur Partei gehört, »Vorfeld« – vor allem dann, wenn es dabei um Beiträge zur gemeinsamen Sache geht, die von der Partei selbst so nicht geleistet werden könnten. Denn Parteien leben einerseits von Wählerstimmen, benötigen andererseits aber Personal, Ideen und Strukturen. Das »Vorfeld« könnte den Millionen Wählern außerdem bestenfalls die Möglichkeiten bieten, sich alternativ zu informieren, sich zu beteiligen und die ganze Vielfalt des rechten, konservativen, alternativen Denkens und Lebens zu entdecken.
Aus Sicht eines Politikers wie Christoph Berndt krankt die AfD daran, daß sie angesichts ihrer Erfolge mitunter in der Luft zu hängen droht, weil ihr das fehlt, was die anderen Parteien sich in Jahrzehnten im vorpolitischen Raum aufgebaut haben. Daher läßt sich Berndt ebenso gern in Schnellroda blicken, redet bei Pegida oder fährt noch am Abend des Verbotstages zur Demonstration vor dem Redaktionsgebäude von Compact.
Berndt ist seit 2020 Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag Brandenburg. Nicht nur, daß er so schnell nach der Wahl in diese Position gelangen würde, war nicht zu erwarten, überhaupt schien es unwahrscheinlich, daß Andreas Kalbitz abgelöst werden müßte. Denn auch wenn Kalbitz’ Führungsstil nicht unumstritten war, gelang es ihm doch, die Partei durch den Wahlkampf von 2019 zu führen und knappe 24 Prozent zu erobern.
Aber dann wurde Kalbitz, der Alexander Gauland sowohl als Partei- als auch als Fraktionsvorsitzender in Brandenburg nachgefolgt war, von der AfD-Bundesführung unter Jörg Meuthen unter fadenscheinigen Gründen aus der Partei ausgeschlossen. Dennoch blieb Kalbitz Vorsitzender der Fraktion. Die Geschäftsordnung wurde extra geändert, um auch einem Parteilosen den Vorsitz zu ermöglichen. Erst zwischenmenschliches Fehlverhalten zwang ihn zum Rückzug.
Berndt entschied sich für eine Kandidatur, setzte sich gegen seine Konkurrenten in der Fraktion durch – und hatte mit einer schwierigen Pattsituation zu kämpfen. Die Mehrheiten waren knapp, und entsprechend schwierig gestaltete sich die Arbeit. Aber hier kam Berndt seine Erfahrung jahrzehntelanger Gremienarbeit zugute. Er hielt die Fraktion zusammen und konnte mit Philip Zeschmann, der die Freien Wähler verlassen hatte, sogar einen neuen Abgeordneten gewinnen.
Gewählt wird am 22. September. Die Umfragen sehen die AfD vorn, aber der Vorsprung auf die Altparteien, der einmal zehn Prozentpunkte betrug, ist abgeschmolzen. Die Kampagnen gegen die AfD haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Berndt ist optimistisch und sieht in dem Ergebnis der EU- und Kommunalwahlen, die unerwartet deutlich zugunsten der AfD ausfielen, Rückenwind. Die große Unbekannte bleibt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Diese Partei gehört zum Plan des Establishments, die AfD von der Macht fernzuhalten. Beruhigend ist nur, daß die Altparteien bisher mehr Federn lassen mußten als die AfD. Wer einmal AfD gewählt hat, läßt sich von einem so durchsichtigen Manöver wie dem von Sahra Wagenknecht nicht vom Kurs abbringen. Berndts Glaube ist in dieser Hinsicht unerschütterlich – nicht, weil das bei einem Politiker so sein muß, sondern weil er zum einen daran glaubt, das Richtige zu tun, und zum anderen seine Partei als ein Mittel niemals mit dem Zweck verwechselt.
Simplicius Teutsch
Gut geschriebenes Portrait über Christoph Berndt. – Hatte ich in Sezession Nr. 121 überblättert. Jetzt kann ich – als Wessi – mit dem Brandenburger AfD-Verband erst was anfangen. Danke. Ein Mann, wie Christoph Berndt, gibt mir Hoffnung für die AfD.