Zur Erinnerung: Bei der EU-Wahl gewann die Partei ANO (Ja) des »Populisten« Andrej Babiš mit 26,1 Prozent (+4,9, das sind 7 der 21 tschechischen Sitze in Brüssel/Straßburg). Das liberale Wahlbündnis SPOLU (Gemeinsam) aus Bürgerdemokraten (ODS), Top 09 und Christdemokraten (KDU-ČSL) mit Spitzenkandidat Alexandr Vondr kam lediglich auf 22,3 Prozent (6 Sitze) – es sind dies drei regierende Parteien in Tschechien.
Die vierte Regierungspartei der Piraten trat allein an und fiel auf 6,2 Prozent (1 Sitz), die fünfte – und damit letzte – Regierungspartei ist die Partei STAN (Bürgermeisterpartei), die 8,7 Prozent erzielen konnte (2 Sitze).Weitere EU-Parlamentarier können sowohl Kommunisten (fast 10 Prozent, 2 Sitze) als auch das Wahlbündnis aus Přísaha (Eid) und Motoristé sobě (Autofahrerpartei) entsenden (2 Sitze), da man 10,26 Prozent erzielte.
Aber auch die AfD-Partnerpartei Svoboda a přímá demokracie (SPD, Freiheit und direkte Demokratie) errang ein Mandat im Bündnis mit der Trikolora; die rechte Allianz kam auf 5,9 Prozent (1 Sitz) bei einer Wahlbeteiligung von 36,5 Prozent: ein Rekordwert in Tschechien für eine EU-Wahl.
Am 20. und 21. September folgten dann die Regionalwahlen. In 13 von 14 Krajen (ähnlich den Bundesländern) wurde gewählt. Die Tendenz, die Fünfparteienregierung abzustrafen, setzte sich fort. Insbesondere die Piraten stürzten ab und kamen im landesweiten Schnitt auf nur noch 3,87 Prozent. Wahlsieger ist einmal mehr ANO (35,38 Prozent), wobei die starken Zugewinne (+ 13,56) zumindest in Teilen auch auf Kosten der rechten SPD erzielt wurden, die auf 6,48 Prozent kam (-2,87).
Man kann es kurz fassen: 2025 wird das Jahr von Andrej Babiš werden, der sich aller Voraussicht und aller Demoskopie nach seine Koalitionspartner wird aussuchen können. Eine »Brandmauer« gibt es in Prag freilich nicht; daher ist es eine Option, daß der Milliardär mit der SPD zusammengeht – sofern diese ihr starkes 2021er Ergebnis (9,6 Prozent) halbwegs halten wird können; man darf jedoch von einem leichten Abwärtstrend ähnlich den Regionalwahlen ausgehen, so daß am Ende die nationale Kraft mit 5 bis 7 Prozent (Stand jetzt) durchs Ziele gehen dürfte.
Apropos SPD: Am Wochenende nach den Regionalwahlen, vom 27. bis 29. September, fand in der tschechischen Hauptstadt ein Seminar der Jungen Alternative (JA) Sachsen statt. Die AfD-Jugend um Alexander Wiesner und Lennard Scharpe ist bestens mit den tschechischen Rechten vernetzt; vergangene Treffen fanden u.a. in Aussig (Ustí nad Labem) statt. Diesmal versammelte man rund 40 Teilnehmer aus Sachsen, Tschechien, Polen (Konfederacja), Ungarn (Mi Hazánk Mozgalom) und der Schweiz, denen ein interessantes Programm geboten wurde.
Am Freitag stand u.a. eine ausführliche Parlamentsbegehung, die Besichtigung der SPD-Räumlichkeiten und ein Vortrag des Parteichefs Tonio Okamura – Unternehmer, Halbjapaner, ehemaliger Vizepräsident des Abgeordnetenhauses – auf dem Programm. Deutlich wurde bereits da, daß die SPD, die gemeinsam mit der AfD im EU-Parlament der Fraktion Europe of Sovereign Nations (ESN) angehört, keine Weltanschauungspartei, aber auch keine Sammlungspartei unterschiedlicher patriotischer Strömungen ist.
Die 2015 gegründete SPD kann eher als »klassisch« rechtspopulistische Kraft mit »dünner Ideologie« (Michael Fredeen) bezeichnet werden: Hauptthemen sind islamisch-arabische und afrikanische Zuwanderung, der Kampf gegen politische Korrektheit und ein allgemeiner Anti-Eliten-Diskurs, der besonders in Bezug auf die EU-Dominanz mit Schärfe gepflegt wird.
Ein Problem für die SPD könnte nach meinem Dafürhalten der Umstand sein, daß diese obligatorischen »rechtspopulistischen« Sujets medienwirksam und massenkompatibel auch von ANO und Andrej Babiš aufgegriffen werden – die neun Jahre alte SPD muß sich thematisch daher wohl erst noch zu einer integralen Rechtspartei mit breiterem Themenspektrum weiterentwickeln, wenn sie sich dauerhaft zweistellig rechts der führenden ANO etablieren möchte.
Einer der Prager SPD-Abgeordneten (im Parlament gibt es derer 20 von 200 insgesamt) teilte mir auf meine diesbezüglichen Bedenken mit, daß man künftig tatsächlich auch andere Themen wie die Wohnproblematik im Hauptstadtraum aufgreifen möchte. Der grassierende »Übertourismus« an der Moldau sorge nicht zuletzt dafür, daß – ähnlich wie in Barcelona – eine krasse Wohnraumverknappung zulasten der Einheimischen zu konstatieren sei. Ferienwohnungen, Zweitwohnungen und ähnliche Optionen verringern qualitativ wie quantitativ den vorhandenen Lebensraum der Prager und Randprager. Das Thema gewinne daher an Bedeutung.
Dieses Gespräch war am Prager Wochenende keine Ausnahme: Die allgemeine Herzlichkeit der Parteivertreter, die – ob jung oder älter – fast ausnahmslos lupenreines Deutsch sprachen, ermöglichte problemlos und ohne Sprachbarrieren intensive Gespräche über die Situation der SPD in Tschechien (es gibt keine Ausgrenzung, ANO gräbt viele Wähler ab, man sieht als Hauptgegner die linksliberalen Piraten usw.), aber auch zu deutsch-tschechischen Fragen.
Als Eckart-Kolumnist, mithin als Autor einer Zeitschrift also, die von der volkstumsorientierten Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM) herausgegeben wird, interessierte mich natürlich insbesondere der Blick der SPD-Kader auf die Situation der verbliebenen 25.000 Deutschen im Land, die überwiegend zwischen Eger (Cheb) und Jáchymov (Sankt Joachimsthal) sowie rund ums mährisch-schlesische Troppau (Opava) leben.
Doch zu meiner Überraschung hatte keiner der SPD-Gesprächspartner Kenntnis von der deutschen Minderheit als organisierter Kraft; allgemeiner Tenor war: Man sei ihnen prinzipiell zugewandt, sofern man sie wahrnähme. Ein Umstand, der viel über die Marginalisierung der Deutschen in Böhmen, Mähren und dem tschechischen Teil Schlesiens verrät und den durchaus reichlich existierenden Organisationen der Deutschen (vom Bund der Deutschen über den Verband der Deutschen bis hin zu diversen lokalen Kultur- und Sprachvereinen) schmerzhaft bewußt machen dürfte, wie wenig man überhaupt noch gesellschaftlich wahrgenommen wird.
Positiv kann hingegen verbucht werden, daß sowohl Mandatsträger der SPD als auch ihre Jugendvertreter ausnahmslos deutschfreundlich auftraten – von gegenseitigen Ressentiments oder historischen Vorbehalten war nichts zu spüren, dafür ehrliches Interesse und aufrichtige Bewunderung für die vitale nonkonforme Szenerie in Deutschland.
Zwei weitere Aspekte des Wochenendes möchte ich anreißen, und zwar nicht das Podium mit Irmhild Boßdorf (MdEP), JA-Kader Scharpe und mir (dies wird noch als Video veröffentlicht), sondern folgendes:
Zum einen ist der Vortrag von Patrik Orosz zu nennen. Der junge Beauftragte für Auslandskontakte der ungarischen Rechtspartei Mi Hazánk Mozgalom (Bewegung für unsere Heimat) sprach über die Lage Ungarns und natürlich auch über die Sonderrolle seiner nationalen Partei als rechter Opposition gegen eine konservative Regierung unter Orbán.
Da die rechte Pro-Orbán-Position in unserem Milieu hinreichend bekannt sein dürfte, gebe ich an dieser Stelle in Stichpunkten Oroszs’ nicht minder rechte Einwände gegen eine Fidesz-freundliche Perspektive wieder, die er auf meine explizite Nachfrage wie folgt darlegte:
- Orbán bekämpfe illegale Migration, forciere aber legale Migration, die er als Gastarbeiterbefristungen verschleiert – als volkstreue Kräfte seien sie gegen beide Varianten der Zuwanderung.
- Fidesz-Korruption ersticke das Land – Cliquenwirtschaft und Oligarchisierung lehnen sie ab.
- Die Medien seien aufgeteilt unter Orbán-Getreuen auf der einen Seite und linksliberalen Interessengruppen auf der anderen – sie wollen einen medialen Neuanfang für Ungarn.
- Das Land werde zerstückelt, verkauft und zugebaut – die Verstädterung durch Orbáns Politik sei für Mi Hazánk ein zentrales Problem, die Landwirtschaft als Herzkammer der klassischen ungarischen Wirtschaft darbe auch deshalb.
- Orbán sei zwar verbal Kiew-kritisch, lasse aber de facto die Waffen des Westens passieren und vernachlässige überdies die Belange der ungarischen Minderheit in der Westukraine – Mi Hazánk befürworte hingegen eine klare Veurteilung der Selensky-Regierung, eine starke Parteinahme für Auslandsungarn und eine strikt kritische Haltung zur EU und NATO.
Zum anderen zu erwähnen sind die guten Gespräche mit zwei Vertretern der Konfederacja aus Polen, genauer: aus der Region Ost-Görlitz (Zgorzelec) bzw. Hirschberg (Jelenia Góra) in Niederschlesien. Beide gehören der nationalliberalen Partei Nowa Nadzieja an, die mit drei EU-Abgeordneten Teil der AfD-EU-Fraktion ESN ist.
Einer von ihnen spricht makelloses Deutsch, und ihn befragte ich zur Lage der deutschen Minderheit in Nieder- und Oberschlesien, die unter der PiS-Regierung unter neuen Repressionen wie der massiven Einschränkung des Deutschunterrichts für deutschstämmige Kinder zu leiden hatte. Seine Positionierung war höflich-zurückhaltend: Als Kraft der Freiheit würden sie auch für die organische deutsche und slawisch-schlesische (»schlonzakische«, »wasserpolnische«) Minderheit in Polen Freiheitsrechte affirmieren, d.h. auch Schulunterricht u. dgl. ermöglichen.
Ebenso höflich gab er mir aber zu verstehen, daß die anderen beiden Rechtsparteien in der Konfederacja (Ruch Narodowy und Konfederacja Korona Polskiej) hier womöglich noch andere Standpunkte einnehmen würden – eine These, die durch Internetartikel, Parlamentsreden und entsprechende Positionierungen als belegt gelten kann, wobei man ergänzen muß, daß das antideutsche Level der PiS bei Konfederacja keineswegs erreicht wird, was zumindest hoffen läßt.
Neben den positiven Elementen eines solchen europäischen Wochenendes im Zeichen des politischen Austauschs und der gelebten Gemeinschaft muß daher auch konstatiert werden, daß noch reichlich Gutes zu tun ist: Verständigung in der europäischen Rechten über Volksgrenzen hinweg darf nicht bedeuten, daß man die nationalen Minderheiten vergißt oder ihre Belange pauschal unterordnet.
In Polen beispielsweise gab es bis dato keine einzige rechte Kraft, die unverkrampft und aufgeschlossen der deutschen und schlesischen Minderheit insbesondere in Oberschlesien gegenübertritt: Wenn sich das mit der Nowa Nadzieja ändern kann, ist das unbedingt zu begrüßen, und wenn Tagungen wie die aktuelle der JA Sachsen ihr Scherflein dazu beitragen, sowieso.
Le Chasseur
"Orbán bekämpfe illegale Migration, forciere aber legale Migration, die er als Gastarbeiterbefristungen verschleiert"
Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist: Der Mann, der Orban zur Macht verhalf