Hundert Jahre, hundert Romane – 1924 bis 1945

Vor Wochen veröffentlichte der SPIEGEL eine Liste, die von 1924 bis 2024 für jedes Jahr den Roman des Jahres präsentierte - hundert Bücher also, zusammengestellt von Literaturkritikern und Feuilletonredakteuren.

Ellen Kositza, Erik Leh­nert und Götz Kubit­schek spra­chen über die­se Lis­te, den Zweck sol­cher Zusam­men­stel­lun­gen und über die Aus­wahl des SPIEGEL im Pod­cast mit Chris­toph Berndt – hier kann man das nach­hö­ren, um die Roma­ne geht es nach einer Stun­de (genau ab 1.02.00).

Leh­nert kün­dig­te in die­sem Gespräch an, man wer­de eine eige­ne Lis­te fül­len und für jedes Jahr einen Roman benen­nen. Es wer­de Über­schnei­dun­gen zur SPIE­GEL-Lis­te geben, aber natür­lich wer­de die Sezes­si­on-Lis­te leicht zu erken­nen sein.

Hier ist sie nun, und in der Tat ist sie wesent­lich anders. In ihr ist die Inne­re Emi­gra­ti­on gewür­digt, dazu das, was 1950 bis 1980 erschien und ver­schütt­ging. Auch das, was jüngst erschien, kann anders sor­tiert werden.

Ver­öf­fent­licht wird in drei Tei­len. Wei­ma­rer Repu­blik und Drit­tes Reich 1924–1945, Nach­krieg, DDR und BRD 1946–1989, Ber­li­ner Repu­blik bis heu­te 1990–2024. Nicht alle, aber die meis­ten Bücher sind kurz kom­men­tiert, EL steht für Leh­nert, EK für Kositza, GK für Kubitschek.

Dort, wo Aus­ga­ben der Bücher erhält­lich sind, ist auf antaios.de in einem eige­nen Bücher­schrank ver­linkt. Wei­te­re Links füh­ren zu Lite­ra­tur­ge­sprä­chen und Video­re­zen­sio­nen. Der Kom­men­tar­be­reich bleibt offen: Wer begrün­det ergän­zen will, soll­te das tun. Dis­kus­sio­nen dar­über, ob sol­che Lis­ten über­haupt sinn­voll sein könn­ten, fin­den kei­nen Platz: Sezes­si­on hielt die Arbeit für sinn­voll und hat sie geleistet.

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Wei­ma­rer Repu­blik und Drit­tes Reich – 1924 bis 1945

1924 Tho­mas Mann: Der Zau­ber­berg - hier bestel­len

Eine Art inver­tier­ter Bil­dungs­ro­man (der Held zieht nicht “hin­aus”, son­dern “hin­ein”) : Der 23jährige Hans Cas­torp reist für einen Kurz­be­such zu sei­nem Vet­ter Joa­chim Zie­m­ßen, der sich in einem Sana­to­ri­um bei Davos kuriert. Die dort resi­die­ren­de Kur­ge­sell­schaft ekelt und fas­zi­niert ihn. Zunächst wird der auf­klä­re­risch gestimm­te Demo­krat, Frei­mau­rer und Phil­an­throp Settem­b­ri­ni Cas­torps päd­ago­gi­scher und intel­lek­tu­el­ler Meis­ter – dann taucht ein geis­ti­ger Gegen­spie­ler auf: der jüdi­sche Katho­lik Naph­ta, eine aura­ti­sche Figur mit Rede­ga­be. Nap­tha plä­diert für einen tota­li­tä­ren Got­tes­staat. Cas­torps Auen­t­halt auf dem Zau­ber­berg wird sich auf sie­ben Jah­re erstre­cken. Kon­ge­ni­al ver­filmt übri­gens 1981 von Hans Gei­ßen­dör­fer. (EK)

1925 Franz Kaf­ka: Der Pro­zeß - hier bestel­len

Gegen die Ver­fü­gung Kaf­kas ent­schied der Nach­laß­ver­wal­ter Max Brod, die Manu­skrip­te zu ver­öf­fent­li­chen. Beden­ken Sie bit­te, wie jemand Kaf­kas Roman noch ein­mal neu und anders lesen muß, nach­dem er in die Müh­len der Jus­tiz geriet und im anony­men Ver­wal­tungs­staat von Tür zu Tür irrt, ohne jemals jeman­den anzu­tref­fen, der nicht nur ein Räd­chen ist, son­dern umfäng­lich Bescheid weiß. “Mau­er aus Kau­tschuk” hat Armin Moh­ler das genannt: kei­nen Hebel­punkt fin­den kön­nen … (GK)

1926 Arthur Schnitz­ler: Traum­no­vel­le - hier bestel­len

Schnitz­ler, der damals schon alte Mann der „Wie­ner Moder­ne“, läßt ein Ehe­paar in einer ein­zi­gen Nacht die ewi­gen The­men der Psy­cho­ana­ly­se – die Träu­me, das Unbe­wuß­te und die Sexua­li­tät – durch­le­ben. 1999 kon­ge­ni­al ver­filmt von Stan­ley Kubrick: Eyes wide shut. (EL)

1927 Arnold Zweig: Der Streit um den Ser­gean­ten Grischa

Zweig war ein welt­an­schau­lich frag­wür­di­ger Autor, aber ein gro­ßer Erzäh­ler. Sein pazi­fis­ti­scher Roman spielt im Herbst des Jah­res 1917 im Land Ober­Ost und zeigt am Schick­sal eines rus­si­schen Gefan­ge­nen, wie es ist, wenn die Müh­len der Mili­tär­ver­wal­tung ein­mal in Schwung gekom­men sind. (EL)

1928 Jakob Was­ser­mann: Der Fall Mau­ri­zi­ushier bestel­len

Der Roman um einen Jus­tiz­irr­tum und sei­ne Auf­klä­rung fragt nicht nur, ob es irdi­sche Gerech­tig­keit geben kann, son­dern macht dar­aus einen Vater-Sohn-Kon­flikt, der geschicht­lich eini­ges vor­weg­nimmt. In einer Neben­fi­gur taucht der ewi­ge Jude, das Lebens­the­ma Was­ser­manns, auf. (EL)

1929 Arnolt Bron­nen: O.S.hier bestel­len

Die Kämp­fe um Ober­schle­si­en nach dem I. Welt­krieg sind ver­ges­se­ne Geschich­te. Deut­sche Frei­wil­li­gen­ver­bän­de sicher­ten deut­sches Gebiet gegen den pol­ni­schen Über­griff. Zum Mythos wur­de die Erstür­mung des Anna­bergs durch das Frei­korps Ober­land. Die Wei­ma­rer Regie­rung blieb indif­fe­rent und stütz­te die Frei­wil­li­gen nicht. Bron­nens Roman ist rasant, modern, fast schon expe­ri­men­tell und jeden­falls mit das Bes­te, was es lite­ra­risch über die­se Jah­re zu lesen gibt. (GK)

1930 Edwin Erich Dwin­ger: Zwi­schen Weiß und Rothier bestel­len

Teil zwei der gro­ßen Ruß­land-Tri­lo­gie Dwin­gers: Deut­sche Gefan­ge­ne kom­men unter der Bedin­gung frei, auf Sei­ten der zaren­treu­en Ver­bän­de gegen die Revo­lu­ti­ons­trup­pen zu kämp­fen. Dwin­ger gelang eine der weni­gen authen­ti­schen Dar­stel­lun­gen des ent­setz­lich grau­sa­men Bür­ger­kriegs in Ruß­land zwi­schen 1917 und 1922. (GK)

1931 Erich Käst­ner: Fabi­an. Die Geschich­te eines Mora­lis­tenhier bestel­len

Eine Para­bel auf die aus den Fugen gera­te­ne Wei­ma­rer Repu­blik, in der die Haupt­fi­gur vom Naiv­ling zum Pes­si­mis­ten wird, den nur sei­ne Welt­fremd­heit davor bewahrt als Zyni­ker zu enden. Statt­des­sen stirbt der Nicht­schwim­mer beim Ver­such, einen Ertrin­ken­den zu ret­ten. (EL)

1932 Hans Fal­la­da: Klei­ner Mann, was nun?hier bestel­len

Fal­la­da schil­dert in sei­nem Best­sel­ler die Ver­elen­dung und Per­spek­tiv­lo­sig­keit der Ange­stell­ten wäh­rend der Welt­wirt­schafts­kri­se am Schick­sal eines jun­gen Ehe­paars. Kein Buch fängt die­se Jah­re bes­ser ein, kei­nes ist so uner­bitt­lich und lako­nisch, kei­nes schaut genau­er hin. (EL)

1933 Franz Wer­fel: Die vier­zig Tage des Musa Daghhier bestel­len

Das gro­ße Doku­ment der Aus­mor­dung der Arme­ni­er durch die Osma­nen im Ver­lauf des I. Welt­kriegs – und des Wider­stands eini­ger Dör­fer in der Berg­fes­tung auf dem Musa Dagh. (GK)

1934 Alex­an­der Ler­net-Holenia: Die Stan­dar­tehier bestel­len

Öster­reich-Ungarns Heer am Ende des Ers­ten Welt­kriegs: Natio­na­li­tä­ten­ri­va­li­tä­ten bre­chen auf, die Trup­pe meu­tert, die Offi­zie­re frö­nen dem Stan­des­dün­kel, ihnen ent­glei­ten die Zügel. Aus dem Cha­os ret­tet ein Fähn­rich die Stan­dar­te sei­ner Ein­heit, aber die Zeit der äuße­ren Sym­bo­le ist vor­erst vor­bei, das Kai­ser­reich Geschich­te. (EL)

1935 Wer­ner Ber­gen­gruen: Der Groß­ty­rann und das Gericht

1936 Eines der Jah­re “in dunk­ler Zeit”, in denen über­bor­dend viel Gül­ti­ges erschien. Dar­über ist viel geschrie­ben wor­den – über die lite­ra­ri­sche Kon­ti­nui­tät und das gespal­te­ne Bewußt­sein der Epoche.

Edgar Maass: Ver­dun

Über den Ers­ten Welt­krieg, über die Mate­ri­al­schlach­ten, gibt es unzäh­li­ge Roma­ne, die­ser ist beson­ders. Er beschö­nigt und ver­zerrt nichts. Er beschreibt die Schlacht so, daß der Leser sich dem uner­bitt­li­chen Sog des Gesche­hens nicht ent­zie­hen kann und trotz­dem nicht die Ori­en­tie­rung ver­liert. Ohne jedes Pathos steht am Ende die Fra­ge, ob die Bes­ten nicht gefal­len sind. (EL)

llse Mol­zahn: Der schwar­ze Storchhier bestel­len

Völ­lig magisch. Kein Leser wird die­sem Sog ent­ge­hen! Posen, um 1900, auf einem Gut, das vom Ruin bedroht ist. Erzählt wird aus der Sicht der klei­nen Toch­ter. Die Mut­ter: Pie­tis­tin mit „from­mem Gesicht“. Der Vater: ein cho­le­ri­scher Drauf­gän­ger. Er hat die­se Rari­tät, den schwar­zen Storch, erlegt. Der prä­pa­rier­te Vogel schwebt als Totem­tier im Spei­se­raum und über der gan­zen Sze­ne­rie. (EK)

Sieg­fried von Vege­sack: Bal­ti­sche Tragödie

Die Deut­schen beherrsch­ten lan­ge das Bal­ti­kum, die Kauf­leu­te und das Bil­dungs­bür­ger­tum in den Städ­ten, der Adel auf dem Lan­de. Vege­sack war einer von ihnen. Aus der Per­spek­ti­ve eines Her­an­wach­sen­den schil­dert er die Zuspit­zung der Gegen­sät­ze zwi­schen Deut­schen und Let­ten, die schließ­lich in Revo­lu­ti­on und Bür­ger­krieg füh­ren. Die drei Bän­de erschie­nen zwi­schen 1933 und 1935, 1936 erfolg­te die Aus­ga­be in einem Band, die bis heu­te lie­fer­bar ist. (EL)

Klaus Mann: Mephis­to

1937 Gleich drei Grund­wer­ke unse­rer Welt­an­schau­ung und Welterschließung:

Jochen Klep­per: Der Vaterhier bestel­len

Jochen Klep­per hat DEN Roman über den preu­ßi­schen Geist, sei­ne For­mung, sei­ne Unver­gleich­lich­keit geschrie­ben. Das Buch war ab 1937 ein gro­ßer Erfolg, vor allem auch in den Krei­sen der Wehr­macht. Es dien­te der geis­ti­gen Aus­bil­dung des Offi­ziers­korps. (GK)

Horst Lan­ge: Schwar­ze Wei­dehier bestel­len

Neben „Erl­kö­nig“ von Michel Tour­nier mein Lieb­lings­buch. Düs­ter, magne­tisch, apo­ka­lyp­tisch, schil­lernd. Lan­ge ist Schle­si­er – Hei­mat mei­ner Eltern… Ein jun­ger Mann ver­bringt den Som­mer kurz nach dem Ers­ten Welt­krieg auf dem Hof sei­nes Onkels in Schle­si­en. Im Dorf gibt es eine Art unter­ir­di­sches Rumo­ren, selt­sa­me Din­ge bah­nen sich an. Cora, die weib­li­che Haupt­fi­gur, fes­selt mich bis heu­te. Wie wider­spens­tig kann man sein? Neo Rauch sag­te mal, „Schwar­ze Wei­de“ sei eine Inspi­ra­ti­ons­quel­le für sein Bild­werk – das kann man sich gut vor­stel­len. (EK)

Hans Fal­la­da: Wolf unter Wöl­fenhier bestel­len

Was hat die Hyper­in­fla­ti­on von 1923 mit dem deut­schen Volk gemacht? Sie hat den Glau­ben an die Zukunft zer­stört und die Deut­schen zu Mate­ria­lis­ten gemacht, die nur noch einen Gedan­ken ken­nen: Geld. Nicht nur in den Städ­ten regiert der Wahn­sinn, auch auf dem Land. Fal­la­da kennt bei­des aus eige­ner Erfah­rung. Irgend­wann hat der Spuk ein Ende, es wird sich zei­gen, wer unbe­scha­det dar­aus her­vor­ge­gan­gen ist. (EL)

Fried­rich Reck-Mallec­ze­wen: Bockel­son

1938 Auch die fol­gen­den drei Wer­ke konn­te man als Arbei­ten der Inne­ren Emi­gra­ti­on und als War­nung und Mah­nung lesen – oder eben nicht.

Rein­hold Schnei­der: Las Casas vor Karl V.hier bestel­len

Der Domi­ni­ka­ner Las Casas war ers­ter Bischof Mexi­kos und setz­te sich bald gegen die Con­quis­ta­do­ren für die Rech­te der Urein­woh­ner ein. Er trug vor Karl V. von Spa­ni­en vor und erreich­te bedeu­ten­de Ver­bes­se­run­gen. Schnei­der schrieb sein Werk in der Über­zeu­gung, daß mutig vor Hit­ler getre­ten wer­den müs­se. Sein Roman wur­de so gele­sen und ver­stan­den. (GK)

Ger­trud von le Fort: Die Mag­de­bur­gi­sche Hoch­zeithier bestel­len

1634 zer­stör­te die Katho­li­sche Liga unter Til­ly das pro­tes­tan­ti­sche und wider­stän­di­ge Mag­de­burg und brand­schatz­te drei Tage lang. Rund 20 000 Ein­woh­ner kamen ums Leben. Im Roman miß­lingt die Ret­tung, weil kaum einer der­je­ni­gen, die ent­schei­den kön­nen, nüch­ter­nen Ver­stand ansetzt: Trun­ken­heit, Beses­sen­heit, Wahn, Ver­rat. Man las 1938 den Roman als Vor­ah­nung dar­auf, daß ein neu­er, ver­hee­ren­der Krieg wohl nicht ver­hin­dert wer­den kön­ne. (GK)

Joseph Roth: Die Kapu­zi­ner­grufthier bestel­len

In der Wie­ner Kapu­zi­ner­gruft wer­den bis heu­te die Ange­hö­ri­gen des öster­rei­chi­schen Kai­ser­hau­ses bestat­tet. Joseph Roth nimmt die­se Tra­di­ti­on zum Aus­gangs­punkt sei­nes letz­ten gro­ßen Romans, der den Faden des Radetz­ky­marschs wie­der auf­nimmt und ihm bis in die Gegen­wart, dem Anschluß Öster­reichs an das Deut­sche Reich, folgt. Der tie­fe Pes­si­mis­mus des Buches läßt erah­nen, wie sehr Roth im Exil das alte Öster­reich ver­mißt hat. (EL)

1939 Und am Vor­abend des Kriegs­aus­bru­ches dann die­se bei­den Hämmer:

Ernst Jün­ger: Auf den Mar­mor­klip­penhier bestel­len

Die gro­ße Para­bel auf Gewalt- und Schre­ckens­herr­schaft, auf Wider­stands­for­men und das ewi­ge Pen­del­ge­setz der Geschich­te. Hier die ver­fei­ner­te Ufer­stadt Mari­na, dort die Revie­re des Ober­förs­ters und sei­ner Gesel­len – als der Roman erschien, hiel­ten es vie­le Leser für sicher, daß der Autor zur Rechen­schaft gezo­gen wür­de. (GK)

Ernst Wie­chert: Das ein­fa­che Lebenhier bestel­len

Ein frü­her Aus­stei­ger-Roman: Der Kriegs­heim­keh­rer von Orla kommt mit dem lau­ten Ber­lin und sei­ner lebens­süch­ti­gen Ehe­frau nicht mehr zurecht und flieht auf eine Insel in einem See im Osten, um im ein­fa­chen Leben das wirk­li­che Leben zu fin­den. Wider­stand durch Rück­zug, Ent­zug? So las man die­sen Best­sel­ler. (GK)

1940 Eri­ka Mit­te­rer: Der Fürst der Welt

Als typi­scher Roman der Inne­ren Emi­gra­ti­on spielt sei­ne Hand­lung in fer­ner Ver­gan­gen­heit, in der Zeit der Inqui­si­ti­on. Es geht um Hexen­wahn, um das Böse, das freie Bahn hat, wenn ihm nie­mand ent­ge­gen­tritt, und die Schlei­er, hin­ter denen es sich ver­birgt. Die Dop­pel­bö­dig­keit und der Gegen­warts­be­zug des Buches fie­len nicht jedem auf, angeb­lich sahen die NS-Zen­so­ren in ihm eine Abrech­nung mit der katho­li­schen Kir­che. Viel­leicht erschien es auch des­halb als eines der weni­gen Bücher der Inne­ren Emi­gra­ti­on auch in der DDR. (EL)

1941 Frank Thiess: Das Reich der Dämonen

1942 Ste­fan Zweig: Die Welt von Ges­tern. Erin­ne­run­gen eines Europäers

Die­ses Buch ist auch die Auto­bio­gra­phie eines wachen Beob­ach­ters und nahe­zu res­sen­ti­ment­frei­en Groß­bür­gers, der in den zwan­zi­ger Jah­ren zu den erfolg­reichs­ten deut­schen Schrift­stel­lern gehör­te, vor allem aber die Schil­de­rung einer Epo­che mit all ihren Facet­ten. Ins Exil gezwun­gen, blickt Zweig auf eine Welt zurück, in der Euro­pa in höchs­ter Blü­te stand und als Maß­stab galt. Zweig nahm sich 1942 das Leben, das Buch erschien pos­tum. (EL)

1943 Her­mann Hes­se: Das Glas­per­len­spielhier bestel­len

Hes­se wird bis heu­te viel gele­sen und ver­filmt. Das Glas­per­len­spiel gehört zu den anspruchs­volls­ten Büchern die­ses Autors, der dem Kitsch nicht immer wider­ste­hen konn­te. Es ist gleich­zei­tig sein letz­ter Roman. Wie so oft bei Hes­se steht ein Schü­ler-Meis­ter-Ver­hält­nis im Mit­tel­punkt der Hand­lung. Es geht um die Fra­ge, wie man geis­tig wach­sen kann und ein gan­zer Mensch wird. (EL)

1944 Horst Lan­ge: Die Leucht­ku­geln

Daß die­se Erzäh­lun­gen (neben den Leucht­ku­geln ent­hält der Band auch Auf den Hügeln vor Mos­kau) noch 1944 erschei­nen konn­ten, grenzt an ein Wun­der. Nicht nur, daß der Autor zu die­ser Zeit schon längst in Ungna­de gefal­len war, die Schil­de­rung des Krie­ges in der­art unhe­roi­scher und zwi­schen­mensch­lich ver­bind­li­cher Art steht in star­kem Wider­spruch zum natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ras­se- oder Welt­an­schau­ungs­krieg. (EL)

1945 Carl Zuck­may­er: Der See­len­bräu

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Kommentare (25)

Hesperiolus

14. November 2024 20:53

Erscheint denn hoffentlich bald Helmuth Kiesels, irgendwo angeraunte, becksche Geschichte der Deutschen Literatur 1933-1945? Von den Genannten sind Marmorklippen und Glasperlenspiel meine Wieder- und Wiedergelesenen. Doderers „Dämonen“ , entstehungszeitlich teils hier her gehörigen, folgen wohl in der zweiten Phase, die ich einer – literaturaffinen, unglücklich geliebten japanischen – Freundin als größtes, den „Zauberberg“ in die Ecke stellendes, extrakanonisches Gipfelwerk deutschsprachigen Romanschaffens angekniet habe.  Henry Benraths (nom de plume) „Ball auf Schloß Kobolnow“ (1931) wäre auch zu nennen.
 

RMH

14. November 2024 21:26

Die Spiegel-Liste, die hinter paywall versteckt ist, ist, wie fast jede Liste, natürlich anmaßend ("die Besten"). Das schöne an Literatur ist, dass man sie lesen & für gut befinden kann, auch wenn man mit dem Autor in anderen Fragen, bspw. politischen, großen bis kompletten Dissens haben kann. Bei mir hätte daher bspw. Döblin, ein Autor, mit dem ich außerhalb seiner Bücher wenig anfangen kann, schon seinen Platz gefunden. Das man mit seiner eigenen Liste Kontrapunkte setzt, daran ist nichts auszusetzen. Das einzige, woran ich ein bisschen kriteln will, ist der Umstand der Mehrfachbesetzung pro Jahr & dann nennt man von J. Roth nur die Kapuzinergruft. Also wenn man Roth schon überhaupt mit der Kapuzinergruft aufnimmt, dann doch auch mit dem Radetzkymarsch. Auch wenn es formal eigenständige Werke sind, gehört das einfach zusammen. Oder man hätte nur das spätere "die heilige Legende vom Trinker" genommen (das Spinnennetz ist mit 1923 zu früh). Wie auch immer, bin gespannt auf die folgenden Jahre. Und da jetzt die dunkle Jahreszeit ist, wo man Abends gerne mal zu Hause sitzt, fände ich es sehr schön, wenn die Reihe der Live-Stream-Autorenvorstellungen von Kubitschek/Lehnert wieder aufgenommen werden könnte.

Gracchus

14. November 2024 21:37

Die Zauberberg-Verfilmung von Lindenstraßen-Mann Geissrndörfer - "kongenial"? - kaum zu glauben. "Glasperlenspiel" ist mir auch das liebste von Hesse und eins meiner liebsten. Soweit ich die Bücher gelesen, hätte ich sie ausgewählt. Mir fehlt nur eins von Leo Perutz. Vielleicht ist der aber Die Steinerne Brücke nach 45 dabei. 
Wen ich gerade entdeckt habe: Horst Wolfram Geißler. "Der liebe August", das einzige, was derzeit noch lieferbar - ein wunderbarer Roman vom Bodensee - von 1921 - aber er hat danach noch Anderes geschrieben.

Hesperiolus

14. November 2024 22:10

@ RMH - Sie haben Döblin angeführt: Habe "Berge, Meere und Giganten" im dritten Anlauf, als Sekundaner und Primaner scheiternd, und dann fiebernd als Student durchdringend gelesen (die Bücher warten auf ihre Zeit!): Das schlägt sogar Wuwwerboezer! 

Andreas J

14. November 2024 22:13

Vielen Dank für die Arbeit.Apropos Spiegel. Es wäre Zeit, dass die „Spiegel-Bestsellerliste“ endlich Konkurrenz bekommt und der aufdringlich-hässliche Spiegel-Werbeaufkleber (hat etwas von einer TÜV-Plakette für Politische Korrektheit) auf jedem bekannten Buch verschwindet. Selbst X-Bestseller oder ein Börsenblatt-Sticker wären mir lieber. Aber solange selbst konservative Autoren damit ihr Buch bewerben, bzw. Verlage auf die Werbewirksamkeit setzen, wird das wohl nichts. 

Franz Bettinger

14. November 2024 23:03

"Kleiner Mann was nun“ hat mich tief bewegt. Es war DAS Buch, das mir klar machte, warum Hitler an die Macht kommen musste. Fallada's Pendant in den US hieß John Steinbeck, dem mit dem Roman "Früchte des Zorns" dasselbe schaffte. 

dojon86

14. November 2024 23:15

@Gracchus Auch ich bin ein großer Liebhaber der österreichischen Phantastik und besonders von Leo Perutz. Sein Buch "Nachts unter der steinernen Brücke", aber auch "der schwedische Reiter" gehört zu meinen Lieblingsbüchern.

Franz Bettinger

14. November 2024 23:33

Als Kriegsroman berauschte mich "Einen Bessern findst du nicht“ von Andreas Engermann. Muss sagen, es fällt mir heute viel schwerer als früher belletristische Bücher zu lesen (z.B. über die Liebe, Pubertäts- oder Bergsteiger-Probleme etc.). Ich ertrage auch  eine gewisse Art von Humor und Leichtigkeit nicht mehr. Lese fast nur noch Werke über die Hölle (Krieg…). Es muss an der Hölle liegen, in die ich - nein, nicht mich; ich bin ihr irgendwie entwischt, aber - meine Welt (spätestens seit Merkel der Schrecklichen) geworfen sehe. Die Menschen sind wahnsinnig geworden. Weiß nict, wie viele rote Pillen ich geschluckt habe.

Karl Otto

15. November 2024 07:02

Warum sind eientlich nur deutschsprachige Autoren in der Liste, ist es beim Spiegel auch so?
Manhatten Transfer von John dos Passos (1925), die Romane von Hemingway oder George Orwell u.a. gehören jedenfalls in eine solche Liste.

antwort: auch auf der spiegel-liste sind es nur deutschsprachige.

RMH

15. November 2024 09:37

@Hesperiolus,
um ehrlich zu sein, kenne ich von Döblin nur 2 Werke, "Berlin Alexanderplatz" und das von Ihnen genannte "Berge, Meere und Giganten". Letzteres scheint aus dem Jahr 1924 zu sein. Da würde ich dem Zauberberg, der auf diesem Startplatz steht, da breiteres Publikum ansprechend und wegen der mustergültigen Darstellung Modernist/ Fortschrittler (Settembrini) und echtem Reactionär (Naphta - was kann man aus dessen Äußerungen alles als Rechter lernen!), dann auch knapp den Vorzug geben.
@Gracchus, die Zauberberg-Verfilmung könnte das Beste sein, was Geißendörfer als Regisseur gelungen ist (aber auch nur in der Langfassung fürs Fernsehen). Seine (B)Lindenstraße hingegen war Volkserziehung für das ganz, ganz Armen ... 

Ein gebuertiger Hesse

15. November 2024 12:40

Großartiges Projekt und tolle, kurz & knackige Charakterisierungen einzelner Titel. SO geht Kanonisierung von der rechten Seite. Bravo. Vorfreude auf die nächsten Folgen.

Karl Otto

15. November 2024 13:39

@RMH: Döblin ist um Klassen besser als Thomas Mann (für mein Empfinden). Seine frühen Erzählungen, Wallenstein (großartige, expressionistisch erzählte Geschichte des 30jährigen Krieges), November 1918, alles große, realitätsgesättigte Literatur. Nicht Geschichten über Ästheten und Kaufleute wie bei Mann.
Döblin hatte übrigens eine Abneigung gegen Thomas Mann.

Liselotte

15. November 2024 16:12

Sehr gut, rechtzeitig zu Weihnachten noch Anregungen für Buchgeschenke. 

Laurenz

15. November 2024 18:23

@Karl Otto @RMH ... Nicht Geschichten über Ästheten & Kaufleute wie bei Mann. ... Wir leben nicht von den Wallensteins, wenn auch von Clausewitz, aufgrund der Dichte, das schwerste Buch meines Lebens war, das Militär natürlich den Staat macht oder nicht. (Mußte jeden Absatz 3x lesen.) T. Mann beschreibt in den Buddenbrooks exemplarisch, wovon unser Land lebt, einigermaßen ehrbare Kaufleute. In den Buddenbrooks zeigt sich auch das ganze grün-degenerierte Desaster seiner Familie. Was produziert schon ein Roman mit Nobelpreis an volkswirtschaftlichen Mehrwert im Vergleich zu einem funktionierenden Kontor in einer Hansestadt? Gerade die ganzen Versager-Frauen in der Familie hätten, statt Konversation beim Ostfriesen-Tee zu halten, sich lieber mal ins Kontor gestellt & die Buchhaltung erledigt. Ja, das war dem Herrn Mann zu langweilig, lieber die eigene Faulheit in schöne Worte therapieren. Kein Wunder, daß sich bei der eigenen nichtigen Existenz, die halbe Familie selbst exekutiert, exakt das, was Grüne vom weißen Methanfurzer heute wollen.

RMH

15. November 2024 18:59

Döblin hatte übrigens eine Abneigung gegen Thomas Mann.
@Karl-Otto: Das soll wohl auf Gegenseitigkeit beruht haben. T. Mann soll einmal gelästert haben, dass Döblins Bücher zwar gerne gekauft werden, aber selten bis zum Ende gelesen werden. Wie auch immer, Mann ist bei der Rechten wegen seinem Verhalten im WK II ein bisschen in Ungnade gefallen. Meiner Meinung nach darf man sich dadurch keine Scheuklappen aufsetzen. Mit den "Betrachtungen eines Unpolitischen", hat er ein echtes Schlüsselwerk der konservativen Revolution geschrieben (sollte hier eigentlich jeder kennen), welches für sich steht. Ich finde, Döblin und Mann lassen sich nicht so richtig vergleichen und wenn sie sich gegenseitig nicht gemocht haben, dann ist das bei großen Schriftstellern oftmals auch Ausdruck dafür, dass sie jeweils beim Anderen dessen Größe durchaus bemerkt haben. Goethe wäre mit Kleist nie so umgegangen, wie er es tat, wenn er nicht dessen Qualität (und damit Konkurrenz) bemerkt hätte. Bei Schiller konnte er nicht anders, als sich durch Freundschaft zu verbinden oder auch verbünden. Bin auch gespannt, wie die Liste weitergeht.

Boreas

15. November 2024 20:19

Folgende Ergänzungen würde ich noch gern anbringen:
1924 Hans Sterneder „Der Wunderapostel“
1928 Waldemar Bonsels „ Mario und die Tiere“
1929 Max René Hesse „Partenau“
1933 Hanz Heinz Ewers „Reiter in deutscher Nacht“
1935 Ernst Glaeser „Der letzte Zivilist“
1936 Friedrich Alfred Schmid Noerr „ Unserer guten Frauen Auszug“

Gracchus

15. November 2024 21:02

@RMH, Karl Otto: Döblin hat gesagt, Mann schreibe "Bügelfaltenprosa". Mit dem "Zauberberg" hab ich mir stellenweise schwer getan, weil, pardon, jeder Furz von Hans Castorp über mindestens 3 Seiten ausgebreitet wird, wenn auch stilistisch meisterhaft. Mit "Berlin, Alexanderplatz" aber ebenfalls. 

Gracchus

15. November 2024 21:08

@Dojon86: Der schwedische Reiter liegt bei mir ganz oben aufm Stapel. "Nachts unter der steinernen Brücke" will ich wiederlesen. Es ist - ich habe extra nachgesehen - aus den 50ern, so dass ichs auf der nächsten Liste erwarte. Sehr gut auch "Zwischen neun und neun". 
Man hätte auch noch was von Herzmannovsky-Orlando auf die Liste setzen können. 
Von Hesse noch "Steppenwolf", ist, glaub von 1926/27. 

Gracchus

15. November 2024 21:10

@Hesperiolus: von Doderer kann man auch "Die Strudlhofstiege" nehmen - oder, wovon ich überaus angetan war, "Die Wasserfälle von Slunij". 

Antonio

16. November 2024 05:30

1932 Ernst von Salomon Die Geächteten. Ohne Zweifel

links ist wo der daumen rechts ist

16. November 2024 15:29

Natürlich ließe sich zu jedem Kanon ein Gegenkanon erstellen; hier hätte ich bei der Sezessions-Liste – auch schon aus reiner Provokationslust - konsequent jeweils zwei Bücher aus unterschiedlichen „Lagern“ vorgestellt: also etwa zu 1929 Bronnen vs. Döblin oder Vicki Baum.
Aber das sind eben keine Ausschließlichkeiten. Beides besteht nebeneinander – und hatte oder hätte auch weiterhin gut funktioniert. Was hindert einen Jünger-Leser auch Remarque oder Köppen zu lesen?
Aber daß man auf die Verdienste der „inneren Emigration“ hinweist, ist natürlich wichtig. So wie vielleicht auch einmal ein Text über Martin Raschke und die kurzlebige Zeitschrift „Die Kolonne“ (1929-32) angebracht wäre.
Und war dieses Lagerübergreifende und „Weltumspannende“ nicht genau das, was Max Scheler in seiner berüchtigten Weltkriegsschrift gemeint hat, wenn er schrieb, daß die Deutschen (im Gegensatz zu den angelsächsischen Krämerseelen) die „wahren Kosmopoliten“ seien?
Für die Franzosen war der Gegensatz Universalismus - Nationalismus immer auch ein einigendes Band (wie von Mohler eindrücklich beschrieben).
Es bleibt viel zu tun.
ff
 

MarkusMagnus

16. November 2024 16:35

1930 Robert Musils - Der Mann ohne Eigenschaften 

MarkusMagnus

16. November 2024 16:38

1930 Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften.
Nicht ganz einfach zu lesen. Das Buch passt gut zur Philosophie der Kampfkunst von Bruce Lee. Be water my friend

Andreas J

17. November 2024 00:25

@RMHUnd da jetzt die dunkle Jahreszeit ist, wo man Abends gerne mal zu Hause sitzt, fände ich es sehr schön, wenn die Reihe der Live-Stream-Autorenvorstellungen von Kubitschek/Lehnert wieder aufgenommen werden könnte.Ich schließe mich an, da stimmt so ziemlich alles, Ambiente, Getränke, die schönen Bücher auf dem Tisch und natürlich die Autoren- und Werkbesprechungen.

Ein gebuertiger Hesse

17. November 2024 10:53

Walter Benjamin: "Einbahnstraße", 1928.

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