LESEN – “Ein schöner, grausamer Roman”, urteilte Pier Paolo Pasolini. Eigentlich sollte das genügen. Un borghese piccolo, piccolo war 1976 erschienen. Genial, daß er nun auf Deutsch wiederaufgelegt wurde, mit einem gültigen Nachwort von Italo Calvino.
Alle Besprechungen dieses wuchtigen Stücks Literatur nehmen leider das Wesentliche vorweg. Ich möchte das vermeiden. Insofern bloß so viel:
Giovanni Vivaldi und seine Frau sind sehr kleine Bürger in Rom. Er ist ein winziger Beamter. Alle Hoffnungen ruhen auf dem einzigen Kind, dem begabten Mario. Dessen Karriere muß doch gelingen! Vater Giovanni tritt einer Freimaurerloge bei, um die Chancen seines Sohnes zu verstärken. Nach dem kruden Maurer-Ritual… geht alles schief. Und wie. Was für eine Wucht!
Vincenzo Cerami: Ein ganz normaler Bürger, Roman, Alexander Verlag Berlin, 166 S., 22 € — hier bestellen.
– –
LERNEN – Daß der linke Dramaturg Bernd Stegemann mittlerweile ein interessanter Essayist geworden ist, der über den Tellerrand hinauszuschauen versteht, hatten wir bereits in den letzten Jahren festgestellt. Seine jüngsten Büchlein über „Wutkultur“ und „Identitätspolitik“ waren enorm klug, ambiguitätsbegabt und mithin anschlußfähig auch für rechte Leser.
Was der „ungläubige Katholik“ Stegemann nun über die persönliche wie kollektive Glaubenskrise verfaßt hat, geht allerdings weit über das Prädikat „nett zu lesen“ hinaus. Seine feinen Beobachtungen treffen ins Mark der westlichen Gesellschaft, sie rütteln existenziell auf, vermögen zu erschüttern. All die wertvollen christlichen Gewißheiten
verloren ihren Sinn, sobald mein Geist wieder in die Gegenwart glitt. Es braucht die Sakramente, es braucht das Ritual der Messe. Niemand ist für sich alleine katholisch, und niemand wird gläubig, weil er Bücher liest.
Aber es gibt reichlich Ersatzreligionen. Stegemann seziert diese kritisch. Unbedingt lesenswert, grandios.
Bernd Stegemann: Was vom Glauben bleibt. Wege aus der atheistischen Apokalypse. Klett-Cotta, 280 S., 25 € — hier bestellen.
– –
SCHAUEN – Dieser opulente Band ist sicher etwas für echte Bibliophile mit dem etwas größeren Geldbeutel. Etwas „zum Vererben“. Man kann wirklich stundenlang in diesen großartigen Porträts schwelgen, weil sie zur Essenz, ja: unserer Leute dringen.
August Sander (1876- 1964) hat seine „Menschen des Jahrhunderts“ in sieben Kategorien aufgeteilt: Der Bauer, Der Handwerker, Die Frau, Die Stände, Die Künstler, Die Großstadt und, tatsächlich: Die letzten Menschen.
Wir tauchen hier ganz tief ein in das, was man wohl „Volksseele“ nennen darf. Die Bilder stammen aus den 1910er bis 1950er Jahren, die meisten aus den Zwanzigerjahren. Schaut euch die „Immobilienmaklerin“ an. Den „Jungbauern“, die „Künstlerin“, den Philosophen“ (wie schön, Max Scheler) den „Fremdarbeiter“, und bitte auch die „Blinden“ und das „Explosionsopfer“- das alles sind wir.
Man bedenke, daß alle Bilder mit Großformatkameras bei natürlichem Licht aufgenommen wurden. In einer Zeit, da die Analog-Fotografie am Aussterben ist, steigt der dokumentarische Wert dieses schwergewichtigen Monuments. Was für eine ungeheure Wucht, was für ein Werk!!
August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts, Schirmer und Mosel, 808 Seiten,128 € — hier bestellen.
ofeliaa
Ich sage nicht, man solle das Buch nicht lesen. Ich widerspreche der Aussage, man werde uneingebunden in eine religiöse Gemeinschaft nicht gläubig. Die gesamte Bibel ist Hinweis, dass ein gleichgeschaltetes Gottesverständnis nicht richtig sein KANN. Dies ist damit gemeint, sich «keine Bilder von Gott zu machen» – sobald man Gott verallgemeinert, ist die Botschaft Jesu Christu verloren: Du sollst Gott lieben mit DEINEM ganzen Herzen. Wenn man definiert, WER GOTT IST, wie man zu beten hat, wie die Beziehung aussehen soll – begeht man den grössten Frevel, an der menschlichen Seele. Ihr Heil liegt einzig und allein in der individuellen Beziehung zu Jesus. Kirche und Co. verhindern mit der Gleichschaltung der Rituale unter Umständen diese Entwicklung, den Zustand des DIALOGES. Sind somit gegen den Heiligen Geist – es stellt die grösste Sünde dar, die einzig unverzeihliche – und wieso? Weil sie die persönliche Beziehung (via des Heiligen Geistes) überlagern, bis hin zu unmöglich machen kann. Der einzige Weg zu Gott führt über das INDIVDUELLE Gespräch. In der Stille findet man Gott, nicht umsonst. Stille ist, wenn du alleine bist. Das ist der SCHMALE Weg. Dein Geist kommuniziert allein mit dem Geist Gottes. That`s the whole idea/message. Das ist die frohe Botschaft – doch die frohe Botschaft kommt erst am Schluss, sie ist, sie MUSS bedingt sein, durch einen leidvollen – weil entwicklungsreichen (!) Weg. Weil man ihn alleine gehen muss. -> Um zu merken: Ich bin nicht allein.