Auctoritas non veritas …

Mag sein, Politik, in ihren Varianten der Gewalt, ist in Wahrnehmung der res publicae notwendig, insofern wir ja alle politische Wesen, zoon politikon, sind.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Nur ist alle Poli­tik – in wel­cher Gestalt auch immer – mora­lisch stets im Dilem­ma und daher ein unan­ge­neh­mes Geschäft. Mehr noch, oft genug ist sie ein Ver­bre­chen, zumal sich ohne Ver­bre­chen nicht herr­schen läßt. Ohne nicht min­des­tens poten­ti­ell des Ver­bre­chens und min­des­tens der Unmo­ral fähig zu sein funk­tio­niert Macht nicht. Sie muß Gewalt ausüben.

Macht hat das Ver­mö­gen, ethi­sche Gren­zen zu über­schrei­ten und Leid und Schmerz zuzu­fü­gen; das ver­schafft ihr Respekt, ver­brei­tet Angst und erzwingt Folg­sam­keit. Des­halb wie­der­um – ande­rer­seits wegen der phä­no­me­na­len Ero­tik der Macht – ver­sam­meln sich so vie­le will­fäh­rig hin­ter ihr.

Ver­bun­den mit den Mäch­ti­gen, weicht die Angst der Macht­lo­sen. Zeit­wei­se, denn alle Macht – als Men­schen­werk – wird irgend­wann ent­mach­tet, und sei’s durch den natür­li­chen oder unna­tür­li­chen Tod des Machthabers.

Mich hat immer die shake­speare­sche Dimen­si­on dar­an bewegt:

Selen­ski oder Putin und all die ande­ren, die mei­nen, „legi­ti­me“ Herr­scher zu sein: Wie leben sie damit, wenn ihnen lebens­lang die Toten fol­gen, die auf ihr ganz eige­nes Schuld­kon­to gehen, die also ihre per­sön­li­che Poli­tik zu ver­ant­wor­ten hat. Wie hal­ten sie das see­lisch nur aus?

Jeder Mensch wird unwei­ger­lich schul­dig, aber erst die Macht ermög­licht – poten­ti­ell oder in tat­säch­li­cher Aus­übung – das Groß­ver­bre­chen. In gerin­ge­ren Gra­den gilt das für jede poli­ti­sche Macht; sie for­ciert unwei­ger­lich die per­sön­li­che Schuld ande­ren gegen­über, wäh­rend Macht­lo­sig­keit Schuld­fä­hig­keit min­dert, ohne daß frei­lich der „klei­ne Mann“ ein guter Mensch sein muß.

Aber wenn der klei­ne Mann zu einem gro­ßen Macht­ap­pa­rat kommt und sich berech­tigt sieht, über ihn zu ver­fü­gen, wird er für sich und ande­re zu einem Risi­ko, das um so grö­ßer ist, je eher und mehr er sich zum Gebrauch die­ses Appa­ra­tes befugt sieht, aus wel­chen Grün­den, Argu­men­ta­tio­nen und Legi­ti­ma­tio­nen auch immer. Macht recht­fer­tigt sich ganz umstands­los meist selbst.

Noch das Got­tes­gna­den­tum sah den Herr­scher zwar über dem Gesetz, was uns Heu­ti­gen unge­recht erscheint, stell­te ihn aber doch unter gött­li­ches Gebot, an das wie­der­um wir nicht glau­ben wollen.

Die heu­ti­gen Macht­ha­ber mei­nen sich einem sol­cher­art Höhe­ren nicht mehr unter­stellt, son­dern statt­des­sen höchst vagen rechts­phi­lo­so­phi­schen Kon­struk­tio­nen wie etwa dem „Men­schen­recht“, dem, heißt es prompt, uni­ver­sel­le Gel­tung zukom­me. Wes­halb eigent­lich? Wohl auf­klä­re­risch gedacht, also ver­meint­lich ver­nünf­tig, mög­lichst kan­ti­a­nisch. Auch das ist an sich Glau­be, an die Ver­nunft, die­ses zwei­fel­haf­te Sur­ro­gat für Gott.

Oder sie sehen sich min­des­tens an eine Ver­fas­sung gebun­den, die – bei allem Kult dar­um – auch nicht mehr ist als gedank­li­ches Men­schen­werk, das von ande­ren Gedan­ken und ande­ren Men­schen auf­ge­löst wer­den kann, wel­cher Art die ver­meint­li­chen Sicher­hei­ten – Am kurio­ses­ten die „Ewig­keits­ga­ran­tien“! – auch sein mögen.

Mit Recht­lich­kei­ten, auf die man sich ver­läßt, kann es über Nacht zu Ende sein; das ist tra­gi­sche Grund­er­fah­rung der Mensch­heits­ge­schich­te schlecht­hin. Und noch ein­fa­cher: Die robus­te Macht zeich­net von jeher das Ver­mö­gen aus, sich nicht an das fra­gi­le Recht zu hal­ten, weil in voll­zie­hen­dem Macht­ge­brauch der Macht­ha­ber die stärks­ten Rech­te innehat.

So ope­ret­ten­haft Ver­fas­sungs­rich­ter auch kos­tü­miert sein mögen, ver­fü­gen sie aus sich selbst her­aus über kei­ne Macht und kön­nen – u. a. kraft Aus­nah­me­zu­stand, sie­he Carl Schmitt – ihrer Posi­ti­on ent­ho­ben werden.

Ob nun auc­to­ri­tas – wie bei Schmitt – für eine erzwun­ge­ne Macht steht oder sie im Sin­ne Han­nah Are­ndts eher auf Aner­ken­nung basiert, dürf­te für die Macht­aus­übung selbst bei­na­he gleich­gül­tig sein.

Daß Poli­tik – als Macht­aus­übung – unwei­ger­lich und per­ma­nent in Rich­tung Ver­bre­chen ten­diert, ja, daß sie per se Ver­bre­cher ist, damit hat­ten die ein­fa­chen Leu­te von jeher Recht. Nur wird heu­te – wie­der­um von den Macht­ha­bern – sug­ge­riert, Demo­kra­tie, für sakro­sankt erklärt, käme ohne Herr­schaft und Gewalt aus und wäre nun­mehr so etwas wie ein umfas­sen­des Ein­ver­neh­men in „Tole­ranz“, „Viel­falt“ und wohl­wol­len­der Men­schen­freund­lich­keit. Wie sen­ti­men­tal, ja dümm­lich doch!

Inso­fern gera­de zu erle­ben ist, wie sich „demo­kra­ti­sche Kräf­te“ des „Wir sind mehr!“, die sich selbst zu den ein­zig „Anstän­di­gen“ erklä­ren, gegen­über den ver­meint­lich Unan­stän­di­gen legi­ti­miert sehen, die­se aus dem „Dis­kurs“ her­aus­zu­hal­ten und von der „Teil­ha­be“ aus­zu­schlie­ßen sowie zu die­sem ver­meint­lich guten Zweck öffent­li­ches Geld der Bür­ger für Ver­ei­ne von Erfül­lungs­ge­hil­fen zu miß­brauchen, die unter dem Titel einer „Zivil­ge­sell­schaft“ fir­mie­ren, aber doch eigent­lich einen „deep sta­te“ bil­den, über den eine Neu-Ideo­lo­gi­sie­rung mit pene­tran­ter Pro­pa­gan­da zuguns­ten der Herr­schaft betrie­ben wird.

Mehr noch: Es geht spür­bar an den Umbau des Rechts und der Gerich­te, ins­be­son­de­re ja der Verfassungsgerichtsbarkeit.

Woher bloß rührt die Nai­vi­tät, die Recht­spre­chung wäre „unab­hän­gig“? Wes­halb nicken das alle, selbst die Juris­ten, als ganz selbst­ver­ständ­lich ab – im blo­ßen Mei­nen, daß Demo­kra­tie wohl durch­aus hier und da frag­wür­dig wäre, nie und nim­mer aber der „Rechts­staat“?

Der unter­liegt den­sel­ben evo­lu­tio­nä­ren oder revo­lu­tio­nä­ren Wand­lungs­pro­zes­sen wie alles ande­re Men­schen­werk. Sonst gäbe es kei­ne Rechtsgeschichte.

Das Volk als „Sou­ve­rän“? Nomi­nell bin ich Teil des Vol­kes, aber doch alles ande­re als sou­ve­rän, jeden­falls nicht über mei­nen engen per­sön­li­chen Radi­us hin­aus. Letzt­lich bin ich macht­los, und ob das Recht mich schützt, ent­schei­den Rich­ter mit der hin­ter ihnen ver­sam­mel­ten Herr­schafts­macht, von deren Ver­tre­tern ich nicht einen ein­zi­gen je gewählt habe.

Mein per­sön­li­ches Ver­hält­nis zur gegen­wär­ti­gen Staats­ge­walt basiert auf einer wesent­li­chen Grunderfahrung:

Daß ich mit Berufs­ver­bot belegt bin, ist als Tat­sa­che für mich weni­ger ein auf­re­gen­des Pro­blem als die Arro­ganz der Macht, die­ses Ver­bot ohne inhalt­li­che Begrün­dung zu prak­ti­zie­ren. Bis­lang klär­te ich mei­ne Lebens­an­ge­le­gen­hei­ten wie jeder ande­re über Akte der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ich bat die Exe­ku­ti­ve in Gestalt von Amt und Minis­te­ri­um also freund­lich und respekt­voll um ein klä­ren­des Gespräch.

Mei­nem Ansin­nen, doch bit­te mit mir über das Pro­blem zu spre­chen, selbst zu mei­nen Las­ten, wur­de nicht nur nicht ent­spro­chen, es wur­de ein­fach beschwie­gen, also igno­riert. Macht besteht zuerst dar­in, nicht auf die Bit­te der Macht­lo­sen reagie­ren zu müs­sen. Kei­ne Ant­wort, kein Gesprächs­an­ge­bot. Ver­blüf­fend. Selbst SED-Funk­tio­nä­re und Sta­si-Offi­zie­re waren gesprächs­be­reit, aller­dings, ein­ge­stan­den, in einem vor­mund­schaft­li­chen Staat.

Der heu­ti­ge Macht­ha­ber schließt hin­ge­gen brüsk die Büro­tür, ver­schanzt sich hin­ter Tas­ta­tur und Jus­ti­ti­ar, sen­det – stil­le Häme der klei­nen Will­kür – kei­ne Ant­wor­ten, son­dern schweigt ver­knif­fen und mag sich den­ken: Soll die rechts­extre­mis­ti­sche Kanail­le doch klagen!

Was für mich pri­mär gar nicht nötig wäre, wür­de ich doch bereit sein, ein­fach einer stich­hal­ti­gen Begrün­dung zu fol­gen, die wie­der­um die Macht nicht lie­fern muß oder nicht lie­fern kann. Ist ihr nicht zu trau­en, so eben­so­we­nig dem Gesetz. Für den Rechts­streit haben die Ämter zudem von jeher umfas­sen­de­re Mit­tel und mehr Zeit zur Ver­fü­gung als ihre Untertanen.

Nicht die vor­mo­der­nen Legi­ti­ma­ti­ons­ver­su­che von Herr­schaft sind lächer­lich, wur­de doch min­des­tens ver­sucht, aus einem Höhe­ren und Umfas­sen­den her­aus zu herr­schen und zu rich­ten; nein, die moder­ner Recht­fer­ti­gun­gen sind’s, die mei­nen, eine mit Begrün­dun­gen und Begrif­fen wie „Wür­de“ beschrie­be­nes Papier gewähr­te letzt­gül­tig garan­tier­te Sicher­heit, weil man davon erwar­ten kön­ne, ja müs­se, das alles wäre Kon­sens und „unhin­ter­geh­bar“. Wel­chen Kon­sens soll­ten es je gege­ben haben, was denn wäre je unhin­ter­geh­bar gewe­sen – und wel­ches Recht hat­te durch­weg Bestand?

Nein, die Höl­le ist immer offen, und die Herr­schaft hat die Macht, sie jeder­zeit zu nut­zen. Jeder Herr­schafts- und Man­dats­trä­ger soll­te weni­ger befei­ert als gewarnt wer­den: Beden­ke, daß du kraft dei­ner Macht noch mehr Gefahr läufst, schul­dig zu werden.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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