Die Ehefrau Hättaschs hat uns das handschriftliche Tagebuch ihres Mannes zur Abschrift und zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Es ist nicht nur in diesem Fall wichtig, die andere Seite zu hören, die Seite der Verhafteten und Angeklagten also. Denn ihr Leben ist von einem Tag auf den anderen so sehr beschädigt worden, daß der Staat beste und schwer belastbare Argumente beibringen muß, um begründen zu können, warum er seine Einsatzkräfte so handeln ließ.
Die Aufzeichnungen werden unverändert wiedergegeben – allenfalls Fehler sind korrigiert. Wir enthalten uns der Kommentierung. Die Schilderungen und Gedanken sind authentisch und erschütternd. Sie zeigen als Dokument eines absoluten Ausnahmezustands viel vom Menschen Hättasch selbst, also auch etwas von einem Lagehumor, der aus einer großen inneren Festigkeit stammen muß: Wer so erzählt, schaut sich selbst von oben zu.
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Ich beginne diese Aufzeichnung am Tag 24 meiner U‑Haft, gerechnet ab dem Tage meiner Festnahme. Bis auf Namen ist dieser Bericht vollständig und aufrichtig und schildert meine Wahrnehmung der Geschehnisse. Die Wahrheit ist hierbei zum Teil abenteuerlich genug, sodass sie auf Übertreibungen verzichten kann – im Gegenteil zur „Wahrheit“ der etablierten Medienlandschaft, die sich, wie so oft, alles zurechtbiegen muß.
1. Tag: 5. November – Festnahme
Bevor ich mit der unmittelbaren Schilderung der Ereignisse beginne, möge sich der Leser kurz gedanklich vorstellen, er sei ein höherer Polizeibeamter, betraut mit der Aufgabe, einen Mann früh morgens in oder an seiner Wohnstatt festzunehmen. Es stehen alle Mittel zur Verfügung, die Hauptsache ist nur, dass es ein verhältnismäßiger Einsatz ist, der nicht übertrieben viel Aufmerksamkeit erregt, der vor allem zielgerichtet ist: Der Beschuldigte soll schnell und ohne viel Ruß festgenommen werden.
Die Mittel können sein: Eine gewisse Anzahl an Beamten, Lautsprechern, Blaulicht wären optimal, und außerdem die wesentliche Kennzeichnung der eigenen Leute als Hoheitsträger des Staates… Es zeigt sich, dass wir von professioneller Polizeiarbeit wenig Ahnung haben, denn ein erfolgreicher Einsatz der Polizei sieht folgendermaßen aus:
Es ist kurz vor sechs Uhr. Ich werde wach. Eine gewisse Unruhe hat mich geweckt und der Blick aus dem Fenster zeigt, dass tatsächlich in der sonst so ruhigen Straße mehr los ist, als es die frühe Stunde erlaubt. Meine Frau wird wach. Draußen öffnen sich Wagentüren und es ist leises Geplapper zu vernehmen. Wir sprechen kurz, was das zu bedeuten hätte, da leuchten etliche Scheinwerfer auf und strahlen in die Fenster. Gleichzeitig beginnt ein wildes Rufen, dessen Sinn schwer festzustellen ist.
Ich springe aus dem Bett auf und bin zunächst nicht ganz auf der Höhe, muss mich erst kurz sammeln. ‚Was passiert denn jetzt?‘, denke ich. Meine Frau öffnet das Fenster und ruft heraus, sie sollen nicht so schreien, da bei uns unsere neun Monate alte Tochter schläft. Als Reaktion werden die Rufe wüster und unverständlicher. Ich denke im ersten Moment an die Festnahme eines betrunkenen Fahrers, der sich in unsere Straße verirrt hat, und werfe mir schnell eine Hose und ein Oberteil über, um mir das Spektakel anzusehen.
Ich gehe zur Haustür. Diese ist von der Straße abgewandt und auch etwa fünfzehn Meter von der Straße entfernt. Ich öffne sie, schaue um den Vorbau herum, um zu sehen, was los ist. Wilde Rufe tönen mir entgegen, sie sind unverständlich und bedrohlich. Gleichzeitig sehe ich, wie mehrere Rotlaser-Zielpunkte zu mir wandern und mich fassen wollen. In meinem Kopf beginnt es sehr schnell zu arbeiten, und einer der ersten Gedanken aus meiner Analyse (nämlich was das wohl bedeuten könnte: Scheinwerfer zur Verhinderung der Sicht, schwarz vermummte Gestalten, wildes Rufen und schwarze Fahrzeuge ist): Terror, Antifa.
Ich ziehe mich ins Haus zurück, lasse in meiner Aufregung die Tür offenstehen. Wie ich durch den Flur eile, beginnt draußen einer über ein Mikrophon etwas zu sagen. Leider lässt es sich kaum verstehen, weil die Truppe draußen jetzt beginnt, Böller auf das Grundstück zu werfen, die mit lautem Krachen an verschiedenen Stellen explodieren. Ich erreiche die Küche, greife zum Telefon, wähle die 110. Kurze Warteschleife, dann habe ich einen am Hörer. Mit gepresster Stimme sage ich Name und Adresse. „Mehrere vermummte Personen bedrohen mich auf meinem Grundstück, sie werfen Böller, schreien und verhalten sich bedrohlich.“ Der Polizeibeamte teilt mir mit, dass Beamte auf dem Weg zu mir seien, ich lege auf.
Was nun? Da entsinne ich mich, dass ich die Haustür offengelassen habe. Ich stürze also zurück zur Tür und es ist, als ob der Zauber etwas nachgelassen hätte. Ich luge um die Hausecke herum, und es beginnt mit neuer Intensität. Böller krachen, Laserpunkte leuchten, Scheinwerfer sind auf mich gerichtet, es lässt sich nichts erkennen. Clever, denke ich – durch das Licht erkennt man nicht, wer vorne steht. Wie die Wilden zerren sie am Hoftor und ich höre Dachziegel splittern. Ich ziehe mich wieder zurück und verschließe die Tür.
„Eindeutig Linke“, denke ich mir, denn die Polizei wäre in der Zeit, in der ich telefonierte, längst durch die offene Tür hereinmarschiert. Aber die da vorne wollen ja nicht rein, die wollen nur Stress machen und Schaden anrichten – mit Erfolg. Ich werde aufgefordert, vor ans Tor zu kommen. Na klar, solche Fälle hat es schon zuhauf gegeben: Antifa gibt sich als Polizei aus und prügelt ihre Opfer dann ins Krankenhaus.
Ich habe Sorge, dass die Truppe gleich ausreißt, bevor die Polizei da ist, um sie festzunehmen. Ich flitze also wieder in die Küche und rufe erneut die 110. Kurze Vorstellung, man sagt mir, die Beamten seien bereits auf dem Weg, aber ich sage, dass das schneller gehen muss. Unterdessen setzen sich die Rufe und die Böllerexplosionen fort. Ich lege wieder auf und stürme zu meinem Vater in den ersten Stock. Der steht mit nacktem Oberkörper am Fenster und versucht sich an einem verzweifelten Gespräch, während auch auf ihm die Laser-Rotpunkte wandern.
Aus den Rufen von unten höre ich: „Gib uns deinen Sohn!“ oder „Wir wollen deinen Sohn!“ Sehr professionell, denke ich, genau so würden es seriöse Beamten sagen. Und immer wieder diese Scheinwerfer, durch die man einfach nichts erkennen kann. Ich rufe meinem Vater zu, er brauche sich keine Mühe zu geben, es handele sich um Terroristen, und ich hätte die Polizei schon gerufen. Er hört mir leicht gehetzt zu und führt sein Gespräch mit denen unten dort fort. Ich höre noch, wie er sagt: „Kann ich mir erstmal etwas anziehen?“, während ich schon weitergehe.
Jetzt nur noch auf die Polizei warten, aber die Gefahr, dass die Truppe ausreißt, wird immer größer. Unsere Straße ist eine Sackgasse, und ich könnte durch den Hinterausgang über das Feld zur Einmündung der Straße laufen, um ihnen dort den Weg abzuschneiden. Was soll ich auch sonst tun? Vor dem Haus sind es zu viele, bestimmt zehn Mann, da lässt sich nichts ausrichten.
Ich gehe zu meinem Jagdwaffenschrank, nehme den Schlüssel und öffne die Tür. Zuerst greife ich zu einem Jagdgewehr, aber finde keine passende Munition dazu, also stelle ich es wieder zurück und greife zu einem anderen Karabiner. Ich lade aufgeregt die Patronen ein und verriegele den Schrank wieder. In einer derart bedrohlichen Angriffssituation ist ein solches Vorgehen durchaus legal, „Notwehr” oder “rechtfertigender Notstand“ heißt das, meine ich, hat man als Waffenbesitzer ja alles mal brav gelernt. Man stelle sich außerdem vor, die Extremisten stürmten tatsächlich das Haus und hätten ihrerseits Zugang zu den Waffen!
Ich gehe durch das Hinterhaus und trete heraus. Es ist kalt, und ich trage nur Hose, Oberteil und Latschen ohne Socken. Mein Weg ist etwa 200 bis 250 Meter lang bis zur Einmündung der Straße, doch so weit komme ich gar nicht. Wie ich auf das Feld treten will, stehen in 15 Metern Entfernung etwa sechs bis acht vollkommen schwarz vermummte Gestalten. Jetzt geht auch hier ein Scheinwerfer an, und ich bin wieder geblendet, aber ich habe die Typen kurz gesehen. Die haben das Haus tatsächlich umstellt, denke ich. Das durchkreuzt meinen Plan empfindlich und ich weiß für einen Moment nicht, was ich tun soll.
Dann besinne ich mich aber und wäge die Lage in Sekundenschnelle ab. Wenngleich mir an Zahl deutlich überlegen, sind sie höchstens leicht bewaffnet, daher lasse ich es auf eine Nervenprobe ankommen. Mir schlagen wieder wilde Rufe entgegen: „Wirf die Waffe weg!“ und „Ergib dich!“
Klar, denke ich, jetzt bekommen sie sicher Bammel und gleich reißen sie aus. Ich gehe auf den Halbkreis an Personen zu, Oberkörper leicht gebeugt, Gewehr auf Bauchnabelhöhe nach vorn gestreckt. Warum gehen die nicht weg, denke ich. Die Entfernung mag jetzt noch etwa vier Meter gewesen sein und ich stand schon leicht inmitten des Halbkreises. Mir schlagen dieselben Rufe entgegen und ich rufe zurück. Ich frage sie, wer sie sind und was sie von mir wollen. Dieser fruchtlose Rufwechsel wird noch einmal wiederholt, da höre ich links hinter mir einen Knall, der meine Ohren zum Pfeifen bringt. Zeitgleich kippe ich schräg nach vorn und schlage mit voller Wucht auf meine linke Seite.
Ich blicke mit angewinkeltem Kopf auf meine Hände, die an den vor der Brust liegenden Armen ein wenig Erde greifen. Das Gewehr liegt etwa parallel neben mir, und meine Finger können es gerade so nicht erreichen, aber es wäre sowieso vergebens gewesen, denn ich fühle mich vollkommen gelähmt und kann nichts bewegen. Im Bereich vor meiner Kehle beginnt sich erschreckend rasch eine Blutlache aus hellem, blasigen Blut zu bilden, die sich farblich stark von der dunklen Erde abhebt. Für einen schaurigen Moment fühlt sich das alles großartig an, und es gibt nichts außer mir und dem Tod. Ich atme die kalte Luft, fühle die kalte Erde und das angenehm warme Blut, das mir über den Hals läuft.
Für wenige Augenblicke habe ich mein Schicksal akzeptiert und hätte so sterben können. Das Gefühl verfliegt rasch und als erste neue Empfindung richtet sich Schmerz ein. Der ist nicht besonders schlimm, aber er holt mich aus meiner Starre und regt den Kopf an. In kürzester Zeit überfliege ich die Lage, die sich unversehens so grundlegend geändert hatte. Das Gesindel hat also Schusswaffen dabei und mir ohne Vorwarnung direkt auf den Kopf geschossen. So etwas Niederträchtiges habe ich nicht erwartet. Ich weiß nicht, was das für eine Verletzung sein kann. Ich sehe nur, dass ich immer mehr Blut verliere. Wo zum Teufel ist die verdammte Polizei?! Sie haben mich erlegt, jetzt kann ich nur noch auf Gnade hoffen.
Ich versuche, laut um Hilfe zu rufen, aber meine Stimme klingt zu tief und kratzig und einfach erbärmlich. Ich rufe und rufe und erwarte von den Personen um mich her eigentlich wenig Hilfe. „Ich verblute“, rufe ich nochmals, aber die Gruppe kommt nur wenig in Bewegung. Einer kommt zu mir und tritt mir auf die Hand. Ein paar andere kommen hinzu. Einer will mein Gewehr aufheben, aber ein anderer rät ihm, er möge es lieber liegen lassen. Jetzt beginnt einer, meine Kleider von oben bis unten mit einem Messer komplett aufzuschlitzen, sodass ich jetzt bis auf meine Unterhose völlig nackt auf dem Feld liege. Ich werde abgetastet und ein Mann sucht in meiner Unterhose nach etwas, das er offensichtlich nicht findet. Er reibt mir vielfach am Oberschenkel und am Penis, aber hört irgendwann auf und stellt sich wieder hin.
Völlige Ratlosigkeit herrscht darüber, wie man mit meiner Verletzung umgehen soll. Die Truppe vertritt die Meinung, ich sei einfach so umgekippt und hätte mir an einem Stock den Hals in der Nähe vom Unterkiefer aufgestochen – die Tatwaffe kann allerdings niemand finden. Wie ich so munter weiterblute, wird der Rat fortgesetzt, in dem jeder seine fachliche Meinung darlegt.
Der Gewinner der Debatte ist einer, der sagt: „Wir müssen etwas hineinstopfen.“ Ich bekomme also einen Verband, der mehr schlecht als recht hält, ich werde von mehreren Leuten hochgezogen und mir werden hinter dem Rücken Handschellen angelegt. So tragen mich die Typen mehr oder weniger etwa sechzig Meter zur Straße vor, wo viele schwarze Sprinter und VW-Busse stehen.
Ich werde in ein Fahrzeug hineingestopft, in dem mir ein Mann mit Neonweste und einer Armbinde mit der Aufschrift „Medic“, der ansonsten auch vollkommen vermummt ist, gegenübersitzt. Das Fahrzeug ist in etwa wie ein Krankenwagen eingerichtet und ich komme langsam zu der Annahme, dass ich tatsächlich von der Polizei festgenommen wurde, wenngleich das eigentlich verrückter als die Annahme ist, es seien Extremisten. Bis ich ganz und gar zur Gewissheit gelange, dauert es allerdings noch eine ganze Weile.
Der Hilfsarzt oder Polizeisanitäter will zuerst wissen, wo ich verletzt bin. Ich gebe ihm röchelnd eine Antwort und seine Kollegen ergänzen ihre Erkenntnisse über den Stock. Mir wird ein neuer Verband angelegt. Er sitzt nicht viel besser als der erste, aber ziemlich straff und zieht meinen Unterkiefer mit einem seltsamen Druck zusammen. Ich kann nur noch schief beißen, habe aber im Gesicht keine Schmerzen. Dagegen zieht sich meine rechte Schulter ganz schrecklich zusammen und ich könnte bald weinen vor Schmerz.
Ich frage immer wieder, ob man die Handschellen auch vor den Körper nehmen kann, aber das erreicht die Gehörschwelle der mich umgebenden Krieger nicht. Erst nach langanhaltendem und würdelosem Gejammer meinerseits werden die Handschellen endlich nach vorne genommen und die Schmerzen aus der Schulter vergehen zum Teil. Mir werden jede Menge personenbezogene Fragen nach Alter, Name, Versicherung und weiteren Dingen gestellt. An dieser Fragerunde kann ich mich nur halbherzig beteiligen, weil sich in meinem Rachen-Halsbereich immer mehr blutiger Schleim ansammelt, den ich weder schlucken noch ausspucken kann.
Nach einer gewissen Zeit werde ich aus dem Wagen wieder herausgeholt, wobei mir der wichtige Hinweis gegeben wird, ich möge keine Faxen machen. Ich werde zu einem echten Krankenwagen gebracht, in dem ich auf die Trage gelegt werde. Da ich keine Kleidung mehr habe, wird mir eine Foliendecke übergezogen. Die Polizei wiederholt ihre Stocktheorie, und die Sanitäter wechseln den bereits durchgebluteten Verband zu einem wieder etwas besser anliegenden Exemplar.
Obwohl ich die mich umgebenden Vorgänge, soweit ich glaube, mitbekomme, fordert die Atemnot den größten Teil meiner Kraft. Ich bekomme keinen sauberen Zug Luft ohne Schleim; Blut und Speichel versperren immer wieder die Atemwege. Das Absauggerät wird zu meinem besten Freund und verschafft eine gewisse Linderung, aber die Atemwege schwellen langsam zu, bis sie in einigen Stunden den Durchgang von Luft nicht mehr zulassen werden, aber so weit sind wir jetzt noch nicht. Zuerst warten wir im Krankenwagen noch auf zwei Beamte des BKA, denn vorher könne wir nicht ins Krankenhaus fahren.
Es dauert lange, bis die beiden kommen, sich vor mich in den Wagen stellen und mir mitteilen, dass ich festgenommen bin. Das ist eine Erkenntnis, die ich ohne die ausgereifte Weisheit dieser beiden Beamten wahrlich niemals hätte bekommen können. Ohne also auch nur eine Spur darüber informiert zu sein, was genau ich verbrochen haben soll, kann nun zumindest der Krankenwagen losfahren. Erst noch eine umfangreiche strategische Beratung, wer vorfahren dürfe und ob Blaulicht an oder aus sein solle (es soll an sein), geht es in die Uniklinik der nächsten Großstadt.
Im Krankenhaus angelangt, werde ich unter schwersten Sicherungsmaßnahmen an einen Rollstuhl gekettet und, von einer halben Schulklasse an Vermummten begleitet, durch das Gebäude gefahren. Hier erfolgte ein interessanter Einblick in die Diagnostik und den Wert einer richtig erfassten Unfallursache. Die These vom Stock ist bei der Polizei mittlerweile zu Lehrmeinung herangewachsen und wird wiederum den Schwestern und Ärzten weitergegeben. In Kurzform lautet die Einschätzung: Er ist umgekippt und ungebremst zu Boden gestürzt. Dabei hat er sich den Kiefer verletzt, und womöglich mit einem Stock den Mundraum aufgestochen.
Das medizinische Personal nimmt das zunächst so hin, und schickt mich zum Röntgen meines Gesichtsbereiches. Die Einstellung ist etwa von meinen Augen bis herunter zum Schulterkamm. Wie wir aus dem Raum herausgehen, wird die Tür wieder aufgezogen. Ein Arzt tritt heraus und sagt, dass er noch einmal tiefer röntgen will, weil er etwas gesehen hätte. Das führt zu einer kurzen Verwirrung unter den Vermummten, die aber nachgeben und mich wieder in den Raum lassen.
Mir ist unterdessen alles einerlei. Mein Stresslevel steigt kontinuierlich aus Angst vor dem Erstickungstod an, und ich versuche, meine Luft so gut einzuteilen, wie es eben geht. Die zweite Bildgebung ist offensichtlich zufriedenstellend, und so ziehen wir wieder durch das Krankenhaus; ich zuerst, gefolgt von einer Menge an Bewaffneten.
Ich werde in ein Krankenzimmer geschoben und vor dem Bett in meinem Rollstuhl abgestellt. Ich frage, ob ich auf Toilette gehen kann und darf das nach kurzer Beratung tatsächlich. Ich schleiche wie ein Großvater in das Bad und sehe mich erstmals im Spiegel: Ich bin nur in Unterhose und dreckig von der Erde, der Verband an meinem Unterkiefer ist längst wieder durchgeblutet, und es zieht sich von meinem Hals bis herunter zu meiner Unterhose ein breiter Streifen aus geronnenem und frischem Blut. Ich wische mit Papiertaschentüchern auf meiner Brust frisches Blut weg, doch es fließt durch die Armbewegung direkt neues nach, daher lasse ich das und setze mich auf die Kloschüssel.
Mein Blut tropft zu Boden, während ein Vermummter in die Tür tritt und mir mitteilt, ich solle etwas hinmachen. Als ich fertig bin, meine Hände gewaschen habe und wieder am Bett sitze, kommt eine Ärztin in das Zimmer hinein und stellt sich vor mich, während ich resigniert schräg vor mir auf den Boden blicke. Ich brauche erst einen Augenblick, um zu merken, dass die Frau von mir etwas wissen will. Ich schaue sie an und sie beugt sich etwas zu mir vor und fragt mich mit erregter Stimme: „Haben die auf Sie geschossen?“
Ich bin verwirrt über diese Frage und befürchte, dass die Stockhypothese ihre Zeit in der Wissenschaft beendet hat. Ich schaue zu den zwei Vermummten, die mit in dem kleinen Raum stehen, regungs- und teilnahmslos, als seien sie antike Tempelwächter. Wie ich die beiden ansehe, suche ich meine Stimme und sage knapp, was ich wusste: „Da war ein Knall links neben mir, und ich konnte mich nicht mehr bewegen, dann bin ich zu Boden gestürzt – ich weiß nicht, ob jemand geschossen hat… ich habe es nicht gesehen.“
Die Frau verlässt mich wortlos und tritt vor die Tür, wo sich eine Debatte zwischen ihr und irgendwelchen Beamten entspannt. Die denkwürdige Bitte des Beamten ist es, mich verbinden zu lassen und transportfähig zu machen, da man eigentlich noch nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof mit mir wolle. Diesem Gedanken lässt die Ärztin allerdings keinen Raum und teilt mit, dass das völlig ausgeschlossen sei, denn ich müsse demnächst höchstwahrscheinlich operiert werden. Sie sagt, dass man vorher noch ein MRT benötige, und die Beamten unterwerfen sich, offensichtlich unzufrieden, dem klaren Urteil.
Die Klassenfahrt geht also weiter, und ich werde zum MRT gefahren. Bei mehr Interesse hätte ich sicherlich den Großteil des Krankenhauses kennenlernen können, aber ich schaue meist zu Boden oder versuche zu ruhen. Als ich in die Röhre gelegt werde, hält mich ein Pfleger an der rechten Schulter, und ich spüre erstmals, wie ein stechender Schmerz von dort ausgeht. Ich liege nun in der engen Röhre und die Bildgebung beginnt. Ich versuche krampfhaft stillzuliegen, aber bei jedem Atemversuch röchelt es, und ich muss viel husten, ohne dass das geholfen hätte. Das MRT muss wiederholt werden, und ich versuche vergeblich, mich zusammenzureißen. Es scheint diesmal zu reichen.
Die Fahrt geht wieder hin und her. Zuletzt erreichen wir den OP-Saal, und es zeigt sich, dass, je länger ich im Krankenhaus bin, desto mehr Interesse meinem Fall zukommt. Das merke ich daran, dass die Wartezeiten immer kürzer werden. Die Vermummten streiten sich soeben mit einem Arzt, weil sie bei der OP dabei sein wollen, wegen des Fluchtrisikos. Dieser äußert seine Bedenken um Kontamination, meint aber, dass sie bestimmt eine Lösung fänden.
Ein Chirurg tritt vor mich und erklärt, was sie jetzt vorhaben: „Ihr Unterkiefer ist stark fragmentiert. Wie werden die Knochenstücke richten und den Unterkiefer durch eine Titanplatte, Schrauben und Draht in seine alte Form bringen. Das Projektil, das Ihren Unterkiefer zerschlagen hat, wurde nach dem Durchschuss abgelenkt und steckt jetzt in Ihrer rechten Schulter. Dieses werden wir entfernen und anschließend alles vernähen. Der Eingriff wird mehrere Stunden dauern, aber sie werden davon nichts mitbekommen.“
Ich werde mittlerweile auf einer Rolltrage zu einer Anästhesistin geschoben, die mich über die Narkose belehrt. Nach einer Weile legt sie mir die große Gesichtsmaske auf und ich atme den Dampf ein, der mir wieder Atemnot beschert. Ich warte noch darauf, dass ich von zehn aus abwärts zählen soll, wie ich es aus Arztsendungen kenne, aber ich bin weg, bevor die Frage kommt.
Eine Narkose ist schon eine seltsame Sache. Ich hätte vermutet, dass man unter der Narkose trotzdem etwas von der OP mitbekommt, aber da war überhaupt nichts. Es wäre unter anderen Umständen der perfekte Tod – ohne Schmerzen und ohne genau zu wissen, wann er eintrat. Der Tag begann für mich kurz vor sechs Uhr und endet jetzt ca. 14.15 Uhr. Ich werde am darauffolgenden Tag früh gegen vier aufwachen, aber es wird sich anfühlen, als wäre keine Sekunde vergangen.
deutscheridentitaerer
Ich gebe zu, ich war skeptisch angesichts der Einleitung. Denn jeder weiß, dass es von der seriösesten Person im rechten Lager nur zwei Bekanntschaften weiter braucht, um bei einem gestörten Psycho zu landen, dem man jedenfalls im Prinzip jede terroristische Tat zutrauen würde. Insofern passte das ganze Siege-Zeug und österreichische Naziclans ganz gut ins Bild. Aber dieser Bericht ist wirklich großartig und man merkt, Hättasch ist nicht einer der Guten, sondern einer der Besten.