Gestern brachten sie im Staatsfunk eine Besprechung dazu – einen hübschen Verriß. Der Rezensent gestand zuletzt ein, daß seine Literaturkritik Herrn Kramer wohl kaum tangieren würde: Der habe sein Romänchen nicht geschrieben, um dem Feuilleton zu gefallen, sondern um bei Lesungen daraus ganze Hallen mit Fans zu füllen.
Schrauben wir dies mal 8 Oktaven runter, wären wir bei meiner Eigenschaft als Kritikerin angelangt und bei den intimen Räucherhöhlen, die Herr Schwaerzel (es gibt kein männliches Pendant zu „Fräulein“, nein?) füllen könnte.
Meint: Ich zähle sicher nicht zum Adressatenkreis dieses ambitionierten Stücks. Ich hatte nie von „Rick Owens“ gehört, nie von „Maison Margiela“, auch nicht von „Jahseh Dwayn Ricardo Onfroy“, auch von etlichen anderen Geheimwörtern nicht, die hier verhandelt (oder besser: aufgerufen). Dabei bin ich (für mein Alter) relativ firm im Jargon der Zoomer, da ich sieben Zoomer-Kinder habe und ihr Tun & Lassen aufmerksam verfolge. (Meine Kinder kennen die Genannten allesamt nicht. Es ist also ein WIRKLICH elaboriertes Connaisseurtum!)
Immerhin aber hatte ich Schwaerzels nihilistisches Debüt Schizoid Man begeistert gelesen und sehr gelobt. Das Ding kam auch bei unseren Lesern gut an. Was für ein Talent! Da schreibt einer vom Jahrgangs 2002 wie jemand, der mit allen Wassern gewaschen ist, der „Gespür“ für einfach alles hat, was ein exzellentes – wiewohl verstörendes – Stück Literatur ausmachen kann. Rhythmus, Wortwahl, Stimmung, Synkopen.
„Geschmackssache“ war bereits dieser Roman. Es hat nämlich nicht nur Lob, sondern auch wütende Rückmeldungen von Lesern gegeben, die das Ding als „kaputt“ bezeichnet haben. Von solchen Kontroversen lebt die Literatur!
Nun zu Heil Hyperpop. Lassen Sie mich dabei naiv reden.
Das bravouröse Cover erweckt den Eindruck des erstens begierig Abgegriffenen (absichtliche Lesespuren), zweitens des Ruchlosen. Es ist in schwarzweißrot gehalten, die Schrift: Fraktur, und zudem das „Unwort“ Heil! Eine hübsche Provokation!
Worum geht´s auf den 76 Seiten? Gemäß Rücktitel (auch Fraktur) um „eine Abrechnung mit allen: mit den Rechten, mit den Linken, mit der Mitte. Die Lösung? Radikaler Kapitalismus, barbarischer Konsumismus.“
Nun. Erfüllt wird es nicht wirklich. So „rechnet“ nur ein Delirierender „ab“, und das wird auch so gewollt sein. Wir haben also diesen als psychisch krank dargestellten Ich-Erzähler, der mal den Traum hegte, Mode-Designer zu werden. Das geht gut los!
Was der Mode eindeutig nachgesagt werden kann, ist eine Versessenheit auf Originalität. Da aber selten irgendwas überhaupt wirklich neu ist, ist die Versessenheit auf die Originalität oftmals nur Hass auf alles Zeitgenössische und auf die Wiederkunft des lang Vergangenen. Was ich in meinen Entwürfen finden wollte, war aber nicht direkt das Vergangene, wie s je existiert haben mochte, sondern das Vergangene, wie ich es entstellen konnte. Sozusagen Erinnerungskultur ohne Schuldgefühle.
Grandios! Leider entpuppt sich dieser unser interessante Wannabe-Mode-Vordenker rasch als Loser in Perfektion.
Er bekommt nichts auf die Reihe. Sein dritter Suizid-Versuch (Kehlendurchschnitt) scheitert. Er trägt nun eine “pinkrote Fotzee” unterm Kinn mit sich, auf die er auch ein bißchen stolz ist. Er streut ein, sich immer wieder intensiv mit Rumi, Meister Eckhart und der Lehre von der Realpräsenz beschäftigt zu haben. Das sind allerdings pure Marker, “Tiefe-Vortäuscher”, die unglaubwürdig bleiben, selbst bei einer schizoiden Persönlichkeit, die zu offensichtlich und wenig subtil als oszillierend zwischen “Genie und Wahnsinn gelten will”.
Freunde und Bekannte versuchen ihn aufzubauen, ihm Jobs zu vermitteln, aber er folgt nur seltsamen Spleens. Das sind erstens seine desaströse Ex-Freundin, zweitens die Band 2hollis, drittens Schuhe der Marke „Rick Owens“, die 8500€ kosten und die unser völlig abgebrannter Erzähler dringlich erwerben will.
Es ist die Art Stiefel, in denen du sterben willst.
Er leiht sich Geld, es wird ihm mitleidig gegeben; er macht ein kleines Vermögen mit Betrügereien, er verschleudert alles wieder. In Bruchstücken lesen wir das, was der Verlagstext verheißt – hohe Konsumlust, Konsum als Kunst schlechthin. Das meiste davon ist eine Art “früher-Christian-Kracht- für-Arme.” Schwaerzel hat auf einer Lesung gesagt, nichts von Kracht zu kennen. Er sollte das vielleicht nachholen und sich schulen?
Manches in Heil Hyperpop ist stark. Unser Erzähler entwickelt fiese Methoden, um an Geld zu kommen. Unter anderem bietet er Antiquaren handsignierte Erstausgaben von alten Bücher an.
Ich versichere den Leuten, Spengler hätte den Scheiß wirklich für meinen Urgroßonkel signiert. (…) Der ganze Scam lebt von der Arroganz der Antiquariate. Ich habe kein wirklich schlechtes Gewissen, die 400 € in bar zu nehmen. (…) 300 Jahre Aufklärung haben ihn [den Antiquar] so sehr verweichlicht, wie Gier und Neid uns gehärtet haben. Nicht, dass er weniger gierig wäre. Aber er ist gierig nach etwas von vornherein Körperlosem.
Wie geht es aus? Mit Selbstmordversuch 04, Suicide by cop. Alles extrem andeutungsreich, alles “exklusiv” und absichtsvoll verschraubt.
Ja, ich bin ganz sicher nicht die Adressatin für dieses Stück Text. Ich werde nicht googlen, was „Frazier-Hernveste“ ist, ein „EDM-Track“, Per „Pelle“ Ohlin, „Neo-China“ oder ein „hyperrealer Gore-Porn“. Dieses insiderhafte Bescheidwissertum ist durchschaubar und deutlich zu reich gesät.
Klar ist, hier spreizt sich einer, eitel gefiedert, weil er Aufmerksamkeit erreichen will. Es hat letztlich etwas von „Schrei nach Liebe“ –selbst wenn wir den Autoren nicht mit dem Protagonisten verwechseln dürfen. Traurig ist das deshalb, weil Autor Sebastian Schwaerzel seine Könnerschaft trotz allem Bling-bling nicht verhehlen kann. Seine grandiosen Passagen fallen einfach völlig runter in diesem hingerotzten Machwerk.
Aufmerksamkeit: Er braucht sie! Deshalb: Kaufen Sie – und kostet ja quasi nix!
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Sebastian Schwaerzel: Heil Hyperpop, Wien 2025, 76 Seiten, 8 € – hier bestellen
ofeliaa
Hm, das klingt ja als hätte er meine halbe Lebensgeschichte aufgeschrieben. Ich habe auch immer Meister Eckhart gelesen. Das hat sonst niemand. Niemand, den ich je kenne oder kannte. Auch Rumi-Gedichte höre ich vertont sehr oft. Ich könnte diese beiden Bücher dieses Autoren aber nie lesen. Ich würde nur innerlich brennen und schliesslich vergehen vor lauter Eifersucht, diese Bücher nicht selbst geschrieben zu haben.