8. Mai – Zeit für eine Revision

von Dominik Kaufner MdL -- Mich hat einmal ein Oberstufenschüler im Grundkurs Geschichte gefragt, ob in Nürnberg generell Kriegsverbrechen verhandelt wurden oder nur die der Deutschen. Er war einer der besten Schüler des Jahrgangs, kritisch, belesen, mit einem scharfen Gespür für Ungerechtigkeit

Sein Behar­ren war nicht poli­tisch moti­viert, son­dern das Unver­ständ­nis eines jun­gen Men­schen, dem man in der Schu­le bis­her eine Geschich­te auf­ge­tischt hat­te, die sei­nen Intel­lekt empörte.

Die Ant­wort auf sei­ne Fra­ge wuß­te er natür­lich schon, und eigent­lich woll­te er wohl fra­gen: War­um, wenn die Alli­ier­ten als Befrei­er auf­tra­ten, haben sie die eige­nen Kriegs­ver­bre­chen nicht geahndet?

Die Ant­wort ist genau­so ein­deu­tig wie ver­nich­tend: Weil die Mas­sa­ker der Roten Armee in den deut­schen Ost­ge­bie­ten, der bri­tisch-ame­ri­ka­ni­sche Bom­ben­ter­ror, die Rhein­wie­sen­la­ger und­so­wei­ter eben nicht als gele­gent­li­che Ent­glei­sun­gen Ein­zel­ner gese­hen wer­den kön­nen, son­dern als plan­mä­ßi­ge, von oben ange­ord­ne­te und voll beab­sich­tig­te Ver­bre­chen – als Kriegsverbrechen.

In der alten BRD und in der DDR hat man nur über die Ver­bre­chen der jeweils ande­ren Besat­zungs­macht gespro­chen, spre­chen dür­fen und war gezwun­gen, den eige­nen Besat­zer als Befrei­er zu feiern.

Nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung Rumpf­deutsch­lands, durch das Schwei­gen der tief trau­ma­ti­sier­ten Erleb­nis­ge­ne­ra­ti­on und mit zuneh­men­dem Abstand von den Ereig­nis­sen, ist die­se Selbst­er­nied­ri­gung und Geschichts­ver­ges­sen­heit immer wei­ter fort­ge­schrit­ten. Sie gip­fel­te nun in den Beschlüs­sen der Land­ta­ge von Sach­sen und Bran­den­burg, den 8. Mai als „Tag der Befrei­ung“ zum Gedenk­tag zu machen bzw. eine Ein­füh­rung als Fei­er­tag zu prü­fen. Kriegs­pro­pa­gan­da und Schuld­theo­lo­gie sind damit noch ein­mal von Par­la­men­ten mani­fest gemacht worden.

In mei­ner Rede im Land­tag Bran­den­burg habe ich die­se Geschichts­klit­te­rung ange­sichts des his­to­ri­schen Aus­ma­ßes der alli­ier­ten Kriegs­ver­bre­chen vehe­ment zurück­ge­wie­sen. Den Bli­cken eini­ger Abge­ord­ne­ter schien die Ungläu­big­keit und Unkennt­nis der his­to­ri­schen Vor­gän­ge förm­lich ins Gesicht geschrieben.

Vage Ahnun­gen des­sen, was vor und noch lan­ge nach dem 8. Mai geschah, müs­sen dabei den­noch ins Bewußt­sein zurück geru­fen wor­den sein, denn es gibt heu­te fast kei­nen Deut­schen, des­sen eige­ne Fami­li­en­ge­schich­te nicht von ent­setz­li­chen Ereig­nis­sen zu berich­ten weiß – wie soll­te es anders sein, ange­sichts der größ­ten eth­ni­schen Säu­be­rung Euro­pas, bei der 15 Mil­lio­nen ver­trie­ben, 2 Mil­lio­nen ermor­det, 2 Mil­lio­nen Frau­en und Mäd­chen geschän­det wur­den; ange­sichts der gezielt gegen die Zivil­be­völ­ke­rung gerich­te­ten Flä­chen­bom­bar­de­ments, bei denen 8 Mil­lio­nen aus­ge­bombt, vie­le Hun­dert­tau­sen­de im Feu­er­sturm qual­voll ver­en­det sind; ange­sichts unzäh­li­ger Kriegs­ge­fan­ge­ner, die die Haft­be­din­gun­gen nicht über­leb­ten und von denen die Ange­hö­ri­gen nicht ein­mal wuß­ten, ob sie gefal­len waren oder in einem Lager dahinsiechten?

Das Schick­sal, das zum Kriegs­en­de über unser Volk gekom­men war, ist in sei­nem Aus­maß so gewal­tig, daß die Unter­drü­ckung der dar­aus resul­tier­ten Wun­den in eine via Re-edu­ca­ti­on trans­for­mier­te Selbst­ver­leum­dung aus­ge­ar­tet ist. Man muß es klar sagen: Wer um die Ver­bre­chen an den eige­nen Eltern und Groß­el­tern weiß und den­noch um den 8. Mai in Fei­er­stim­mung ver­fällt, der hat sei­ne Wür­de längst verloren.

„Uner­träg­lich und wür­de­los“ fand man hin­ge­gen in der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on im Land­tag Bran­den­burg allein mei­nen Ver­such, die­ser kom­ple­xen und trau­ma­ti­schen Rea­li­tät gerecht zu wer­den. Ver­zwei­felt brach sich die empör­te Fra­ge Bahn, was denn mit den deut­schen Ver­bre­chen sei, von denen man in der gan­zen Rede nichts gehört habe! Auch der ehe­ma­li­ge Jungle World-Autor Fre­de­rik Schind­ler bemän­gel­te in der Welt, ich hät­te „die Ver­bre­chen der Deut­schen“ in mei­ner Rede ein­fach ausgeblendet.

Der antrai­nier­te Reflex: Aber haben wir Mord und Ver­ge­wal­ti­gung, Raub und Miss­hand­lung, Ernied­ri­gung und Kul­tur­ver­nich­tung nicht verdient?

SPD-Frak­ti­ons­chef Lütt­mann wur­de in der Mär­ki­schen All­ge­mei­nen zitiert, ich sei „erneut mit Geschichts­re­vi­sio­nis­mus auf­ge­fal­len“ – gemeint ist damit wohl mein eben­falls in die­sem Netz-Tage­buch ver­öf­fent­lich­te Bei­trag zum Volks­trau­er­tag.

Das ist die erwart­ba­re Reak­ti­on des Hilf­lo­sen, dem die Unhalt­bar­keit der eige­nen Posi­ti­on klar gewor­den ist. Und es ist wohl auch das Ver­zwei­feln am Zusam­men­bruch einer Gesell­schafts­ord­nung, die nicht zuletzt durch eine ver­än­der­te Demo­gra­phie und die Distanz der Jugend zu den Ereig­nis­sen des frü­hen 20. Jahr­hun­derts ein­ge­tre­ten ist.

Soll­ten wir den Begriff des Revi­sio­nis­mus über­haupt scheu­en? Ist nicht die Revi­si­on, das Noch-ein­mal-anse­hen die Grund­la­ge jedes geschichts­wis­sen­schaft­li­chen Ver­ständ­nis­ses? Wer meint, das amt­lich geprüf­te Wis­sen sei ein für alle Mal gesam­melt und end­gül­tig, der kann Lehr­stüh­le für Geschich­te gleich schlie­ßen und statt­des­sen ein Kom­pen­di­um gesi­cher­ten Wis­sens her­aus­ge­ben, das nicht mehr hin­ter­fragt zu wer­den braucht.

Nein, gera­de da, wo ein Teil der Geschich­te über Jahr­zehn­te aus­ge­blen­det wur­de, mit Tabus belegt war, ist eine kri­ti­sche For­schung und eine öffent­li­che Dis­kus­si­on drin­gend not­wen­dig. Die Kapi­tu­la­ti­on der deut­schen Wehr­macht am 8. Mai 1945 signa­li­sier­te das Ende eines hal­ben Jahr­hun­derts der Weltsystem‑, Mate­ri­al- und Ideo­lo­gie­schlach­ten, das sehr viel kom­ple­xer ist, als das ver­ord­ne­te Geschichts­bild nahelegt.

Mir ist bewußt, dass die fest­ge­leg­te Geschichts­le­sung in Wahr­heit eine fest­ge­leg­te Moral­ord­nung ist. In die­sen Begrif­fen unter­schei­det sich die BRD nicht von der DDR. Sie ist schließ­lich eben­falls ein Besatzer­kon­strukt, geneh­migt, mit­auf­ge­baut und beglei­tet von einer Sie­ger­macht, die deut­sche Städ­te zer­stör­te und mit der Umer­zie­hung unse­res Vol­kes das ver­mut­lich größ­te Social-Engi­nee­ring-Pro­jekt der Geschich­te unternahm.

Der Zuspruch und die Zuschrif­ten, die wir als AfD-Frak­ti­on Bran­den­burg erhal­ten haben, zei­gen indes, dass hier ein Punkt ange­spro­chen wur­de, den vie­le lan­ge ver­mißt haben. Ver­ein­zelt gibt es Stim­men, die mei­nen, man müs­se die Geschich­te ruhen las­sen, es sei ja alles rich­tig, aber man kön­ne damit kei­nen Blu­men­topf gewin­nen, es gäbe aktu­ell wich­ti­ge­re Probleme.

Denen kann ich nur sagen: Ja, es gibt aktu­ell wich­ti­ge­re Pro­ble­me, aber ohne den Kult der Selbst­er­nied­ri­gung und ein­sei­ti­gen Fixie­rung auf die eige­ne Schuld wäre eine Poli­tik, die Deutsch­land zum inter­na­tio­na­len Sied­lungs­ge­biet und Spiel­ball frem­der Inter­es­sen macht, schlech­ter­dings undenk­bar. Das ist der Grund, war­um die Gegen­wehr so fana­tisch ist. Und das ist auch der Grund, war­um wir gera­de hier vor­sto­ßen müssen.

Der 80. Jah­res­tag der Kapi­tu­la­ti­on der deut­schen Wehr­macht soll­te uns Anlaß sein, die­sen schwe­ren Weg end­lich zu beschrei­ten und die demü­ti­gen­de Geschichts­klit­te­rung der Besat­zungs­mäch­te abzu­strei­fen. Das wäre auch ein Zei­chen eines grund­le­gen­den poli­ti­schen Wan­dels. Und die Umstän­de einer sich beschleu­ni­gen­den Welt drän­gen zur Eile.

Denn gera­de in die­sen Tagen, wo die ame­ri­ka­ni­sche Welt­ord­nung endet und sich Mos­kau wie Washing­ton noch immer dar­um bemü­hen, ihre Wider­sa­cher als Nazis zu bezeich­nen, wird klar, daß die­se Geschichts­schrei­bung aus dem Kal­ten Krieg ein poli­ti­sches Werk­zeug war und so zu behan­deln ist.

Wäh­rend die SED-Nomen­kla­tu­ra die Leu­te zwang, den „Tag der Befrei­ung des deut­schen Vol­kes vom Hit­ler­fa­schis­mus“ zu fei­ern, setz­te sich die­ses demü­ti­gen­de Nar­ra­tiv des „Tags der Befrei­ung“ spä­ter auch in der BRD durch.

Vie­le Baby­boo­mer des Wes­tens leb­ten unter den fest­ge­fah­re­nen Ver­hält­nis­sen des Eiser­nen Vor­hangs in einer pro­spe­rie­ren­den Lage, im Wirt­schafts­wun­der­land, einem zum Waren­um­schlags­raum degra­dier­ten post-his­to­ri­schen Deutsch­land, wo der Preis des Wohl­stands die Ernied­ri­gung der eige­nen Vor­fah­ren war – einen Preis, den man schein­bar ohne Kon­se­quen­zen bezah­len konnte.

Heu­te ist die Lage anders. Deutsch­land kann sich in einer mul­ti­po­la­ren Welt nicht eigen­stän­dig bewe­gen, wenn es noch immer in den Trüm­mern von ‘45 zu lie­gen hat.

Wenn eine Frau Baer­bock, die als grü­ne Außen­mi­nis­te­rin unver­gleich­bar gegen unse­re Nati­on gear­bei­tet hat, von den Rus­sen den­noch auf ihr Dasein als Enke­lin eines Wehr­machts­sol­da­ten redu­ziert wird, dann ist klar, dass es kei­nen ande­ren Aus­weg aus der Lage der inne­ren und äuße­ren Ohn­macht gibt als den der Revision

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.