Sein Beharren war nicht politisch motiviert, sondern das Unverständnis eines jungen Menschen, dem man in der Schule bisher eine Geschichte aufgetischt hatte, die seinen Intellekt empörte.
Die Antwort auf seine Frage wußte er natürlich schon, und eigentlich wollte er wohl fragen: Warum, wenn die Alliierten als Befreier auftraten, haben sie die eigenen Kriegsverbrechen nicht geahndet?
Die Antwort ist genauso eindeutig wie vernichtend: Weil die Massaker der Roten Armee in den deutschen Ostgebieten, der britisch-amerikanische Bombenterror, die Rheinwiesenlager undsoweiter eben nicht als gelegentliche Entgleisungen Einzelner gesehen werden können, sondern als planmäßige, von oben angeordnete und voll beabsichtigte Verbrechen – als Kriegsverbrechen.
In der alten BRD und in der DDR hat man nur über die Verbrechen der jeweils anderen Besatzungsmacht gesprochen, sprechen dürfen und war gezwungen, den eigenen Besatzer als Befreier zu feiern.
Nach der Wiedervereinigung Rumpfdeutschlands, durch das Schweigen der tief traumatisierten Erlebnisgeneration und mit zunehmendem Abstand von den Ereignissen, ist diese Selbsterniedrigung und Geschichtsvergessenheit immer weiter fortgeschritten. Sie gipfelte nun in den Beschlüssen der Landtage von Sachsen und Brandenburg, den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zum Gedenktag zu machen bzw. eine Einführung als Feiertag zu prüfen. Kriegspropaganda und Schuldtheologie sind damit noch einmal von Parlamenten manifest gemacht worden.
In meiner Rede im Landtag Brandenburg habe ich diese Geschichtsklitterung angesichts des historischen Ausmaßes der alliierten Kriegsverbrechen vehement zurückgewiesen. Den Blicken einiger Abgeordneter schien die Ungläubigkeit und Unkenntnis der historischen Vorgänge förmlich ins Gesicht geschrieben.
Vage Ahnungen dessen, was vor und noch lange nach dem 8. Mai geschah, müssen dabei dennoch ins Bewußtsein zurück gerufen worden sein, denn es gibt heute fast keinen Deutschen, dessen eigene Familiengeschichte nicht von entsetzlichen Ereignissen zu berichten weiß – wie sollte es anders sein, angesichts der größten ethnischen Säuberung Europas, bei der 15 Millionen vertrieben, 2 Millionen ermordet, 2 Millionen Frauen und Mädchen geschändet wurden; angesichts der gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Flächenbombardements, bei denen 8 Millionen ausgebombt, viele Hunderttausende im Feuersturm qualvoll verendet sind; angesichts unzähliger Kriegsgefangener, die die Haftbedingungen nicht überlebten und von denen die Angehörigen nicht einmal wußten, ob sie gefallen waren oder in einem Lager dahinsiechten?
Das Schicksal, das zum Kriegsende über unser Volk gekommen war, ist in seinem Ausmaß so gewaltig, daß die Unterdrückung der daraus resultierten Wunden in eine via Re-education transformierte Selbstverleumdung ausgeartet ist. Man muß es klar sagen: Wer um die Verbrechen an den eigenen Eltern und Großeltern weiß und dennoch um den 8. Mai in Feierstimmung verfällt, der hat seine Würde längst verloren.
„Unerträglich und würdelos“ fand man hingegen in der anschließenden Diskussion im Landtag Brandenburg allein meinen Versuch, dieser komplexen und traumatischen Realität gerecht zu werden. Verzweifelt brach sich die empörte Frage Bahn, was denn mit den deutschen Verbrechen sei, von denen man in der ganzen Rede nichts gehört habe! Auch der ehemalige Jungle World-Autor Frederik Schindler bemängelte in der Welt, ich hätte „die Verbrechen der Deutschen“ in meiner Rede einfach ausgeblendet.
Der antrainierte Reflex: Aber haben wir Mord und Vergewaltigung, Raub und Misshandlung, Erniedrigung und Kulturvernichtung nicht verdient?
SPD-Fraktionschef Lüttmann wurde in der Märkischen Allgemeinen zitiert, ich sei „erneut mit Geschichtsrevisionismus aufgefallen“ – gemeint ist damit wohl mein ebenfalls in diesem Netz-Tagebuch veröffentlichte Beitrag zum Volkstrauertag.
Das ist die erwartbare Reaktion des Hilflosen, dem die Unhaltbarkeit der eigenen Position klar geworden ist. Und es ist wohl auch das Verzweifeln am Zusammenbruch einer Gesellschaftsordnung, die nicht zuletzt durch eine veränderte Demographie und die Distanz der Jugend zu den Ereignissen des frühen 20. Jahrhunderts eingetreten ist.
Sollten wir den Begriff des Revisionismus überhaupt scheuen? Ist nicht die Revision, das Noch-einmal-ansehen die Grundlage jedes geschichtswissenschaftlichen Verständnisses? Wer meint, das amtlich geprüfte Wissen sei ein für alle Mal gesammelt und endgültig, der kann Lehrstühle für Geschichte gleich schließen und stattdessen ein Kompendium gesicherten Wissens herausgeben, das nicht mehr hinterfragt zu werden braucht.
Nein, gerade da, wo ein Teil der Geschichte über Jahrzehnte ausgeblendet wurde, mit Tabus belegt war, ist eine kritische Forschung und eine öffentliche Diskussion dringend notwendig. Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 signalisierte das Ende eines halben Jahrhunderts der Weltsystem‑, Material- und Ideologieschlachten, das sehr viel komplexer ist, als das verordnete Geschichtsbild nahelegt.
Mir ist bewußt, dass die festgelegte Geschichtslesung in Wahrheit eine festgelegte Moralordnung ist. In diesen Begriffen unterscheidet sich die BRD nicht von der DDR. Sie ist schließlich ebenfalls ein Besatzerkonstrukt, genehmigt, mitaufgebaut und begleitet von einer Siegermacht, die deutsche Städte zerstörte und mit der Umerziehung unseres Volkes das vermutlich größte Social-Engineering-Projekt der Geschichte unternahm.
Der Zuspruch und die Zuschriften, die wir als AfD-Fraktion Brandenburg erhalten haben, zeigen indes, dass hier ein Punkt angesprochen wurde, den viele lange vermißt haben. Vereinzelt gibt es Stimmen, die meinen, man müsse die Geschichte ruhen lassen, es sei ja alles richtig, aber man könne damit keinen Blumentopf gewinnen, es gäbe aktuell wichtigere Probleme.
Denen kann ich nur sagen: Ja, es gibt aktuell wichtigere Probleme, aber ohne den Kult der Selbsterniedrigung und einseitigen Fixierung auf die eigene Schuld wäre eine Politik, die Deutschland zum internationalen Siedlungsgebiet und Spielball fremder Interessen macht, schlechterdings undenkbar. Das ist der Grund, warum die Gegenwehr so fanatisch ist. Und das ist auch der Grund, warum wir gerade hier vorstoßen müssen.
Der 80. Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht sollte uns Anlaß sein, diesen schweren Weg endlich zu beschreiten und die demütigende Geschichtsklitterung der Besatzungsmächte abzustreifen. Das wäre auch ein Zeichen eines grundlegenden politischen Wandels. Und die Umstände einer sich beschleunigenden Welt drängen zur Eile.
Denn gerade in diesen Tagen, wo die amerikanische Weltordnung endet und sich Moskau wie Washington noch immer darum bemühen, ihre Widersacher als Nazis zu bezeichnen, wird klar, daß diese Geschichtsschreibung aus dem Kalten Krieg ein politisches Werkzeug war und so zu behandeln ist.
Während die SED-Nomenklatura die Leute zwang, den „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ zu feiern, setzte sich dieses demütigende Narrativ des „Tags der Befreiung“ später auch in der BRD durch.
Viele Babyboomer des Westens lebten unter den festgefahrenen Verhältnissen des Eisernen Vorhangs in einer prosperierenden Lage, im Wirtschaftswunderland, einem zum Warenumschlagsraum degradierten post-historischen Deutschland, wo der Preis des Wohlstands die Erniedrigung der eigenen Vorfahren war – einen Preis, den man scheinbar ohne Konsequenzen bezahlen konnte.
Heute ist die Lage anders. Deutschland kann sich in einer multipolaren Welt nicht eigenständig bewegen, wenn es noch immer in den Trümmern von ‘45 zu liegen hat.
Wenn eine Frau Baerbock, die als grüne Außenministerin unvergleichbar gegen unsere Nation gearbeitet hat, von den Russen dennoch auf ihr Dasein als Enkelin eines Wehrmachtssoldaten reduziert wird, dann ist klar, dass es keinen anderen Ausweg aus der Lage der inneren und äußeren Ohnmacht gibt als den der Revision