Meine Aufgabe als Verleger ist es, dafür zu sorgen, daß diese Debatte konstruktiv geführt wird und nicht von Unterstellungen und Mißverständnissen lebt. Sie ist schon auf der Sachebene brisant genug, und wir alle dürfen davon ausgehen, daß es jeder Position darum geht, politischen Handlungsspielraum zu gewinnen.
Die Debatte hat längst die Aufmerksamkeit des Mainstreams gefunden. Wir müssen sie präzise führen. Ich werde deshalb die Kommentare zu diesem Text gründlich filtern und der Diskussion keinen freien Lauf lassen. Ausführlichere Einreichungen sind willkommen und können an redaktion(at)sezession.de geschickt werden.
Götz Kubitschek, Verleger und Redakteur
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Das Volk im multi-ethnischen Staat
Ein Gastbeitrag von Maximilian Krah, MdB
Die politische Rechte läuft Gefahr, ausgerechnet an ihrem Leib-und-Magen-Thema zu straucheln: dem Volk. Es sind die Unschärfen und Unklarheiten beim Volksbegriff, die politische Gegner wie Verfassungsschutz nutzen, um repressiv gegen die AfD vorzugehen. Die intellektuelle Durchdringung und darauf aufbauende Klärung des Volksbegriffes ist deshalb unerlässlich, soll das Projekt einer demokratischen Rechtspartei Bestand haben.
Das Problem beginnt damit, es zu erkennen. Denn historisch, bis etwa noch vor 20 Jahren, bestand das deutsche Staatsvolk nahezu ausschließlich aus ethnischen Deutschen. Und wer eingebürgert war, bemühte sich in aller Regel, sich kulturell anzupassen. „Volk“ bezeichnet in der deutschen Sprache sowohl das Staatsvolk, den Demos, wie die Abstammungsgemeinschaft, den Ethnos.
Nicht rechtlich, aber sehr wohl faktisch fielen beide zusammen. Das prägt bis heute das Nachdenken über das Volk, gerade bei Rechten. Die millionenfache Einwanderung der letzten Jahrzehnte und die ihr folgende laxe Einwanderungspraxis, Doppelpass inklusive, haben das geändert. Diese Änderung muss nun intellektuell nachvollzogen werden, was gerade für Rechte umso schwerer ist, als dass sowohl Einwanderung wie Einbürgerung gegen sie durchgesetzt wurden.
Einen Einstieg hierzu mag Artikel 5 der Sächsischen Verfassung geben: „Dem Volk des Freistaates Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an.“ Diese Unterscheidung ist der Schlüssel zu einem Volksverständnis, das auf der Höhe der Zeit ist, der Verfassung genügt, ohne eigene Grundwerte aufzugeben. Es gilt zu erkennen: Dem Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland gehören nunmehr Bürger deutscher und anderer Volkszugehörigkeit an – und zwar egal, ob es gefällt oder nicht.
Und die Staatsangehörigkeit steht nicht zur Disposition. Natürlich ist jede Kritik an der laxen Einbürgerungspraxis mehr als berechtigt. Der Fall eines arabisch-stämmigen Sexualstraftäters deutscher Staatsangehörigkeit, dem in Berlin nur mithilfe eines Dolmetschers der Prozess gemacht werden konnte, illustriert den Irrsinn der gegenwärtigen Rechtslage.
Und dennoch: Staatsangehöriger ist Staatsangehöriger. Hier geht es um absolute Grundlagen des Rechtsstaats. Zum einen um die Verbindlichkeit rechtlicher Titel. Wenn die Staatsangehörigkeit nicht mehr sicher sein soll – wieso dann Grundbucheintragungen oder Gerichtsurteile? Grundlegend für jeden Rechtsstaat ist das Vertrauen in seine Verfahren. Rechtliche Verfahren führen zu verbindlichen Ergebnissen. Diese Verbindlichkeit basiert auf der formalen Durchführung des Verfahrens, nicht einer – von wem eigentlich zu beurteilenden? – Richtigkeit. Wenn also ein Ausländer ein formal korrektes Verwaltungsverfahren durchläuft, an dessen Ende ihm die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wird, dann gilt dasselbe wie bei einem Gerichtsverfahren mit einem rechtskräftigen Urteil oder einer Grundbucheintragung: causa finita, selbst wenn das Ergebnis jedem billig und gerecht
Denkenden absurd erscheinen mag.
Die zweite Grundlage des Rechts, die bei einer Infragestellung von erfolgten Einbürgerungen verletzt würde, ist die für jeden neuzeitlichen Staat fundamentale Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz. Wer daran rüttelt, soll sich über rechtliche Verfolgung nicht wundern. Ich warne auch vor juristischen Spitzfindigkeiten. Ja, es wäre rechtlich unter Umständen möglich, Doppelstaatler zu zwingen, sich binnen einer Frist zu entscheiden und für den Fall, dass das nicht geschieht, die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen. Dieser Ansatz übersieht, dass die überwiegende Zahl von Doppelstaatlern entweder ethnisch Deutsche oder politisch unproblematische EU-Bürger sind, dass die Existenz einer zweiten Staatsangehörigkeit oft nicht aktenkundig ist, dass es Staaten gibt, die ihre Staatsangehörigen nicht entlassen, dass die fremde Staatsangehörigkeit unter Umständen später wieder heimlich erworben werden kann und dass dieses Vorgehen einen massiven Unfrieden stiften würde, der angesichts der administrativen Schwierigkeiten außer Verhältnis zum erstrebten Nutzen stünde. Vielmehr sollte die politische Rechte das Instrument der doppelten Staatsangehörigkeit nutzen, um Auslandsdeutsche wieder an das historische Heimatland zu binden; eine Praxis, die etwa Ungarn, Italien, auch Japan erfolgreich anwenden.
Die Klärung des Volksbegriffes endet aber nicht mit der Unterscheidung von Demos und Ethnos. Sie stellt sich auch bei der Frage, was von Eingebürgerten an „Integration“ zu verlangen ist. Üblicherweise wird, besonders auf der rechten Seite des politischen Spektrums, eine kulturelle Eingliederung in das deutsche Volk verlangt. Die Einwanderer sollen also, ähnlich dem US-amerikanischen melting pot, im deutschen Ethnos aufgehen.
Das ist sowohl rechtlich wie kulturell problematisch. Hinter der Vorstellung verbirgt sich zunächst erneut das Verständnis einer Einheit von Demos und Ethnos, die aber faktisch nicht mehr besteht. Es wird die Kultur der deutschen Ethnie unreflektiert als Maßstab verstanden. Dies kollidiert aber mit dem ethnisch blinden und individualistischen Ansatz des Grundgesetzes. Denn zur Würde des Einwandernden gehört auch seine eigene ethnisch-kulturelle Prägung. Es kann von ihm erwartet werden, sich im öffentlichen Leben der hergebrachten, kulturell deutschen Ordnung einzupassen, also die Sprache zu beherrschen, die Sitten und Gebräuche zu respektieren – aber individuell darf er bleiben, was er ist.
Religiöses Bekenntnis, Familienverständnis, Wahl des Ehepartners, Sprache etc. gehören zum ureigensten Persönlichkeitsbereich und dürfen nicht einmal zum Gegenstand des Einbürgerungsverfahrens gemacht werden. „Leitkultur“ ist das Maximum dessen, was das Grundgesetz zulässt, also eine kulturell deutsche Ordnung im Öffentlichen – das Einfordern einer privaten „Eindeutschung“ hingegen wäre wiederum verfassungswidrig.
Jenseits dieses rechtlichen Befundes erscheint mir die Idee der Assimilation auch kulturell fragwürdig. Zum einen blendet es die Frage aus, inwieweit Kultur beliebig auf Menschen aus vollkommen verschiedenen Kulturkreisen übertragbar ist. Temperament, Neigungen, Vorlieben sind dem Menschen eigen und können nicht beliebig angepasst und geändert werden; warum sollten sie auch?
Zum zweiten verkennt diese Idee, dass kulturelle Einpassung nie ein einseitiger Prozess ist. Im melting pot wird immer wieder neu verschmolzen. Wollen wir tatsächlich die deutsche Kultur einem durch Einwanderung und der dadurch mit einwandernden Kultur getriebenen permanenten Veränderungsprozess aussetzen? Und das alles ohne Ansehen der jeweiligen Herkunftskultur, die da eingeschmolzen wird?
Mein Ansatz lautet deshalb Differenzierung. Die Unterscheidung mit und ohne Migrationshintergrund, ethnisch Deutscher oder nicht ethnisch Deutscher ist erkennbar zu unterkomplex, um die Realität zu erfassen. Schon bei Einwanderung von türkischen Staatsangehörigen macht es einen Unterschied, ob es sich um ethnische Türken oder Kurden handelt: beide Gruppen organisieren sich ökonomisch, politisch, sozial und religiös in Deutschland getrennt und oftmals inhaltlich entgegengesetzt.
Bei Einwanderung aus Europa und Russland wird die Einpassung in die deutsche Ethnie der Regelfall sein und in der zweiten Generation weitgehend ihren Abschluss finden. Die kulturellen Ähnlichkeiten sind hier so groß, dass ein Verschmelzen unproblematisch, ja gewinnbringend ist, mehr noch, es wird von den Einwandernden oft erstrebt werden. Ähnliches gilt bei Einwanderung aus Südostasien.
Bei Einwanderung aus dem Mittleren Osten und Afrika sind die Erfahrungen hingegen anders. Weder wird eine Assimilation erstrebt, noch ist sie ohne weiteres möglich, und nicht immer ist ein Verschmelzen auch aus ethnisch deutscher Sicht wünschenswert. Solche Gruppen werden sich in der für sie fremden kulturellen Umgebung selbst organisieren, oft um religiöse oder kulturelle Zentren gemeinsam ansiedeln, dabei Vereinsstrukturen bilden, oftmals überlagert durch familiäre Bindungen. Die Palästinenser-Clans in Westberlin sind hier das negative Beispiel, die Jesiden das bessere.
Typisch ist, dass nicht der Einzelne politisch in Erscheinung tritt, sondern die politische Partizipation als Gruppe erfolgt. Die Gruppe sammelt die Mitspachemöglichkeiten ihrer Mitglieder, um so mehr Einfluss zu generieren. Dementsprechend muss sich die politische Ansprache auch an die Gruppe richten und nicht an die Einzelnen. Hierbei wird es konstruktive und weniger konstruktive Gruppen geben. Es wird Einwanderercommunities geben, deren Heimatstaaten auch außen- und handelspolitisch mit Deutschland kooperieren, und solche, bei denen das nicht der Fall ist.
Es gibt Gruppen, die gar in ihren jeweiligen Herkunftsländern in Opposition zu den Staatsführungen stehen, wobei diese Opposition selten politisch und oft ethnisch begründet ist, wie etwa bei den Kurden in der Türkei.
Die politische Kunst besteht nun darin, diese Gruppen einzeln und unter Berücksichtigung der außenpolitischen Lage maßgeschneidert anzusprechen. Grundlage muss immer die Anerkennung der kulturell deutschen Ordnung des öffentlichen Lebens sein: die deutsche Leitkultur – aber eben nicht mehr. Das gruppeninterne Leben, gar das private, bleiben außen vor. Eine Verschmelzung findet nicht statt. Jede dieser Gruppen wird eigene Interessen haben, die oft genug im Widerspruch zu Interessen anderer Gruppen stehen. Anstatt nun also alle nicht-europäischen Einwanderer gegen die ethnisch deutsche Mehrheit zu einigen, geht es um ein kluges „Teile und
Herrsche“, das auf Koalitionen mit Gruppen bei großer Interessenkongruenz – innen- wie außenpolitisch – aufbaut.
Politisch ist und bleibt dabei das Ziel, dass die ethnisch Deutschen im zunehmend multiethnischen deutschen Staat tonangebend bleiben, dass die deutsche Kultur die Leitkultur des öffentlichen Lebens bleibt, dass deutsche Sitten und Gebräuche das öffentliche Zusammenleben prägen. Das setzt voraus, dass es eine abgrenzbare deutsche Kultur auch weiterhin gibt, weshalb gerade eine unbegrenzte und undifferenzierte Verschmelzung nicht erstrebenswert ist.
Es ist weiter unverzichtbar, dass die Masseneinwanderung gestoppt wird, um die rapide Veränderung der ethnischen Zusammensetzung des Staatsvolks zu beenden. Die heutige Einbürgerungspraxis muss grundlegend korrigiert werden. Es bedarf stimulierender Familienpolitik, um die Geburtenrate auch der Autochthonen zu erhöhen sowie, italienischem und japanischem Beispiel folgend, ein Augenmerk auf die ethnisch deutschen Gemeinschaften im Ausland.
Für all das wird es Verbündete unter den Einwandern geben, und zwar sowohl bei jenen, die sich tatsächlich ethnisch eingliedern – was immer möglich sein muss! – wie bei jenen, die es vorziehen, als ethnische Eigengruppe in Frieden und Verbundenheit mit der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland zu leben. Genau deshalb wendet sich die AfD an alle deutschen Staatsangehörigen, und zwar ungeachtet ihrer Volkszugehörigkeit. Diese politischen Ziele sind solange rechtlich unproblematisch, wie die staatsbürgerlichen Rechte der Eingebürgerten unangetastet sind und kein staatlicher Druck mit dem Ziel einer kulturellen Assimilation entfaltet wird. Die politische Rechte ist nicht ethnisch blind, sondern erkennt an, dass der Staat es ist, weshalb die Ethnie eine soziale Tatsache ist und keine normative Kategorie sein darf.
Monacensis
Widerspruch ! Ungeachtet der Staatsangehörigkeit nationaler Minderheiten sind Staaten in Europa und Ostasien traditionell nationalstaatlich organisiert. Die Ideeeiner Multikulturalisierung über autochthone Minderheiten hinaus ist dem Nationalstaat fremd. Darf der deutsche Staat zB Millionen Araber nach drei bis fünf Jahren einbürgern, obwohl deren Assimilation nicht zu erwarten ist ? Ich bin mir sicher, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage noch vor fünfzig Jahren verneint hätte. Und auch, wenn wir diese Staatsangehörigkeiten akzeptieren, wird das Ziel der Erhaltung einer relativen ethnischen Homogenität nicht verfassungswidrig, genausowenig wie eine Politik der Assimilation.
Die übrigens als einseitige Anpassung durchaus stattgefunden hat und stattfindet, Polen im Ruhrgebiet, Italiener in Lothringen etc. Dass die Assimilation Kulturkreisfremder schwieriger ist, ist unbestritten.