.. der seit Anfang August in den deutschen Kinos läuft. Wer ihn bisher verpaßt hat, sollte das schnell nachholen, solange noch die Möglichkeit besteht.
Die brasilianische Produktion Tropa de Elite (Elite-Truppe), 2008 umstrittener Gewinner des Goldenen Bären, hat gewisse thematische Berührungspunkte mit Tarantinos Spektakel. Können Mord und Folter die Moral auf ihrer Seite haben? Darf man gegen Verbrecher verbrecherisch vorgehen? Und wird, frei nach Nietzsche, derjenige, der mit Ungeheuern kämpft, selbst zum Ungeheuer?
Während den popsüchtigen, juvenil gebliebenen Tarantino diese Fragen in Wahrheit jedoch kaum interessieren, hat der 1969 geborene José Padilha einen ernsten, unbequemen und moralisch provozierenden Film über die Abgründe der asymmetrischen Kriegsführung gedreht, der schon manchem politisch korrekten Kritiker Bauchschmerzen bereitet hat (SpOn: “Politisch extrem gefährlicher Slum-Schocker”).
Tropa de Elite zeigt Rio de Janeiro (eine Stadt, in der jährlich im Schnitt 6000 Morde verübt werden) als heillosen Moloch aus Drogenhandel, Gewalt und Korruption, in dem der permanente Ausnahme- und Krisenzustand herrscht. Die Polizisten, die für einen geringen Lohn täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, sehen sich gezwungen, ebenfalls korrupt zu werden, um physisch und psychisch zu überleben – oder aber mit der gleichen ruchlosen Rücksichtslosigkeit zurückzuschlagen.
Im Mittelpunkt des Films steht die Spezialeinheit BOPE, die sich vor der drohenden Korrumpierung und seelischen Zermürbung durch strengste Auslese, knallharten Drill und einen fanatischen Korpsgeist abschirmt. Die mit Totenköpfen geschmückten schwarzen Hemden der Elitetruppe erinnern dabei wohl nicht von ungefähr an die Ikonographie der faschistischen Squadristen; Verwandtschaften gibt es auch zu berüchtigten militärischen Eliteeinheiten wie den US-Marines, den französischen “Paras”, oder der Fremdenlegion. Inmitten dieses Augiasstalls aus Verbrechen und Gewalt, in dem selbst der Staat keinen Schutz mehr garantieren kann, bietet der Korpsgeist der BOPE den einzigen mentalen Haltegriff und “außerrationalen Wert”, um eine funktionierende Institution zu gewährleisten, die ihren Angehörigen das äußerste Opfer abverlangen kann.
Doch selbst diese Institution muß sich den Methoden ihrer Feinde anpassen, um sie effektiv bekämpfen zu können. Regisseur Padilha beschönigt dabei in keinem Moment die grausame und zynische Vorgehensweise der Spezialeinheit, für die der Gebrauch von Folter selbstverständliche Routine ist. Die Provokation des Films besteht darin, sein Publikum vollständig in die emotionale Perspektive der Polizisten hineinzuversetzen, um die Eskalation der Gewalt “von innen her” verständlich zu machen. So wird es wohl kaum einen Zuschauer geben, der nicht tiefe Befriedigung empfindet, wenn der sadistische Drogendealer am Ende endlich zur Strecke gebracht wird – bis er schlagartig begreift, daß der bisher idealistische und sympathische Polizist, der den Todesschuß auf den wehrlos am Boden Liegenden verübte, soeben die entscheidende ethische Grenze überschritten hat, von der es kein Zurück mehr gibt.
Bemerkenswert ist auch, wie Tropa de Elite in einem wichtigen Nebenstrang der Handlung mit der Heuchelei der liberalen leisure class aufräumt. Der aus den Favelas stammende farbige Polizist André studiert nebenbei, um Rechtsanwalt zu werden. Seinen Kommilitonen verschweigt er jedoch seinen Beruf, denn diese setzen sich aus linken Upperclass-Kids zusammen, die in den Soziologiestunden gerne ihre Lieblingsfeindbilder, die “Bullen”, denunzieren (und das, wie der Film ausdrücklich zeigt, zum Teil sogar mit Recht!) und mittels Foucault und Derrida die “Unterdrückung” durch die Institutionen bejammern.
Dieselben Studenten haben jedoch keinerlei Hemmungen, enge Kontakte mit gefährlichen Dealern zu pflegen, um ihre Partys mit Drogen zu versorgen. (Wie ging nochmal der Spruch? Ein Konservativer ist ein Liberaler, der überfallen wurde.) Es ist neben der Korruption der regulären Polizeieinheiten nicht zuletzt der wachsende Ekel vor diesem Milieu, der schließlich die Radikalisierung Andrés befördert und ihn in die Reihen der BOPE treibt.
Auf dieser Ebene ist der Film auch eine Warnung an die weltfremden Linksliberalen, die solange an den Institutionen sägen, bis ein umbarmherzigerer Griff als je zuvor notwendig ist, um auch sie vor den Konsequenzen ihrer Wühlarbeit beschützen. Tropa de Elite läßt den selbstgefälligen ideologischen Luxus einer Klasse, die keine Verantwortung übernehmen muß und will, wie unter einem Faustschlag zusammenbrechen und ergreift Partei für diejenigen, die zum Schutz der Gesellschaft ihre Haut hinhalten, oft unbedankt, angefeindet und verhöhnt.
Der Film ist dabei allerdings keineswegs als simples Lehrstück angelegt. Das Fazit muß jeder Zuschauer selbst für sich ziehen: Blickst du lange in den Abgrund, blickt der Abgrund auch in dich hinein.