Deutschland befindet sich aber nicht mehr in ruhigen Gewässern, sondern längst in schwerer See, selbst wenn das auf dem komfortablen Mittel- und dem luxuriösen Oberdeck kaum bemerkt wird. Man müßte dazu aufs Vorschiff und in den Maschinenraum. Oder in die Migrantenkajüten.
Wichtiger als Programme im Stile politisch eingängiger Begleitmusik sind Entscheidungen kraft errungener Macht. Mit Blick auf den Staat und die Demokratie der Berliner Republik heißt das:
Die AfD, an der Macht partizipierend oder diese da und dort in Bundesländern übernehmend, hätte in der Führung des Staatsschiffes nur Erfolg, wenn sie mit sogenannten Grundvereinbarungen bräche, den Staat umbaute und die prozeduralen Abläufe der Demokratie, mithin zuallererst das geltende Recht, veränderte.
Es ist keine nebensächliche Frage, ob man sich darüber freuen oder genau das nicht vielmehr fürchten sollte. Also: Kann man, darf man tatsächlich wollen, daß Staat und Berliner-Republik-Demokratie, wie man sie wohl oder übel seit Jahrzehnten kennt, entscheidend verändert werden? – Jedenfalls:
Bliebe die AfD bei der Zusicherung Alexander Gaulands, sie wolle eine andere Politik, aber eben keinen anderen Staat, wird sie es im Sinne ihrer Zielstellungen, der offen verkündeten wie der still intendierten, schwer haben, mindestens aber eine Zustimmung einbüßen, die ihr mittlerweile allzu selbstverständlich geworden ist.
Innerhalb einer Koalitionsregierung wäre sie gezwungen, Kompromisse einzugehen, die ihren eigentlichen Anliegen entgegenstünden; alleinregierend wäre sie an das höhere Bundes- und Europarecht gebunden, das so kurzfristig, wie sie es verändern möchte, nicht umzugestalten ist. Einerseits soll Recht aus gutem Grund ja beständig sein, andererseits ist der Gesetzgeber auf dem Feld der Migration bislang die Europäische Union.
Möglich, daß die AfD dennoch in der Migrationsfrage mit Effekt zu administrieren verstünde, mindestens symbolpolitisch, etwa mit manchem Pilotprojekt. Aber jenseits ihres Hauptthemas würde bald offensichtlich, daß sie zur Klärung der desaströsen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Lage ihrer eigenen Klientel erhebliche Einschränkungen zumuten müßte.
Wenn nämlich wirklich saniert werden soll, und ja, es muß saniert werden!, dann trifft es gerade jene, die gegenwärtig laut über Mißstände motzen, zuerst all die Maulhelden und Wutbürger, die sich dem Reproduktionsprozeß weitgehend in Richtung betreutes und alimentiertes Dasein entzogen haben.
Auch darin liegt übrigens eine Ähnlichkeit zum Wendeverlauf 1989/90: Sehr viele, die damals nach Wiedervereinigung riefen, protestierten bald so verzweifelt wie ergebnislos gegen die Treuhand und zogen sich später vergnatzt in ihre Holzmichel-Ostalgie zurück.
Der Verweis einer künftigen AfD-Regierung darauf, daß die tiefen Schäden ja nicht von ihr verursacht worden sind, wird ihr nicht lange helfen – schon gar nicht all den Simpeln gegenüber, die immer meinten, es wäre doch alles ganz einfach, wenn es nur endlich einen „Wechsel“ gäbe.
Daß Menschen meist finalistisch ausgerichtet sind und an ein beglückendes Endziel glauben wollen, das es weder historisch noch lebensbiographisch je gibt, ist ein tückisches anthropologisches Problem. Vorsicht mit Heilserwartungen; die werden immer enttäuscht. Vorsicht mit zu beseelter Hoffnung.
Wenn die AfD ihre Verheißungen wirksam umsetzen will, dann bräuchte es, ganz im Gegensatz zu der Versicherung Gaulands und seiner Nachsprecher, eben wohl doch einen anderen Staat. Aber nochmals:
Will man sich das, eindringlich gefragt, tatsächlich wünschen? Bräche das nicht wesentlich mit Odo Marquards Plädoyer für das Unvollkommene, für das nun mal die Demokratie der politische Ausdruck wäre, während eine Diktatur und tendenziell auch die „illiberale Demokratie“ allzu rigorose und dann zementierte Veränderungen vornähme, die nur schwer zu revidieren wären?
Die Mitte-Studie, herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung, ergab gerade, daß sieben Prozent der Deutschen der Aussage zustimmen, im nationalen Interesse wäre unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform.
Acht Prozent bestätigten den Satz: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regiert.“ Das ist auffällig: Eine Diktatur hat in Deutschland unter sechzig Millionen Wahlberechtigten also fünf Millionen Unterstützer. Das sind eine Menge.
In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 2. November analysierte Justus Bender:
Man weiß, wer diese Leute sind. Oder genauer: unter welchen Bevölkerungsgruppen die Zustimmung am höchsten ist. Einen Diktator wünschen sich besonders einkommensschwache ostdeutsche Arbeiter, die AfD wählen. Unter AfD-Wählern befürworten 17 Prozent eine Diktatur. So viele stimmten laut der Mitte-Studie den folgenden Aussagen zu: daß eine Diktatur manchmal besser ist; daß Deutschland eine Einparteienherrschaft guttun würde und ein Führer, der mit starker Hand regiert, auch. Das bedeutet nicht, daß es unter westdeutschen wohlhabenden Akademikern, die Grüne wählen, solche Strömungen gar nicht gibt, aber sie sind dort viel seltener.
Man bedenke: Siebzehn Prozent der AfD-Wähler stehen also nicht nur einer Hauptaussage des AfD-Wahlprogramms entgegen, sondern ebenso Gaulands Maxime, zwar eine andere Politik zu wollen, nicht aber einen anderen Staat. Diese siebzehn Prozent wollen genau das.
Nun wird die AfD nicht in der Lage sein, in Deutschland eine Diktatur zu errichten, die Mehrzahl der Parteigänger wollen das offenbar ja nicht, aber: Eingebunden in demokratische und rechtliche Regularien, die wir alle bislang für selbstverständlich halten, wird die AfD ihre Zielstellungen nicht nur nicht verwirklichen können, schon gar nicht kurzfristig, sie wird sich daran eher so verschleißen, daß sie im Ergebnis ihres Regierens nicht mehr auf so starke Umfragewerte hoffen darf wie vor dem Regieren, als sie ihre Kritik den Regierungen nur lautstark zurief.
Fußballspiele lehren: Vom Spielfeldrand aus ist leicht Rufen. Mit Alfred Preißler: „Wichtig is auf’m Platz.“ Nur: Auf‘m Platz gibt es bislang Spielregeln, vor allem solche, die Regierungshandeln rechtlich und legislativ einschränken und nicht alles ermöglichen, was vielleicht wünschenswert wäre, weil selbst das Konsequenzen nach sich zöge, die nicht immer absehbar und bisweilen sogar gemeingefährlich sind. Wahlwerbung mag ganz nett über TikTok laufen, das Regieren selbst weniger.
Überhaupt übernähme die AfD alles andere als eine Leistungsgesellschaft. Die mag es in Wirtschaftswunderjahren wohl gegeben haben, aber schon seit den Siebzigern ist das im sozialdemokratisch durchgrundierten Land vorbei.
Peter Graf Kielmansegg in der FAZ vom 10. November 2025 dazu:
Umfragen machen in großer Dichte und Eindeutigkeit sichtbar, daß der überwiegende Teil der Bürger der Politik mit einer erschreckenden Inkonsequenz des Denkens begegnet. Sie erwarten von der Politik grundlegende Reformen, lehnen aber Eingriffe in ihre Besitzstände entschieden ab, ohne die es doch keine Reform geben kann. Sie sind beunruhigt, weil sie die wachsende Schwäche im internationalen Wettbewerb wahrnehmen, aber sie verweigern sich dem, was den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken könnte, sobald es zu ihren Lasten geht.
Damit ringt die Merz-Regierung, damit ränge um so mehr eine AfD-Wenderegierung. Sehr viele sind mittlerweile daran gewöhnt, „Bedarfe“ anzumelden, anstatt Leistung zu zeigen und auch mal Einschränkungen hinzunehmen. Überhaupt dürfte ein großer Teil der AfD-Wählerschaft gar nicht zu den ausgewiesenen Leistungsträgern gehören.
Fraglos gibt es intellektuelles Potential, aber wie steht es mit persönlicher Haltung, ethischer Integrität und moralischer Glaubwürdigkeit? Wie steht es mit den vielbeschworenen konservativen Werten, wenn man die endlich auf sich selbst bezieht?
Wollte man Gaulands Maßgabe folgen, wäre zuallererst genau das die notwendige Bedingung, um sich innerhalb der Demokratie vorbildlich zu bewähren, gerade im positiven Kontrast zu derzeitigen Regierungen. Darf man dessen sicher sein? Wird sich die AfD integrer als die anderen präsentieren, gar weitgehend frei von machiavellistischen Ränken?
Eine Diktatur setzte – wohl oder übel, meist jedoch übel – ihre eigenen Maßstäbe; sie stellte die große Vereinfachung, aber damit gleichfalls das höchste Risiko dar. In einer Demokratie mit umfassender Rechtsgrundlage aber muß man sich ans allgemein Vereinbarte halten. Man kann dann vieles wünschen und in Meinungsfreiheit vertreten, aber eher wenig umsetzen. Und schon gar nicht mit revolutionärem Tempo.
Selbst wenn die AfD irgendwo regiert, ist damit noch kein einziges Problem gelöst. Auch in Jahresfrist noch nicht.
Übernähme sie exekutiv Entscheidungsgewalt, wird ihr die Beamtenschaft und werden ihr die wichtigen Technokraten mit Sachverstand und Kompetenz nur engagiert folgen, wenn der ihnen vorgesetzte AfD-Minister Format hat, möglichst von einer charakterlichen Klasse, die sich von seinen Vorgängern unterscheidet.
Verfügt die AfD in hinreichender Zahl und Qualität über diese Leute? Bisher suggeriert sie sich das, ein Nachweis steht aber aus. Ob Regierungsgewalt dann mit Regierungsverantwortung einhergeht, ist eine sehr wichtige Frage …
Kurz: Demokratische Machtübernahme wäre ja – zum Glück – keine diktatorische Machtergreifung. Ein Wahlerfolg belastet schon am Tag nach der Wahlparty mit Verantwortung. Ja, die Wähler wollen Erfolge sehen, und sie wollen diese, bereits lange in Wünschen verharrend, allzu schnell, nähmen also zwar neuerlich pöbelnd die Regierenden in die Pflicht, bezögen Pflicht aber ungern auf sich selbst.
Gut, bisher ist die AfD in der Offensive. Die Begründung von Jürgen Kaube (FAZ, 04. 11. 25) erscheint sachlich nachvollziehbar:
Die AfD (…) kann sich als Utopie von rechts etablieren. Je gegensätzlicher die Absichten in Koalitionen sind, desto mehr erscheinen sie nur durch die Klammer der AfD-Gegnerschaft zusammengehalten, was wiederum die Behauptung stützt, wir hätten es mit einem Unterschied zwischen ‚Systemparteien‘ und der einzigen großen Alternative zu tun. (…) Die AfD versammelt Wünsche von rechts, es lasse sich mit einem Schlag alles ändern, nicht unähnlich der Linken, die fast alle Finanzierungsprobleme des Wohlfahrtsstaates durch Vermögens- und Erbschaftsteuern sowie umfassende Verstaatlichungen (sogar der Bahn, die komplett in Staatsbesitz ist) zu lösen verspricht. (…) Dieses Herumreiten auf Prinzipien – Brandmauer, Unvereinbarkeitsbeschluss etc. – kommt sich hierzulande besonders geschichtsbewusst vor. Dass die Vergangenheit nicht durch die Behauptung wiedergutgemacht werden kann, sie sei gar nicht vergangen, weswegen man sie heute noch bekämpfen könne und müsse, bleibt außer Acht. Am Ende sind alle ihren Prinzipien treu geblieben, aber die Republik ist ruiniert.
Es sind mittlerweile eine Menge Mandatsträger der AfD in den Parlamentssesseln angekommen, an denen eine kritische Betrachtung ihre Regierungsreife und ‑fähigkeit prüfen kann.
Laurenz
Diesmal, HB, begeben Sie Sich auf ein Feld, auf Sie nur bedingt persönlich wahrnehmen können. Sofort sinkt der Grad Ihrer sonst gewohnten Plausibilität. EU-Recht interessiert keine Sau, außer man will das EU-Recht durchsetzen. Suchen Sie in Ihrer Suchmaschine nach Mülltrennung in Griechenland. Auch Schulden machen über 3% des BIPs/GDPs zieht nicht wirklich Konsequenzen nach sich. So, kann man auch sofort EU-Recht auch faktisch außer Kraft setzen oder man hält sich einfach nicht dran & setzt auch Urteile des EUGHs einfach nicht um, &? Man stellt einfach die Zahlungen an Brüssel ein, wenn Beschwerden kommen, dann kommt es sofort zum sogenannten EU-Shutdown, der nie mehr aufgehoben wird, wenn man das will. Die völkischen Beschwerdeführer unter den AfD-Wählern bilden doch die billigste informelle NGO überhaupt. Deren Alimentierung bezahlt man einfach damit, daß man unserer DOGE, dem Bundesrechnungshof Kompetenzen zuweist. Man schafft alle linken NGOs ab durch Einstellung der Finanzierung, löst Ämter auf, wie das Jobcenter (115k nutzlose Gehaltsempfänger), Mirgantengeld spart hier horrende Summen zum Ist-Zustand. & schon haben Sie einen anderen Staat ohne einen anderen Staat.