Es brodelt

Ich sprach neulich mit einer sehr sympathischen Akademikerin, einer in ihrem Gebiet äußerst kompetenten Frau in deren Arbeitszimmer. Sie: fachlich auf den Punkt, ich als zufriedene Kundin, Klientin, wie auch immer. Als sie mich in der Tür verabschiedete, sagte sie zu ihrem Sekretär: „Sie können die nächste hereinrufen.“

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

„Die Nächs­te“, viel­leicht fünf Meter ent­fernt sit­zend, stand dann gleich, noch bevor der Sekre­tär rief, parat und sag­te fröhlich-jovial:

Hab schon gehört, daß die Nächs­te hereindarf!

Die sym­pa­thi­sche Fach­frau sag­te sprö­de „gleich“ und schloß die Tür vor der Nase der Nächsten:

 Sehen Sie, Frau Kositza. Die Frech­heit der Leu­te heu­te kennt kei­ne Gren­zen. Ich glau­be, da ver­ste­hen Sie mich genau.

Was ich sofort ver­stand: Frau. Dünn­häu­tig. Popu­lä­res Phä­no­men, seit ich den­ken kann. Oft war dabei ich die Nächs­te. Die, die anstieß. „Die Nächs­te“ hier in die­sem Fall hat­te es doch erkenn­bar nicht bös gemeint!

Ich wur­de dann mit einer kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Rede über­schüt­tet. Wie alles ein­fach den Bach run­ter­gin­ge! Man mer­ke es doch an allen Ecken und Enden! Über­all nur Unver­schämt­heit! Sie erzähl­te ein hal­bes Dut­zend Bei­spie­le („die da drau­ßen kann ruhig war­ten!“). Die Hälf­te davon war schla­gend, die ande­re Hälf­te nicht; die ver­wies nur auf ihre eige­ne Über­emp­find­lich­keit. Erwart­bar ende­te der Ser­mon damit, daß man heu­te „nur blau“ wäh­len könne.

Ich glau­be, ich habe dort ein ech­tes „Outing“ erlebt. Zuhau­se habe ich 77 Goog­le-Bewer­tun­gen die­ser Fach­frau durch­ge­stö­bert, vier­ein­halb von 5 Punk­ten, kein Hin­weis auf „rechts“.

Ich habe län­ger über die­se Begeg­nung nach­ge­dacht, es hat mich auch ein wenig zer­ris­sen: Jemand steht also wort­wört­lich mit bei­den Bei­nen auf den Boden. Drei wohl­ge­ra­te­ne Kin­der, beruf­lich top auf­ge­stellt, und den­noch bro­delt es der­ma­ßen. Es gibt da eine Unzu­frie­den­heit, die man weder benen­nen noch bezif­fern kann.

Frau Kositza, für die da oben sind wir doch der letz­te Arsch.

Da ging es um die Besteue­rung der Gut­ver­die­nen­den, die aber weit ent­fernt davon sind, über ein Mil­lio­närs­gut­ha­ben zu verfügen.

Ich ste­he jeden Mor­gen um sie­ben auf und bin bis sieb­zehn Uhr auf den Bei­nen. Mit­tags­pau­se habe ich fast nie, weil mein Seni­or­chef so ein wei­tes Herz hat. Er winkt dann Leu­te durch, die weder einen Ter­min haben noch zah­len kön­nen.  Und knapp die Hälf­te mei­nes Ver­diens­tes geht dann an… na, Sie wis­sen es doch genau.

Main­stream-Exper­ten sagen häu­fig, der Rechts­ruck resul­tie­re aus einem dif­fu­sen Unwohl­sein. Das schmeckt uns (Rech­ten) nicht, weil es ja durch­aus ein kon­kre­tes, über­aus begrün­de­tes Miß­be­ha­gen gibt.

Es ist wohl so, daß das „dif­fu­se“ Unwohl­sein Was­ser zusätz­lich auf unse­re Müh­len treibt. „Let it flow“? Laßt alle Unzu­frie­de­nen, Zukurz­ge­kom­me­nen, Getrig­ger­tern zu uns kommen?

Von Orts­bü­ros der Par­tei weiß ich, daß dies ein erheb­li­ches Pro­blem ist. Die Leu­te kom­men mit ihrem oft büro­kra­ti­schen Klein­kram (im Ver­zug mit Hun­de­steu­er, „dabei ist er mir zuge­lau­fen“; Nach­bar­schafts­streit; Belei­di­gungs­kla­ge wur­de abge­wie­sen etc.pp) und sind vol­ler Hoff­nung, daß „einer von der Par­tei mal ordent­lich auf den Tisch haut“ und sich für das jewei­li­ge Anlie­gen in die Bre­sche schlägt.

Das ist Klein­kram und Hin­ter­grund­rau­schen, das schafft es nicht in die gro­ße Pres­se. Das (und das dürf­te für alle Par­tei­en gel­ten) ist die Kärr­ner­ar­beit, von der man wenig hört.

Mei­ne Fach­frau nun, und das dürf­te nicht unüb­lich sein, hat in ihrer offen­her­zi­gen Beschwer­de Klein­kram und Groß­kram mit­ein­an­der ver­wischt. Von unhöf­li­chen Mit­bür­gern ging es zu dreis­ten Ukrai­nern, von prä­po­ten­ten Kli­en­ten zum abson­der­li­chen Zugriff der Steu­er­be­hör­de, von der Hun­de­schei­ße auf dem Geh­weg zum Qua­li­täts­ver­lust der Lokal­pres­se. Aus­ge­rech­net ich fun­gier­te dabei als Beichtmutter.

Aber wis­sen Sie was: Ich hab ein Herz für Kul­tur­pes­si­mis­tin­nen. Ich kann das bloß nicht immer so aus­drü­cken. Mag sein, daß die Fach­frau her­nach ihrem Seni­or­chef sagte:

Die Frau Kositza ist schon biß­chen arrogant.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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