Rathenau und Schwaner

pdf der Druckfassung aus Sezession 31 / August 2009

von Karlheinz Weißmann

Den Namen Wilhelm Schwaner kennen heute nur noch ein paar Spezialisten, aber im wilhelminischen Deutschland war er eine Größe, und auch in der Zeit danach nahm er mit seinem »Bund deutscher Volkserzieher« Einfluß auf Kreise der Lebensreform, der Jugend- und der Völkischen Bewegung. Die Welt, aus der er kam und die ihn prägte, mit den Schriften Paul de Lagardes, dem Wagner-Kreis – Nietzsche spielte bezeichnenderweise kaum eine Rolle – und den Ideen des »Gottsuchers« Moritz von Egidy, ist versunken, wirkt bizarr oder skurril mit ihrem Streben nach dem politischen Gesamtkunstwerk, dem Bemühen, etwas vom Deutsch-Hellenentum, dem Protestantismus, der Innerlichkeit, der Romantik zu retten angesichts der Moderne, die das alles verzehren und die »Mechanisierung« zur Herrschaft bringen würde. Der Begriff »Mechanisierung« war zentral für das Denken Walther Rathenaus, dessen Name anders als der Schwaners heute noch geläufig ist und von dem die meisten das Entscheidende zu wissen glauben, wenn sie wissen, daß er als Außenminister der Weimarer Republik von Rechtsradikalen ermordet wurde. Rathenau war allerdings eine facettenreiche Persönlichkeit, Industrieller, Politiker, Schriftsteller und nach eigener Meinung eine Künstlerseele. Er kämpfte nicht nur mit dem Antisemitismus, sondern rang auch mit seiner jüdischen Herkunft, neigte im Grunde zu zivilisationspessimistischen Auffassungen, überredete sich aber zu der Meinung, daß die Gegenwart nur andere, aber nicht zwingend schlechtere Möglichkeiten als die Vergangenheit biete.

Die Ansicht, daß das »Reich des Geis­tes« erst kom­me, die Rathen­au in sei­ner Schrift Zur Kri­tik der Zeit ent­wi­ckel­te, hat den Völ­ki­schen Schwa­ner in Bann geschla­gen und nicht nur dazu bewo­gen, in Kon­takt mit dem Juden Rathen­au zu tre­ten, son­dern ihm auch sei­ne Freund­schaft anzu­tra­gen. Schwa­ner gehör­te tat­säch­lich zu der Hand­voll Duz­freun­den, die Rathen­au hat­te, und zwi­schen 1913 und dem Tod Rathen­aus, 1922, ent­wi­ckel­te sich eine Kor­re­spon­denz, die jetzt zum ers­ten Mal voll­stän­dig der Öffent­lich­keit vor­ge­legt wird (Wil­helm Schwa­ner – Walt­her Rathen­au. Eine Freund­schaft im Wider­spruch. Der Brief­wech­sel 1913–1922, hrsg. von Gre­gor Hufen­reu­ther und Chris­toph Knüp­pel, Neue Bei­trä­ge zur Geis­tes­ge­schich­te, Bd 10, Ber­lin: Ver­lag für Ber­lin-Bran­den­burg 2008. 305 S., geb, SW-Abb., 29.95 €). Die bei­den Her­aus­ge­ber, Gre­gor Hufen­reu­ther und Chris­toph Knüp­pel, haben den Band mit einer umfang­rei­chen Ein­lei­tung ver­se­hen, der Schwa­ners Lebens­lauf dar­stellt. Im Grun­de han­delt es sich um den ers­ten bio­gra­phi­schen Über­blick zu sei­ner Per­son, der wis­sen­schaft­li­chen Kri­te­ri­en genügt, und die Rekon­struk­ti­on ent­hüllt eine Rei­he über­ra­schen­der Details. Die zei­gen vor allem, daß die Kate­go­rie der Ras­se für Schwa­ner eine uner­war­tet gerin­ge Rol­le spiel­te. Genau­er müß­te man sagen, daß sei­ne Vor­stel­lung von Ras­se immer zwi­schen Bio­lo­gi­sie­rung und Spi­ri­tua­li­sie­rung schwank­te und letzt­lich die Spi­ri­tua­li­sie­rung den Aus­schlag gab. Dabei spiel­te die Begeg­nung mit Rathen­au eine ent­schei­den­de Rol­le, der selbst län­ge­re Zeit mit den Ideen Gobi­ne­aus sym­pa­thi­siert, sich dann aber von einer »mate­ria­lis­ti­schen « Auf­fas­sung des Ras­si­schen los­ge­sagt hat­te und gegen­über Schwa­ner mit Erfolg dar­auf beharr­te, nicht nur eine Aus­nah­me­erschei­nung des jüdi­schen Typus – der »Edel­ju­de« – zu sein. Schwa­ner deu­te­te jeden­falls die sonst in der Völ­ki­schen Bewe­gung ver­brei­te­te Angst vor der jüdi­schen Über­le­gen­heit posi­tiv um – »ohne Furcht vor Blond und Dun­kel« – und über­nahm letzt­lich Rathen­aus Ein­schät­zung, daß in der Moder­ne Ras­sen­ge­gen­sät­ze immer wei­ter an Bedeu­tung ver­lö­ren, wäh­rend die Schich­ten­ge­gen­sät­ze an Gewicht gewönnen.

Es kam bei Schwa­ner außer­dem zur Gel­tung, daß die Völ­ki­sche Bewe­gung ursprüng­lich stär­ker reli­gi­ös-kul­tu­rell inter­es­siert gewe­sen war, auf Sta­bi­li­sie­rung oder Ret­tung der kol­lek­ti­ven Iden­ti­tät aus­ge­hend, wozu der Rück­griff auf die Kate­go­rie der Ras­se so wenig zwin­gend war wie der Anti­se­mi­tis­mus. Näher lag das Bemü­hen um Klä­rung der Glau­bens­fra­ge, vor allem im Hin­blick dar­auf, ob Deutsch­tum und Chris­ten­tum als Ergän­zun­gen oder Gegen­sät­ze zu betrach­ten sei­en. Auch hier neig­te Schwa­ner zu der älte­ren Posi­ti­on, daß bei­de Ele­men­te zusam­men­ge­hör­ten, wäh­rend die Gesamt­be­we­gung je län­ger je mehr zur Behaup­tung der Unver­ein­bar­keit über­ging. Das erklärt hin­rei­chend, war­um Schwa­ner nicht nur mit sei­ner Kri­tik des Juden­has­ses, die er nach der Begeg­nung mit Rathen­au ent­wi­ckel­te, son­dern auch durch sei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Neu­hei­den­tum (er sag­te sich von der Ger­ma­ni­schen Glau­bens-Gemein­schaft, die er mit­be­grün­det hat­te, fast im Augen­blick ihrer Ent­ste­hung wie­der los) immer wei­ter an den Rand der völ­ki­schen Posi­ti­on geriet. Es war jeden­falls nicht die poli­ti­sche Affi­ni­tät zwi­schen ihm und Rathen­au, die den Aus­schlag für die­sen Ent­frem­dungs­pro­zeß gab. Denn Schwa­ners Sym­pa­thie für den Frei­sinn oder die Natio­nal­so­zia­len Fried­rich Nau­manns im wil­hel­mi­ni­schen Deutsch­land ent­sprach in vie­lem den poli­ti­schen Prä­fe­ren­zen der Völ­ki­schen, und Rathen­aus »Libe­ra­lis­mus « war so eigen­wil­lig, daß er sowie­so in kein Sche­ma paßte.
Die Situa­ti­on änder­te sich natur­ge­mäß in Krieg und Nach­krieg, als Schwa­ner mehr­fach öffent­lich erklär­te, daß er in Rathen­au den beru­fe­nen Ret­ter Deutsch­lands sehe, wäh­rend sich in völ­ki­schen Krei­sen eine immer stär­ke­re Het­ze gegen ihn breit­mach­te. Schwa­ner hat – ähn­lich wie ande­re und ähn­lich ver­geb­lich – den Freund zu war­nen ver­sucht und tief erschüt­tert auf des­sen Ermor­dung reagiert. In den zwan­zi­ger Jah­ren mach­te er Rathen­au dann zum Zen­trum einer Hel­den­ver­eh­rung mit bei­na­he mes­sia­ni­schen Zügen, was ihn natur­ge­mäß in schar­fen Gegen­satz zum Natio­nal­so­zia­lis­mus brin­gen mußte.
Mensch­lich unan­ge­nehm berührt des­halb der Anpas­sungs­kurs, den Schwa­ner nach 1933 ver­folg­te. Es gelang ihm zwar nicht, sei­ne Freund­schaft mit Rathen­au, sei­ne Abkehr vom Ras­sen­ge­dan­ken und eine kurz­fris­ti­ge Par­tei­nah­me für den Pazi­fis­mus ver­ges­sen zu machen, ein Auf­nah­me­an­trag für die NSDAP wur­de abge­lehnt und sein Aus­schluß aus der Reichs­schrift­tums­kam­mer nicht rück­gän­gig gemacht, aber er hat­te doch ein­fluß­rei­che Gön­ner wie den Gau­lei­ter Wil­helm Kube, deren Pro­tek­ti­on er nutz­te. Der Kir­chen­minis­ter Hanns Kerrl ver­faß­te für die letz­te Auf­la­ge sei­ner Ger­ma­nen­bi­bel sogar ein Vor­wort, Hit­ler gra­tu­lier­te Schwa­ner zum 75. Geburts­tag und Goeb­bels setz­te ihm schließ­lich eine Ren­te aus. Auf Rathen­au durf­te Schwa­ner bis zu sei­nem Tod 1944 selbst­ver­ständ­lich nicht mehr zu spre­chen kommen.
Es wer­den die­se Vor­gän­ge von Hufen­reu­ther und Knüp­pel zwar refe­riert, aber kaum kom­men­tiert, was dem Sach­ver­halt sowe­nig ange­mes­sen ist, wie eine letz­te Unent­schie­den­heit in der Inter­pre­ta­ti­on des Ver­hält­nis­ses von Schwa­ner und Rathen­au. Man kann die Vor­be­hal­te gegen­über psy­cho­lo­gi­sie­ren­den Deu­tun­gen ver­ständ­lich fin­den, wird aber zuletzt doch sagen müs­sen, daß jene Ein­schät­zung sehr viel für sich hat, die Rathen­aus Motiv­la­ge wenn nicht in ero­ti­scher Attrak­ti­on und nicht in jüdi­schem Selbst­haß, dann doch in jüdi­schem Selbst­zwei­fel begrün­det sieht, der sich bis zu einem gewis­sen Grad kom­pen­sie­ren ließ durch die Bezie­hung zu »ari­schen« Wort­füh­rern (neben Schwa­ner wäre noch Her­mann Bur­te zu nen­nen, aller­dings nicht Gus­tav Frens­sen, wie die Her­aus­ge­ber mei­nen, der mit sei­nem Früh­werk kaum den Völ­ki­schen zuzu­rech­nen ist), die nicht nur Rathen­aus Per­sön­lich­keit in Bann schlug, son­dern die er auch auf­grund sei­ner intel­lek­tu­el­len Über­le­gen­heit zu kon­trol­lie­ren vermochte.

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