wir den Zweiten Weltkrieg gewollt, begonnen und zu einem Flächenbrand ausgeweitet haben. Zwar wird diese eindimensionale Geschichtserzählung von Historikern wie Stefan Scheil, Gerd Schultze-Rhonhof, Ernst Nolte, Karlheinz Weißmann und anderen kapitelweise korrigiert oder ganz umgeschrieben, aber bevor sich so etwas in die Schulbücher und weiter in das kollektive Selbstverständnis senken könnte, müßten Denk- und Mediennetzwerke entmachtet und durch andere ersetzt werden.
Der antideutsche lange Marsch durch die Institutionen ist auch dadurch an sein Ziel gekommen, daß Weißmann und Scheil eben nicht in Publikumsverlagen, sondern Schnellrodaer Bastelstuben erscheinen. An weit prominenterer Stelle konnte nun der amerikanische Romancier Nicholson Baker seinen Menschenrauch in Deutschland plazieren. Rowohlt druckte die Übersetzung von Human Smoke, das eine Zusammenstellung von Artikeln, Zitaten, Anekdoten und amtlichen Dokumenten ist und formal an Walter Kempowskis Echolot erinnert. Im Leser bewirkt die Lektüre dieser Schnipsel nichts weniger als die Auflösung des hergebrachten Schwarzweißbildes von der Vorgeschichte des 2. Weltkriegs: Churchill und Roosevelt trieben den Krieg voran. Und zwar nicht erst, als er ausgebrochen war, sondern bereits bevor der erste Schuß fiel. Etliche Passagen verweisen auf die Verweigerungshaltung Englands und der USA den um Visa bettelnden Juden gegenüber. Hätte die »Endlösung der Judenfrage« auch das Gesicht einer unerbittlichen, aber keinesfalls massenhaft tödlichen Vertreibung haben können? Man muß unvoreingenommen lesen. Und Baker ist wahrlich kein Autor, dem man vorverurteilend entgegenträte. Er ist Pazifist und Gründer des »American Newspaper Repository «, das Zeitungen des 19. und 20. Jahrhunderts sammelt. Material aus diesem Archiv hat er nun also absichtsvoll eingesetzt, um auf einen Punkt zu gelangen, der jenseits der Kriegsschuldfrage liegt: Das ist der Mensch, und es ist nur zufällig der deutsche Mensch, der als Verlierer des Kriegs paradigmatisch als »Abgrund« für alle anderen freigelegt und hergezeigt wird – zur Lehre? Nein, eher zur Vertuschung des englischen oder amerikanischen Abgrunds, wie Bakers Schnipsel zeigen. Das ist doch auch Scheils Ansatz, nicht? Vielleicht auch er demnächst bei Rowohlt?
(Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete übersetzt von Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld, Reinbek: Rowohlt 2009. 638 S., 24.90 €)
Wer das Kapitel »D‑Day« aus der Lebenserzählung von Rudolf Kreis gelesen hat, begreift, warum dieser Mann sein Entkommen als Auftrag für eine breit angelegte Selbstprüfung ansah. Er landete in der SS-Division »Hitlerjugend«, fand sich als 17jähriger in den Tagen von Caen der materiellen Überlegenheit der alliierten Landungstruppen ausgesetzt, tötete, sah Gleichaltrige krepieren und überlebte das Gefangenenlager bei Bad Kreuznach. Am 8. Juli ’45 wurde er entlassen. Was danach kommt, ist aus der Sicht des heute 83jährigen völlig unspektakulär, ist Epilog. Ich wechselte mit Kreis einige Briefe. Im vorläufig letzten schreibt er: »Es war aber die im tiefsten ergreifende Seinserfahrung unserer Generation, daß wir Menschen alle, in bestimmte Situationen gebracht, zu jedem Verbrechen fähig sind.« Aus dieser Erfahrung heraus will er also seinen Beitrag zu einer sachgerechten Geschichtsschreibung leisten, »die nicht länger rechtet und richtet, die ohne das Geländer des Systemdenkens auskommt, die keine politische Dienstleistung erbringt und deren Medium das Erzählen zu sein hat.« Es greift also zum falschen Buch, wer erwartet, daß Kreis irgendwie über Herkunft, Kindheit, Jugend huscht, um das Leben erst mit der Rekrutierung und dem ersten »Schliff« beginnen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Goethes Dichtung und Wahrheit stehen Pate. Kreis erzählt gut und episch und unverblümt, Rhein und Mosel sind die Schauplätze, und für Kenner des konservativen Personals dürfte das Kapitel über »Dr. Feuerwasser« ein Anknüpfungspunkt sein: So nannten die Schüler ihren Lehrer Gerhard Nebel, der dann nach dem Krieg neben Armin Mohler einer der wichtigen Fürsprecher Ernst Jüngers wurde. Kreis zeigt also an seinem eigenen Beispiel, wie multikausal und unlogisch der Lebensweg aus dem Jahrgang 1926 in eine der großen Knochenmühlen des Kriegs führen konnte. Seine Beschreibungen sind dabei weniger artifiziell als etwa die Martin Walsers, der in Ein springender Brunnen seine Kindheit und Jugend in Wasserburg am Bodensee in einem literarischen Ich verarbeitete und dort aufhört, wo für ihn als junger Soldat (Jg. 1927) der Krieg vorbei ist. Kreis scheut das zu sehr Gedichtete, es würde die sachgerechte Geschichtserzählung doch stören. Angesichts dieser Überzeugung ist es konsequent, daß Kreis das Gespräch mit Ernst Nolte, dem systematischen Geschichtsdenker, sucht: Ein Abschnitt des letzten Kapitels zeugt davon. Es ist eine schöne Wendung, daß zum Frühjahrsprogramm des Landtverlags neben Kreis auch das neue Buch von Nolte gehört.
(Rudolf Kreis: Die Toten sind immer die anderen. Eine Jugend zwischen den
Kriegen, Berlin: Landtverlag 2009. 560 S., 39.90 €)