Um die Bedeutung von Willms Schrift richtig einzuordnen, muß man auf die Zeitumstände am Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre Bezug nehmen. Bezeichnende Vorgänge waren die Auseinandersetzung um Die Geschichte der Deutschen des konservativen Historikers Hellmut Diwald, die Debatte über die Ausstrahlung der US-Fernsehserie Holocaust, die Konflikte, die sich am Besuch von US-Präsident Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg und der Rede von Bundespräsident Weizsäcker am 8. Mai 1985 entzündeten, schließlich der Historikerstreit. Gleichzeitig gab es eine breite Diskussion um die von dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) propagierte »geistig-moralische Wende«; eine »Wende«, die nicht nur ausblieb, sondern noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar wurde. Eine Reaktion auf diese Entwicklungen war die Gründung des (kurzlebigen) »Deutschlandrates« im Dezember 1983, in dessen Gründungserklärung es hieß: »Wir wollen wieder eine normale Nation sein. Dazu gehört die Entkriminalisierung unserer Geschichte.« Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderem Hans-Joachim Arndt, Hellmut Diwald, Robert Hepp, Armin Mohler und eben Bernard Willms. Willms hatte in bezug auf diese »Entkriminalisierung« klare Vorstellungen: »Die Deutschen müssen die ›Vergangenheitsbewältigung‹ zu einer Sache der Wissenschaft neutralisieren. Wer Schuld predigt oder die Wunde Hitler offenhält, kämpft nicht um, sondern gegen die Identität.«
Ganz im Sinne dieser Einlassung hatte Willms gleich in der Vorbemerkung seines Buches erklärt, »daß für die Deutschen nichts so notwendig ist wie ein neuer Nationalismus«. Dafür versuchte er, die geistigen Grundlagen zu definieren beziehungsweise die »Wirklichkeit der Deutschen« neu zu bestimmen: »Die Grundlage politischer Realität ist die Wirklichkeit der Deutschen als Deutsche, ist das Bewußtsein ihrer Lage als Nation.« Nachdenken über die Nation stoße unausweichlich auf zwei Befunde, nämlich »auf den Bereich der historischen Identität oder den Komplex ›Vergangenheitsbewältigung‹ und auf den der zukünftigen Identität oder das Problem der Wiederherstellung der Nation«. Eine angemessene geistige Durchdringung dieses Befundes mußte aus der Sicht von Willms das hinter sich lassen, was er als »Ebene der Meinungen, der Gesinnungen, des Bestreitbaren« bezeichnet, nämlich »Freiheit, Grundwerte, Demokratie«. Es müsse zur »Wirklichkeit der Lage«, zur »nationalen Wirklichkeit« vorgestoßen werden. Für Willms kam dieser Bemühung deshalb entscheidende Bedeutung zu, weil nur so Orientierung möglich werde: »… es muß begriffen werden, was wirklich ist, dann weiß man auch, worauf es ankommt«. Wer etwas zu begreifen versuche, steht vor der »Notwendigkeit gründlicheren Denkens«. Die Basis dafür eröffnete aus der Sicht von Willms die Philosophie, genauer gesagt der deutsche Idealismus, auf den die Deutschen verwiesen seien. Als »Kern des Idealismus« hat Willms die »Wiederholung von Hobbes’ Einsicht von der harten Unentrinnbarkeit der Freiheit und ihrer gewaltsamen Verwirklichung« bestimmt. Freiheit sei im Staat nur »wirklich« als »Wirklichkeit der sittlichen Idee, d. h. der Freiheit«. Oder anders gewendet: »Die Wirklichkeit der Freiheit ist Staat und Politik.« Freiheit sei durch Ordnung zu bestimmen. Diese Ordnung als jeweils konkrete seien »wir«, dies sei »unsere Freiheit«; dies sei die »Idee der Nation«. Menschliche Existenz ist mithin politische Existenz. Die Arbeit an der Verwirklichung der menschlichen Existenz nannte Willms Politik. Als Subjekt der politischen Arbeit bestimmte er den Staat: »Der Begriff des Staates ist das Merkmal, an dem reelle Philosophie zu erkennen ist. Jedes Denken, das sich dieser Notwendigkeit nicht stellt, bleibt politisch defizitär.«
Dieser Befund führt in einem nächsten Schritt zur Verhältnisbestimmung von Staat und Nation: Der Staat verhalte sich zur Nation »wie der Entwurf zur Ausführung«. Staat als Nation im Sinne politischen Selbstbewußtseins habe eine bestimmte Geschichte und ein bestimmtes Territorium. Wer das Verhältnis zur Geschichte verliere, müsse notwendig ein wirklichkeitsgerechtes Verhältnis zur Gegenwart verlieren. Die Konkretion der Nation für sich oder nach innen war aus der Sicht von Willms ausweislich die Konkretion gegen andere oder nach außen. Die Idee der Nation ist das Ganze eines als Staat organisierten Volkes. Die Idee ordne auch das Denken, »indem sie es nationalisiert, sie verleiht Sinn«. Wenn der letzte Maßstab der Nation die Idee sei, dann müsse eine Politik, wenn sie mit nationalem Anspruch auftrete, danach beurteilt werden, wieweit sie »der Nation« als solcher nütze oder schade: Diese Nation als solche aber sei als Idee »die Identität des Besonderen und des Allgemeinen und das Bewußtsein« davon.
In einem nächsten Schritt problematisierte Willms die Wertpositionen, die er als »potentielle Bürgerkriegspositionen« kennzeichnete. Wertüberzeugungen seien lediglich ein anderer Ausdruck für Gesinnungen, gehe man auf sie zurück, dann komme es in der Tat nur darauf an, die »richtige« Gesinnung zu haben. Die Nation indes sei kein »Wert«, für den man sich beliebig entscheiden könne: »… Nation ist ein objektiver, nicht hintergehbarer Befund, mit einem alten Ausdruck: ein Schicksal.« Alles, was unter Demokratie zu verstehen sei, müsse auf die Selbstbehauptungsräson der Nation bezogen werden. Der westliche Liberalismus fördere die nationale Selbstbehauptung der Deutschen nicht: »Die denkhemmenden … Versuche, den Westdeutschen eine Art sekundären ›Verfassungspatriotismus‹ anzumessen (Dolf Sternberger, Kurt Sontheimer), können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es bei Demokratie und Konstitution stets nur um etwas gehen kann, was man ›hat‹, nicht aber um das, was man der Substanz nach ›ist‹.« Diese Ersatzfestlegung auf ein »Haben« lag und liegt im Sinne der Sieger von 1945, die den Deutschen dieses Haben »gebracht« hätten. Da das Prinzip des Liberalismus die Forderung nach »mehr Freiheit« sei, bleibt dieser nach Willms »politisch parasitär«; er könne selbst keine politische Wirklichkeit begründen. Willms empfahl in diesem Zusammenhang eine Rückbesinnung auf die »Ideen der konservativen Revolution «, von der er eine ihrer Hauptargumentationsfiguren übernahm, nämlich daß Deutschland durch den »westlichen Liberalismus« bedroht beziehungsweise durch die »Mittelmäßigkeit einer Massenkultur, deren Gleichheitsvorstellungen alle Freiheit« ersticken werde.
Der Angriff auf die Identität der Deutschen als Deutsche sei eine Kriegshandlung gewesen wie die Teilung des Territoriums: Hier gehe es nicht um Recht und schon gar nicht um Moral, sondern um nationale Selbstbehauptung, Kampf um sich selbst, um jene nationale Identität, ohne die kein Volk existiert. In diesem Zusammenhang zitierte Willms Armin Mohlers Diktum: »Es gilt sich gegen den Versuch zu wehren, den Deutschen den Dauer-Status eines ›negativ privilegierten Volks‹ … zu verleihen. In Wirklichkeit sind die Deutschen nicht besser und nicht schlechter als andere Völker.«
Kampf um die Nation sei in Westdeutschland vor allem der Kampf um das nationale Selbstbewußtsein. Mit Blick auf den »Antifaschismus« stellte Willms fest, daß das, »was heute als ›Antifaschismus‹ … in der Bundesrepublik vor sich her getragen« werde, nichts mehr mit dem »Kampf gegen den Nationalsozialismus« zu tun habe, der »Geschichte« sei. Vielmehr sei der heute »zur Schau gestellte ›Antifaschismus‹« »nichts anderes als der Versuch, mit einer Demagogie, deren Logik die des Bürgerkriegs ist, eine Selbstbesinnung der Deutschen als Deutsche zu verhindern, ihre Identität zu zerstören, ihre Selbstbehauptung zu schwächen«.
Dagegen setzte Willms 1982 die Dynamik der Idee der Nation und den Begriff der »Nationalen Koexistenz«, den er zum Prinzip einer aktiven Politik nationaler Wiederherstellung unter antagonistischen Rahmenbedingungen erhob. Die Politik der »Nationalen Koexistenz« sei selbstverständlich revisionistisch, sie wolle Deutschland wiederherstellen, also Jalta und die Teilung revidieren. Mit Blick auf die Bundesrepublik bedeutete das zunächst die Notwendigkeit der Erneuerung der Idee der Nation.
Das bilde die Voraussetzung für das Wirksamwerden aller weiteren Maximen. Die Wiedervereinigung Deutschlands sei die erste gewonnene Schlacht des zukünftigen Europas, weil damit das Prinzip der freien Nation gegen den sowjetrussischen Imperialismus verteidigt werde. In diesem Sinne sei das deutsche Interesse zum erstenmal ist mit dem europäischen Interesse identisch. Von hier aus rekurrierte Willms in seinem Schlußsatz noch einmal auf die grundlegenden Passagen seines Buches: »Wenn mit der menschlichen Existenz überhaupt Sinn verbunden ist, dann muß ein Recht als Grundlage allen Menschenrechts und jeder Bürgerpflicht erkannt und anerkannt werden: das Recht auf Nation.« Willms stand mit seinem gedankenreichen Plädoyer für das »Recht auf Nation« Anfang der achtziger Jahre nicht allein. Es gab in dieser Zeit eine Reihe von Strömungen, Personen und Institutionen, die vom konservativ- rechten Flügel über die Friedensbewegung bis hin den »Linksnationalen« reichte, die ähnliche Vorstellungen hegten, wie sie Willms in seinem Buch programmatisch zum Ausdruck brachte. Es seien hier pars pro toto genannt: die Tagungen der Siemensstiftung (deren Leiter bis 1985 Armin Mohler hieß), das Studienzentrum Weikersheim (mit dem Sozialphilosophen Günter Rohrmoser und seinem Präsidenten, dem ehemaligen baden- württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger), der Publizist Gerd-Klaus Kaltenbrunner und dessen Sammelband Was ist deutsch? beziehungsweise seine von ihm geleitete Buchreihe Initiative, Einzelgänger wie Hans-Dietrich Sander mit seinem Buch Der nationale Imperativ, Protagonisten der Friedensbewegung wie Alfred Mechtersheimer und Linksnationale wie Herbert Ammon, Peter Brandt oder Wolfgang Venohr. Deren Bestrebungen schienen sich eine kurze Zeit parteipolitisch in der neuen Partei »Die Republikaner« (gegründet Ende November 1983) zu konkretisieren, an deren Parteiprogramm Bernard Willms mitwirkte. Es blieb aber bei einem Strohfeuer. Das völlige Scheitern wurde im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands, einem der erklärten Ziele der »neuen Nationalisten« schlechthin, deutlich, bei der keine der genannten Personen, Institutionen oder Parteien über eine kommentierende Rolle hinauskam. Auf die Gründe dieses Scheiterns kann es naturgemäß keine monokausale Antwort geben. Womöglich ist der 2008 verstorbene Günter Rohrmoser den Gründen am nächsten gekommen, der in einem Interview mit dem Journalisten Bernd Kallina (Epoche, 1. September 2000) einmal mehr auf die ausgebliebene »geistig-moralische Wende« anspielte, die Rohrmoser selbst jahrzehntelang mit Vehemenz gefordert hatte: »… sie [die »geistige Wende«] kam nicht zustande, weil Helmut Kohl wußte, daß die Bedingung seines Machterhalts die Koalition mit der FDP war. Der damalige Vorsitzende … Hans-Dietrich Genscher gab als Ziel der FDP in der gemeinsamen Koalition vor, eine … ›konservative Gegenrevolution‹ zu verhindern. Kohl hat daraufhin um des Machterhalts und um der Zustimmung … auf jeden Ansatz … verzichtet, etwas von dem zu verwirklichen, was er … als ›geistig-moralische Wende‹ angekündigt hatte«. So unterblieb die Auseinandersetzung um das, was Rohrmoser als die »eigentliche Machtfrage« bezeichnete. Hierzu zählte er unter anderem den Willen, eine entsprechende Medienpräsenz herzustellen: »Wer die vorhandenen Medien nicht durchdringen und erobern kann«, so Rohrmoser, »der muß eben neue Medien schaffen, wenn man wenigstens die Chance auf eine geistige Wende offen halten will.« Auch in dieser entscheidenden Frage gingen keine entsprechenden Initiativen von den Unionsparteien aus.
Tatsächlich hätten die obengenannten Strömungen und Personen wohl nur dann Wirkung entfalten können, wenn es in der Volkspartei CDU/CSU tatsächlich zu einer »geistig-moralischen Wende« gekommen wäre, die ein neues Nationalbewußtsein mit eingeschlossen hätte. Der große Strom, in dem alles hätte zusammenfließen können, war nur mit Hilfe der Unionsparteien denkbar. Weil die Wende ausblieb und der neuerlichen Verschärfung der Vergangenheitsbewältigung nichts entgegengesetzt werden konnte, blieben all jene, die auf eine nationale Neubesinnung hinarbeiteten, isoliert.
Einige sahen sich in der Folge schnell in die »rechtsextreme« Ecke geschoben, was in Deutschland vor allem eines bedeutet: Ausschluß aus dem öffentlichen Diskurs. Vor diesem Hintergrund konnte das, was Anfang der achtziger Jahre mit einigem Wohlwollen als Indiz für einen »nationalen Aufbruch« bezeichnet werden könnte, wohl nur scheitern. Welche bis heute spürbaren Konsequenzen dieses Scheitern hatte, brachte der Publizist Günter Maschke in einem Interview mit dem Monatsmagazin Zuerst! (8/2010) in der ihm eigenen Nüchternheit wie folgt zum Ausdruck: »Ich glaube, daß dieses Volk und diese Nation sich selbst nicht mehr will. Die Deutschen haben längst resigniert. Deutschland will anscheinend aufgehen in einem diffusen Europa oder in einer diffusen Welt.«