Stephen Lawrence und der “institutionelle Rassismus”

Taz, Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und andere Medien berichteten letzte Woche ausführlich von der Wiederaufrollung...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

eines über 18 Jah­re zurück­lie­gen­den Mord­fal­les an einem schwar­zen jamai­ka­ni­schen Stu­den­ten in Groß­bri­tan­ni­en. Zwei wei­ße Män­ner, die bereits 1993 wegen der Tat vor Gericht saßen und frei­ge­spro­chen wur­den, wur­den in einem zwei­ten Pro­zeß auf­grund neu ent­deck­ter foren­si­scher Bewei­se nun doch für schul­dig befunden.

Das Motiv scheint purer Ras­sen­haß gewe­sen zu sein; die Täter sind offen­bar gewalt­tä­ti­ge Klein­kri­mi­nel­le aus der Unter­schicht, denen man eine sol­che Tat durch­aus zutrau­en kann;  die Jus­tiz scheint beim ers­ten Durch­lauf tat­säch­lich schlud­rig gear­bei­tet zu haben. Poli­tisch Inter­es­sier­te haben seit den Neun­zi­ger Jah­ren sol­che Fäl­le mas­siv instru­men­ta­li­siert und eine Ände­rung des bri­ti­schen Rechts durch­ge­setzt. Die im Jahr 2003 beschlos­se­ne und 2005 in Kraft getre­te­ne Auf­he­bung des (rund 800 Jah­re!) alten Rechts­grund­sat­zes, der ver­bie­tet, daß ein ein­mal frei­ge­spro­che­ner Ange­klag­ter ein wei­te­res Mal wegen der­sel­ben Sache vor Gericht gestellt wer­den kann, stand in direk­tem Zusam­men­hang mit dem Fall Ste­phen Lawrence.

Hier­zu­lan­de ist der Fall nahe­zu unbe­kannt, auf der bri­ti­schen Insel ist er  jedoch poli­tisch eben­so auf­ge­la­den wie ver­gleichs­wei­se in den USA der Fall Mumia Abu-Jamal, der einen absur­den Mär­ty­rer­kult her­vor­ge­bracht hat, mit dem Unter­schied, daß hier der Mör­der zum Opfer gemacht wur­de.  Es ist offen­bar tat­säch­lich eine rei­ne Fra­ge der Haut­far­be, wes­sen Par­tei die Lin­ke ergreift, und wen sie als ewi­ges Opfer wahr­nimmt.  In die­sem Kon­text muß man auch das ver­spä­te­te Urteil von Lon­don sehen.

Der Fall Law­rence führ­te nach 1993 zu hef­ti­gen poli­ti­schen Kam­pa­gnen.  1997 gab Innen­mi­nis­ter Jack Straw eine offi­zi­el­le Unter­su­chung in Auf­trag, die zu dem Schluß kam, daß “insti­tu­tio­nel­ler Ras­sis­mus” der Poli­zei die Auf­klä­rung der Mord­tat behin­dert hät­te. (Straw ist, zur Erin­ne­rung, einer der Haupt­ver­ant­wort­li­chen der von Labour mit vol­ler Absicht for­cier­ten Poli­tik der Mas­sen­ein­wan­de­rung ins Ver­ei­nig­te König­reich, an der vor allem die ange­stamm­te wei­ße Arbei­ter­klas­se zu lei­den hat.

Bei dem Vor­wurf an die Poli­zei blieb es frei­lich nicht; er wur­de zu einer Gene­ral­ank­la­ge gegen die bri­ti­sche Gesell­schaft aus­ge­wei­tet, die dem in Deutsch­land soge­nann­ten “Extre­mis­mus der Mit­te”- Begriff ver­wandt ist. Ste­phen Law­rence wur­de zu einer Sym­bol­fi­gur des “Anti­ras­sis­mus”.  Prei­se und Insti­tu­tio­nen wur­den nach ihm benannt, als wäre er Mar­tin Luther King. Ein Fern­seh­film über sei­nen Fall wur­de gedreht, und sei­ne Wit­we hat eine akti­vis­ti­sche Kar­rie­re als Stim­me des Gewis­sens gemacht, unter ande­rem mit Unter­stüt­zung staat­li­cher Insti­tu­tio­nen wie dem mit Ein­wan­de­rungs­fra­gen befaß­ten “Home Office”.

Einer der weni­gen kri­ti­schen Kom­men­ta­re zu der Aus­schlach­tung des Law­rence-Fal­les fin­det sich in dem Netz­ma­ga­zin Spik­ed:

… der Fall Law­rence ist der am meis­ten aus­ge­beu­te­te und poli­ti­sier­te Mord der jün­ge­ren Geschich­te. (…) Er war das ers­te schwar­ze Mord­op­fer, des­sen tra­gi­sches Schick­sal von der kul­tu­rel­len Eli­te zynisch instru­men­ta­li­siert und als Vor­wand benutzt wur­de, um einen mora­li­schen Kreuz­zug gegen das “alte Bri­tan­ni­en” und sei­ne ver­kom­me­nen, rück­stän­di­gen Ein­woh­ner zu star­ten. Law­ren­ces Tod wur­de von den Eli­ten gleich drei­fach gemol­ken: um die wei­ße Arbei­ter­klas­se als die neu­en “Bru­ta­los unter uns” zu dämo­ni­sie­ren; um Ras­sis­mus als eine Art Gehirn­krank­heit statt einer Macht­be­zie­hung zu defi­nie­ren; und um tra­di­tio­nel­le Rechts­grund­sät­ze auf­zu­he­ben, die lan­ge Zeit als grund­le­gend für das Jus­tiz­sys­tem betrach­tet wurden.

(…)

Der Mord an Law­rence wur­de dazu benutzt, wei­te Tei­le der wei­ßen Arbei­ter­klas­se Groß­bri­tan­ni­ens zu pro­ble­ma­ti­sie­ren. In den Hän­den einer Eli­te, die sich von der ange­stamm­ten Arbei­ter­klas­se des Lan­des zuneh­mends ent­frem­det und ange­ekelt zeigt, wur­de der Mord zu einem ent­schei­den­den Wen­de­punkt, was den Ton­fall betraf, mit dem die wei­ßen Arbei­ter­klas­sen dis­ku­tiert, beur­teilt, und – gefürch­tet wurden.

(…)

Die fünf Ver­däch­ti­gen (inklu­si­ve Nor­ris und Dobson, die nun ver­ur­teilt wur­de) wur­den von der Pres­se als typi­sche Ver­tre­ter der wei­ßen Arbei­ter­klas­se hin­ge­stellt. In den Wor­ten von Micha­el Coll­ins ten­dier­ten die Intel­lek­tu­el­len im Nach­spiel des Law­rence-Urteils dazu, die­se als “frem­den­feind­lich, dumpf, analpha­be­tisch und bor­niert” hin­zu­stel­len. Die Law­rence-Fami­lie wur­de häu­fig zum Hort des Anstands in schar­fem Kon­trast zur Wert­lo­sig­keit und Igno­ranz des Milieus der wei­ßen Arbei­ter­klas­se sti­li­siert, die als unzi­vi­li­sier­te Wil­de hin­ge­stellt wur­den.  (…) die Faul­heit und man­geln­de Arbeits­mo­ral der fünf ver­däch­ti­gen Mör­der dien­ten als genau­es Gegen­bild zur “Hin­ga­be der Law­ren­ces an Bil­dung, har­te Arbeit und reli­giö­sem Glauben”.

(…)

Von rech­ten Bou­le­vard-Blät­tern bis zu libe­ra­len Groß­for­ma­ten, von den Tories bis zu “New Labour”-Politikern stimm­ten die ver­schie­de­nen Eli­ten ein­hel­lig in die Ver­dam­mung des sozia­len und mora­li­schen Zusam­men­bruchs des kran­ken “wei­ßen Bri­tan­ni­ens” ein. Dar­an konn­te man able­sen, wie inten­siv der Mord poli­ti­siert wor­den war. Dies geschah an einem Zeit­punkt, an dem die Arbei­ter­klas­sen ihr poli­ti­sches Gewicht ver­lo­ren hat­ten und die Eli­ten sich immer wei­ter von den Mas­sen ent­fern­ten; der Fall wur­de zum per­fek­ten Anlaß für die Eli­ten, ihre Angst und Abscheu vor dem Mob zum Aus­druck zu brin­gen. Ein Groß­teil der heu­ti­gen Sprach­re­ge­lun­gen über die wei­ßen Arbei­ter­klas­sen als prol­lig (“chav­vy”), vor­ur­teils­be­la­den und einer mora­li­schen Umer­zie­hung bedürf­tig, hat sei­ne Wur­zel in der Poli­ti­sie­rung des Lawrence-Falles.

Dies ist der wei­te­re Kon­text, in dem der Fall der wegen “ras­sis­ti­scher Unru­he­stif­tung” an den öffent­li­chen Pran­ger gestell­ten pro­le­ta­ri­schen “Tram Lady” Emma West gese­hen wer­den muß, über den die Sezes­si­on im Netz aus­führ­lich berich­tet hat.

In die­sen Zusam­men­hang gehört auch die Neu­de­fi­ni­ti­on des Ras­sis­mus-Begrif­fes in der Nach­fol­ge des Law­rence-Pro­zes­ses. So inter­pre­tiert es zumin­dest Spik­ed:

Die Macpher­son-Unter­su­chung des Jah­res 1999 rekon­zep­tua­li­sier­te den Ras­sis­mus inso­fern, als man ihn nun eher als einen instink­ti­ven Tick als eine ideo­lo­gi­sche Sache betrach­te­te. Er wur­de vom Instru­ment der Mäch­ti­gen zur Krank­heit der Machtlosen.

Viel wur­de von Macpher­sons Behaup­tung gespro­chen, es gäbe einen weit­ver­brei­te­ten “insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus” in Groß­bri­tan­ni­en. Er mein­te damit nicht, daß bestimm­te Insti­tu­tio­nen wie die Poli­zei oder das Ein­wan­der­ungamt ras­sis­tisch sei­en, son­dern daß man Ras­sis­mus in den “Hand­lun­gen, Ein­stel­lun­gen und dem Ver­hal­ten” man­cher Indi­vi­du­en “beob­ach­ten” kön­ne, die in sol­chen Insti­tu­tio­nen arbei­ten. Kurz gesagt, wur­de damit das Pro­blem des Ras­sis­mus von Fra­gen wie Macht und Ideo­lo­gie abge­trennt, und zum krank­haf­ten Cha­rak­ter­zug unter gedan­ken­lo­sen Indi­vi­du­en erklärt, der drin­gend aus­ge­merzt wer­den muß. (…)

Seit­her wird der offi­zi­el­le “Anti­ras­sis­mus” in Stel­lung gebracht um alles und jeden ein­zu­schüch­tern und zu “hei­len”, von unge­zo­ge­nen Rea­li­ty-TV-Stars bis zu flu­chen­den Fuß­bal­lern, die in die­sem neu­en und zutiefst zer­split­ter­ten “ras­sisch kor­rek­ten” Groß­bri­tan­ni­en als Tod­sün­der gelten.

Hier­bei wird frei­lich mit zwei­er­lei Maß gemes­sen: denn im Zen­trum des “Antirassismus”-Diskurses steht natür­lich in ers­ter Linie der “Ras­sis­mus” der Wei­ßen. Das hat im eng­lisch­spra­chi­gen Netz den tref­fen­den Slo­gan “Anti­ra­cism is a code word for Anti­white” auf­ge­bracht, dem wohl auch unser haus­ei­ge­ner Dr. Weiß­mann (no pun inten­ded) zustim­men wür­de.  Daß die­ser Dis­kurs in ers­ter Linie von Wei­ßen selbst ange­führt wird, macht den Vor­gang noch absur­der, wenn nicht gera­de­zu patho­lo­gisch.  Die Patho­lo­gi­sie­rung des (wei­ßen) “Ras­sis­mus” ist offen­bar vor allem eine psy­cho­lo­gi­sche Pro­jek­ti­on, wenn nicht gar Teil einer psy­cho­lo­gi­schen Kriegsführung.

Denn gera­de am Fall Ste­phen Law­rence kann man able­sen, wie der­glei­chen eine rein “gemach­te” Sache ist, eine media­le Bewußt­seins­bil­dung, die mit der Rea­li­tät sel­ber wenig zu tun hat. Es kommt in der Tat in Groß­bri­tan­ni­en nicht gera­de sel­ten vor, daß Men­schen Opfer von Ras­sen­haß wer­den, sie bekom­men jedoch nicht annä­hernd so viel Publi­ci­ty, wenn sie weiß sind. Schon gar nicht sieht hier irgend­je­mand grund­sätz­li­chen poli­ti­schen Hand­lungs­be­darf. Einer der jün­ge­ren Fäl­le ist etwa der Mord an dem 18jährigen Dan­ny O’S­hea durch eine schwar­ze Gang, der sich in rein gar nichts von dem Mord an Ste­phen Law­rence unter­schei­det.  Aber Fäl­le wie die­ser wer­den kei­nes­wegs zum Anlaß genom­men, schwar­ze (und ande­re) Ein­wan­de­rer- und Unter­schich­ten an sich zu problematisieren.

Wozu man indes­sen weit­aus mehr Grund hät­te als im Hin­blick auf die wei­ßen pro­les. Der Anteil von Schwar­zen an schwe­rer Kri­mi­na­li­tät in Lon­don ist über­pro­por­tio­nal hoch, eben­so waren die Unru­hen in meh­re­ren bri­ti­schen Städ­ten im Som­mer 2011 ein von Schwar­zen domi­nier­tes Phä­no­men.  Wer aber wagt, anzu­deu­ten, hier kön­ne even­tu­ell ein “kul­tu­rel­ler” Zusam­men­hang bestehen, muß mit gehö­ri­gem Gegen­wind rech­nen.  Die Ten­den­zen, die Brendan O’N­eill von Spik­ed kri­ti­siert, sind klar ideo­lo­gisch moti­viert, ins­be­son­de­re die von ihm so benann­te Ent­ideo­lo­gi­sie­rung und Patho­lo­gi­sie­rung des “Ras­sis­mus”.

Und inner­halb die­ser Ideo­lo­gie gibt es eben, was die Begleit­erschei­nun­gen des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus betrifft, zwei Klas­sen von Opfern: die­je­ni­gen, die bös­ar­ti­gen, krank­haf­ten, sakri­leg­ar­ti­gen Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit zum Opfer fal­len, und die paar Zer­quetsch­ten, die nicht mehr bedeu­ten als die bedau­er­li­chen, aber eher neben­säch­li­chen Kol­la­te­ral­schä­den eines, wie man uns sagt, unver­meid­li­chen und alter­na­tiv­lo­sen Fort­schritts in eine bes­se­re Welt.  Wenn dies kein “insti­tu­tio­nel­ler Ras­sis­mus” ist, was dann?

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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