der Süddeutschen Zeitung mit humangenetischen Neigungen, der einer besorgten Leserin erklärte, warum intime persönliche Beziehungen mit “Rechtsextremen” eine Sünde seien (übrigens gelten Menschen, die Eheschließungen mit Moslems für eine schlechte Idee halten, inzwischen als “rassistisch”). Begründet hat Dr.Dr.Dr. Sommer das so:
Eine politische oder religiöse Einstellung, die Menschen ihren Zielen unterordnet, Grundideen wie gleiche Rechte, Freiheit oder gleiche Würde des Menschen negiert, die bereit ist, Menschen zum Mittel zu machen, geht so sehr an den Kern des Menschlichen, dass sie sich von der Person mit dieser Einstellung nicht trennen lässt.
Ich habe in meinem Kommentar ausgeführt, daß man diese Kriterien problemlos auch auf jede beliebige politische Richtung anwenden kann, insbesondere die Grünen, die Einwanderungslobbys und das mit ihnen verknüpfte “Integrations”-Business, deren Vertreter keine drei Sätze ohne die Vokabeln “Menschen” und “Menschlichkeit” bilden können, wohl damit ja keiner daran zweifle, wie sehr sie vor letzterer geradezu aus den Nähten platzen.
Nun finde ich in dem exzellenten Groß-Essay “Im Namen der Geschichte” des österreichischen Philosophen Rudolf Burger folgende Bemerkung:
Jedes politische Handeln ist unausweichlich praxis und poiesis zugleich. Umgang mit Menschen als Subjekten und deren Degradation zum Material. Wer es auf praxis reduzieren und moralisch “binden” will, ist entweder ein Heuchler oder er weiß nicht, was er sagt. Den anderen niemals nur als Mittel zu gebrauchen, wie es in einer seiner Fassungen der Kantische Imperativ verlangt, heißt zugegeben, daß er immer auch ein Mittel ist, und je weiter der angestrebte Zustand vom gegenwärtigen entfernt ist, desto stärker tritt dieses Moment hervor. In dem Maße, in dem das Handeln sich selbst als historisch versteht, hebt es das moralische Urteil im politischen auf.
Das liegt wahrscheinlich jenseits des Verständnishorizonts von Dr.Dr.Dr. Sommer, der mit einem hehren philosophischen Anspruch auftritt und sich wie Burger auf Aristoteles beruft. Für ihn spielt sich das “Politische” etwa in diesem Rahmen ab (man verzeihe mir, daß ich mal wieder das Triviale mit dem Anspruchsvollen mische, aber Trivialitäten wie eine Kummerspalte in der SZ zeigen eben recht gut, wieviel ideologischer Gehalt bereits in die kleinsten Ritzen des Alltags eingedrungen ist):
Abgesehen davon, dass man sich oft nicht aussuchen kann, in wen man sich verliebt, sollten politische Einstellungen meines Erachtens das Miteinander nicht dominieren. Wie hoch der Spitzensteuersatz sein soll, welche Schulform die beste ist oder wie das Gesundheitssystem zu organisieren, sind am Ende technische Fragen, unterschiedliche Einstellungen und Ideen, wie das Zusammenleben am besten gestaltet werden kann.
“Politik” wird hier vor allem als Management und Sachverwaltung verstanden. Nur knapp darüber beginnt dann allerdings schon die nicht mehr zur Disposition stehende “höhere Moral”, in diesem Fall der “Menschenrechte”, und damit die eigentliche Politik. Daß auch diese Form der Bindung des Politischen keineswegs so harmlos ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist ein wesentliches Thema des selbsterklärten “Skeptikers” Burger. Dabei zeigt er sich völlig unbeeindruckt von der üblichen sentimentalisierenden Verwendung des Begriffes “Menschheit” (man könnte auch ergänzen: “Menschheitsfamilie”, wie die nachkonziliare Kirche so gerne sagt):
Solange Menschen existieren, die den Namen Menschen verdienen, werden sie darüber streiten, was in konkreten Lagen gut ist und was böse. Und sie werden für ihre Überzeugungen auch kämpfen, wenn es sein muß auf Leben und Tod. Selbst wenn alle Menschen einmal Schwestern werden sollten und Brüder, würde sich daran nichts ändern: Die Atriden waren auch eine große Familie.
Und er ruft die alte Binsenweisheit in Erinnerung, daß der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist, als Warnung an alle politischen Lager (auch den Rechten gibt er einiges zu kauen):
Wir wissen heute, oder könnten es wissen: Alle großen Verbrechen entspringen großen Idealen, nicht dem bösen Willen, die Täter verfolgen aus ihrer Binnenperspektive immer “das Gute”, ihr Antrieb ist stets eine “Begierde des Rettens” (Hegel) und sie sind um Objektivierungen nie verlegen, heißen diese Rasse, Klasse, Volk oder Nation: man kann den Nationalsozialisten oder Stalinisten vieles nachsagen, aber nicht, daß sie keine “Wertegemeinschaften” gewesen seien – der Kommunismus als Ideal war eine “Wertegemeinschaft” sogar im wörtlichen Sinne. Heute mobilisiert man im Namen der “Menschlichkeit”, was den Gegner implizit zum Unmenschen erklärt. Die fürchterlichsten Massaker wurden niemals von Skeptikern oder Nihilisten verübt, sondern von Gläubigen und Utopisten, im Namen von mächtigen Idealen.
Am Beispiel des Terrors der französischen Revolution zeigt Burger, wie die Moral als “regulatives Prinzip” außer Kraft gesetzt und nach “strategischen Kalkülen” bestimmt wird, sobald sich der “Funktionär und Militante” ihrer bemächtigt, der sich als “Exekutor einer geschichtlichen Tendenz” versteht:
Moral geht allerdings als Impuls seinem Handeln voraus, das seinerseits einen Zustand herstellen soll, der als in sich sittlicher des moralischen Regulativs nicht mehr bedarf – was allerdings den Bruch gegebener Strukturen impliziert und also die Anwendung von Gewalt nicht ausschließt. (…)
Spätestens seit 1789 beruft der Revolutionär sich darauf, daß er wahre Rechtsverhältnisse erst herstellen will und daß er die Gewalt nicht erfunden, sondern vorgefunden hat und gegen ihre eigentlichen Urheber kehrt. Paradigmatisch steht dafür Saint-Just, der den Terror als Mittel zur Tugend empfahl (in der Rede zu den Ventôs-Dekreten z. B.) und natürlich vor allem Robespierre, der in seiner großen Rede “Über die Prinzipien der politischen Moral” (1794) den Schrecken geradezu zum Ausfluß der Tugend erklärte (“er fließt aus der Tugend”, wie er wörtlich sagt). Da diese Männer selbst aus Tugend heraus handelten, war dieser Schritt nur konsequent, denn der Tugend ist, wie Hegel schreibt, “das Gesetz das Wesentliche, und die Individualität das Aufzuhebende”. Ihre abstrakte Gewalt abstrakt zu verwerfen, wie es die konventionelle Moral verlangt, heißt mit ihrem Mittelcharakter das Ziel verurteilen, das in der Abschaffung gewaltförmiger Verhältnisse liegt. Mit anderen Worten, die Amoralität des politischen Militanten ist nur die zu Ende gedachte Moralität selbst.
Burger folgt Alexander Kojève, der die These aufstellte, daß es nach Hegel im Grunde nur mehr “Hegelianismus” gegeben habe, das bedeutet unter anderem die Auffassung, daß die Geschichte ein “Telos” , ein “Endziel” habe, in dem sich ein höheres (moralisches) Prinzip verwirkliche und vervollkommne. Rechts führt der Hegelianismus zum “bürgerlich-kapitalistischen”, links zum “kommunistisch-proletarischen” Block, mit der weltpolitischen Kulmination in dem Dualismus USA – UdSSR. Burger kommentiert:
Auf der Ebene der Ideologie vertraten beide Blöcke eine universalistische Moral, doch keine von beiden war universal, sondern bloß regional auf ihre jeweiligen Macht- und Einflußsphären beschränkt: Der menschenrechtliche Universalismus der “Freien Welt” stand dem proletarischen Internationalismus der kommunistischen gegenüber (…).
Seit 1989 hat sich die “rechte” Lesart des “hegelschen Textes” durchgesetzt. Heute (Burgers Buch erschien 2007) sei kein “höheres Prinzip” mehr “in Sicht” als
der laizistische, bürgerlich-liberale Verfassungsstaat mit Massendemokratie und Gewaltenteilung auf Basis einer kapitalistischen Ökonomie, sozialstaatlich vielleicht ein bißchen aufgeweicht, ökologisch supplementiert und durch Kunst am Bau ein wenig verschönert (…). Es ist das adäquate Gehäuse für jene Figur, die Nietzsche den “letzten Menschen” nennt, der bei sich selbst das Glück gefunden hat, und dabei blinzelt: Denn die Kämpfe, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts, bewußt oder nicht, Kämpfe um die richtige Auslegung eines Textes waren, sind zu Ende.
Man kann vielleicht sagen, daß diesem “Arrangement” (Burger) nun nichts anderes mehr übrig bleibt, als sich selbst im Namen eines noch höheren moralischen Prinzips, das wiederum nur seine eigene, “zu Ende gedachte”, also: radikalisierte Moralität bedeutet, abzuschaffen. Insofern wird Michael Wolffsohn (nicht nur) als Historiker schon wissen, was er tut, wenn er die weltgeschichtliche Unausweichlichkeit der aktuellen “Revolutions”-Welle behauptet und ihr noch die Bahn freischaufeln will, vorausgesetzt, daß irgendwelche noch nicht vorhandenen und noch auszudenkenden “Konzepte” dafür sorgen, daß alle Beteiligten frei nach Lenin ordnungsgemäß ihre Bahnsteigkarten lösen, auch wenn sie eines schönen Tages zu 50% aus Muslimen, und nicht aus Deutschen bestehen. Also genau das, was man von einem erwartet, der hierzulande als “Konservativer” gehandelt wird.
Die Deutschen bezeichnet Wolffsohn in dem oben verlinkten Focus-Artikel übrigens als “Altbürger”. Damit ist zum Beispiel die einjährige Tochter eines Berliner Freundes, der mir gerade in den Sinn kommt, ebenso gemeint, wie deren noch vor dem Krieg geborene Großmutter. Oder noch deutlicher: Damit sind auch all jene Deutschen “ohne Migrationshintergrund” gemeint, die heute, an eben diesem Tag, frisch und funkelnagelneu und erwartungsgemäß im Säuglingsalter geboren werden. Und das sind in dieser Denkweise die “Alt”-Bürger eines Landes, das auch von anderen Zeitgenossen tagaus-tagein als “übernahmereif” erklärt wird, solange, bis es jeder gehört hat und alle glauben.
Was die zu Revolutionen gehörigen Saint-Justs und Robespierres betrifft, so werden gewiß genug davon in ihren Startlöchern warten. Das vermutet auch der Philosoph Jürgen Große:
Man sieht auf allen Straßen bereits die künftigen Henker, Handlanger, Helfershelfer, die Tatkräftigen am Schafott und am Schreibtisch. Und doch ist ganz und gar noch unsichtbar die Idee, die über ihren Taten leuchten wird. Wundersame Geheimnistuerei des Unheils…!
Man kann auch folgenden Gedanken durchsickern lassen, vielleicht mit der Lektüre von Arthur Koestlers “Sonnenfinsternis” im Hinterkopf: warum finden die gleichsam als Kollateralschäden bagatellisierten Opfer der laufenden gesamteuropäischen Totalverbuntungs-Politik, ob in Deutschland, England, Frankreich oder Skandinavien, eigentlich sowenige Advokaten, sowenige Empörte, sowenige menschenrechtsbeseelte Ankläger? Warum werden sie wie Opfer zweiter Klasse behandelt, warum fallen ihre Leben weniger ins Gewicht als andere? Warum wird soviel über sie gelogen, beschönigt, herumgedruckst, geklittert? Warum werden soviele Ausreden für die Täter fabriziert, warum werden die Opfer selbst dann noch verdächtigt und mißtrauisch beäugt, wenn keine erkennbare Schuld auf ihrer Seite lag?
Man könnte mit Burger antworten:
In dem Maße, in dem das Handeln sich selbst als historisch versteht, hebt es das moralische Urteil im politischen auf.
Also anscheinend aus keinem anderen Grund, weil eine herrschende Ideologie es für opportun hält, sie unter dem Mantel einer “höheren” Moral mehr oder weniger in Kauf zu nehmen und aus dem Blickfeld zu rationalisieren. Das “bunte Europa” wird von seinen Vorantreibern schließlich als ein historisches “Telos” aufgefaßt, in dem die Geschichte endlich, aber diesmal auch wirklich endlich-endlich, an ihr Happy-End kommen soll (wenn alle brav die Bahnsteigkarten lösen).
Mehr aus dem gehaltvollen Buch Rudolf Burgers vielleicht ein andermal – der Autor hat auch zu anderen Aspekten der moralisch-historischen Rechtfertigung von Politik eine Menge zu sagen, was ihm in der Vergangenheit wiederholt großen Ärger seitens der getroffenen Hunde eingebracht hat.
Nihil
Rudolf Burger ist einer der großen österreichischen Unzeitgemäßen - wunderbar. Leider hat er keine brauchbaren Schüler und bisher noch kein zentrales Werk hinterlassen, aber viele interessante Fragmente. Oder irre ich?