Es gilt festzuhalten, daß zumindest für unsere Breiten – wobei der greise Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter darin längst ein globales Phänomen sieht – die Krise der Geschlechter die Krise schlechthin ist. Der ausufernde und buchstäblich bodenlose Genderdiskurs kennt vielfältige Implikationen. Der Bogen, der sich hier aufspannt, reicht von grundsätzlicher Identitätsproblematik, über Sexual- und Gebärverhalten, Arbeitsmarktpolitik bis hin zur Entwertung der heimischen Sphäre. Letztere weist ja über Erziehungsfragen weit hinaus (über verlorengegangene Kochkünste und andere zum dämlichen Klischeebild degradierte Hausfrauenfertigkeiten sowieso) und selbst in die Eigentumsfrage hinein: Wem Scholle und Herd – Begriffe, die ohne Anführungszeichen heute fast schamlos nackt wirken – nichts mehr gelten, wer auf Nachwuchs (oder dessen Erziehung) verzichtet, findet das, was er sein Eigen nennen darf, nur mehr in der Welt der mobilen und flüchtigen Dinge. Ein weites Feld, das noch dringend mit Klugheit beackert werden sollte. Vorsicht ist hier geboten, sind doch Blut und Boden verbrannte Begriffe.
All jene Nichtigkeiten, die durch die populäre „Frauen sind anders, Männer auch”-Literatur hervorgehoben werden (vom Spielverhalten bis zur Einparkproblematik), verschleiern die tatsächliche Bedeutung dessen, was uns heute als bloß angelerntes „Rollenverhalten” verkauft wird und in Wahrheit den grundlegendsten Menschheitsunterschied markiert.
Dabei scheint der Genderismus bei weitem (noch) nicht mainstream, sondern eine Art Elitenphänomen zu sein. Den mannigfaltigen Verlautbarungen von Ämtern, Gewerkschaften und Lehrstühlen sowie den ungezählten Neuerscheinungen wissenschaftlicher Fachverlage über diverse marginale Implikationen des gender mainstreaming (die einmal mehr Kopfschütteln erzeugen darüber, in welche randständige und millionenfach ungelesene Fragestellungen zig junge Wissenschaftlerinnen ganz reale Lebenszeit investieren) steht eine Vielzahl an gerade entgegengesetzten Meinungsäußerungen gegenüber. Gerade aus „Volkes Mund”: Dazu muß man einmal die Diskussionsbeiträge in Eva Hermans Netztagebuch (in der deutlichen Mehrzahl zustimmend) mit denen in Alice Schwarzers blog (überwiegend kritisch) vergleichen.
Dank für ihre Suada gegen die Karrierefrau hätten gerade einige ihrer schärfsten Kritiker an Frau Herman zu richten. Immerhin darf das Eva-Prinzip, als Gegnerschaft verstanden, in ungezählten Fällen nun, marketingtechnisch gewitzt, als Untertitel für gedruckte „eigene Meinungen” dienen. Einige darunter sind der Erwähnung kaum wert und müssen nun irgendwie entsorgt werden. Daß in unserem Haushalt keine Bücher mehr verbrannt werden, liegt nicht an der Einsicht in die Despektierlichkeit solchen Vorgangs, sondern an der glaubwürdigen Aussage des Kaminfegers, der Heizwert sei gering, die entstehenden Rußablagerungen aber beträchtlich. Daher kommen Bücher bestimmter Kategorien nicht mehr auf dem Kaminholz zu liegen, sondern gelten als Saunalektüre. Nach zwei Saunadurchgängen versagt die Leimbindung, zeitgleich ist der Inhalt erfaßt, hernach steht die Altpapiertonne bereit. Als Kategorie gilt hier keine geistige – wo leben wir denn! -, sondern eine gewissermaßen antimaterialistische Auffassung: Wozu bloße Buchstaben horten, warum Regalmeter vergeuden für Schrifttum, das keinesfalls Geist, nicht einmal Ungeist ist, an dem man sich entzünden könnte. Es ist einfach nichts, gar nichts. In der Klimadebatte, nebenbei, müßte endlich auch die Vermeidung von solchem ressourcenaufwendigen Gedankenmüll ihren Platz finden.
Eines dieser Produkte – Traktat wäre deutlich zuviel gesagt – stellt Désirée Nicks Eva go home dar. Man darf die aufgeblondete RTL-Schlammkönigin zitieren und das Zitierte (ursprünglich gegen Herman gerichtet) gegen sie selbst wenden: „Über den Inhalt des Buches weiß man Bescheid, ohne es gelesen zu haben. Aufmerksamkeit zu bekommen oder gar Bücher zu verkaufen sagt absolut gar nichts über die Qualität von Parolen aus. Aufmerksamkeit wird jedem Unsinn zuteil, wenn er nur katastrophal genug ist. Und Interesse findet man dank unserer medialen Vernetzungen für jegliche Art von Abnormität.” Nick ist sechsundvierzig, war einst Lehrerin für katholische Religion und reüssiert seit Jahren mit Kabarettprogammen wie „Hängetitten deluxe”. Ihr vielbeworbener Rundumschlag gegen das Herman-Buch (O‑Ton: „Eva H. diskriminiert die Emanzipation”) soll witzig und fulminant sein, versiegt aber erwartbar in aberwitzigem Gequatsche à la „Mädels, laßt euch nicht verarschen!” und „Drum laßt uns Frauen weitergehen – Brustwarzen gegen den Wind.”
Altpapier, zweitens: das von „Herrmann Evers” (wie einfallsreich!) wohl binnen eines bierseligen Abends hingesudelte Super Eva! Männer sagen Danke für eine neue Dämlichkeit. Das Witzigkeitsniveau ländlicher Hauptschulparties dürfte höher sein als die fiktiven Porträts der angeblich evakompatiblen neuen Männer, die Evers hier bemüht launig in ihren „angestammten Territorien” vorstellt: im Puff natürlich, im Fitneß-Studio, in der Kneipe. Einzige Frage, die offenbleibt: Wie kann ein Autor, wie ein Verlag so etwas nötig haben? Weininger würde sagen, Geschwätzigkeit – hier gar inhaltslose – sei eine Kategorie der Weiblichkeit. Das gilt auch, zwar um etliche Niveaus höher zu veranlagen, für den Rede- und Schreibdrang, der den Suhrkamp-Hausautor, Radio-DJ und vielgefragten Podiumsdiskutierer Thomas Meinecke antreibt.
Man darf sich ernsthaft fragen, womit sich Meinecke seinen Ruhm verdient hat. Der harmlos-behäbig wirkende zweiundfünfzigjährige Hamburger punktet mit seinen dekonstruktivistischen Kollagen zu Themen der Pop-Sphäre als Jedermannsliebling in der Medienwelt. Seine jüngste Textsammlung zur Genderthematik ist teilweise englisch verfaßt, der Rest gemahnt häufig an halbgare Übersetzungen aus dem Amerikanischen, deren Übersetzung in ein Deutsch für das Normal-Gehirn notwendig, aber eben auch völlig überflüssig wäre. Meinecke: „Als Mae West zur Blütezeit des flachbrüstigen Working Girls die kurvenreiche Diva der 1890er Jahre wiedereinsetzte und zur am eigenen Leib recycelten, resignifizierten, nämlich auch noch um einen dem komplexen afrikanisch-amerikanischen Signifying entlehnten Jive erweiterten Darstellung brachte, war es logisch bereits female Impersonation im Sinn von High camp als schräger Strategie, in der Vergnügen und Kritik zur Deckung gelangten.” Es geht, meist affirmativ, habituell mitwisserisch und stets intellektualistisch gespreizt, um Kleintiere in prominenten Männerhintern, um apokryphe Bibelstellen, die Jesus als Schwulen entlarven. Mit seiner Vorliebe für die Struktur der Oberfläche, für Glitter und Tand liefert Meinecke geschliffen-hybriden Intim-Klatsch für akademisch Fortgeschrittene. Um im Slang des Autors zu bleiben: trash.
Reichlich geschwätzig zeigt sich ebenfalls die studierte Philosophin Thea Dorn (Christiane Scherer lehnte ihren Künstlernamen an T. Adorno an) in ihrer Studie über jene Anti-Evas, die sie als „Germanys next Rolemodels” begreift.
Weininger übrigens sah Emanzipationsbedürftigkeit allein in „dem Anteil M” begründet, den eben jene Frauen in sich trügen. Dorns Interviews mit acht mustergültigen Karrierefrauen wie der allseits gefeierten Moderatorin Charlotte Roche (über deren Faible für harte Pornos) und der antiislamistischen Frauenrechtlerin Seyran Ates (über deren teils sehr private Vorlieben und Probleme) sind weitgehend ohne Neuigkeitswert (paradigmatisch etwa die Frage an die schöne Minenräumerin Vera Bohle: „Gehe ich recht in der Annahme, daß Du schon als Mädchen lieber mit Wasserpistolen als mit Puppen gespielt hast?”), wenn auch unterhaltsam zu lesen. Verzichtbar dagegen das eigene insgesamt sechzigseitige Erfolgsfrau-Entblößungsprogramm, mit dem die telegene Talk-Dame Dorn, die mit vor Männerblut triefenden Splatterkrimis berühmt wurde, ihre Gespräche einrahmt. Daß sie mit siebzehn entjungfert wurde und seither „mit den wenigsten ein zweites mal schlief” – wer will das wissen, und was nutzt dies der von ihr konstatierten „finsteren Lage” der Frauen, die beispielsweise als Leiterinnen von Mordkommissionen immer noch beklagenswert unterrepräsentiert sind? So ist es: Die neuen Anti-Evas verbitten sich das Gejammer um strukturelle Benachteiligung, um eben solche doch wieder und wieder festzustellen. Daher kommt auch Karin Deckenbachs „freche und selbstbewußte” „Abrechnung mit den Zumutungen, denen Frauen heute wieder ausgesetzt sind” reichlich jämmerlich daher. Unglaublich, daß immer noch über neunzig Prozent der Ehefrauen den Namen des Gatten annehmen! Daß es immer noch Frauen gibt, die für ihre Kinder den erlernten Beruf aufgeben, obgleich „die Verhältnisse sie nicht dazu zwingen”! Die hier breiträumig zitierten geistig-emotionalen Beschäftigungsräume cooler selfmade-Ladies sind beredt: Welche Art Sex mit welchem Mann groovt am meisten? Und was tun mit dem „spröden” Mann, der beim ersten date nicht mal knutschen will? Ein Schelm, der hier erneut auf Weininger zurückgreift, der für das Vollweib nur zwei Wege bereithielt: den der Mutter oder den der Dirne. Dabei hat Deckenbach ihrer Kollegin Herman doppelt zu danken: Die Eva-Vorlage dient hier nicht nur dazu, um mit persönlichen Beobachtungen und Bauchgefühlen einen Gegentrend herbeizupalavern, die Autorin füllt ihr redseliges Konvolut zudem seitenlang mit Auszügen aus Hermans Buch.
Neben all dem Müll gibt es auch zwei Neuerscheinungen zum großen Themenkreis der Geschlechterrollen, die an sich keine Gemeinsamkeiten aufweisen, sich aber in zwei Punkten deutlich von den oben besprochenen abheben: a) kommen sie im Titel ganz ohne Rosa-Pink und Dekolleté aus, b) bedeutet ihre Lektüre unbedingten Gewinn.
Zum einen handelt es sich um das schmale Bändchen Gender aus der Feder des journalistisch begnadeten Volker Zastrow. Die beiden Aufsätze Politische Geschlechtsumwandlung und Der kleine Unterschied sind 2006 bereits in der FAZ erschienen. Wer mit dem feministischen Diskurs ein wenig vertraut ist, wird zwar keine wirklich neuen Erkenntnisse gewinnen aus der Darstellung der Sachlage des hochamtlichen gender mainstreamings und der Wiedergabe des brutal gescheiterten Menschenversuchs des amerikanischen Psychiaters John Money, der aus dem genital operativ beschädigten Zwilling Bruce Reimer durch rigide Erziehungsmaßnahmen und Hormongaben Brenda Reimer werden ließ.
Gleichwohl bringt Zastrow die Sachlage detailliert auf den Punkt; er liefert somit prägnante Grundlagenlektüre. Grundsätzliches hat ebenfalls die siebenundvierzigjährige Zeit-Redakteurin, Fernsehfrau und Jury-Vorsitzende des Ingeborg-Bachmann-Preises Iris Radisch im Blick, und dies ohne ausgelutschte Kampfbegriffe wie „Rabenmutter” oder „Eva Herman” im Munde zu führen oder sich als dreihundertfünfzigste Wortmelderin auf den vielbespielten familienpolitischen Schauplätzen zu tummeln. Radisch pflegt einen Essay-Stil, wie man ihn sich wünscht. Das privat grundierte Mitteilungsbedürfnis mit all seinen assoziativen Verkettungen wird hier nicht von ideologieversessener Polemik getragen, sondern atmet die Weisheit eines „gelebten Lebens”: Die sperrangelweit offenen Türen, die derzeit der verkniffene Haufe der mainstream-Doppelbelasteten einrennt, meidet Radisch. Stattdessen richtet sie den prüfenden Blick auf die knirschenden Türangeln und den an den Rahmen abblätternden Putz. Ihr Eingangsszenario handelt vom Mann der Stunde, der abends aus „Vorstandszentrale und Hauptquartier” heimkehrt. Er will sich zu seiner Frau „auf die Gartenbank setzen und ihren Kindern beim Spielen zuschauen. Aber siehe da: Zu Hause steht die Wiege leer, und die Frau ist arbeiten.”
Radisch, darin gleicht sie ihren vollemanzipierten Kombattantinnen in der Hermans-Schlacht, ist allein ihrem Milieu und Ausbildungsgrad verhaftet. Die Rede ist durchweg von akademischen Müttern; Angehörige des Prekariats und das Gros der austauschbar Beschäftigten bleiben außen vor. Solche Schwerpunktsetzung hat ihr Recht, eben weil der Rollen-Diskurs ein elitärer ist. Wo Thea Dorn sich gegen Kinder entschied aufgrund des „Spannungsverhältnisses zwischen ‚Moderne‘ und Mutterschaft”, hat Radisch (bei ähnlichem Ausgangspunkt: „Mit Kindern kommt die Moderne ins Stottern”) eben diesen Spagat vollzogen. Sie schreibt als „späte Mutter” dreier Töchter (verheiratet übrigens mit FAZ-Redakteur Eberhard Rathgeb) und Vollzeit-Karrierefrau intellektuellster Prägung.
Unsere Gattung, stellt Radisch fest, habe sich „ihr Leben so eingerichtet, daß dieses Leben der eigenen Fortpflanzung nicht mehr zuträglich ist. Die selbsterlebten „Verkrüppelungen eines akademischen Lebens in den gebärfähigsten Jahren” („mein spezieller Alltag entsprach jahrelang dem eines intellektuellen Rentnerpaares”) beschreibt sie als realistischen Allgemeinzustand. Der Kampf um die Rückkehr der gebildeten Frau (die Autorin spricht von der ersten Generation der „Bildungszombies”) an Herd und Wiege ist in Radischs Augen ausgefochten, ohne aber – wie ihre Kolleginnen – einer „Schönfärberei der familiären Liberalisierungsschäden” das Wort zu reden. Wie aber finden wir in unserer rundum gesättigten Wohlfühlwelt zu Kindern, Glück und Liebe? Mit der Abschaffung des Ehejochs vergangener Müttergeneration habe die Liebe andererseits „ihr Gehäuse verloren”: Nicht dem Weg der harten Zahlen (Gebärquoten etc.) gilt Radischs Annäherung, sondern dem „weichen” Terrain der Liebeskonstellationen. Mit der Proklamierung einer „gleichberechtigten Partnerschaft als Lichtgestalt unter den Liebesmodellen” tangiert sie nur oberflächlich betrachtet altbacken-sozialdemokratische Klischees. Unterm Strich sind wir hier nämlich wieder bei Weininger, dem unsäglichen, dessen Grundgesetz lautete: „Zur sexuellen Vereinigung trachten immer ein ganzer Mann (M) und ein ganzes Weib (W) zusammenzukommen, wenn auch auf die zwei verschiedenen Individuen in jedem einzelnen Fall in verschiedenem Verhältnisse verteilt.” Die Unfallrate auf dem Emanzipationsweg sei enorm, gesteht Radisch ein. Ihr Versuch erscheint eventuell lebenswert, lesenswert allemal. Ob er gelungen ist, dürfen ihre Enkel beschreiben.