Kositza: Hier über Haupt- und Nebenfeinde zu diskutieren – wenn das mal kein einzigartiger, agonaler Gesprächsansatz ist! Ob der Liberalismus mein Hauptfeind ist? Hm – dann, wenn er volkszersetzend agiert, schon! Das tut er, wenn er, wenn die Wirtschaft zum Maßstab wird. Er tut es nur dann nicht, wenn er sozusagen in einem konservativen Gehäuse seinen Platz zugewiesen bekommt.
Und damit zur Frage, die SIE nicht beantwortet haben: Ist »Volk« für Sie eine quantité négligeable? Oder, direkt anknüpfend an das Thema dieser Sezession, die »Machbarkeit«: Halten Sie eine Gesellschaft für machbar, konstruierbar? In geschichtlicher, in ethnischer Hinsicht? Oder anders: Was tun mit jenem – ich schätze: großen – Anteil der 80 Millionen, die nicht mittun wollen oder können in Ihrem ehrgeizigen Projekt der Selbstverantwortung? Manche würden sich aufraffen, da träfen die Stichworte Antrieb und Selbstachtung, die sie nennen. Andere, die Schlaffsten oder die Invaliden, träfen auf die von Ihnen genannten Mildtätigen. Schaffen es aber die »Aufraffer« und die philantrophisch geförderten Wenigkönner zum heutigen Standard?
Ich habe kein Problem mit Ungleichheit, wo es Zahnimplantate oder Urlaubsreisen angeht. Der heutige Standard schließt aber beispielsweise Krebsbehandlungen und die Möglichkeit eines Hochschulstudiums (wenn’s nach mir geht: bei entsprechendem Potential) mit ein. Gut so, finde ich. Mir wär’s unsympathisch, wenn Leute auf der Strecke blieben, nur, weil vielleicht kein privater Förderer zur Hand ist und die eigene Krankenkassenstufe arg limitiert ist. Ihnen nicht?
Sie wollen also »50 oder 100 Jahre« zurückgehen. Wenn ich die Zahlen richtig deute, lag der Steueranteil am Bruttoinlandsprodukt 1952 bei knapp einem Viertel. Wie heute also. Meine eigene Steuervorstellung läge auch drunter. Nur: bei aller Romantik, die mich allzu gern ins Mittelalter schweifen läßt – die Zeiten haben sich geändert. Zensuswahlrecht: meinetwegen gern! Allerdings bin ich heilfroh, alle meine Kinder über die Volksschule hinaus beschulen lassen zu können, ohne mich in Unkosten zu stürzen. Oder die medizinische Versorgung: Zwei meiner Kinder – lassen Sie mich mal konkret werden – hatten Krankheiten, die angesichts der heutigen Versorgungslage nicht gerade lebensbedrohlich sind. Aber ohne solidarische Krankenversicherung, wo der gutverdienende Single quasi zwangsweise für uns miteinzahlt, hätten wir wie viele Familien in den USA uns nahezu auf Lebenszeit verschulden müssen, um sie nach heutigen Möglichkeiten zu heilen.
Wir als ganz konkrete, große Familie zahlen (obgleich wir in Deutschland leider kein Familiensplitting haben!) deutlich weniger Steuern, als eine private Krankenversicherung für neun Familienmitglieder kosten würde.
Überhaupt, wie kommen Sie darauf, daß es in der Natur des wohlhabenden Menschen liegt, sich für Schwächere zu engagieren? Zumal heute nicht der treusorgende Patriarch, sondern Mammutunternehmen den Markt bestimmen, die es wenig kratzt, wenn ihnen kalte Profitmaximierung vorgeworfen wird.
Ich komme hier mit einem Einwand, der der österreichischen Schule, der Sie wohl cum grano salis sich zurechnen, ja notorisch gemacht wird: daß Sie vor lauter Theorie a) Geschichte und b) Empirie vernachlässigen. Als die libertären Vordenker, selbst die späteren, an ihren Argumenten feilten, war die heutige Mobilität längst nicht abzusehen. Daran, daß Millionenmassen an fremdländischen Billiglohn- (heute: Mindestlohn-)Arbeitern dem Eigentümer und Unternehmer besser taugen als besser bezahlt werden wollende Einheimische, daran hat man nicht gedacht – oder? Oder hat man dran gedacht, und es war ihnen und ist Ihnen recht?
Lichtschlag: Ich versuche mal weniger auszuweichen als Sie bei Ihrem Feind- oder Zerrbild: Volk? Ich halte es da mit dem kultigen Youtube-Blogger Horst Lüning (der mit der Whisky-Flasche) der kürzlich sagte, daß er sich dem vietnamesischen Straßenhändler weit stärker verbunden fühlt als dem deutschen Gewerkschaftsfunktionär. Insofern, ganz deutlich: Ja, für mich ist die Kategorie »Volk« eher belanglos. Und nein, ich halte eine Gesellschaft gerade nicht für konstruierbar, jedenfalls strebe ich als Libertärer genau das nicht an. Jeder Etatist hat ja so seine Steckenpferde – bei Ihnen ist’s die Schule und das Hochschulstudium oder die medizinische Versorgung. Womöglich auch das Opernhaus?
Bei anderen sind es auch andere Dinge, die sie gerne haben – und für die sie Dritte zur Zahlung zwingen wollen. Ich halte das erstens für unmoralisch und zweitens funktioniert es am Ende nicht. Noch ist jede Form des Sozialismus irgendwann gescheitert. Und auch unser heutiger Sozialismus geht doch deutlich bereits dem Ende entgegen, weil die staatlichen Monopole wuchern und auf Dauer nicht funktionieren. Soviel auch zur »Machbarkeit«.
Zu Ihren Kindern gratuliere ich! Aber Sie glauben, daß Sie einen Anspruch gegenüber Dritten haben, wenn Sie viele Kinder in die Welt setzen? Ich halte das für eine Unverschämtheit! Früher war es einmal gute Sitte, daß man Kinder bekam, wenn man es sich leisten konnte. Und das konnten die meisten. Vor gut 100 Jahren lag der Staatsanteil bei zehn Prozent, vor 50 Jahren bei etwa einem Drittel, heute sind es nach offiziellen Zahlen um die 50 Prozent, aber die sind durch Scheinprivatisierungen und ein paar andere Manipulationen geschönt. Die Mehrwertsteuer gab es 1952 noch gar nicht, und weit mehr als die Steuern sind die Sozialabgaben explodiert, die natürlich ihrem Wesen nach auch nichts anderes als Steuern sind.
Wollen Sie bestreiten, daß in den 50ern oder 60ern der durchschnittliche Alleinverdiener seine Familie auch mit vielen Kindern ernähren konnte? Zu den Spenden: Alleine in Deutschland werden alleine von Privatleuten jedes Jahr fünf Milliarden Euro gespendet. Das dürfte bereits reichen für diejenigen, die sich wirklich nicht selbst helfen können. Natürlich würde weit mehr gespendet werden, wenn der Staat uns nicht die Hälfte des hart Erarbeiteten wegnehmen würde. Das sehen Sie auch daran, daß etwa in den USA mit geringeren Steuern und Abgaben deutlich mehr gespendet wird.
Übrigens, ja, vor allem von besonders reichen Leuten. Masseneinwanderung ist wie gesagt ein Problem des Sozialstaats. Wer seine Arbeitskraft anbietet, der ist mir immer willkommen. Ich muß es ja nicht annehmen, aber ich darf. Sie glauben offenbar, daß durch Zuwanderung die Arbeitslosigkeit unter den Einheimischen steigt. Sie denken leider statisch. Glauben Sie mir, der sich ein wenig mit Ökonomie beschäftigt hat: In Wirklichkeit besteht dieser Zusammenhang nicht.
Kositza: Also! »Statisch« denkt doch wohl jemand, der (Sie: »unverschämterweise«) einen Haufen Kinder in die Welt gesetzt hat und ehrgeizige Erziehungsziele verfolgt, grad nicht! Logisch gilt mir – alte Irokesenweisheit – die siebte der kommenden Generationen mehr als jemandem ohne Kinder. Und, ha, wie Sie es sehen, sind dann meine Kinder wohl Gewächse des sozialistischen Wohlfahrtsstaats? Da dank ich gleich doppelt! Ihnen ironisch, der Wohlfahrt im Ernst! Mir ist klar: auf ein (womöglich höchstpersönliches) Einzelschicksal zu fokussieren kann trügerisch sein. Dennoch, bleiben wir dabei und nennen wir es den demographischen Aspekt, dann ist es verallgemeinerbar. Und relevant!
Tatsächlich ist es so, daß meine große Sympathie mit den libertären Ideen durch einen Artikel von Andreas Tögel in der eigentümlich frei vor etwa einem halben Jahr auf den Prüfstand gestellt wurden. Tögel schrieb, mit Intention gegen den Sozialstaat: »Ist es für die einen besonders wichtig, ihre Kinder ›gratis‹ zur Schule schicken und später studieren lassen zu dürfen, ist es für die anderen die Aussicht darauf, im Bedarfsfall ›kostenlos‹ ein Hüftimplantat verpaßt zu bekommen. Die einen fahren gerne mit der hochsubventionierten Eisenbahn, während die anderen es schätzen, zu moderaten Tarifen die staatlichen Theaterbühnen besuchen zu können. (…) Auf diese Weise fühlt sich am Ende jeder irgendwie als Profiteur der ›sozialen Umverteilung‹«.
Da merkte ich: Ich profitiere ja auch! Deutlich! Als Bahnfahrer, Operngänger, Kinderhaber! Und ich finde es gut! Nein, mehr: Ich halte es, gerade in den von Tögel markierten Beispielen, für sinnvoll! Es gibt Hunderte Dinge, die ich nicht subventioniert sehen will, etwa alles, was mit Propaganda zu tun hat. Weg damit! Bildung, Kultur und Gesundheit sind für mich hingegen Güter, die der Staat auch für Kreise jenseits einer finanzkräftigen Elite kostengünstig bereitstellen sollte.
Was die fünfziger Jahre angeht, (übrigens eine Zeit, in der meine Eltern von deren Eltern zur achtjährigen Volksschule verdonnert wurden, weil’s anders nicht leistbar war): Ich werde seit Jahren nicht müde, die Verdienste von Franz-Josef Wuermeling zu preisen! Wuermeling, der von 1953 bis 1962 Familienminister war, hat immer betont, daß Familienpolitik nicht Sozial‑, sondern Staatspolitik sein müsse. Wuermeling hatte klar erkannt, daß der ökonomische Druck, dem kinderreiche Familien im Verhältnis zu kinderarmen ausgesetzt wurden, einen radikalen Rückgang der Geburtenziffern bewirkte: »Der Leistungslohn, volkswirtschaftlich eine Notwendigkeit, steht dem Ledigen in gleicher Höhe zu wie dem Familienvater. Letzterer ist daher mit seiner Familie der Entbehrung preisgegeben. In höheren Einkommensschichten wird die Familie mit mehreren Kindern in der Regel vom Lebensstandard ihrer sozialen Schicht ausgeschlossen«.
Wuermelings Wirken – er führte das Kindergeld ein – war segensreich! Sein Credo: Kinderreiche Familien sollten sich »auch wirtschaftlich wieder einigermaßen gleichberechtigt innerhalb der sozialen Schichten bewegen können, in die sich der Familienvater durch Fleiß und Leistung heraufgearbeitet« habe.
Sie, Herr Lichtschlag, hingegen würden wohl sagen: »Okay, der Papa hat sich beim Karnickeln verhoben. Sein Pech, wenn die Knete nur für eine mittlere Bildung seiner drei, vier Kinder langt. Muß er sehen, daß er einen privaten Förderer findet.« Aus dieser Sicht handelt derjenige klug, der einfach nur seine 1,3 Kinder in die Welt setzt und denen eine gute Ausbildung gönnen kann. Ach so, dann haben wir einen Fachkräftemangel? Nehmen wir doch Ngoc-Phung oder Ajwad als Ersatz, die sortieren oder programmieren auch nicht schlechter. So geht doch die marktwirtschaftliche Logik? Übrigens, apropos »ausweichen«: Not my kind! Was genau meinen Sie?
Lichtschlag: Liebe Ellen Kositza, ich hatte nicht gesagt, daß Sie »unverschämterweise einen Haufen Kinder in die Welt gesetzt haben« und auch das Wort »karnickeln« würde ich im Zusammenhang mit Kindern nie verwenden. Im Gegenteil, Sie haben meine Hochachtung für die sicherlich auch sehr gute Erziehung. Unverschämt sind in meinen Augen Ihre Ansprüche an Dritte in diesem Zusammenhang. Wir sprechen von der persönlichsten Angelegenheit überhaupt, eine intime Sache zwischen Eltern und Kindern und bestenfalls Gott, sicherlich aber kein Politikum oder sonstwie kollektives Ereignis. Aber da drehen wir uns langsam auch im Kreis.
Mit Ausweichen meinte ich, daß ich immer noch nicht weiß, ob ich meine Ideen als ihrem Feindbild entsprechend betrachten muß. Aber ich versuche mal, nach allem Streit auch Gemeinsamkeiten festzuhalten. Die gibt es im Konkreten, wenn wir beide etwa die »Flüchtlings«Politik der Bundesregierung entschieden ablehnen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Oder wenn wir beide staatliche Propaganda in jeder Form oder Gender-Indoktrinierung ablehnen, immerhin.
Ansonsten halte ich fest, daß wir recht verschieden ticken. Ich kann Ihren Volkstick nicht wirklich nachvollziehen und Sie nicht mein Bestehen auf Freiwilligkeit im Miteinander sowie auf der ökonomischen Grundlage alles Handelns. Ich glaube, daß hier ein sehr tief sitzendes – vermutlich genetisch programmiertes – unterschiedliches politisches und Gerechtigkeitsempfinden berührt wird, das wir nicht wegdiskutieren, sondern nur festhalten können. Wenn dazu dieses Gespräch beiträgt, dann war es nicht umsonst, wie ich finde.
Kositza: Sie sagen es! Allerdings: Auch mit Ihrem beliebten Rückgriff auf die »genetische Prägung« überholen Sie mich ja quasi rechts! Ich würde sagen: Der Unterschied zwischen uns beiden kommt aus der Sozialisation – und der empirischen Betrachtung, die Sie vernachlässigen. Wenn meine Rede vom »Volk« als Bezugsgröße auch ein Tick sein soll, etwas eigentlich Krankhaftes also – dann befinde ich mich dennoch zurückblickend in bester Gesellschaft. Und ich bin mir sehr sicher, daß auch Sie im Zweifels- oder Ernstfall doch auch fix auf den Tick mit dem Volk gebracht werden, ganz einfach durch Fremdzuschreibung.
Mit Morgenstern möchte ich nun aber agonal und versöhnlich zugleich enden: Es gibt Unterschiede / Und soll sie geben / Nur kein fauler Friede / Lieber kein Leben! ¡
ingres
In der Zustromfrage bin ich ja nun eindeutig gegen Lichtschlag, weil er einfach die Realitäten falsch einschätzt bzw. offensichtlich nicht kennt.
Eiegentümlich frei muß ich also nicht lesen. Habe auch selten Links darauf bekommen.
Über das Zahlen für die Kinder fremder Leute habe ich mich zeitlebens nie beschwert. Denn es blieb ja schließlich noch genug übrig. Zwar bin ich auch der Meinung, dass man nur die Kinder hat die man selbst "bezahlen" kann (mußten meine Eltern ja auch und die konnten nur mich und das auch kaum, Kindergeld gabs (noch) nicht, kein eigenes Zimmer, kein Taschengeld, kaum Urlaub außer in der DDR bei Oma und Opa)). Aber ich hab mich nie beklagt. Kinder zu haben ist schon eine ganz besondere Leistung. Andererseits soll es ja aber auch Glück sein, da ist das mit dem Geld dann etwas irritierend.
Was ich aber sehr persönlich nehme ist, wenn man mir erzählt (jetzt nicht hier, aber es ist ja in der Luft), dass meine Rente von den Kindern anderer Leute finanziert wird. Jedenfalls hab ich das schon oft gehört, weil man ja Singles gerne melkt. Da kann auch unser abartiges System nichts falsch machen und sich bei der Mehrheit einschmeicheln, was nur ebenfalls für die Verkommenheit des Systems spricht.
Hätte man mir mein Gehalt gelassen, wäre ich nun wirklich nicht auf staatliche Rente angewiesen. So eigentlich auch nicht, aber es wäre doch etwas enger.
(Ich bitte meine Ausführung in eigener Sache zu entschuldigen.)