Das eigentliche Problem ist der vorausgehende und anhaltende, tiefgreifende und irreversible Vertrauensverlust in die Eliten und in die Institutionen.
Die aktuell oft geäußerten Hoffnungen der Strategen der sogenannten Volksparteien, daß sie verloren gegangenes Vertrauen leicht zurückgewinnen werden, wenn man die eigene Politik dem Bürger nur besser erklärt, sind daher haltlos. Das Vertrauen ist grundlegend zerstört.
Dabei ist es ziemlich egal, ob eine Partei wie die AfD sich in den nächsten Monaten zerlegen oder 2017 mit 15 oder gar 25 % in den nächsten Bundestag einziehen wird. Ich selbst sehe die AfD als ein vorübergehendes Phänomen, als Protestpartei analog zu den Protestparteien in den anderen europäischen Ländern – das reine Gegen richtet nichts aus. Die AfD bündelt derzeit den Verdruss vieler Bürger, verschafft ihm einen politischen Ausdruck.
Doch die Lösung der eigentlichen Aufgabe, eine neue Basis für Vertrauen zu schaffen, wird der AfD nicht gelingen. Dafür ist sie zu sehr dem System, seinen Institutionen, Strukturen und Belohnungsmechanismen verbunden. Bei diesen Überlegungen geht es im Kern um eine Kritik der Institutionen.
Ich neige zu der Einschätzung, daß die Institutionen ihrem Wesen nach nihilistisch und stets willig sind, dem jeweiligen Machthaber gegenüber in Duldungsstarre zu verfallen und sich von ihm besteigen zu lassen. Man hat es in Deutschland 1933 gesehen, man hat es nach 1945 gesehen und ebenso nach 1989. Man sieht es täglich live in Berlin, man sieht es täglich live in Brüssel. Die Institutionen sind das Problem, nicht seine Lösung.
Arnold Gehlen sah es anders. Den Einsichten Herders und Nietzsches folgend, daß der Mensch ein Mängelwesen und „das nicht festgestellte Tier“ sei, kam Gehlen zur Erkenntnis der menschlichen Institutionenbedürftigkeit. Institutionen sind notwendig, um der speziellen Beschaffenheit des Menschen (instinktarm einerseits, formbar, weltoffen und lernfähig andererseits) so etwas wie einen verlässlichen Halt zu geben.
Der Begriff der Institution ist bei Gehlen freilich weit gefasst. Neben der Sprache, den Kulten und Ritualen haben auch die Familie, die Kirche und der Staat institutionellen Charakter (man wird die politischen Parteien ergänzen dürfen). Institutionen geben Sicherheit, schaffen eine dauerhafte Ordnung, geben einen Orientierungsrahmen vor, sind dasjenige, das nach Hobbes den Krieg aller gegen aller zu beenden vermag. Institutionen sind eine Art Organverlängerung, ein Organersatz, eine Prothese, die die mangelhafte Ausstattung des Menschen behebt.
Dieser Gedanke ist längst allgemein geworden und wurde laufend weiterentwickelt – wenn heute behauptet wird, daß nur die europäischen überstaatlichen Institutionen den Frieden in Europa und letztlich die Lösung der großen Menschheitsprobleme garantieren könnten, geht das im Kern auf den Glauben an die heilbringende Macht der Institutionen zurück.
In Teilen kann ich Gehlen folgen: Sprache, Kulte und Kulturen, Rituale, Familie, vielleicht auch eine vom Staat wirklich unabhängige Kirche, ja sogar technische Entwicklungen können dem Menschen Stabilität geben, sein Wesen festigen, ihn in der Spur halten und überlebensfähig machen.
Beim Staat habe ich Schwierigkeiten – und zwar nicht erst mit dem Staat unserer Tage, der seine Staatlichkeit mehr und mehr an überstaatliche Institutionen übertragt. Aber nehmen wir einmal an, daß es ohne den Staat und seine die grundsätzlich anarchische Verfasstheit des Menschen zügelnde Machtausübung nicht geht (was für einen alten Anarchisten wie mich ein bemerkenswertes Zugeständnis ist) – es bleibt doch die Frage, ob die überstaatlichen Institutionen wie beispielsweise die EU und die UN natürliche Weiterentwicklungen des Staatsgedankens und damit seine legitimen Erben sind, oder ob dort etwas wesensmäßig Anderes vom alten Staatsgedanken Besitz ergriffen hat – man darf da gern in den Kategorien des Horrorgenres denken, etwas an alptraumhafte Körperfresser („Body Snatcher“; ähnliches findet sich in wirklich lesenswerter Form schon bei H.P. Lovecraft etwa in „Der Fall Charles Dexter Ward“), wobei man die Außerirdischen getrost durch die Unterirdischen ersetzen darf – die Hülle bleibt erhalten, doch im Inneren macht sich etwas komplett Fremdartiges und in seiner Fremdartigkeit Gefährliches, Zerstörerisches breit.
Das ist so ziemlich genau das, was wir heute erleben: Der Staat, seine Institutionen und seine Symbole sind noch da. Aber dann sind sie es auch wieder nicht – will sagen: die Hülle ist präsent, aber im Inneren hat ein das Wesen verändernder Austausch stattgefunden.
Das wurde spätestens im letzten Sommer vielen blitzartig klar, als die Existenz staatlicher Grenzen und eines schützenswerten Staatsvolkes ausgerechnet durch die von diesem Staatsvolk selbst gewählte Regierung bestritten wurde. Diese Erhellung traf vor allem jene bis in Mark, die bislang noch mit einer gewissen Naivität geglaubt hatten, in einem grundsoliden Staat namens Deutschland zu leben.
Einer schilderte mir das Gefühl jener Spätsommertage mit folgenden Worten: „Mich packte ein eisiges Ersetzen, als ich begriff, das wir ausgeliefert wurden – von unserer eigenen Regierung. Und ich hatte diese Leute gewählt.“ Dieses eisige Entsetzen dürfte in jenen Spätsommertagen epidemische Züge entwickelt haben und bis heute vielerorts anhalten. Natürlich gibt es nach wie vor viele, die das, was sich da ereignet hat, auch heute noch beklatschen würden. Doch der seit einigen Jahren immer deutlicher werdende Riss hat sich in diesem letzten Jahr zur Kontinentalspalte vertieft.
Die aktuellen Bekenntnisse der Kanzlerin, daß Europa seine Außengrenzen vom Nordpol bis tief in den Süden schützen müsse, ändern daran nichts. Das ist Rhetorik, ist hohle Phrase, ist der durchschaubare Versuch konventioneller und längst unglaubwürdig gewordener politischer Kosmetik. Man wird sicherlich alles daran setzen, daß Bilder wie die des letzten Sommers und Herbstes von heranstürmenden Horden so nicht erneut zu sehen sein werden (wenigstens nicht in den staatlich gelenkten Medien). Doch das bedeutet nicht einmal ansatzweise eine Umkehr. Genau das spüren und wissen viele auch – das Grundvertrauen ist verloren.
Doch wie entsteht neues Vertrauen? Und vor allem: Vertrauen worin, in was? Die staatlichen Institutionen sind leere Hüllen, in ihrem Inneren west Fremdartiges. Die Kirchen sind ebenfalls fest in der Hand der Unterirdischen. Wem also vertrauen?
Vielleicht ist es besser, vorläufig und für eine ganze Weile noch das Mißtrauen zu pflegen, eine grundsätzliche Skepsis. Man mag aus symbolischen Gründen eine Protestpartei wählen und sogar ihr Mitglied sein, unser Vertrauen verdient sie nicht. Nach Gehlen müssten wir, wenn wir vorläufig alle staatlichen Institutionen unter Generalverdacht stellen, in das Stadium des hilflos gewordenen Mängelwesens zurückfallen. Der Krieg aller gegen alle droht, das alte „homo homini lupus est“ kehrt zurück.
Doch stimmt das wirklich? Es gibt ja noch die nicht-staatlichen Institutionen, die ebenfalls eine halt- und orientierungsgebende Funktion erfüllen können wie beispielsweise Familie, Kulte, Rituale. Doch das massive Vordringen des „Staates“ (also jenes von den Body Snatchern befallene Zombiewesen) ins Private, in die Familie, gibt allen Anlass zur Sorge – auch dieses Terrain wurde bereits angegriffen, ist vielerorts okkupiert.
Die tiefgehenden Bevormundungsversuche in Sachen Erziehung etwa sind Fakt. Schon die Kita, spätestens aber die Grundschule versucht mit aller Macht, die Weichen zu stellen. Wie sollten Eltern darauf reagieren? Die Autoritäten bewusst untergraben und relativieren, das Amt des Lehrers verächtlich machen? Gezielt das Vertrauen der Kinderherzen zur Klassenlehrerin zerstören? Oder setzt man eher das gelebte Vorbild der Eltern dagegen, in der Hoffnung, daß die Kinder irgendwann den Unterschied zu spüren und zu erkennen wissen?
Subversion ist das Gebot der Stunde. Die fällt konservativen Geistern traditionell schwer – sie haben den eingefleischten, tief verwurzelten Respekt vor dem Amt, den Institutionen und Symbolen als solchen. Deshalb gelten konservative Protestparteien den herrschenden Eliten auch als lästig, aber letztlich nicht als existenzbedrohend gefährlich. Man weiß, daß das Moment des Respekts im entscheidenden Moment überwiegen wird.
Auch „Heimat“ als weitere potenziell sinnstiftende Institution ist in ihrem Bestand gefährdet. Heimat – als geografisch-geschichtlich-kultureller Identifikationsraum – ist längst in das große Netzwerke der Globalisierung eingespannt. Und wieder sind es gerade vom Grundsatz her eher konservativ eingestellte mittelständische Familienunternehmen, die ihre Heimat an das große Netzwerk ausliefern – man zerstört die heimische Landschaft, verfertigt und vertreibt mehr oder weniger gesichtslose, vielleicht sogar überflüssige Produkte, unterstützt die Ausbeutung anderer Erdteile, man sieht eher auf den eigenen Gewinn als auf die soziale Absicherung der Beschäftigten.
Dennoch wird es nötig sein, hier anzusetzen – hier, im Kleinen und Privaten, im Überschaubaren und Nächsten, im Provinziellen und im Eigenen. Das ist notwendig so, denn neues Vertrauen erwächst nur aus dem Vertrauten. Wir müssen uns neben vielem anderen sowohl die Familie als auch die Heimat zurückholen. Die Kampfstellung verläuft dabei nicht nur gegenüber dem nihilistischen Staatswesen, sondern vor allem auch gegenüber den lauen Bekenntnis-Konservativen, auf die im entscheidenden Moment kein Verlass sein wird. Und sie läuft letztlich auch in uns selbst.
Der_Jürgen
Dieser Artikel räumt mit einigen traumtänzerischen Vorstellungen auf, an denen sich gemässigte Regimekritiker - jene, die sich nach der BRD der sechziger oder siebziger Jahre zurücksehnen und immer noch hoffen, dass in der CDU/CSU "die gesunden Kräfte" die Vorherrschaft zurückerobern werden - verzweifelt festklammern.
Er räumt mit der Illusion auf, durch Wahlen lasse sich viel ändern, denn wenn die AFD erst 25 % der Stimmen bekomme, dann...
Ein kurzes Nachdenken zeigt, wie realitätsfern diese Vorstellung ist. Wenn die AFD anno 2017 bei den Bundestagswahlen 25% der Stimmen erhält, führen Union und SPD eben die grosse Koalition weiter und holen in der nächsten Legislaturperiode noch ein paar Millionen Migranten mehr ins Land. Und sollte die AFD gar 40% der Stimmen einheimsen, bringt man halt noch die Linkspartei und die Grünen in eine "Grosse Antifaschistische Koalition" ein. Sie werden gerne mitmachen. Bis zu den nächsten Bundestgswahlen, jenen von 2021, ist die demographische Situation schon gekippt. Dann ist es zu spät.
Dies heisst nicht, dass man nicht AFD wählen sollte, aber nur, um den Druck auf das Regime zu verstärken. Der Umschwung kann, da ein Militärputsch in Deutschland wohl ausgeschlossen ist, nur auf revolutionärem Wege erfolgen. Von einer revolutionären Situation ist Deutschland trotz des wachsenden Grolls im Volk jedoch noch ein gutes Stück entfernt; es muss erst schlimmer werden, ehe es besser werden kann.
Illusionslose Analysen wie dieser Beitrag von Lutz Meyer gleichen einer bitteren Medizin, die man nicht gerne schluckt, die sich aber als lebensnotwendig erweisen kann.