Es war allen Beteiligten klar, daß dieser Titel für Aufsehen sorgen würde: Marx von rechts wird am 9. August erscheinen.
Alain de Benoist, der französische Vordenker der europäischen Neuen Rechten, Diego Fusaro, ein »linker Rechter« und Uni-Dozent aus Mailand sowie ich selbst klopfen Marxens Werk auf Anknüpfungspunkte »von rechts« ab.
Dieses »von rechts« ist dabei für alle nun Aufheulenden freilich das eigentliche Problem:
Rechte, vor allem liberalkonservativ und neonationalsozialistisch orientierte, monieren, man könne den Philosophen des Gulags gar nicht von rechts her denken; seine Gedanken führten direkt zu Stalin und Pol Pot. Über Marx oder dessen Analysen auch bloß nachzudenken sei “Querfront-Rotz”, “Spinnerei”, “Dreck”, “krank”, “gefährlich”, “irre”.
Linke wiederum stoßen sich an dem Zusatz »von rechts«, weil sie “Diskurspiraterie”, “Wortklauberei”, “Betrug”, “Nebelkerzen”, und, natürlich auch hier, “Querfront”- oder gar “Nazi”-Bestrebungen wittern. Ihr Idol Marx soll in seinem Jubiläumsjahr (200. Geburtstag) vor falschen Interessenten geschützt werden, die Übeltäter des geistigen Diebstahls werden entsprechend mit Verbalinjurien und Anfeindungen, nicht indes mit Gegenargumenten konfrontiert.
Doch ebenso wie ihre rechten Panikgenossen wissen sie nicht, was im Buch von Fusaro, Benoist oder mir aufgeboten wird, sondern bedienen sich eines ermüdenden Empörungsrituals, das jeden Diskurs als die Quintessenz ideenpolitischer Offenheit unmöglich macht. Denken darf in entsprechenden Blasen ebenjene Blasen nicht überschreiten, nicht überwinden, noch nicht einmal experimentell übertreten.
Liberale bis Libertäre nun haben – für mich durchaus verblüffend, weil sie weder als Marxianer noch rechts zu bezeichnen wären, also maximal unbeteiligt sind – ebenfalls virtuelle Wutausbrüche hingelegt. Die Argumentationen bleiben bis dato inhaltsarm, sie erinnern an jene von manchen Liberalkonservativen und Hitleristen (Gulag, Querfront-Rotz, Spinnerei), sind aber zusätzlich persönlich vulgär; ein hessischer JA-Funktionär, der sich selbst als Hayekianer sieht, mutmaßte via Facebook-Auftritt des Jungeuropa Verlags etwa, Kaiser sei nicht nur ungebildet, sondern auch homosexuell – wo der Konnex zu einer kritischen Marx-Exegese von rechts zu suchen ist, bleibt sein Geheimnis.
Kurz gesagt: Marx von rechts ist der Stich ins Wespennest, ob dieses Nest politisch nun rechts, links, liberal oder vorgeblich apolitisch positioniert ist. Denn auch Amazon reagierte, und zwar auf eine altbekannte Art und Weise: Nach wenigen Tagen und recht passablen Verkäufen wurde der Titel gelöscht – eine Zensurmaßnahme, die an Antaios-Vorgänge um Richard Millet oder an die Causa Bublies erinnert.
Wer regelmäßig die Sezession liest und sich mit konservativer, neurechter Publizistik beschäftigt, weiß, welche Bedeutung Amazon als Quasi-Monopolist auch für den deutschsprachigen oppositionellen Buchmarkt besitzt. Viele Leser recherchieren mittlerweile über die Plattform, wo Buchverweise auf andere, womöglich bisher unbekannte Titel aufmerksam machen. Wer hier nicht auffindbar ist, findet nicht statt, wer nicht stattfindet, sieht sich, monetär betrachtet, existentiell bedroht.
Denn was diese Boykottmaßnahme für Akteure wie Antaios von Götz Kubitschek und den 2016 gegründeten Jungeuropa Verlag von Philip Stein bedeutet ist klar. Antifaschisten und einzelne Neonationalsozialisten, die hier jubeln, solch – erneut – “Dreck” dürfe ja auch nicht bei einem wichtigen Anbieter wie Amazon erscheinen, argumentieren mit bemerkenswerter Heuchelei; entsprechende Mechanismen sind nicht per se gegen neurechte Theorie gerichtet, sondern können prinzipiell jede fundamentalkritische Publikation treffen.
Alle, die sich im Panikmodus befinden, könnten dabei eigentlich einen Gang herunterschalten. Wer Karl Marx und dessen Werk für überflüssig hält, muß nicht auf das Buch klicken; wer denkt, »von rechts« versteht ohnehin qua obligatorischer Dummheit keiner das, was Marx und sein Kompagnon Engels verzapften, muß nicht auf das Buch klicken; wer meint, bisherige ideenpolitische Grenzen dürfen nicht angetastet werden, um neue Synthesen zu bilden und alte Fehler zu vermeiden, muß nicht auf dieses Buch klicken.
Alle anderen sind eingeladen, in Band II der Jungeuropa-Reihe »Theorie« (nach Kulturrevolution von rechts) Ansätze für einen Neubeginn neurechter Marx-Rezeption zu suchen, darüber zu diskutieren, zu streiten und die einzelnen Aspekte – jeder drei Autoren sucht und findet seine eigenen Schwerpunkte – abzuwägen und gegenüberzustellen.
Gemein ist allen drei Autoren des Bandes der prüfende Ton, die ergebnisoffene Herangehensweise an ihren Gegenstand. Philip Stein, der Marx von rechts als herausgebender Verleger einleitet, hat in diesem Sinne die Grundmaxime für das Werk vorgegeben, indem er Alain de Benoists Zeilen aus der Sezession zitiert:
Eine nüchterne und unvoreingenommene Lektüre von Karl Marx, die sich von der Verteufelung ebenso fernhält wie von der Anbetung, ist nicht nur möglich, sondern sogar notwendig: nicht, um sich dem Marxismus zuzuwenden, sondern um zu prüfen, was an seinem Werk fruchtbar und aktuell geblieben ist.
Gemäß dieses Leitbildes ist Marx von rechts zu interpretieren, ist Bernd Rabehls erfreulich stark nachgefragter kaplaken-Band Raumrevolution zu lesen und zu deuten, zumal das gilt, was Yves Müller im Antifaschistischen Infoblatt über das Vorhaben neurechter Kapitalismuskritik im allgemeinen bzw. neurechter Marx-Lektüre im besonderen – ein wenig zugespitzt – postulierte:
Man will kein rechts-linkes Bündnis gegen den Kapitalismus. Vielmehr soll linke Kapitalismuskritik überflüssig gemacht und von rechts neu besetzt werden.
Wer damit ein Problem hat, sollte das Buch ignorieren oder aber die inhaltliche Auseinandersetzung suchen. In keinem Fall kann er sich jedoch auf den konservativen Jahrhundertautor Ernst Jünger berufen, der selbst formulierte:
Wir sind mit Karl Marx der Meinung, daß es in erster Linie nicht darauf ankommt, die Welt zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Wir fragen nicht lediglich als denkende, sondern als tätige und wollende Wesen.
In diesem theoretischen wie praktischen Sinne ist Marx von rechts ein Baustein auf dem Wege zur Veränderung. Die Schriften von Karl Marx sind dabei selbstverständlich kein allumfassender Schlüssel.
»Wer darauf bestehen würde«, so Diego Fusaro treffend in seinem Buch Schon wieder Marx (Westend Verlag, Frankfurt am Main 2018)
die heutigen Umwälzungen des Kapitals (Finanzkrisen, Auseinanderklaffen der ökonomischen Schere, et cetera) einzig durch die Marx’sche Brille betrachten und interpretieren zu wollen, würde sicher wenig verstehen, da es einfach unmöglich ist, sich ein Bild von Ereignissen zu machen, die Marx gezwungenermaßen nicht vorhersehen konnte. Ebenso wahr ist allerdings,
lenkt Fusaro ein,
dass jeder, der sich weigert, auch diese Brille aufzusetzen, nichts vom Heute und seinen Veränderungen verstehen wird.
Doch diese zukunftsweisende Herausforderung – die zahllosen Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu verstehen lernen – muß von rechts in Angriff genommen werden, will man den vielzitierten einen Schritt voraus sein. Daß Gegner einer zukunftsfähigen »Neuen Rechten« angesichts dessen in seltener Eintracht dem Panikmodus verfallen, darf weder verwundern noch beunruhigen.
Vor allem darf das die Diskussion, die in Marx von rechts eröffnet wird, nicht in status nascendi beenden. Denn eine neue Marx-Lektüre ist zwingend nötig, weil jedwede Kapitalismuskritik fruchtlos bleiben muß, die eine Auseinandersetzung – so kritisch sie sein möge – mit dem tiefschürfenden Kapitalismus-Analytiker Marx scheute – was nicht besagen soll (und auch nicht kann), das integrale Werk Marxens bejahen oder gar en bloc in eine neurechte beziehungsweise konservative politische Theorie einfügen zu wollen.
Worum es vielmehr geht, ist neue Fragen zu stellen und unkonventionelle Antworten zu finden, die Synthesen auf der Höhe der Zeit zustandebringen, welche im besten Falle den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen des frühen 21. Jahrhunderts genügen.
»Der vorliegende Band«, so Philip Stein zutreffend, »soll hierfür einen Startschuss markieren – er wird dies- und jenseits des Grabens vernommen werden.«
Man darf hoffen, daß ihn auch jene vernehmen, denen es, gleich wo sie politisch stehen, um Substanz für die Kontroversen von morgen geht, nachdem sich all die Panikakteure von gestern ihrerseits längst bemerkbar gemacht haben.
Fritz
Kann das nicht empfehlen. Marx steht auf den Schultern von Hegel, und die idealistische Philosophie ist tot.
Die beste Analyse von Marx`Werk und seinen Schwächen ist Leszek Kolakowskis "Hautströmungen des Marxismus".