Seit der Wahl Donald J. Trumps zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten am 8. November 2016 hat sich für die außerparlamentarische US- Rechte, die sich weitestgehend unter dem Dachbegriff AltRight versammelt (vgl. Sezession 69), viel geändert. Nicht nur ist mit Stephen Bannon nun jemand oberster Präsidentenberater, der der »Bewegung« nicht gänzlich ablehnend gegenübersteht; nicht nur sehen sich die alternativen Rechten in ihrer scharfen Ablehnung des politisch-medialen Establishments und der illegalen Einwanderung durch die ersten Handlungen und Erlasse Trumps seit seiner Amtseinführung am 20. Januar 2017 bestätigt; nicht nur scheint sich das Overton window des öffentlich Sagbaren tatsächlich verschoben oder weiter geöffnet zu haben. Der Dammbrucheffekt des Wahlergebnisses, das die AltRight halbironisch mit Methoden der Informationsguerrilla herbeigeführt zu haben behauptet, hat zusammen mit dem enorm gestiegenen Medieninteresse auch zu Wandlungen innerhalb der lose zusammenhängenden »Bewegung« selbst geführt.
Die nachhaltigste Wirkung hatten dabei zwei Affären, die zu regelrechten Schismata führten. Den Anfang machte »Hailgate«, ein Vorfall während der Konferenz des National Policy Institute (NPI) in Washington, D.C. am 19. November 2016. Institutspräsident Richard Spencer beendete seine Abschlußrede über die »neue Normalität«, für die man kämpfe, vor den unbemerkt noch laufenden Kameras des Nachrichtenportals The Atlantic mit den Worten »Hail Trump. Hail our people. Hail victory.«, und eine Handvoll der über 200 Gäste antworteten darauf mit dem (in den USA nicht strafbewehrten) römischen Gruß.
Die von den Atlantic-Mitarbeitern umgehend ins Internet gestellten Aufnahmen sorgten für einen internationalen Medienaufruhr und rangen selbst Donald Trump die Aussage ab, er wolle derartigen Gruppen keinen Vorschub leisten. Richard Spencer selbst erklärte seine Worte mit der ausgelassenen, überschwenglichen Stimmung auf der Konferenz und der allgemeinen Hochstimmung über den Wahlsieg Trumps; die ironische Übertreibung der Szene sei offensichtlich und eine Entschuldigung deshalb überflüssig. Etliche seiner Weggefährten sahen das anders:
Während etwa Jared Taylor, Kopf des Magazins American Renaissance und lange Zeit eine Art Mentor Spencers, das Vorkommnis als »schreckliches, schreckliches Pech« bezeichnete und vorsichtig auf Distanz ging, sprangen etliche Trittbrettfahrer der AltRight sofort öffentlichkeitswirksam von Bord: Der Autor von Persönlichkeitsratgebern Mike Cernovich etwa sowie Paul Joseph Watson vom verschwörungstheoretischen Nachrichtendienst Infowars /Pri- sonPlanet monologisierten tagelang auf Twitter darüber, daß sie noch nie in einem Boot mit Spencer gesessen hätten und dieser sehr wahrscheinlich ohnehin ein behördlicher Lockspitzel zur Diskreditierung der »Bewegung« sei.
Diese »Bewegung« selbst aber nahm das Skandälchen großteils mit einem Achselzucken zur Kenntnis oder schlug sich auf die Seite des Angegriffenen. Gemünzt auf Cernovich, Watson und andere »Renegaten« hat sich seitdem die sarkastische Wendung AltLight etabliert – die Bruchlinie verläuft (von rein kommerziellen Interessen einmal abgesehen) zwischen einem Civic nationalism, der den Bürger auf das Vaterland verpflichten will und dem auch Trump selbst zugerechnet wird, und dem streng an Volksgruppen orientierten Ethnic nationalism.
»Hailgate« brachte also neben großem medialen Druck einige Distanzierungen und die häufig wiederholte (nicht eingetretene) Prognose, daß durch den Vorfall die »Marke« AltRight faktisch erledigt sei und es nur noch darum gehe, die US-Republikaner wieder zu einer echt rechtskonservativen Partei zu machen. Auf der positiven Seite hatte die Affäre nicht nur den Effekt einer Klärung der Fronten innerhalb der ständig um ihre eigene Ausrichtung streitenden »Bewegung«: Zusätzlich führten die NPI-Konferenz und ihr Nachspiel Richard Spencer und Jason Reza Jorjani zusammen, den Geschäftsführer des US-Zweigs des »antimodernistischen« Arktos-Verlags aus Schweden, der einer der Redner in Washington gewesen war und aufgrund der Berichterstattung massivem Druck seines akademischen Umfelds ausgesetzt war.
Die beiden Publizisten antworteten auf den politisch korrekten Beschuß mit einem Schulterschluß und starteten am 16. Januar die Internetplattform altright.com, die sich der Zusammenführung der besten Köpfe und Autoren der AltRight und europäischen Neuen Rechten verschrieben hat. Das Projekt ruht gleichermaßen auf den Schultern Spencers (NPI, Radix-Netzmagazin und Verlag Washington Summit Publishers), des Arktos-Verlags und des ebenfalls schwedischen Multimediaportals Red Ice, das insbesondere für Internet-Livestreams von rechten Großveranstaltungen verantwortlich zeichnet.
Das zweite Ereignis versetzte der AltLight einen harten Schlag: Deren Aushängeschild Milo Yiannopoulos, Star in den sozialen Medien und Redakteur des alternativen Nachrichtenportals Breitbart (vgl. Sezession 75), wurde mit dem Vorwurf der Rechtfertigung sexuellen Kindesmißbrauchs öffentlichkeitswirksam versenkt. Am 19. Februar veröffentlichte ein der Republikanischen Partei zugeordneter Twitter-Account namens »The Reagan Battalion« Auszüge eines zu Jahresbeginn aufgezeichneten Videointerviews, in dem der selbst homosexuelle »Ziehsohn von Steve Bannon« (ZEIT) Yiannopoulos in bezug auf Sex zwischen Lehrern und minderjährigen Schülern erklärte, daß die »willkürliche und unterdrückerische Vorstellung von Einvernehmlichkeit« völliger Unsinn sei. Insbesondere in schwulen Beziehungen könnten Minderjährige vom Kontakt zu älteren Männern profitieren und zu ihrer eigenen Identität finden.
Der sofortige mediale Aufschrei blieb auch diesmal nicht aus: Die selbsternannte »gefährliche Schwuchtel« wurde umgehend von der kurz bevorstehenden »Konferenz konservativer Aktivisten und Politiker« (CPAC) ausgeladen, auf der er neben Bannon, Trump höchstpersönlich sowie Vizepräsident Mike Pence hätte sprechen sollen; der Verlagsriese Simon & Schuster löste den Vertrag über das für März 2017 geplante Yiannopoulos-Buch Dangerous auf, für das ein Vorschuß von angeblich 250.000 Dollar gezahlt worden war.
Nur zwei Tage nach dem Eklat erklärte der plötzliche Paria auf einer eigens anberaumten Pressekonferenz in New York, seine Aussagen seien in Teilen falsch gewesen, aber auch aus dem Zusammenhang gerissen; er sei als Jugendlicher selbst Opfer sexuellen Mißbrauchs durch einen Priester geworden und habe sich wegen seines Opferstatus angemaßt, mit seinen Äußerungen die Grenze des Anstands zu überschreiten. Dennoch: Im gleichen Atemzug trat er von seinem Posten bei Breitbart zurück, nach eigener Darstellung: um durch den Trubel um seine Person nicht die wichtige Arbeit seiner Kollegen zu überschatten. Sein Buch werde nichtsdestoweniger erscheinen, wenn auch voraussichtlich erst Mitte des Jahres.
Angesichts der Schwere der Vorwürfe stellten sich nur wenige konservative Kommentatoren auf die Seite des Gescholtenen, darunter der deutsche homosexuelle Theologe und Junge-Freiheit-Autor David Berger; die »harte« AltRight, von der sich Yiannopoulos zuvor mehrfach distanziert hatte und die in ihrer Bewertung seiner Person seit jeher zwischen »Türöffner« für rechtsalternatives Gedankengut und »kulturlibertärer Schaumschläger« schwankte, kommentierte seinen tiefen Fall mit Genugtuung und gelegentlicher Häme. Richard Spencer seinerseits nannte die zitierten Aussagen Yiannopoulos’ in einem Video (»Milo geht in Flammen auf«) für altright.com »ekelerregend« und »abstoßend«. Gleichzeitig sammelt er derzeit Spenden, um im Laufe des Jahres nach dem Vorbild der »Dangerous-Faggot«-Tour von Yiannopoulos seine eigene »Danger-Zone«-Tour durch US-Universitäten zu veranstalten.
Anstoß dazu war ein Vortrag mit ausführlicher, sehr streitlustiger Diskussion (im Netz in voller Länge dokumentiert), den er trotz massiver Proteste und Gegenaktionen am Nikolaustag 2016 an der staatlichen Texas University in College Station halten konnte. Vielleicht wird er auch nach Europa finden: In diesem Jahr läuft das 2014 gegen ihn erlassene Einreiseverbot in den Schengenraum aus. Eine geplante Veranstaltung mit Milo Yiannopoulos auf dem Campus des linken akademischen Herzens der USA, der Universität von Berkeley, führte am 1. Februar 2017 ihrerseits zu bürgerkriegsartigen Ausschreitungen von Antifa und anderen radikalen Gruppen; sie wurde schließlich aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Die AltRight ist weder »am Ende«, noch hat sie bislang ihre endgültige Form gefunden. Wir werden ihren Transformations- und Wandlungsprozeß noch längere Zeit beobachten können; zu groß ist das Spektrum der vertretenen Gruppen und Weltanschauungen, als daß sich schnell Einigkeit herstellen ließe. Bis dahin wird sie in jedem Fall weiter die Medien und das Internet vor sich hertreiben: Eine Reihe von Doxes (das Enthüllen von Klarnamen und Adressen von im Netz pseudonym agierenden Personen), die Medien und Antifa in der ersten Januarhälfte veranstalteten und denen u.a. der schottische Vlogger »Millenial Woes« zum Opfer fiel, zeugt von einer Eskalationsspirale seitens der Inhaber einer schwindenden Diskurshoheit. Es bleibt allemal spannend um die rechte Kommunikationsguerilla!