Der vielseitig und umfassend Gebildete nahm es nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik noch in den 1960ern auf sich, der bürgerlichen Selbstauslieferung an die eigenen “schrecklichen Kinder” seinen Entwurf eines Neuen Konservatismus entgegenzustellen.
Er hoffte zudem lange auf die gemächliche Umwertung der falschen Werte – seine Begriffsprägung von der “Tendenzwende” führen politische Denker noch heute im Munde.
In seiner von 1974 bis 1988 in Freiburg erschienenen Reihe Initiative und diversen Büchern erforschte er die Wurzeln, Traditionslinien und Bestände klassisch-europäischen Denkens und schuf so ein geistig-seelisches Arsenal, aus dem man sich bis heute aufmunitionieren kann.
Nicht von ungefähr hat die Sezession vor zehn Jahren Kaltenbrunners siebzigsten Geburtstag gewürdigt und sind zwei Aufsätze aus seiner Feder als Kaplaken erschienen: Elite (2008) und Rekonstruktion des Konservatismus (2015).
Aus Anlaß dieses Jubiläums und zum Gedenken an den subkutan wirkmächtigen Polyhistor Gerd-Klaus Kaltenbrunner hat der Grazer Ares-Verlag nun eine verdienstvolle Neuausgabe vorgelegt:
In zwei Bänden wurden die “Sahnestücke” aus dem von 1987 bis 1992 erschienenen Monumentalwerk Vom Geist Europas mit ausgewählten Zusatztexten zusammengeführt.
Verantwortlich zeichnet Kaltenbrunners langjährige Mitarbeiterin Magdalena S. Gmehling, die bereits kurz nach dem Tod des Denkers mit einem feinsinnigen Erinnerungsband hervorgetreten ist.
Vom Geist Europas bündelt Kaltenbrunners geistiges Vermächtnis an die heute aktive Generation. Die darin versammelten Ursprünge und Porträts beleuchten und umreißen drei Jahrtausende deutschen, europäischen und abendländischen Geistes.
Wer nach den Quellflüssen unserer europäischen Identität sucht, wird sie hier anschaulich karthographiert finden!
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Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Vom Geist Europas. Ursprünge und Porträts, Band 1, Graz 2019. 384 Seiten, 29,90 Euro – bestellbar bei Antaios (D) und bei Ares (Ö)!
(Mit Porträts von Hesiod, Platon, Augustinus, Vilfredo Pareto, Johann Gottfried Herder, Franz von Baader, Novalis, Friedrich Hölderlin, Adalbert Stifter, Othmar Spann, Juan Donoso Cortés, Emil Cioran u.v.a.m.)
Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Vom Geist Europas. Ursprünge und Porträts, Band 2, Graz 2019. 384 Seiten, 29,90 Euro – bestellbar bei Antaios (D) und bei Ares (Ö)!
(Mit Porträts von Sokrates, Cicero, Ovid, Boethius, Meister Eckhart, Jakob Böhme, Edmund Burke, Friedrich Schelling, Edward Gibbon, Clemens Brentano, René Guénon u.v.a.m.)
A. Kovacs
Das ist nun wirklich ein Desideratum. Die alten Bände waren kaum noch aufzutreiben. Das „Verschwinden“ des ja vor nicht allzu langer Zeit breit wahrgenommenen Publizisten Kaltenbrunner aus der „Öffentlichkeit“ ist nicht nur seiner Hinwendung zum Mystizismus geschuldet, sondern von interessierter Seite aktiv durch Verschweigen betrieben worden. Frau Gmehling ist wirklich zuzutrauen, aus den drei Bänden „Vom Geist Europas“ (und vielleicht auch aus den ebenfalls drei Bänden „Europa“?) eine relevante Auswahl getroffen zu haben, denn natürlich waren nicht alle (aber doch die meisten) Essays erstklassig und manche behandelten Themen vielleicht doch von heute besehen abseitig. Wenn ich diese Essays lese, wird mir aber jedesmal klar, was verloren gegangen ist. Oben habe ich geschrieben: vor nicht allzu langer Zeit. Was in diesen 30, 40 Jahren an geistiger Zerstörung geschehen ist, ist unglaublich und wird an diesen Kaltenbrunner-Texten, an ihrer Diktion, an ihrer offenen (!) Art zu denken, ja schon am „Europa“-Begriff deutlich. – Bücher werden heute von den meisten Jugendlichen als veraltet belächelt. Das ist eine Tatsache. Dennoch könnte „Vom Geist Europas“ mehr Käufer und Leser finden als der Kulturpessimist erwarten würde, nämlich wegen Kaltenbrunners (wohlverstanden!) „Häppchenstrategie“, die gerade dem heutigen Leser, der sich nur noch 45 Minuten konzentrieren kann und sowieso ständig zwischendurch an der Wasserflasche nuckelt, entgegenkommt. Ob allerdings diese wichtige Neuerscheinung in Blättern wie der „SZ“ oder der „Zeit“ hymnisch besprochen wird, was für eine größere Verbreitung wohl notwendig ist, darf bezweifelt werden.