Leserwarnung: Es kommt mal wieder viel Englisch vor. Sorry.
Gleich vorab: Die Amerika-Spezis bei den Sezessionisten sind ja vor allem Wegner und Lichtmesz, weshalb ich mich in diesem Zusammenhang eher zurückhalte. Aber das, was in den Staaten im Moment unter dem Schlagwort “Groyper Wars” (“Grüpfer-Kriege” – schlichtweg unübersetzbar) vor sich geht, verdient doch ein wenig Beachtung – auch jenseits selbstreferenzieller Netzblasen.
Während ein großer Teil der amerikanischen Republikaner (inkl. Trump) nach einem kurzen populistischen Ausflug zurück zum klassischen Neokonservatismus geschwenkt ist, blieb das im Rahmen des großen “Meme-Krieges” entstandene Netzmilieu der amerikanischen Rechten durchaus unruhig und ist schon seit längerer Zeit hauptsächlich damit beschäftigt sich an den vermeintlichen amerikanischen Konservativen abzuarbeiten.
Die Kernkritik läßt sich in einer Frage zusammenfassen: „What exactly are you conserving?“ – „Was genau versucht Ihr eigentlich zu erhalten?“ Eine Frage, die sich jeder gefallen lassen muß, der sich konservativ nennt, insbesondere, wenn er sich in seinem Interesse und seiner Politik aktiv von der weißen Mittel- und Unterschicht ab- und den unterschiedlichsten ethnischen und sexuellen Minderheiten und ihren Interessengruppen zuwendet.
Im Zentrum der aktuellen Entwicklungen stehen der Jungrepublikaner Charlie Kirk, Chef von „Turning Point USA“ (TPUSA), einer universitären Vorfeldorganisation der Republikanischen Partei (man denke etwa an einen Philipp Amthor und die Junge Union) und der rechte Netzaktivist Nicholas J. Fuentes, der unter dem Slogan „America First“ im Rahmen eines gleichnamigen YouTube-Formats Unterstützer um sich schart.
Diese Unterstützer sind es, die in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder öffentlichkeitswirksam als brave Besucher bei den Veranstaltungen von Kirk auftauchen, um ihn mit unangenehmen Fragen zu konfrontieren. Dabei geht es um die Anbiederung der Republikaner an verlorene Wählergruppen (die ethnische Wahl ist in Übersee noch viel stärker ausgeprägt, als bei uns), um die mangelnde Trittfestigkeit des vermeintlich christlichen Konservativen im Umgang mit der Homo-Lobby und die amerikanische Israelpolitik, die von Fuentes und seinen Unterstützern als Solidarität bis zur Selbstaufgabe wahrgenommen wird.
Auch die ethnischen Verwerfungen, in den USA unter dem Terminus „Demographie“ zusammengefaßt, spielen eine Rolle – wie in Europa sind sie einer der größten Streitpunkte, markieren sie doch jene Kreuzung an der sich eine tatsächliche politische Alternative von der bloßen Neueinfärbung des Status Quo unterscheidet.
Bemerkenswert ist dabei die Hilflosigkeit mit der Kirk den kritischen Fragen begegnet, obgleich viele von Ihnen strukturell wirklich einfach gehalten sind: „Was hältst Du von Trumps Idee muslimische Einwanderung zu verbieten?“ „Würdest Du eine politische Entscheidung unterstützen, die Amerika nutzt, aber Israel schadet?“ Kirk antwortet stets nur mit Phrasen, oder wimmelt die Fragenden ab.
Wie alles, was aus der amerikanischen Netzsphäre zu uns herüberschwappt, sind auch die „Groyper Wars“ – so nennen Fuentes Unterstützer die verbalen Konfrontationen – aufgeblasen mit viel trolligem Unsinn, viel Doppel‑, Dreifach- und Vierfachbödigkeit und natürlich auch mit allerhand Provo-Pomp. Das macht sie für Menschen, die sich nicht regelmäßig in der digitalen Politsphäre bewegen, zumindest in Teilen gleichsam unverständlich, wie es sie für die Zwanzigjährigen, die mit dem Smartphone in der Hand zur Schule gegangen sind, attraktiv macht.
Die inzwischen fast schon internationalisierte rechte Netzsphäre ist eben ein gäriger Pfuhl und ab und zu steigt aus diesem Milieu eine Blase voller Irregularität und Insider-Witze in die politische Realität auf und sorgt dort für Unruhe, weil die Betroffenen auf diesen aktivistischen Stil schlichtweg keine Antwort haben.
Während solche Aktionen häufig peinlich sein können, weil das begeisterungsfähige Publikum – also jenes, das überhaupt das nötige Vorwissen mitbringt, um den Ulk zu verstehen – viel zu klein und marginal ist, hat der Initiator von „America First“, Nicholas J. Fuentes einen Vorteil, der in Deutschland in einer vergleichbaren Situation, etwa im Umgang mit Liberalen, oder Mitgliedern der WerteUnion nicht in diesem Ausmaß ausspielbar wäre: Das hohe Ansehen, das die Meinungs- und Debattenfreiheit in den USA nach wie vor genießt.
Mehrere Untergruppen von Kirks TPUSA haben sich als Reaktion auf die fehlende Diskussionsbereitschaft ihres Chefs bereits aufgelöst, andere – jüngst erst Kirk selbst, der mit Donald Trumps Sohn auf der Bühne stand – sagten die übliche Frage- und Antwort-Runde auf ihren Veranstaltungen ab, um sich und ihre Gäste den kritischen Stimmen aus dem Publikum nicht auszusetzen.
Eine umfassendere Einführung in das Thema, die Antwort darauf, wie die ganze Situation überhaupt zu bewerten ist und welche Relevanz all das für uns in Deutschland hat, geben derweil Martin Lichtmesz, Roman Möseneder und Martin Sellner in einem umfangreichen Diskussionsvideo – Einschalten lohnt sich.
Für mich ist klar: Es sind nicht unbedingt die edelsten Rezeptoren im Menschen, die Genugtuung hervorrufen, wenn man neokonservativen Scheinrechten dabei zuschaut, wie sie von Zwanzigjährigen mit Rosenkränzen in der Hand mit frechen Fragen gegrillt werden, aber wahrscheinlich auch nicht die schlechtesten. Und wenn ich so in die eigenen Reihen gucke und die jungen unverbrauchten und unbekannten Gesichter sehe, die auf ihren Einsatz warten, weiß ich, was ich Hans-Georg Maaßen zum nächsten Bürgerdialog wünsche.
Ellen Kositza
Hm, "Provo-Pomp"? Schon, dabei ist allerdings ziemlich offenkundig, daß Fuentes (im von Ihnen verlinkten Video) ordentlich was eingenommen hat. Für Deutschland würd ich mir durchaus mehr Mut und Laune im rechten Milieu wünschen - aber soo?