Der Einfluß antifaschistischer Strukturen auf das Geschehen in den deutschen Stadien nimmt seit geraumer Zeit zu – eine Subkultur, die in Deutschland als zuvorderst »unpolitisches« Phänomen entstand, hat sich zur Speerspitze »der Arbeit gegen rechte Strukturen und Diskriminierung im Stadion« und zum Kämpfer gegen »Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus oder Antiziganismus« gewandelt.
Was ist Ultra? Möchte man diese heterogene Bewegung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterbrechen, so bezeichnet »Ultra« eine Gruppe fanatischer Anhänger eines Fußballclubs (mittlerweile auch bei anderen Sportarten anzutreffen), die durch einen hohen Organisationsgrad – im Vergleich zu anderen Fangruppen läßt sich bei den Ultras ein hohes Maß an Arbeitsteilung feststellen – charakterisiert wird. Das äußert sich beispielsweise im koordinierten Anstimmen von Fangesängen mittels Megaphone durch »Capos« oder in der Konzeption und Durchführung aufwendiger Choreographien – ein klassisches Stilmittel, das hierbei in der Öffentlichkeit mit »Ultras« in Verbindung gebracht wird, ist das Abbrennen von Pyrotechnik.
Es gab einzelne dezidiert linke Gruppen vor diesem Trend, von denen manche einen nicht überraschen sollten: Ultrà St. Pauli oder Diablos Leutzsch – Ultras Chemie Leipzig rekrutieren sich aus regional fest verankerten linksextremen Strukturen. Daß aber mittlerweile bei Mannschaften wie dem Hamburger SV oder dem 1. FC Magdeburg antifaschistisch orientierte Gruppen auf dem Vormarsch sind, zeigt nachdrücklich die Sprachlosigkeit bzw. Unfähigkeit tendenziell rechts eingestellter Fanstrukturen, sich dem Phänomen des Zugriffs von links zu erwehren.
Das ist unter anderem auf den »unpolitischen« Gründungsmythos der deutschen Ultras zurückzuführen. Während im Ursprungsland der Ultra-Bewegung, Italien, die jeweiligen Gruppen von ihrer Entstehung ab von den turbulenten bis gewalttätigen politischen Konflikten der 1960er- bis 1980er-Jahre beeinflußt waren, wurden beim Aufkommen der ersten deutschen Gruppen in den 1990ern meistens nur die Ausdrucksformen und Organisationsstrukturen der italienischen Vorbilder adaptiert. Die sattgefressene Bundesrepublik bot zu diesem Zeitpunkt nur kargen Nährboden für ausgeprägte politische Positionierungen im Stadion, die über adoleszente Provokationen hinausgingen.
Demgegenüber gehört es in Italien zur Normalität, daß kommunistische/sozialistische und faschistische Ultra-Gruppen das Bild der Stadien prägen. Bekannteste Vertreter der Rechten sind die »Irriducibili« (die Unbeugsamen) von S.S. Lazio Rom, die »Brigate Gialloblu« (früher) und die »Curva Sud« (heute) von Hellas Verona oder die »Boys S.A.N.« von Inter Mailand. Auf der Linken sind die »Curva Nord« von AS Livorno oder das »Collettivo Autonomo Viola« (mittlerweile aufgelöst) von AC Florenz hervorzuheben. Indessen drängt es die politischen Kurven in die Extreme – Mäßigung ist nicht die prävalenteste Tugend der Fanszenen. Ein Phänomen, das auch in den »Politischen Kurven« Deutschlands zu beobachten ist.
Zurück zum »Unpolitischen« als Illusion der Harmoniewahrung innerhalb der Fanszenen: Das vordergründige politische Desinteresse und die damit verbundene Naivität vieler deutscher Ultragruppen öffnete antifaschistischen Interessen insofern die Tore, als der eigene Kompaß für die Identifikation politischer Vereinnahmungsversuche stark verkümmert war und in großen Teilen noch immer ist. Das kommt insbesondere bei der Tolerierung und Übernahme von passiv-aggressiven Etikettierungen wie »Kurve ohne Rassismus« und ähnlichen linksliberalen Derivaten zum Tragen.
Was von vielen »unpolitischen« Akteuren innerhalb der Szenen als unbedenkliche Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird, ist der erste und nicht zu unterschätzende Schritt zur linksdominierten Tribüne. Wenn die von Antifas in Beschlag genommene Südtribüne von Darmstadt, unter dem Eigenname »Block1898« firmierend, folgendes verlautbart, »Auch auf der Südtribüne gilt – Kein Platz für Rassismus! Das hat nichts (sic!) politischen Vorgaben, sondern mit gesundem Menschenverstand, den Werten und der Historie unseres Vereins zu tun«, und dabei auf den »unpolitischen« Charakter dieser Positionierung verweist, dann ist das pure Augenwischerei und politische U‑Boot Taktik.
Wird dieser Behauptung Glauben geschenkt, so geht man der vorgeblichen Ideologielosigkeit der tonangebenden, linksliberalen Paradigmen auf den Leim, die den herrschenden Zeitgeist konstituieren. Der wahrscheinlich von nicht wenigen im »Block1898« geschätzte Karl Marx (zumindest aus der linken »Lifestylepflege« heraus) konstatierte diesbezüglich im »Kommunistischen Manifest« treffend: »Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.«
Und ergänzt man diese Sentenz noch um Marxens Analysen in der »Deutschen Ideologie«, wird das Politische im »Unpolitischen« der Darmstädter Verlautbarung vollends augenscheinlich. Demnach ist jede herrschende Klasse dazu genötigt, »ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen, d. h. ideell ausgedrückt: ihren Gedanken die Form der Allgemeinheit zu geben, sie als die einzig vernünftigen, allgemein gültigen darzustellen«. Wenn die Darmstädter den »gesunden Menschverstand« ins Spiel bringen, exekutieren sie ebenjenen von Marx beschriebenen Prozeß mustergültig.
Für die jeweiligen Fankurven zieht die Etablierung dieses Ausschlußkriterium der »Kurve ohne Rassismus« derweil mehrere folgenschwere Konsequenzen nach sich: Zuallererst wird die linke Rassismusdefinition übernommen, die schon in der Erkenntnis des »Anderen« und des »Eigenen« eine latente Diskriminierungsdynamik identifiziert und diese als zu bekämpfend markiert. Daraus resultiert zwangsläufig die implizite Verbannung aller Gruppen im organisierten Fanbereich, die rechts der Mitte zu verorten sind.
Es muß sich nicht einmal offen politisch positioniert werden – selbst das Tragen der deutschen Nationalfarben wird, wenn die Antirassismusdynamik ins Rollen gekommen ist, zum Vergehen gegen den neuen Leitspruch gewertet. Erschwerend kommt außerdem hinzu, daß sich die Vereinsoffiziellen nun mit hoher Wahrscheinlichkeit zu diesem mindestens linksliberalen Credo bekennen und seine Implementation befürworten werden; gefolgt vom DFB und seinen verlängerten, sozialpädagogischen Armen, den Fanprojekten.
Diese informelle Blockbildung entsteht, da die Übernahme antirassistischer Leitsprüche keinen oppositionellen Akt wider das Establishment verkörpert, sondern vielmehr die Einpassung in den vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens darstellt (siehe oben bzw. Marx). Wer nun seine Kurve nachträglich aus dem Klammergriff linker Ideologeme befreien und aktiv gegen die Vereinnahmung von links stemmen möchte, der sieht sich der breiten Front der »Zivilgesellschaft« gegenüber – er wird seitens der Presse, der Verbände, des Vereins im Einklang mit den Sponsoren und von den Fanprojekten mit allen Mitteln diskreditiert werden.
Ferner ist die Befreiung insofern ein schweres Unterfangen, als das Revidieren der Transformation zur »Stimmung statt Rassismus«-Kurve als Angriff auf die »Vernunft« verstanden wird und einer Positionierung außerhalb der »Menschheitsfamilie« gleichkommt. Daraus folgt die Brandmarkung zum »Unmenschen« durch die Träger des »gesunden Menschenverstandes«. Es ist also angeraten, die Transformation schon in ihrer Entstehungsphase aufzuhalten und nicht erst in Aktionismus zu verfallen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
An dieser Stelle stellt sich nun die Frage, warum eine kritische Betrachtung dieser Prozesse Not tut bzw. warum die Politisierung der deutschen Fußballfankultur von links ein Thema ist, mit dem es sich von rechter Seite aus lohnt, zu beschäftigen. Das hat mehrere Gründe, die sich in zwei Bereiche unterteilen lassen:
Bereich Nr. 1: die Fanszenen im Allgemeinen
- Für viele Fanszenen liegt insofern ein Eigeninteresse an der Sichtbarmachung der Unterwanderungsprozesse vor, als durch die linke Vereinnahmung nicht selten ein tiefgreifender Konflikt in den Kurven entsteht und ehemals tragende Teile der Fanszene als »problematische« Subjekte am besten gleich aus dem ganzen Stadion verbannt werden.
- Außerdem gibt es trotz des linken Übergewichts immer noch ein paar wenige rechte oder mindesten nach rechts tendierende Fanszenen, die einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind, dem sie sich nach allem, was die letzten Jahre in Fußballdeutschland zu beobachten ist, nur ungenügend zu erwehren wissen.
- Darüber hinaus hält mit dem antifaschistischen Vormarsch die von Benedikt Kaiser in seinem kaplaken Blick nach links beschriebene konformistische Rebellion auf den Rängen Einzug, wodurch das Opponieren gegen den »modernen Fußball«, das für die Ultra-Bewegung einen – wenn nicht den essentiellen Aspekt ihres Selbstverständnisses ausmacht(e), zur blutleeren Folklore verkommt.
- Hier bietet die Analyse von rechts die Möglichkeit, zuallererst die Mechanismen zur erkennen, qua derer eine Übernahme vollzogen wird; daran anschließend schafft sie das Verständnis dafür, welche Probleme sich aus der antifaschistischen Metamorphose ergeben und gibt zu guter Letzt Handlungsempfehlungen an die Hand, mit denen man die linken Vorstöße eindämmt und schlußendlich zurückdrängt.
Bereich Nr. 2: Fußball als metapolitisches Feld
- Die metapolitische Bedeutung dessen, was sich jedes Wochenende in den Stadien abspielt, ist nicht zu unterschätzen. Überläßt man linken Gruppen dort das Feld, verliert man einen gewichtigen politischen Vorraum, der als Folge nicht nur brach liegt, sondern zur Mobilisierung gegen das eigene Anliegen genutzt wird.
- Die von Choreographien und Spruchbändern transportierten Botschaften erreichen Hunderttausende in den Stadien, tragen sich über das Internet weiter und werden im Zweifelsfall noch von den Fernsehkameras eingefangen und landen so noch einmal bei Millionen vor den Bildschirmen. Kurven, die nach rechts tendieren und eine dementsprechende Außendarstellung praktizieren, setzen weitreichende Impulse.
- Schlagendes Beispiel für diese Dynamik war die jüngste Spruchbandaktion Cottbuser Anhänger gegen die Demonstration von »Ende Gelände« in der Lausitz, was breit rezipiert wurde und als Katalysator für das eigene Mobilisierungspotential fungierte. Außerdem bedeutet ein politischer Rückhalt in den Fußballkurven eine nachhaltige Verankerung in der Bevölkerung, die unmittelbar erfahren wird und nicht außerhalb des Horizonts des eigenen Erlebens stattfindet.
- Erst wenn sich ein weites Netz, das beispielsweise Bürgertreffpunkte, Kneipen, Burschenschaften, Vereine und einzelne Fußballszenen einschließt, bildet – also kurzum eine Verankerung im »normalen« Leben erfolgt – ist ein außerparlamentarisches Vorfeld geschaffen, das sich als solches auch wirklich bezeichnen kann und resilient gegenüber Störangriffen von außen ist. Bedauerlicherweise wurde die Subkultur der Fußballszenen von unserem Milieu bisher eher stiefmütterlich behandelt.
Um diesen Mißstand zu beseitigen, werden auf den vorliegenden Text zwei weitere folgen, wovon der erste die Mechanismen und insbesondere die Folgen der linken Übernahme ausleuchtet und der zweite praktische Strategien herausarbeitet, mit denen dem grassierenden Antifaproblem Einhalt geboten und eine Bildung konstruktiver rechter Kurven unterstützt wird. Diese beiden Texte zielen auch speziell darauf ab, den involvierten Akteuren den Blick zu schärfen und ihnen die theoretische Unterstützung zur praktischen Umsetzung mit auf den Weg zu geben.
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Maiordomus
Wer sich an "rechten" Fussballfans gütlich tun will, ergötze sich an den youtube-Präsentationen der Anhänger von Lazio Roma. Ich glaube nicht, dass die Fans von Lazio Roma über die Hintergründe des ungarischen Freiheitskampfes im Bild sind. Es ist ein bisschen ein rechtes Pendant zur Begeisterung vieler Junglinker für den "Commandante" Che Guevara. Ein Bedürfnis nach Heldentum.
Immerhin war nun mal der ungarische Aufstand ein mit Schweiss, Blut und Tränen bezahlter, mit nichts anderem in Nachkriegs- Europa vergleichbarer Kampf um Volksfreiheit. Der Beginn desselben, worüber 33 Jahre niemand reden durfte, der 23. Oktober, markiert den zunehmend national betonten ungarischen Nationafeiertag.
Politisch interessant und nicht einfach als faschistisch abzutun ist das Kampflied der Lazio-Fans, "Avanti Ragazzi di Buda", der Lobpreis der ungarischen Freiheitshelden von 1956. Hier würde sich nun aber lohnen, den heute in Ungarn gepflegten und gängigen Kult dieser Vorgänge besser kennenzulernen. Dzu gibt es auf youtube eindrückliches Material.
Über Jahrzehnte tobte ein Kampf um die Deutungshoheit jenes Freiheitskampfes. Wie das Bildmaterial drückend beweist, handelte es sich um einen im emotionalen und auch politischen Kern nationalistisch aufgewühlten Freiheitskampf eines ethnisch homogenen, total unterdrückten Volkes, das aber mit Imre Nagy einen nationalkommunistichen Regierungschef hatte. War das nun eine nationalkommunistische Revolution oder eine faschistische Konterrevolution, wie noch ein Roman des Schweizer Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann in der DDR für die damalige Lesart umgeschrieben werden musste? Klar bleibt: ohne den Übertritt auch von kommunistischen, 1958 hingerichteten "Verrätern" ins nationale Lager wären jene "Ereignisse", wie Chinesen zum Beispiel ihre unterdrückte Konterrevolution von 1989 ebenfalls nennen, nicht möglich geworden. Netto aber handelt es sich ohne wenn und aber um den einzigen neueren Freiheitskampf eines europäischen Volkes, in dem nicht nur vieles, sondern fast alles riskiert wurde. Es ging innenpolitisch für viele um Leben und Tod, aussenpolitisch um das Risiko eines 3. Weltkrieges. Natürlich spielte dabei Radio Freies Europa und der CIA eine nicht kleine Rolle, wiewohl Eisenhower am Ende nichts riskieren wollte.
Auch nicht zu vergleichen mit dem Schwejk-Widerstand der Tschechen 1968 und der weichen deutschen Gutmenschenrevolution von 1989, auf deren Verlauf heute auch ein Egon Krentz selber ein Kränzchen windet. Dabei war es trotzdem die Losung "Deutschland einig Vaterland", welche die Illusionen um einen sogenannt demokratisch sozialistischen zweiten deutschen Staat hinwegfegte.
1972 erklärte mir der ungarische Film- und Theaterautor Istvan Bekefy, jüdischer Kommunist, aber auch Schweiz-Fan, es seien 1956 überall die "Horty"-Faschisten aus ihren Löchern gekrochen, und der Mob sei für einen wie ihn tatsächlich gefährlich gewesen. Im gleichen Jahr 1956 bezeichnete noch der kommunistische Bürgermeister von Neuhausen am Rheinfall die Ungarn-Flüchtlinge als "Horty"-Pack. Bekefy konnte ich aber nicht widersprechen, dass die Masse sich auch in einem "wahren Freiheitskampf" in einen Mob verwandeln kann. Unvergesslich umgekehrt aufgehängte Geheimpolizisten, die nach Vorbild Mussolini und Claretta Petacci präsentiert wurden. Es gab auch eine auf zahlreichen westlichen Illustrierten auf dem Titelblatt abgebildete ungarische "Greta", die aber statt mti dem alternativen Nobelpreis mit einem kühlen Grab ausgestattet wurde. Heldentum ist nun mal nicht in einem Bahnwagen erster Klasse zu erringen.
Avanti Ragazzi di Buda! Es wäre das am meisten politische Kampflied von Fussballfans in Europa, wenn die Gröler nur eine Ahnung hätten, um was es da ging. Es kann sein, dass sie zwar wirklich keine Ahnung haben, es aber irgendwie im Bauch spüren. Die Voraussetzungen für einen Freiheitskampf wie in Ungarn 1956 sind heute nirgends in Europa gegeben, und es wird diese wohl auch nie wieder geben. Aber es handelt sich um die historische Erklärung, warum Ungarn sich politisch anders verhält als Deutschland und wohl auch Italien. Da können die Lazio-Fans singen und grölen, solange sie wollen!