Die 20. Winterakademie des Instituts für Staatspolitik bedeutete einen Schnitt: »keine AfD-Prominenz, also keine Dauerschleife inmitten der rechten Gesellschaft des Spektakels, sondern Grundlagenarbeit, Substanz« (Sezession-Chefredakteur und IfS-Mitgründer Götz Kubitschek schildert hier seine Eindrücke). Rückbesinnung auf das Wesentliche und geistige Kärrnerarbeit bestimmten das Programm, das sich an der Grundthematik »Lesen« orientierte, und legten das Fundament für eine Veranstaltung, die der Selbstbezeichnung »Akademie« vollauf gerecht wurde.
– – –
Der Freitagnachmittag
Etwas AfD hatte die Akademie dann gleich zu Anfang doch zu bieten: Björn Höcke eröffnete das Wochenende mit einem spontanen Gastauftritt. Dabei zitierte er im Hinblick auf die Bedeutung der Akademien aus Gerd-Klaus Kaltenbrunners Klassiker »Elite – Erziehung für den Ernstfall« und gab den Teilnehmern die Devise des Tagungswochenendes mit auf den Weg: Lesen, lesen und nochmal lesen.
Daraufhin übernahm IfS-Leiter Dr. Erik Lehnert das Wort und holte mit einem Bezug auf Ray Bradburys »Fahrenheit 451« zur gewohnten Einführung in die Akademie aus. In diesem Kontext zeichnete er die Affäre um Pedro Baños Buch »So beherrscht man die Welt: Die geheimen Geostrategien der Weltpolitik« nach, um die Mechanismen des »sanften Bücherverbots« zu verdeutlichen. Obwohl wir uns noch im relativ athematischen Vortragsblock befanden, sprach Lehnert gleich mehrere Lektüreempfehlungen aus – Umberto Ecos »Der Name der Rose« und »Der Briefwechsel« Reinhart Kosellecks und Carl Schmitts; was Lehnert zum Anlaß nahm, Briefwechsel generell als wahre Fundgruben der Leseempfehlungen herauszustreichen –, woraus der aufmerksame Zuhörer die enorme, auf ihn zukommende Lektüredichte der nächsten Tage antizipieren konnte.
Folgend oblag es Dr. Dušan Dostanic – serbischer Politikwissenschaftler, Carl Schmitt-Spezialist aus Belgrad und wiederkehrender Akademie-Referent – mit dem ersten themenbezogenen Vortrag unter dem Titel »Romantik als Korsett« den eigentlichen lektüregetränkten Startpunkt zu setzen. Er führte in die deutsche Eigenart der Romantik ein und betonte die signifikante Bedeutung dieser Kulturepoche mit ihren zentralen Merkmalen des Irrationalismus und zyklischen Geschichtsdenken wider ein lineares Fortschrittsdenkens für das deutsche Wesen. Von Anfang bis Ende war der Vortrag gespickt mit dezenten Literaturhinweisen zur Romantik: Friedrich Schlegel, Novalis, Joseph Görres, Heinrich von Kleist etc. – Dostanic hob insbesondere den katholischen Geist innerhalb der Romantik hervor.
Nach diesem gelungenen Grundlagenreferat übernahm erneut Dr. Erik Lehnert das Mikrofon und sezierte im letzten Vortag für den Freitag, »Geschichtsdenker«, die Unzulänglichkeiten der Geschichtsphilosophie, mit der die Rechte traditionell hadert. In Bezug auf ihre eigenen Geschichtstheoretiker spricht sie daher meist von »Geschichtsdenkern«. Ein wesentlicher Vorbehalt der Rechten: Die Geschichtsphilosophie fungiere als »wissenschaftliches« Gefäß für die Fortschrittsideologie. Speziell Carl Schmitt stand ihr äußerst skeptisch gegenüber – ihn als Ankerpunkt der Kritik an der Geschichtsphilosophie nehmend, stellte Lehnert drei Schüler des Plettenberger Meisterdenkers vor, die seine Ablehnung gegenüber der Fachriochtung mit eigenen Arbeiten weiter fundierten: Hanno Kesting, Reinhart Koselleck und Armin Mohler.
Von Kesting empfahl Lehnert »Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der Französischen Revolution bis zum Ost-West-Konflikt«, von Koselleck »Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt« als auch den oben schon erwähnten Briefwechsel-Band mit Carl Schmitt und von Armin Mohler – der so weit ging, die Geschichtsphilosophie als nichtexistent zu deklarieren – den Klassiker »Die konservative Revolution in Deutschland von 1918–1932«. Im Mittelteil seines Referats ging er auf das Dilemma Oswald Spenglers ein, zwischen rechter Betonung der Tat und der Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte zu oszillieren. Indes gehört Spenglers monumentales »Der Untergang des Abendlandes« unumstößlich zum konservativen Lektürekanon, in das jeder mindestens einen Blick geworfen haben sollte.
Am Ende seines Vortrags verwies Lehnert noch auf Rolf Peter Sieferles »Epochenwechsel« als einer Besichtigung des Schlachtfelds der Geschichte, das ein Panorama der gegenwärtigen Voraussetzungen (1994) ausbreitet. Zur Lektüre empfahl er speziell das Schlußkapitel über die Grenzen des Universalismus, in dem die Front zwischen Partikularisten und humanitären Universalisten präzise analysiert wird. Lehnerts Vortrag können Sie hier lauschen (weitere Vorträge der Akademie werden sukzessive auf unserem YouTube-Kanal veröffentlicht):
– – –
Der ganze Samstag
Den Auftakt für den Akademiesamstag machte mit einem Vortrag über »Linke Lektüren« Sezession-Redakteur Benedikt Kaiser.
Linke Lektüre für undogmatische, aufgeschlossene Rechte, so leitete er ein, könne im schlechten Fall zu anderen Ergebnissen führen als zur Integration adaptionsfähiger Gedanken des politischen Gegners in das eigene Weltbild. Bei Henning Eichberg etwa sorgte es für den sukzessiven Übergang in das andere politische Lager. Daher skizzierte Kaiser – bei im Laufe des Vortrags verdeutlichten Schnittmengen – zunächst entscheidende und bleibende Differenzen mit der linken famille spirituelle.
Deutlich wurde, daß ein »neurechter« Streifzug durch linke Literatur das Primärziel »Lernen« umfaßt. Linke Lektüre, veranschaulichte Kaiser, dient nicht der theoretischen Selbstunterhaltung, sondern langfristig dazu, Realitäten zu verändern, die aber erst substantiell verstanden und durchblickt werden müssen. Hier können ganz bestimmte linke Analysen und ganz bestimmte linke Denker – Kaiser schickte eine aktuelle, beispielhafte Elf auf den Platz – hilfreich sein.
Den jungen und zum Teil sehr jungen Teilnehmern gab der Kenner der deutschen und europäischen Linken in all ihren bisweilen bizarren Verästelungen auf den Weg, daß eine lernende Lektüre nicht gleichzusetzen ist mit einer nachahmenden Lektüre im Sinne einer kritiklosen Übernahme oder Selbstanpassung an linke Grundüberzeugungen und Standpunkte. Diesen schmalen Grat entwickelte er in seinem kaplaken-Band Blick nach links, den jeder zwingend lesen sollte, der sich – gleich welcher rechter Denkströmung angehörig – ansatzweise auch für eine kritische, aber konstruktive Schau linker Theorie und Praxis interessiert.
Als nächstes gab sich Sezession-Autor Martin Lichtmesz mit einem kurzfristig abgeänderten Vortragsthema die Ehre: Aus »Rechte Klassiker« wurde »Armin Mohlers Lektüren«. Hierbei stellte er die Eingangsfrage »Wir wird man rechts?« und reflektierte diesbezüglich über seine eigene Initiation entlang der Lektüre von Mohlers »Die Liberalenbeschimpfung«. Die prägende Literatur des jungen Mohler waren Jüngers »Das Abenteuerliche Herz« und »Der Arbeiter«.
Die Beschreibung Mohlers als »Bücherfresser«, als geradezu maßloser Leser ließ Lichtmesz anhand der Scribifax-Kolumne Mohlers in der Zeitschrift Criticon (geistiger Vorläufer der Sezession) greifbar werden. Mohler empfand den »großen Roman« als Gegengift zur Herrschaft der Abstraktion. Solche welterschließende Belletristik erblickte Mohler in Heimito von Doderers »Die Dämonen« und »Die Strudlhofstriege« als auch in Eckhard Henscheids »Maria Schnee – Eine Idylle«.
Was einen welterschließenden Roman kennzeichnet: die Vielfalt an Eindrücken, die Darstellung der Menschen; kurz und knapp, die nicht gänzlich in Worte zu fassende Dichte eines Romans. Abschließend hob Lichtmesz Mohlers Schwerpunkt der »Vergangenheitsbewältigung« hervor, also die Gängelung der Deutschen qua ihrer »Erbschuld Holocaust«. Diesbezüglich kann »Der Nasenring. Im Dickicht der Vergangenheitsbewältigung« als exemplarisch gelten.
Den letzten Vortrag des Abends hielt der Theologe und Politikwissenschaftler Prof. Felix Dirsch zum »Abendländischen Denken – Katholische Abendlandinterpretationen des 20. Jahrhunderts«. Ihm war es hauptsächlich daran gelegen, den Studenten den Kanon katholischer abendländischer Denker näher zu bringen. Dies vollführte er zuallererst über eine Aufladung des Abendlandbegriffs als Identitätsmarker im traditionalistischen, katholischen Sinne und rückte die damit verbundene wehmütige Retrospektive mancher Autoren wie Novalis in den Fokus.
Für das 20. Jahrhundert identifizierte Dirsch die einflußreiche »Abendländische Bewegung« als entscheidenden Träger katholischer Abendlandkonzeptionen, die jedoch Mitte der 1950er Jahre ihren Zenit überschritt und in die Bedeutungslosigkeit versank. Die ständige Frage, die die abendländische Debatte begleitet: »Wieviel Orient steckt im Okzident?« Nach dieser Einleitung richtete er den Blick auf zwei Schriften, die für das abendländische Denken unerläßlich waren: Theodor Haeckers »Vergil, Vater des Abendlandes« und Hermann Brochs »Der Tod des Vergil«. Wobei Haecker den abendländischen Gedanken mehr als Broch verkörpere. Laut Dirsch setzt jegliches (katholisches) Reichsdenken im Grunde bei Vergil an.
Von dieser Basis aus machte Dirsch im katholischen Abendlanddenken einen grundlegenden Kulturpessimismus aus, der alle Theoretiker dieser Schule vereine und hob diesbezüglich Romano Guardinis »Das Ende der Neuzeit« hervor, das er ausdrücklich zur Lektüre empfahl. Für den katholischen Pessimismus beginne die Epoche des Zerfalls bereits mit der Reformation, spätestens mit der Französischen Revolution, so Dirsch.
Ein Aspekt, der auch bei dem von Dirsch angeführten Paul Ludwig Landsberg, »Die Welt des Mittelalters und wir« aber auch bei dem Kunsthistoriker Hans Sedlmayer, »Der Verlust der Mitte«, durchscheint. Darüber hinaus erwähnte er noch den eher unbekannten englischen Scholaren Christopher Dawson » The Making of Europe: An Introduction to the History of European Unity«, um dann mit dem katholischen Historiker Hilaire Belloc, »Die großen Häresien«, zum Schluß zu kommen.
Wie es sich für eine gute Akademie gehört, klang der Samstagabend nach Dirschs Vortrag mit einem reichhaltigen Abendbrot gefolgt von geselligen Gesprächsrunden aus.
– – –
Der Sonntagvormittag
Der letzte Akademietag sollte noch zwei Höhepunkte des Wochenendes bereithalten: Dr. Dr. Thor von Waldsteins Vortrag zu »Staat, Volk, Nation« und Götz Kubitscheks Reflexionen zur »Inneren Emigration heute«.
Von Waldstein begann und machte seine Lektürebesichtigung an ihrer Behandlung des »Volkes« fest. Drei deutsche Soziologen unterzog er dabei einer Tiefenbetrachtung: Max Weber, Werner Sombart und Hans Freyer (Sombart und Freyers Denken und Leben werden in Rolf Peter Sieferles »Die konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen« eingehend beschrieben). Weber, diesem Ausnahmetheoretiker, widmete Waldstein eine ausgiebige Schilderung seines Lebenslaufs, die in einer Darlegung Webers Konzeption von Volk und Nation mündete.
Auf der einen Seite stand Waldstein zufolge der Soziologe, der diese beiden Größen so objektiv wie möglich betrachtete, auf der anderen der politische, nationalistische Kommentator, der an der Konzeptlosigkeit des wilhelminischen Kaiserreichs litt. Der theoretische Weber definiert ethnische Gruppen anhand gemeinsamer Sprache, gemeinsam praktizierter Religion und gemeinsamer Abstammung (jedoch zur Begründung nicht ausreichend).
Der politische Weber wendet sich indes gegen die Vorstellung, daß der Staat als indispensable Voraussetzung der Nation fungiere – für ihn verleiht der Staat der Nation lediglich den Rahmen. Waldstein empfahl insbesondere Webers »Wirtschaft und Gesellschaft« sowie »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«. Allgemein seien einem alle Schriften dieses herausragenden Soziologen ans Herz gelegt.
Im Anschluß ging Waldstein auf Werner Sombart ein, der trotz ehemaliger Popularität heute in Vergessenheit geraten ist. Drei Bücher des Soziologen sind laut Waldstein essentiell: »Händler und Helden«, »Deutscher Sozialismus« sowie »Vom Menschen«
Derweil leitete Waldstein zu Sombarts Volksbegriffen über, von denen es bei ihm einen staatlichen und ethnischen gibt. Sombart sieht im »Volk« ein semi-permeables Gebilde, von dem sich Bestände ab- und ankristallisieren. Ferner betonte Waldstein die Erkenntnis des Ermslebener Soziologen, daß der Staat mehr als die Aggregation der einzelnen Individuen verkörpere.
Der letzte im Bunde des soziologischen Triumvirats, den Waldstein den interessierten Studenten vorstellte, war der vielen wohl gänzlich unbekannte Hans Freyer. Wie Weber stand Freyer dem materialistischen Zeitgeist des ausgehenden Kaiserreichs explizit kritisch gegenüber. Im Besonderen betonte Waldstein Freyers dreifache Stufenfolge der Volkswerdung als geschichtlicher Aufgabe: An erster Stelle steht der Weg des Selbstbewußtseins; darauf folgt der Weg der Formung und mit dem Weg der politischen Gestaltung ist die Genese des »Volks« vollendet.
Das Problem bei Freyer: Bis auf das im Karolinger Verlag erschienene »Die politische Insel« sind seine Arbeiten nur noch antiquarisch erhältlich, teils zu horrenden Preisen. Nichtsdestotrotz gab Waldstein eine Literaturliste aus, auf der er speziell »Revolution von rechts« und »Gemeinschaft und Volk« als zentrale Freyerwerke einordnete. Waldstein schloß mit letzten Hinweisen zu lesenswerter Literatur der drei Denker.
Nun war Sezession-Chefredakteur Götz Kubitschek an der Reihe, der mit dem letzten Vortrag der Akademie aufwartete. Nachdem er im Hinblick auf das Suchen nach politisch ausschlachtbaren Stellen in Büchern zuallererst darauf hinwies, daß zuvorderst die Freude an der Lektüre im Vordergrund stehen sollte, begann er mit ausgiebigen Zitaten aus dem NZZ-Artikel »Unser galliges Gelächter« der (ost)deutschen Schriftstellerin Monika Maron, was ihn zu der Frage nach dem Status der Meinungsfreiheit in der BRD führte, und ob es sowas wie eine neue »Innere Emigration« gäbe.
Um diese zu beantworten, definierte er den Begriff der »Inneren Emigration« und zeichnete den Konflikt zwischen den Exilanten und »Inneren Emigranten« unter den deutschen Schriftstellern während der NS-Zeit nach. Kubitschek erblickt in Ernst Jüngers »Auf den Marmorklippen« das Paradebeispiel eines doppelbödigen Romans der »Inneren Emigration«. In diesem Zusammenhang beschrieb er drei bevorzugte Themen der »Inneren Emigration«: die Methode des “geographischen Anderswo”, die gleichnishaft-typologische Schilderung und die Schilderung historischer Verhältnisse als Parallele zur Gegenwart. Das literarische Werk sei dabei kein politisches, sondern auch ein politisches Werk. Es könne aber stets ohne diese zusätzliche Dimension gelesen werden.
Exemplarische Romane aus der Zeit des Nationalsozialismus sind »Der Großtyrann und das Gericht« von Werner Bergengruen, »Las Casas vor Karl V.« von Reinhold Schneider, »Der Vater« von Jochen Klepper oder auch das bei Antaios in einer illustrierten Ausgabe erschienene » GBockelson. Geschichte eines Massenwahns« von Friedrich Reck-Malleczewen.
Beispiele für eine heutige »Innere Emigration« erkennt Kubitschek indessen im Abwägen jeglichen Sprechens auf der Goldwaage und in den subtilen Mechanismen sozialen Drucks, die sich am Umgang der Öffentlichkeit mit dem »Ketzer« Uwe Tellkamp herauskristallisieren. Aufgrund dieser passiven Zensur spricht er von einer Verborgenheit der neuen »Inneren Emigration«, die sich jedoch in einer ihrem Selbstverständnis nach “offenen Gesellschaft” zu bewegen habe und in großen Verlagshäusern wie eingepaßt erscheinen könnten.
Kubitschek führte seine Annäherung und Arbeitsthese an vier Beispielen aus:»Munin oder Chaos im Kopf« von Monika Maron, »Das Eigentliche« von Iris Hanika, »Follower« von Eugen Ruge und »Propaganda« von Steffen Kopetzky. Zu Kopetzkys »Propaganda« steuerte der AfD-Landtagsabgeordnete Dr. Hans-Thomas Tillschneiders den Begriff »verklemmte Faszination« bei (siehe hier wieder Kubitscheks Nachbetrachtungen).
In der ausführlichen Darlegung des Inhalts der vier aufgeführten Bücher fand die wahrlich gelungene 20. Winterakademie schließlich ihr gebührliches Ende. Wie der detaillierte Akademiebericht mit all seinen Literaturhinweisen erkennen läßt, war es eine der gehaltvollsten Akademien seit ihrer ersten Ausrichtung. Sie hat gezeigt, welche intellektuelle Kraft in unserem Milieu steckt und nicht zuletzt noch unabgerufen schlummert.
Außerdem hat das Vortragswochenende nachdrücklich bewiesen, was Kubitschek in seinem Vortrag auch ausdrücklich unterstrichen hatte: Ein Kulturpessimismus gegenüber zeitgenössischer Literatur ist nicht angebracht – Gute Romane und gute Schriftsteller finden sich immer noch. Wer sucht, der wird fündig.
Homeland
Es sei das von Kubitschek empfohlene "Krastev/Holmes - Das Licht, das erlosch" anheim und ausdrücklich „Legutko - Der Dämon der Demokratie" beiseite gestellt, in Summe erst einmal 5 cm Regalwandlänge, die zeitnah von zwei Seiten die Liberale Demokratie sezieren, erstere entsetzt und persönlich betroffen über ihren Misserfolg, der andere sowohl Anschlag bezeugend als auch Anklage erhebend.
Die empfohlene zeitliche Nähe wäre unvollständig, wenn ich mich nicht an der Empfehlung zu Freyer und dessen kollektivistischer Stoßrichtung reiben würde, trotzdem auch nicht grundsätzlich der Lektüre an sich, sondern der bedeutenden Distanz zum Jetzt und der Zeit wegen. Der traurige Anlaß, der Verlust durch Tod, führt mich deshalb zu dem bedeutenden Konservativen, dem bisher bei uns wenig beachteten Roger Scruton und dessen Werk, das auch Zugang und Nähe zu Burke, Kant und Hegel liefert. Scruton eröffnet zudem eine bedeutende Einsicht in die intellektuelle Grundlage des britischen Weges, und damit auch des Brexit.
Die Alternative zum Nachahmungskollaps in Ungarn, Polen und auch anderswo - um die Brücke noch einmal zu Krastev/Holmes zu schlagen - ist der selbstbewusste britische Weg, der die Freiheit als elementar konservativ definiert. Die deutsche Ratlosigkeit daneben und in Folge dessen dieses unerträgliche Zaudern, hat nicht einmal die Kraft des osteuropäischen Widerspruchs, der zumindest schon auf die Suche gegangen ist und zur Artikulation Fähige befördert hat, die die Seele ihrer Länder verstanden haben und die Alternative tatsächlich vorantreiben.
Ich stelle somit ausdrücklich den National-, mithin den Rechtsliberalismus für eine auf Nationen und Völker basierte Gemeinschaft als dritten Weg in den Raum, der die traditionelle Familie und das Leben an sich nicht nur schützt, sondern hervorhebt und von Hinzukommenden Identifikation, also bewusste Hinwendung jenseits des Materiellen, abverlangt. Dafür liegen für Freyer et.al. die heutigen Bedingungen bereits jenseits von deren Ausgangspunkt und damit im Faktischen jenseits von deren Zeit, was sie nicht nur deshalb in das theoretische Umfeld der Utopie stellt.