Eingebracht hatte diesen Antrag die Fraktion “Die Linke” bereits im Juni 2019, thematisch ergänzt und zugleich abgeschwächt wurde er durch einen Antrag der Fraktion “Bündnis90/Die Grünen”, die im Oktober 2019 forderte, den USA die Steuerung tödlicher Drohnenangriffe von Ramstein aus zu untersagen.
Der Antrag der “Linken” wurde nun mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und AfD abgelehnt. Vorausgegangen war dem eine Beschlußempfehlung durch den Auswärtigen Ausschuß, die wiederum unter anderem mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten erfolgte: Man empfahl dem Plenum, den Antrag abzulehnen. Die Argumentation der beteiligten AfD-Leute stützte sich auf die Nato-Mitgliedschaft Deutschlands: Man könne daher das eigentliche Fernziel, den Abzug aller fremder Truppen aus Deutschland, noch nicht verfolgen.
Die AfD hat in ihrem Grundsatzprogramm die Forderung nach einem vollständigen Abzug aller ausländischer Truppen aus Deutschland tatsächlich festgeschrieben. Der Abgeordnete Petr Bystron lehnte in seinem Redebeitrag den Antrag der Linken und den der Grünen ab, erklärte dabei aber nicht, warum seine Fraktion für den Verbleib einer Stationierung stimmte, die von deutschem Boden aus nicht nur logistisch Kriegshandlungen unterstützt, sondern tödliche Angriffe steuert.
Insgesamt war Bystrons Redebeitrag ein Plädoyer für das, was mit dem Begriff “Regime Change” einen bitteren Geschmack hat. Man versteht darunter die Initiierung und Unterstützung von Bewegungen, die den Sturz von Regierungen und die Einführung einer liberalen Demokratie westlicher Prägung herbeiführen sollen. In Serbien oder in der Ukraine sind diese Umstürze massiv von außen unterstützt und letztlich von innen herbeigeführt worden (in Serbien nicht vollständig). Noch blutiger verliefen die Systemwechsel im sogenannten Arabischen Frühling.
Die “Regime Changes” im Irak oder in Afghanistan sind hingegen das Ergebnis US-amerikanischer Militärinterventionen (oder Angriffskriege), in denen die Supermacht präventiv den Terror an seiner Wurzel zu bekämpfen vorgab und statt von Krieg von “Befreiung” und von einer Art Polizeimaßnahme im Rahmen einer Weltinnenpolitik sprach. Sie trat als Ordnungsmacht auf, schaffte aber keine Ordnung, sondern führt seither Kriege, die nicht beendet werden können, riesige Regionen ins Chaos gestürzt und den Aufwuchs des radikalsten Widerspruchs gegen die “westliche Welt” gefördert haben: den islamischen Staat und seine Ableger.
Die auch dadurch in Gang gesetzte Migrationswelle ist nur eine der Konsequenzen, die vor allem unser Land zu tragen hat.
Zum Abstimmungsergebnis der AfD gibt es also einiges zu sagen – gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die Tötung des iranischen Generals Suleimani, die hier auf unserem Blog geführt wurde. Der eine Punkt betrifft eine grundsätzliche Positionierung, der andere die Verhaltensweise Bystrons.
Insgesamt sollten wir von der Tatsache ausgehen, daß Deutschland außenpolitisch und geostrategisch keine Rolle spielt. Daraus ergeben sich drei mögliche Positionen:
1. Man kann als Teil des US-amerikanischen Blocks den weltweiten militärischen Aktionen und strategischen Entscheidungen der USA zustimmen und sich dadurch als loyaler Vasall (dieses Wort meine ich deskriptiv, nicht wertend) zeigen. Diese prinzipielle Zustimmung schließt immer auch das zumindest verbale Engagement für israelische Belange und die Übernahme des Konzepts “Regime Change” mit ein.
2. Man fordert die USA auf, die Nichtbeteiligung Deutschlands zu respektieren: Wir können und wollen uns nicht an etwas beteiligen, worüber wir nicht mitentscheiden dürfen. Diese Nichtbeteiligung müßte in der Forderung nach einem Abzug ausländischer Truppen aus Deutschland münden, außerdem in der Forderung, moralpolitische Argumente weder in außen- noch in innenpolitische Entscheidungen einfließen zu lassen.
3. Man nimmt aus grundsätzlichen Erwägungen Partei gegen die USA und stellt sich im Umkehrschluß auf die Seite all jener, die sich diesem Hegemon und seiner teilweise außerhalb des Völkerrechts stehenden Maßnahmen widersetzen.
Diese Einteilung ist holzschnittartig, aber sinnvoll, und sie ist natürlich nicht neu. Hinter jeder der genannten grundsätzlichen Positionen stehen bestimmte Teile des rechten, alternativen Milieus in Deutschland, aber vermutlich (und hoffentlich) vermag Position 2 breite Zustimmung zu finden, und zwar aus inhaltlichen, strategischen und taktischen Erwägungen:
- inhaltlich, weil man die Durchsetzungsbrutalität der Vereinigten Staaten und den Regime Change an sich ablehnen sollte;
- strategisch, weil sie ein Mindestmaß an Souveränität markierte;
- taktisch, weil sie auf der Ebene der innenpolitischen Kämpfe eine Alternative zur Alternativlosigkeit wäre (und das ist in unserer Lage stets ein starkes Argument).
Bystrons Auftritt vor dem Bundestag nun ist Teil einer Agenda, mit der er versucht, eine innenpolitische Front zu schließen: Seit Monaten wirft er der Bundesregierung Antisemitismus vor und erklärt die AfD zur eigentlich israelfreundlichen Partei und zum eigentlich verläßlichen Partner der Juden in Deutschland.
Dies wurde zuletzt auf extreme Weise deutlich in einer Pressemitteilung, die Bystron gemeinsam mit Bundessprecher Jörg Meuthen herausgegeben hat. Es ging darin um den bevorstehenden Auftritt Walter Steinmeiers im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in Yad Vashem. Die entscheidende Passage lautet:
Wir begrüßen sehr, dass der Bundespräsident die Gelegenheit nutzt, die Geschichte des Holocausts zu reflektieren, sowie der Millionen von den Nationalsozialisten grausam ermordeten Juden zu gedenken. Wir hoffen, dass diese Reflektion dazu beiträgt, die aktuelle israelfeindliche Politik der Bundesregierung und die Appeasement-Politik gegenüber dem Iran zu ändern.
In diesen beiden Sätzen steckt eine gespiegelte Form jener Instrumentalisierung des Holocausts zu politischen Zwecken, die in Deutschland seit Jahrzehnten Diskussionen über ganz andere Themen verzerrt, zerstört oder sogar verhindert: Identität, Geschichtspolitik, Grenzsicherung sind nur drei Beispiele. Jedwede Verteidigung des Eigenen kann mit moralpolitischen Verweisen auf die “deutsche Schuld” zu einer Auseinandersetzung mit ungleichen Mitteln gedreht werden.
Die Grundfrage lautet: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ist die Lehre aus der Geschichte die, daß es darauf ankomme, auf der Seite der Sieger zu stehen? Oder wäre sie nicht vielmehr so zu ziehen, daß man als Deutscher gut daran täte, vom einen nicht ins andere Extrem zu schlagen, also wiederum (nur diesmal auf Seiten der Zivilisation) an einer blutigen Neuordnung beteiligt zu sein?
Bystron und Meuthen wiederholen nun leider, was wiederum seit Jahrzehnten rechte, konservative Politiker für einen Königsweg halten: auf die richtige Seite zu wechseln, die vielleicht nur deshalb die richtige ist, weil sie die mächtige ist. Die Instumentalisierung des Holocausts gegen nationale, rechte Positionen dadurch zu drehen, daß man sich an die Spitze einer bedingungslos israelfreundlichen Politik setzt und Auschwitz als Argument für den “Regime Change” in anderen Ländern verwendet, knüpft vor allem dieses Gängelband fester.
Joschka Fischer gewann die Zustimmung seiner grünen Partei zum Nato-Einsatz gegen Serbien 1999 dadurch, daß er argumentierte, nur auf diese Weise könne ein zweites Auschwitz verhindert werden. Bystron instrumentalisiert Auschwitz, um den Regime Change im Iran zu befördern. Ob ihm klar ist, daß er dadurch die unstatthafte Instrumentalisierung der Geschichte zu heutigen Zwecken zementiert, und zwar eine Instrumentalisierung, die fast immer sehr wirkungsvoll gegen Deutschland und vor allem auch gegen seine eigene Partei verwendet wird?
Die unoriginelle Strategie Bystrons und Meuthens hofft auf jene Ruhe, die der Lehrer dem Musterschüler gewähren mag.
In dem auf diesem Blog bereits erwähnten und gelobten Buch Das Licht, das erlosch wiederholen die Autoren Ivan Krastev und Stephen Holmes die immer wieder ventilierte These, daß (West)Deutschland nach 1945 als besiegtes Land insgesamt zu einem die USA und die westlichen Werte nachahmenden Musterschüler geworden sei.
Interessant ist, daß Krastev und Holmes dieses Verhalten auf Staatsebene so deuten, wie es auf partei- und damit innenpolitischer Ebene auf Bystron und Meuthen zutrifft. Die Autoren greifen die alte Überzeugung auf, daß mit dem Sieg von 1945 Westeuropa und mit dem von 1989/1990 im Grunde die ganze Welt hin zu einer Nachahmung des US-amerikanischen Vorbilds befreit worden sei.
Der Überzeugung, damit in das “Ende der Geschichte” eingemündet zu sein, habe eine gewisse Zwangsläufigkeit innegewohnt, und der Eindruck, “die Geschichte neigt sich der liberalen Demokratie zu”, sei besonders in Deutschland auf fruchtbaren Boden gefallen:
In einer Welt, die von dem moralischen Imperativ beherrscht wird, das unübertreffliche Vorbild der westlichen liberalen Demokratie machzuahmen, muß kein Land in seiner Vergangenheit gefangen bleiben oder Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Die Reduzierung des politischen Lebens auf die mehr oder weniger erfolgreiche Nachahmung dieses schon existierenden politischen und ideologischen ‘Supermodels’ gab der Menschheit insgesamt und den Deutschen im Besonderen Vergangenheit und Zukunft zu einem günstigen Kombi-Preis.
Wir wissen mittlerweile, daß dieser “alternativlose” Nachahmungsdruck weltweit sehr nachgelassen hat und daß China und Rußland ganz andere Wege gehen. Auch die kleineren mittel- und osteuropäischen Staaten gehen zum Teil einen dezidiert gegen die Nachahmung der Moralpolitik gewendeten Weg. Ihre Absatzbewegung richtet sich dabei weniger gegen die USA, mehr gegen Deutschland, diesen Vorzeige-Bekehrte, der neben dem Schulmeister den Hilfslehrer spielen möchte.
Wäre die Nachahmung des westlichen Weges eine Zwangsläufigkeit, müßte man ihr nicht militärisch und per Regime Change auf die Sprünge helfen. Beides aber versuchen die Vereinigten Staaten mit wachsendem Risiko und Mißerfolg.
Bystrons und Meuthens Vorstoß aber ist derjenige peinlicher Musterschüler, die als Hilfslehrer auf denselben Nachahmungszwang setzen, den ihr alt gewordener Lehrer vorexerziert. Da war Gerhard Schröder reifer, als er am 3. August 2002 den USA Waffenhilfe gegen den Irak verweigerte.
Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch der Übersetzer der Werke Ernst Noltes ins Persische (ich korrespondierte mit ihm, als er Siegfried Gerlichs Nolte-Biographie übertrug), saß im Iran bereits unter schlimmen Bedingungen in Haft, und die Zeit-Journalistin Mariam Lau berichtete in Gesprächen, die wir führten, auch von der Flucht ihrer Familie aus diesem Land. Das sind zwei noch irgendwie glimpflich ausgegangene Beispiele, andere kommen nicht mit dem Leben davon. Niemand von uns romantisiert die Bedingungen, in denen dort gelebt und unter denen dort geflüchtet werden muß.
Dennoch: Regime Change, moralpolitische Erpressung, eine Instrumentalisierung der Geschichte, die an der Alternativlosigkeit festhält und nicht begreifen will, daß die Geschichte längst wieder offen ist oder vielleicht nie beendet war – so kommt Deutschland nicht weiter, so kämpft man nicht um Reste von Souveränität und Handlungsspielräumen. Vielmehr gibt man alternative Verhaltenslehren auf entscheidenden Feldern auf. Solche Verhaltenslehren zu formulieren und auf politischem Feld vorzuleben, müßte aber doch der Identitätskern der AfD sein, oder nicht?
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Lektüre:
Ivan Krastev und Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch.
Nationalmasochismus (mit Beiträgen von Martin Lichtmesz, Michael Klonovsky, Tilman Nagel und anderen)
Schopenhauer
Danke, daß Sie diesen Sachverhalt in die größere Öffentlichkeit gebracht haben. Ich hätte sonst von diesem Vorgang keine Kenntnis gehabt.
Insgesamt mache ich bei der AfD in letzter Zeit eine Art von Altparteienpolitikstil aus. Dieses unsägliche, von Ihnen skizzierte Verhalten Meuthens und Bystrons passt in das Muster. Ich glaube, man will sich mit der "BRD" arrangieren. Warum also etwas ändern?