Das Fazit des Textes schloß ich so:
Ob sich Linke und Union – mit Segen Merkels – auch koalitionär »berühren« respektive näher kommen, werden die kommenden Stunden und Tage weisen. Die AfD, das steht fest, kann nur gewinnen, komme was wolle, und das ist ein Zwischenfazit, das in der Hysterie und Hektik dieser politisch so brisanten Woche gar nicht hoch genug gehalten werden kann.
Nun hat sich gezeigt, daß alles sogar unterschätzt wurde: Was im Oktober 2019 für »Hysterie und Hektik« oder für »politisch so brisant« gehalten wurde, war nichts im Vergleich zu dem, was sich in den letzten drei Tagen abgespielt hat.
Götz Kubitschek hat zum Coup der Mannschaft um Björn Höcke, Torben Braga und Stefan Möller das Wesentliche auf den Punkt gebracht:
Seitdem, also seit etwas über 24 Stunden, haben sich die Ereignisse überschlagen und die Lage ist unbeständig; alles ist im Fluß (daher die Bitte: Erweiterungen, Aktualisierungen, Ergänzungen ins Kommentarfeld!)
Der designierte Thüringer Ministerpräsident Kemmerich (FDP) hat angekündigt, zurückzutreten. Angekündigt – denn vollzogen ist die Demission nicht. Für eine Auflösung des Landtages und eine Neuwahl benötigt die fünfköpfige FDP-Fraktion Unterstützung der Mitbewerber; die CDU stellt sich – bisher – quer. Ihr Generalsekretär Raymond Walk teilte dem MDR mit, eine Neuwahl würde nur weiter polarisieren und die »bürgerliche Mitte« schwächen.
Vor allem geschwächt hat diese ominöse Mitte freilich die beispiellose Skandalisierung einer FDP-Ministerpräsidentschaft, denn Kemmerichs Annahme der Wahl war für das Lager um Christ- und Freidemokraten die einzige Option überhaupt, weder Linkspartei noch AfD zu stützen.
Es bleibt also einstweilen unklar, wie es im Freistaat zwischen Thüringer Wald und Südharz weitergeht. Dennoch gibt es bereits jetzt beständige Fakten, die für sich stehen und z. T. das Gepräge des bundesdeutschen Parteienstaates verändern werden:
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- Merkels Intervention aus Südafrika – die Wahl sei »unverzeihlich«, müsse revidiert werden – hat final bewiesen, was die grundgesetzlich verbriefte föderale, politische Struktur im BRD-Parteienstaat im Zweifelsfall wert ist: nichts. AKK und Merkel haben Mike Mohring, den thüringischen Landeschef der CDU, irreparabel beschädigt; sein Abtritt ist eine Frage der Zeit.
- Eine besonnene Mitte-Position, wie sie die FDP einzunehmen gedenkt, erscheint in polarisierten Zeiten chancenlos. Bei eventuellen Neuwahlen des Landtages, etwa im Mai 2020, werden die Liberalen sicherlich pulverisiert (von 5,0 Prozent dürfte man auf 2–3 Prozent abstürzen), bei einer Ministerpräsidentenneuwahl (als links der Mitte favorisierte Alternative zu einer gänzlichen Neuwahl) würde die FDP keine Rolle mehr spielen: Kemmerich ist so oder so politisch erledigt.
- Ohnehin: Kemmerich. Der tatsächlich an undemokratische Staaten erinnernde Druck, der unmittelbar nach seiner Wahl aufgebaut wurde, und zwar durch Massenmedien und linke Milieus, etablierte Politik und die »Zivilgesellschaft«, war zu viel. Drohungen krimineller, medial gepushter Antifaschisten, Polizeischutz, Merkel-Intervention, Shitstorms, gesellschaftliche Hatz, parteiinterne Sabotage etc. Was rechte Funktionäre und AfD-Mandatare längst gewöhnt sind, kann ein Liberaler nicht aushalten. Was ein Höcke seit Jahren ausstehen muß (LKA-Bewachung des Hauses, Personenschutz, Familie unter Beschuß linker Akteure etc.), würde keiner der sog. Mitte oder der Linken verkraften.
- Auch die WerteUnion (WU), der liberalkonservative Interessensverband innerhalb der Union, muß erst zeigen, daß sie politischem Druck von Merkel bis zur Antifa mittelfristig standhalten kann. Fügt man sich nun erneut der seit vielen Jahren linksliberalisierten Parteispitze? Akzeptiert man, daß die einzige Chance, Rot-Rot-Grün in Thüringen zu verhindern, eine sogenannte »bürgerliche Minderheitsregierung« eben unter Kemmerich, par ordre du mufti sabotiert wurde? Fairerweise muß man sagen: Der Twitteraccount der WU postulierte gestern: »Nicht das Wahlverhalten der demokratisch gewählten Abgeordneten gefährdet unsere Demokratie, sondern die Richtungsvorgaben aus den Parteizentralen.«
Allein, wieviele Landtagsabgeordnete in Thüringen der WU nahestehen ist ebenso unbekannt wie ihre potentielle Standfestigkeit, wenn es um Diäten, Posten und Einflußmöglichkeiten geht. Selbst wenn also die WU diesmal all in gehen würde – sie hat nichts auszurichten, ihre machtpolitische Ohnmacht wird aber immerhin deutlicher denn je und sollte sukzessive alle Illusionen hinsichtlich einer künftigen Rolle dieser Vereinigung als »Korrektiv« zu Merkel, AKK und Co. verbieten. - Die CDU-Führung wird »lesbarer«, berechenbarer »linker«, opportunistischer denn je. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion in Thüringen, Torben Braga, bringt deren Strategie auf den Punkt:
»Keinen Kandidaten für die [erneute!] MP-Wahl aufstellen – Sich bei der Wahl der Stimme enthalten – Die FDP auffordern, dasselbe zu tun – Dadurch die Wiederwahl des Kandidaten der Linken sichern. Einziger Zweck des Ganzen: AfD-Einfluss auf die Regierungsbildung verhindern. Und nun sollen CDU-MdL den FDP-MP wieder absetzen, damit *doch* wieder ein Linker MP wird. Und das obwohl er keine eigene Mehrheit für die eigene Wahl aufbringen konnte. Es sollen also demokratische Prozesse kurzerhand “rückgängig gemacht werden” (Merkel), weil die AfD beteiligt war & das Ergebnis der Kanzlerin, der Berliner Funktionärskaste & lautstarken Demonstranten nicht passt? Ein auf der Grundlagen freier, geheimer Wahlen zusammengesetzter Landtag hat in freier, geheimer Wahl den MP gewählt. Gültigkeit wird nicht angezweifelt. ABER: Das Ergebnis passt nicht, also muss der Gewählte nun zurücktreten. Und das soll ein Sieg der Demokratie sein?« - Natürlich ist dies kein »Sieg der Demokratie«, sondern ein Sieg des meta- und realpolitischen Mosaiks der antifaschistischen Szene. Was nach Kemmerichs Wahl in Gang gesetzt wurde, kann einst in einem Lehrbuch für die erfolgreiche Verquickung dezidiert linker meta- und realpolitischer Bausteine Geltung finden: Druck der Straße (Demonstrationen), Gewalt des Milieus (Anschläge in Jena, Bedrohung Kemmerichs und seiner Familie), Skandalisierung durch prominente Politiker inner- wie außerhalb der Linkspartei (Holocaust-Vergleiche, NSDAP-Analogien), Erpressung der »Mitte« durch massenmedialen Druck linker Journalistennetzwerke von GEZ-Medien bis in die Lokalpresse hinein, »Lösungsangebote« (aka Erpressungsforderungen) durch die Linksparlamentarier in Erfurt (Neuwahl des Ministerpräsidenten, Kleinbeigeben von CDU und FDP). Das Resultat: ein Sieg Bodo Ramelows ohne faktische Mehrheit, nach verlorener Wahl – Metapolitik trifft Realpolitik trifft zynische Machtpolitik.
- Das Überleben von Rot-Rot-Grün ist für die antifaschistische Szene überlebenswichtig. Während die politische Rechte überwiegend durch das Engagement ihrer Mitstreiter überlebensfähig ist, treue Spender und idealistische Strukturen geschaffen hat, ist für die Linke die Staatsalimentierung essentiell. Anders gesagt: Antifaschisten geht es in der Causa Ramelow nicht primär um die Menschen in Thüringen, um das Volk, um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse, um ein solidarisches Miteinander. Ihre mutmaßlich größte Sorge lautet, daß ihre Netzwerke und Seilschaften weniger Cash bekommen.
- Die »bürgerliche Mitte« zeigt erneut, daß sie bei offenem Druck und hypermoralischen Erpressungsversuchen der linken Pressure groups lediglich Verschiebemasse ohne eigene Standfestigkeit darstellt. Höcke hat damit der Union (wie auch der FDP) die Maske vom Gesicht gerissen. Allein, ob das beim Wähler der »Mitte« auch ankommt, liegt im Ungefähren. Hier öffnet sich für mediale Multiplikatoren und künftige – erneute – AfD-Wahlkämpfer in Thüringen ein bedeutsames Feld, denn viele Ostdeutsche, beileibe nicht nur AfD-Sympathisanten, erinnern sich noch gut an die Bevormundungspolitik der SED-Herrschaft, die strukturell Wiederkehr zu feiern scheint.
- Während ich Punkte 9–15 vorbereiten wollte, erscheint eine Eilmeldung auf meinem Smartphone:
»Die Thüringer CDU will nun offenbar ein Comeback des früheren Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) ermöglichen. Wie unsere Zeitung aus Parteikreisen erfuhr, wurde eine vierköpfige Kommission gebildet, die nun mit Linke, SPD und Grünen sowie mit der FDP in Gespräche eintreten soll.« - Die Folgepunkte erübrigen sich damit. Jetzt gilt es für alle Akteure rechts der neuen linken Mitte, der antifaschistischen Einheitsfront von CDU bis Antifa, die sich in Bodo Ramelows anvisiertem Machterhalt materialisieren wird, den Schleier der Heuchelei zu entreißen – es geht ihnen nicht um »Demokratie«, »Humanität« und den Schutz vor einem neuen »1933«, es geht ihnen schon gar nicht um die Belange der Menschen in diesem Land. Es geht dem Kartell von Linksaußen bis Merkel-AKK-Union zuallererst um den Schutz der eigenen Privilegien, um den exklusiven Zugang zur Macht, um den Erhalt des Altparteien-Status quo. Die Tatsachen liegen nun für alle deutlicher denn je erkennbar auf dem Tisch – jeder »Bürgerliche«, jeder WerteUnionler, jeder anständige Christ- und Freidemokrat, ja jeder Gegner einer dauerhaften linken Hegemonie überhaupt muß nun Farbe bekennen – das triste Grau, das als Orwellsches »Bunt« auf allen Kanälen von alten SED-Kadern, militanten Antifaschisten, Multikulti-Grünen und »mittigen« sowie vermeintlich »konservativen« CDU-Apparatschiks gepusht wird, oder das lebendige Blau der einzig verbliebenen, lebendigen, vielfältigen und entschlossenen Opposition, die dieses Land noch besitzt.
MARCEL
"...citoyens, formez vos bataillons!"
Alle sind in Geiselhaft, die Masken sind gefallen. Die Dinge treiben seit gestern Abend weiteren Eskalationen zu, die dann die Klärung bringen werden. Selbst dann, wenn dies in einer halb-dementen Rentnerrepublik noch seine Zeit braucht.
Bewegen wir uns schon auf die von Thorsten Hinz einmal evozierte "letzte Verteidigungslinie" zu? Diese verläuft jedenfalls nicht entlang der Parlamente...