Mitteleuropa
Die bekannteste Konzeption zu Mitteleuropa beruht auf dem gleichnamigen Buch des liberalen Politikers Friedrich Naumann (1860–1919). Es erschien 1915 und wurde bald zu einem Bestseller. Naumann forderte darin vor dem Hintergrund der allgemeinen Kriegszieldebatte einen »liberalen Imperialismus«, mit dem er vor allem das Überleben der beiden deutschen Staaten Deutsches Reich und Österreich-Ungarn sichern wollte.
Die langanhaltende Debatte um dieses Buch zeigte, daß sich in Deutschland vor Ausbruch des Krieges niemand ernsthaft Gedanken über Kriegsziele gemacht hatte und viele mit den überzogenen Forderungen völkischer Kreise nicht einverstanden waren.
Ausgangspunkt der Überlegungen Naumanns war der Zusammenschluß des Deutschen Reiches mit der Doppelmonarchie zunächst in wirtschaftlicher und später in politischer Hinsicht. Anlässe wiederum waren der Krieg, der das Überleben in Frage stellte, und die von Naumann postulierte Tatsache, daß langfristig nur Großwirtschaftsräume überlebensfähig seien.
Naumann war davon überzeugt, daß nicht nur beide allein, sondern auch beide zusammen zu klein zum Überleben seien und sich daher, wenn man nicht in Isolation untergehen wollte, England oder Rußland anschließen müßten, damit man gemeinsam als »Planet« würde überleben können.
Souveränität gebe es aber nur, wenn man selbst Mittelpunkt werde, indem man, analog zum deutschen Zollverein, ein größeres Gebiet vereine. Gesamtdeutschland mußte also eine Wirtschaftsmacht »erster Klasse« werden und dazu die anderen mitteleuropäischen Staaten und Nationen angliedern, um gemeinsam ein eigener Weltwirtschaftskörper zu werden.
Konkret wurde Naumann nur, was den Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten betraf, bei anderen hielt er sich bedeckt und setzte auf die Attraktivität des neuen Mitteleuropas, dem sich die Staaten dann von allein anschließen würden.
Getreu seiner nationalsozialen Überzeugungen wollte Naumann das Projekt zu einer Sache des Volkes machen. Mitteleuropa ist eine der »Ideen von 1914«, die letztlich am Ausgang des Krieges scheiterten, durch das Chaos, das die Pariser Vorortverträge in Mitteleuropa anrichteten, aber aktuell blieb. (EL)
Paneuropa/Vereinigte Staaten von Europa
Die Paneuropa-Union des japanisch-österreichischen Publizisten Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894–1972) kann als eines der zeitweilig erfolgreichsten Vorgängerprojekte der EU bezeichnet werden. Kernstück von Coudenhove-Kalergis Werk von 1923 war die Bildung eines europäischen Staatenbundes über verschiedene Teilschritte: Einrichtung eines europäischen Schiedsvertrages, eines Defensivbündnisses und einer Zollunion.
Dieser Staatenbund sollte wiederum Ausgangspunkt sein für eine umfassende Einigung nach dem Vorbild der USA, sein Kernbestreben war dabei die Verhinderung weiterer kriegerischer Auseinandersetzungen in Europa und eine Selbstbehauptung des Kontinents gegenüber der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika.
Einer Teilhabe Rußlands an diesem Bund stand Coudenhove-Kalergi daher ebenso ablehnend gegenüber wie einer Beteiligung Großbritanniens, das wesensverwandt zu den USA wäre, obgleich er weder für das eine noch für das andere Land eine Mitgliedschaft grundsätzlich ausschloß.
Die Überseekolonien der europäischen Staaten hingegen sollten integriert werden. Coudenhove-Kalergi sah sie als fruchtbare Möglichkeit, die wachsende Bevölkerung Europas zu ernähren. In der Regel wird Coudenhove-Kalergi heute als Vertreter und Vorbereiter einer demokratischen Europa-Union wahrgenommen.
So bezog sich Winston Churchill auf ihn, als er in seiner »Rede an die akademische Jugend« die »Vereinigten Staaten von Europa« forderte. Wie Coudenhove-Kalergi schloß er allerdings auch Großbritannien und Rußland von diesem Europa aus. (TLW)
Europäische Zollunion/Kerneuropa
Die von Otto Strasser (1897–1974) und anderen dissidenten Nationalrevolutionären angestrebte »Europäische Zollunion« wurde wiederholt modifiziert. Zunächst formulierte man in den 1920er Jahren das Ziel »Kerneuropa«. In diesem würde ein Binnenmarkt entstehen, der– neben Deutschland – die ökonomisch verwandten zentraleuropäischen Länder Ungarn, Dänemark, die Niederlande, Luxemburg und die Schweiz umfassen würde.
Ausdrücklich betont wurde, daß ein erfolgreiches Kerneuropa mit gemeinsamem Währungssystem bedeutete, daß aus diesem Nukleus heraus weitere Vergemeinschaftungsschritte auf europäischer Ebene erfolgen könnten.
Die »Vereinigten Staaten von Europa«
– mit Deutschland als natürlichem Hegemon – wurden als langfristiges Ziel angeführt. In den 1960er und 1970er Jahren vertraten die Anhänger Strassers um ihren Inspirator die Idee einer »europäischen Föderation«, die letztlich an dem deutsch dominierten Zollverein »Kerneuropa« festhielt.
Strasser formulierte nach dem Zweiten Weltkrieg, diese Föderation besäße Legitimität, »wenn sie die Eigenart der europäischen Völker bewahrt und ihre Entwicklungs-Möglichkeit sicherstellt«. Wie Oswald Mosley oder Pierre Drieu la Rochelle betonte auch Strasser die Notwendigkeit, jedweder Nivellierung entgegenzuwirken, da die genuin europäische Vielfalt »Europas Kraft und Schönheit« ausmache – die Europäische Föderation um Kerneuropa müßte so verfaßt sein, daß jedwedem Volk größtmögliche Handlungsautonomie erhalten bliebe.
Anders jedoch als Drieu (vor 1945) und Mosley (nach 1945) wollte Strasser die Nationalstaaten nicht in einem Staat Europa aufgehen lassen, sondern die einzelnen Nationen »konföderieren«; insbesondere Strassers Briefwechsel mit Mosley veranschaulicht die Kluft zur »Nation Europa«. (BK)
Zwischeneuropa
Aus der Erbmasse der im Ersten Weltkrieg untergegangenen Reiche waren in Ostmitteleuropa zahlreiche neue Nationalstaaten entstanden, denen spätestens nach der Konsolidierung der Sowjetunion klar wurde, daß sie allein kaum eine Überlebenschance haben würden.
Vor diesem Hintergrund erörterten Intellektuelle und Politiker verschiedene Varianten einer transnationalen Zusammenarbeit, die vom Zweiten Weltkrieg und der anschließenden kommunistischen Herrschaft hinweggefegt und erst nach Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion in einzelne Nationalstaaten wieder aktuell wurden.
Vorreiter dieses Gedankens war der polnische Marschall Piłsudski, der Polen in seinen mittelalterlichen Grenzen wiederherstellen wollte. Langfristig dachte er an die Errichtung einer slawischen Föderation, die von der Ostsee bis zum Mittelmeer (Miedzymorze, »Zwischenmeer«) reichen sollte.
Diese heute unter dem Namen Intermarium fortexistierende Idee war immer von der Frontstellung gegen Deutschland im Westen und gegen Rußland im Osten geprägt. Der Journalist und Volkswirt Giselher Wirsing (1907–1975) erweiterte den Gedanken und prägte 1932 den Begriff »Zwischeneuropa« für die zwischen Deutschland und der Sowjetunion liegenden Staaten.
In seinem gleichnamigen Buch forderte er von Deutschland nach dem gescheiterten Ausgriff auf das Weltmeer und dem
vergeblichen Bemühen um Freundschaft mit dem Westen die Wendung nach Osten. Deutschland sollte sich mit den Völkern Zwischeneuropas näher verbinden, um eine eigenständige Wirtschaftsform auszubilden, die sowohl gegen den doktrinären Marxismus als auch den imperialistischen Kapitalismus gerichtet sein müsse.
Ihm schwebte dabei eine föderalistische Struktur des deutsch-zwischeneuropäischen Raumes auf Grundlage der Nationen vor, wobei er das Vorbild der Sowjetunion nicht verleugnen wollte. Da die Staaten nur über eine Scheinsouveränität verfügten, sei dies der einzige Weg zur Selbstbehauptung.
Die heutige Renaissance der Intermarium-Konzeption hat mit Wirsing nichts zu tun und wird als Alternative zur deutsch dominierten EU propagiert, obwohl die meisten Staaten mittlerweile selbst EU-Mitglieder sind. Eine realpolitische Variante dieser Idee verbirgt sich hinter dem Zusammenschluß der sogenannten Visegrád-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) in einer Zollunion, die heute unter dem Dach der EU als informelles Bündnis fortbesteht. (EL)
Eurasien
Bei dem insbesondere im Dunstkreis des Philosophen Alexander Dugin (geb. 1962) verwendeten »Eurasien«-Begriff handelt es sich nur im Ansatz um eine konkrete Ordnungskonzeption. Eigentlich hat Dugin zunächst nur eine Sammlung von Großraumtheorien vorgelegt, die der Frage nachgehen, ob und wie Rußland zu Europa gehöre und umgekehrt.
Bei Dugin trägt der Begriff »Eurasien« außerdem eine metaphysische und teilweise regelrecht spirituelle Komponente. Anhänger »Eurasiens« vertreten die These, daß es einen eurasischen Block gebe, der dem atlantisch-westlichen Teil der Welt antipodisch gegenüberstehe.
Über das Ausmaß dieses Blocks gibt es verschiedene Vorstellungen. Sie reichen vom Umfang der Eurasischen Wirtschaftsunion (primär bestehend aus Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Weißrußland und Rußland) bis hin zum zeitweise von Dugin propagierten »Eurasien von Dublin bis Wladiwostok«.
Jedenfalls gehören ihm europäische und asiatische Völkerschaften gleichermaßen an, und Rußland nimmt eine natürliche Hegemonialstellung ein. Von Seiten der Konservativen Revolution und des sozialrevolutionären Linksnationalismus waren bereits vor und während dem Zweiten Weltkrieg entsprechende Forderungen laut geworden, die sich zum Beispiel in Person von Ernst Niekisch, Ernst von Salomon oder Otto Strasser auch nach dem Krieg entsprechend zu Wort meldeten.
Auf europäischer Ebene traten mit Jean Thiriart und dessen Schüler Carlo Terracciano zwei weitere eurasische Denker auf den Plan, wobei ersterer als materialistischer Atheist einen rational-geopolitischen Zugang zu der Thematik propagierte, während Terracciano sich stark auf Aspekte der Philosophie Julius Evolas bezog und sich dementsprechend nicht in einem antiamerikanischen Bündnis erschöpfte, sondern, ähnlich wie die frühen russischen Eurasier um Nikolai Trubezkoj, das Moment einer spirituellen Erneuerung hervorhob. (TLW)
Großraumordnung
Eine produktive Weiterentwicklung des Reichsbegriffs lieferte der Jurist Carl Schmitt (1888–1985) 1939 mit seinem Vortrag »Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte«. Darin nimmt er die Grundgedanken der Monroe-Doktrin von 1823 auf, in welcher der amerikanische Präsident Monroe neben der Forderung der Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten die Nichteinmischung außeramerikanischer Mächte in diesem Raum, bei gleichzeitiger Nichteinmischung Amerikas in außeramerikanische Räume, proklamiert hatte.
Der Grundsatz »Amerika den Amerikanern« wurde laut Schmitt in der Folge als ein Recht der Vorherrschaft der Nordamerikaner in ganz Amerika interpretiert, was 1917 mit dem Kriegseintritt der Amerikaner schließlich auf die ganze Welt ausgedehnt worden sei.
Ursächlich dafür sei, daß die Welt von den Amerikanern als offener Kapitalmarkt betrachtet werde, der am besten mit einer liberaldemokratischen Verfassung funktioniere, was jeden Eingriff gegen widerstrebende Kräfte rechtfertige. Schmitt nimmt den Gedanken eines konkreten Großraums auf und wendet ihn auf Europa und die Situation unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an.
Im Sinne der ursprünglichen Monroe-Doktrin fordert er für Deutschland das Recht, die deutschen aber auch die europäischen Belange selbst, ohne Einmischung raumfremder Mächte, zu regeln, und proklamiert einen europäischen Großraum.
Dieser orientiert sich an den kontinentalen Grenzen, schließt also Großbritannien aus. Bestimmt wird dieser Großraum vom Deutschen Reich, das in der Mitte Europas und damit in der Frontstellung gegen die beiden Universalismen steht: den bolschewistisch-weltrevolutionären Osten und den liberaldemokratischen, völkerassimilierenden Westen.
Dagegen habe das Reich die »Heiligkeit einer nichtuniversalistischen, volkhaften, völkerachtenden Lebensordnung« zu verteidigen, die im Großraum Gestalt annehme. In dieser Verbindung sah Schmitt die Voraussetzung für eine echte neue Ordnung, die sowohl Volk als auch Staat in die Raumvorstellungen des 20. Jahrhunderts integrieren könne.
Das Deutsche Reich sollte für die Völker Europas der Garant ihrer Lebensformen sein. Diese Idee wurde in der Folge gründlich diskreditiert, bleibt aber als Gegenbild zu den europapolitischen Ideen der Nachkriegszeit lebendig, wenn man die EU als das Gegenteil des durch das Reich geprägten europäischen Großraums begreift. (EL)
Eurofaschismus
Der sogenannte Eurofaschismus war eine ideenpolitische intellektuelle Strömung, die ihre Hochzeit von 1934 bis 1945 erfuhr, bevor ihre letzten Ausläufer verschiedenartig in die »Nation Europa« (Mosley) oder in »Eurasien« (Dugin/Thiriart) aufgingen. Geographisch umfaßte der eurofaschistische Bundesstaat, wie er wesentlich von Pierre Drieu la Rochelle (1893–1945), aber auch von den Belgiern José Streel und Pierre Daye vertreten wurde, das heutige Europa ohne Rußland, aber mit Großbritannien; er war rein geographisch betrachtet mit Mosleys Konzept identisch.
Der Unterschied bestand im Föderalisierungsgrad: Mosleys Konzept war zentralistischer, dasjenige Drieus entlang der Linie »Region, Nation, Europa« subsidiärer und föderalistischer. Durch eine Lösung europäischer Grenzfragen mittels regionaler Brückenfunktionen in einem sozialen »Paneuropa« (nicht zu verwechseln mit Coudenhove-Kalergi) sah Drieu die Hindernisse für eine europäische Vereinigung überwunden.
Zuerst bedürfte es indes der Abkehr vom »bürgerlichen« hin zum »jungen« Europa; gereinigt von Chauvinismen, Dekadenz, Individualismus. Der Eurofaschismus als »romanische« Erscheinung war zudem eine Protestbewegung gegen das nationalsozialistische Deutsch-»Europa« (»Großgermanisches Reich« usw.).
Drieu legte am 15. Juli 1944 eine Abrechnung mit der NS-Außenpolitik vor; bis heute gilt diese Bilan fasciste als ein Schlüsseltext »europäistischer« Ideenwelten von rechts. Im NS-Umfeld selbst gab es nur einzelne, primär ökonomische Entwürfe nachgeordneter Institute (»Europäische Wirtschaftsgemeinschaft«).
Gedanken über die neue Ordnung Europas machten sich – neben dem Juristen Alexander Dolezalek – indes auch der Historiker Karl Richard Ganzer mit seiner Schrift über Das Reich als europäische Ordnungsmacht (1941). Diese und weitere Versuche blieben bis Kriegsende marginalisiert, während der Schützengraben-Europäismus der Waffen-SS das Jahr 1945 in Veteranen-Zirkeln überdauerte. (BK)
Europäische Union
Die Anfänge der heutigen Europäischen Union waren kein Resultat europapolitischer Theorien, sondern standen ganz in der Tradition klassischer Bündnispolitik. Im Brüsseler Pakt von 1948 hatten sich Frankreich, Großbritannien und die Benelux-Staaten zu einem Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen.
Hintergrund war der sich abzeichnende Kalte Krieg und die Angst vor Deutschland, in dem man trotz Demilitarisierung eine potentielle Gefahr sah. Durch den Beitritt der Westunion in die ein Jahr später gegründete NATO konzentrierten sich die europäischen Einigungsbestrebungen dann auf den wirtschaftlichen Bereich, bei dem auch Deutschland mittun durfte.
Die Montanunion von 1951, die vor allem die Harmonisierung der deutschen und französischen Stahl- und Kohleindustrie zum Ziel hatte, zusätzlich noch Italien und die Benelux-Staaten ins Boot holte und erstmals eine supranationale Behörde schuf, gilt seither als Keimzelle der späteren Europäischen Gemeinschaft.
Deutschland erhielt vier Jahre später durch die Pariser Verträge eine eingeschränkte Souveränität und trat dem Brüsseler Pakt (jetzt Westeuropäische Union) und der NATO bei, was die Spaltung Europas in zwei Blöcke zementierte. 1957 folgten mit den Römischen Verträgen die Europäische Wirtschafts- und Atomgemeinschaft.
Aus diesen Gemeinschaften wurde die Europäische Gemeinschaft, der 1973 einige nordeuropäische Staaten beitraten. 1981 folgten die bislang wegen ihres autoritären Regimes nicht berücksichtigten Länder Griechenland, Portugal und Spanien.
Dem seit Mitte der 1980er Jahre vor allem in Frankreich gehegten Wunsch nach einer Erweiterung der EWG zu einem europäischen Binnenmarkt folgte man 1992 mit dem Vertrag von Maastricht, mit dem die EU als Wirtschafts- und Währungsunion gegründet wurde.
1995 folgte die zweite Norderweiterung, 2002 die Einführung des Euro (den mittlerweile 19 Länder als Währung haben), ab 2004 der Beitritt der ostmitteleuropäischen Staaten. Der 2007 beschlossene Vertrag von Lissabon, der die EU als zentralistischen Superstaat definiert, war ein Kompromiß, da die Europäische Verfassung wegen der gescheiterten Referenden in Frankreich und Niederlanden nicht durchsetzbar war.
Kroatien trat der EU 2013 als bislang letztes Land bei, so daß mittlerweile 28 der 47 europäischen Staaten der EU angehören. (EL)
Nation Europa
Das Europakonzept »Nation Europa« stammt von Oswald Mosley (1896–1980). Mosley war in der Zwischenkriegszeit Tory-Politiker, wechselte zur Labourpartei, bevor er als Parteigründer der British Union of Fascists (BUF) bekannt wurde.
Vom Faschismus und einem seiner Wesenskerne – dem Nationalismus – wandten sich Mosley und sein Umfeld sukzessive ab. In den 1930er Jahren wurde das Bild der westzentrierten »Nation Europa« bereits in Konturen entwickelt; die eigentliche Konzeption stammt indes aus der Zeit von 1945 bis zu Mosleys Tod 35 Jahre später.
Ziel der »Nation Europa« sei es, so Mosley in einem Programmtext (Ich glaube an Europa, 1962) zusammenfassend, einen europäischen Einheitsstaat zu bilden, der »die europäischen Völker vor der Nivellierung und Vermischung« bewahren sollte, »ob diese Gefahr nun durch Amerikanisierung oder Bolschewisierung« drohen möge.
Von den europäischen »Bruderkriegen«, dem Kalten Krieg und der schwindenden europäischen Lebensenergie geprägt, orientierte sich Mosleys Denken an einem Großraumprojekt, das er als Zusammenschluß aller europäischen Länder – inklusive Großbritannien und des afrikanischen Kolonialraumes (»Eurafrika«), exklusive Rußland – verstand, indem regionale und nationale Besonderheiten gebündelt werden sollten, um mit gemeinsamer Zentralregierung und gemeinsamer Armee als Machtblock zusammenzuwirken.
Die einzelnen Länder sollten eine ähnliche Rolle spielen wie die föderalen Bestandteile Großbritanniens oder Deutschlands: Ein Schotte, so Mosley, bliebe schließlich auch im Vereinigten Königreich ein Schotte, ein Bayer auch im vereinigten Deutschland ein Bayer.
Mosleys Vorstellungen (»Europäischer Sozialismus« im »Staat Europa«) zirkulierten innerhalb der Nachkriegsrechten im Umfeld der (frühen) Zeitschrift Nation Europa, des European und einzelner Intellektuellenzirkel um Maurice Bardèche, bevor die Idee der europäischen Nation allmählich ins rechte Hintertreffen geriet und von ehemaligen »Mosleyanern« wie Jean-François Thiriart etwa ins Eurasische weiterentwickelt wurde. (BK)
Europa der vielen Geschwindigkeiten
Seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft gab es Bestrebungen, die Rechtsverhältnisse der Mitgliedsländer anzugleichen und die Unterschiede vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht durch Umverteilung einzuebnen. Die unter dem Stichwort »Reformpolitik« laufenden Bestrebungen fußen auf der Einheitlichen Europäischen Akte, die 1987 in Kraft trat.
Die damit initiierte Kohäsionspolitik hat dazu geführt, daß mittlerweile etwa eine Billion Euro umverteilt wurden. Hintergrund ist die Idee, daß sich die Lebensverhältnisse in der EU möglichst gleichen sollen.
Durch die Euro-Krise im Jahr 2010 hat diese Ideologie einen deutlichen Dämpfer erhalten, da offensichtlich wurde, daß zwischen den Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedsländer zu große Unterscheide existieren, als daß diese lediglich mit Transfer-Leistungen behoben werden könnten.
Im Zuge der Krise gab es daher eine Renaissance der alten Idee, daß ähnlich entwickelte Länder in Europa enger zusammenarbeiten sollten als andere, weniger nah beieinander liegende. Die konsequente Anwendung dieser Idee hätte den Euro auf wenige Länder beschränken müssen.
Allerdings beruhte die Einführung der Gemeinschaftswährung nicht auf der Annahme langfristig unterschiedlicher Geschwindigkeiten in Europa, sondern folgte der Ideologie der sogenannten Gestuften Integration.
Diese erwartet zum einen, daß sich im Euroraum eine zügige Angleichung vollziehe und der Rest der Länder durch Transferleistungen (Kohäsionsfonds) ebenfalls bald die Kriterien für den Euro erfüllte.
Der Ruf nach einen Nord- und einen SüdEuro, der die Eurozone in zwei Teile spalten würde, ist Ausdruck des konsequent zu Ende gedachten Europa der vielen Geschwindigkeiten, das ein Transfer-Europa verhindern möchte, ohne die europäische Einigung grundsätzlich in Frage zu stellen.
Eine deutliche längere Tradition hat die Rede von einem Kerneuropa, das die Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland umfaßt. Ausdruck findet diese Idee bislang nur in gemeinsamen Militäreinheiten.
Gelegentlich wird der Begriff Kerneuropa auf das »Innere Europa« bezogen, das dann die Mitgliedschaft in der NATO, Teilnahme am Schengener Abkommen und den Euro als gemeinsamen Maßstab nimmt und dabei so unterschiedliche Staaten wie Deutschland, Portugal und Estland umfaßt. (EL)
Europa der Vaterländer
Insbesondere unter Rechtspopulisten von AfD bis hin zum Rassemblement National ist das Schlagwort eines »Europa der Vaterländer« beliebt. Der Begriff geht auf den französischen General und Präsidenten Charles de Gaulle (1890–1970) zurück, der ihn Anfang der 1960er Jahre in Abgrenzung zu den »Vereinigten Staaten von Europa« und der damit verbundenen europäischen Integration prägte.
De Gaulle wollte mit diesem Konzept den nationalen Interessen der einzelnen Staaten gerecht werden und Frankreichs Führungsrolle gegen den amerikanischen Einfluß sichern. Frankreich sollte das Zentrum Europas bleiben und die restlichen Staaten sich wie ein Satellitenring darum anordnen.
Ein karolingisches Kerneuropa aus Frankreich, Deutschland und den Beneluxländern sollte den Anfang machen und durch seine Ausstrahlung die Blöcke auflockern und annähern. Fernziel war ein »Europa vom Atlantik bis zum Ural«. 2018 versteht man unter einem »Europa der Vaterländer« in der Regel eine auf einzelnen Gebieten zusammenarbeitende Kooperationsallianz souveräner Nationalstaaten.
Legislative, Judikative und Exekutive obliegen dabei den jeweiligen Mitgliedsstaaten, es gibt keine zentrale Autorität. Das hierarchische Verhältnis der einzelnen Staaten, für deren Auswahl unterschiedliche Kriterien kursieren, eines solchen Europas zueinander ist durch eine permanente Spannung gekennzeichnet, da Fragen militärischer und wirtschaftlicher Hegemonie keiner auswärtigen Regulation unterliegen, sondern von der Vertragstreue und den diplomatischen Verhältnissen der einzelnen Staaten abhängig sind. (TLW)
Europa der Regionen
Die Idee eines »Europas der Regionen« zirkuliert innerhalb der Rechten in den letzten Jahrzehnten immer wieder. Zunächst war das Konzept mit dem subsidiär-föderalistischen Denker Denis de Rougemont (1906–1985) und seinem Europabild der vielen Regionen gekoppelt, die durch Bürgerbeteiligung und Selbstverwaltung den Nationalstaat überflüssig machen würden.
Guy Héraud (1920–2003) setzte diese Arbeit fort; sein Schwerpunkt galt der freien Entfaltung ethnischer Minderheiten in einem regionalistischen Europa durch die Aufhebung der Zentralstaaten. Basisdemokratisch-rechte Ansätze in der Folge Rougemonts und Hérauds stammen beispielsweise von Henning Eichberg (1942–2017), der den Nationalstaat auflösen wollte und viele Dutzend Regionen an seine Stelle zu setzen gedachte.
Alain de Benoist vertrat eine Zeitlang ein ähnliches Bild Europas als Flickenteppich regionaler Sondereinheiten, bevor er zur Trias »Region, Nation, Europa« fand, in der keine Ebene mehr verabsolutiert werden dürfe. Felix Menzel, der in unserer Zeit das Konzept des regional gegliederten Europas reanimiert, geht davon aus, »daß ein Europa der Regionen kein Wunschgebilde ist, das die Gefahren der Zersplitterung verkennt. Es ist lediglich ein erster Schritt, der an die Stelle der abstrakten Macht der bürokratischen Herrschaft eine überschaubare Ordnung setzt, die dem entspricht, was sich die Menschen vor Ort wünschen«.
Auch rechtslibertäre Ansätze eines »Europas der Regionen« sind bekannt. Hans-Hermann Hoppe rechnet mit einem »fiskalischen Bürgerkrieg« in Europa, weil die regionalen und nationalen Unterschiede der Wirtschaftskulturen zu unterschiedlich sind.
Er hofft nach dem Crash der Nationalstaaten Europas wie der EU auf unabhängige, regional gegliederte Privatrechtsgesellschaften.(BK)
Lateinisches Reich
Im Frühjahr 2013 veröffentlichte der italienische Philosoph Giorgio Agamben (geb. 1942) einen kurzen Artikel: »Ein lateinisches Reich gegen die deutsche Übermacht«. Agamben nahm darin Gedanken auf, die der Philosoph Alexandre Kojève (1902–1968) 1945 in einer Abhandlung Das lateinische Reich an Charles de Gaulle gerichtet hatte.
Kojève behauptete damals, Deutschland werde in kürzester Zeit wieder die führende Wirtschaftsmacht Europas sein und damit Frankreich in den Stand einer europäischen Sekundärmacht herabdrücken. Kojève ging weiterhin von einem Ende der Nationalstaaten aus.
Diese müßten, in Analogie zur Ablösung des Feudalismus durch den Nationalstaat, politischen Gebilden weichen, die über nationale Grenzen hinausgingen. Er nannte diese Gebilde »Reich«. Als Vorbilder schwebten ihm das Sowjetische Reich und das angelsächsische Reich (bestehend aus UK und USA) vor.
Frankreich sollte sich daher an die Spitze eines lateinischen Reiches setzen, das die großen lateinischen Nationen, Frankreich, Spanien, Italien, wirtschaftlich und politisch vereinigen sollte. Agamben verbindet diesen Gedanken mit einer Kritik an der real existierenden EU, die ein anfälliges Gebilde sei.
Dem wirtschaftlichen Gedanken setzt er den der kulturellen Lebensformen entgegen, die im Einheitsbestreben der deutsch dominerten EU unterzugehen drohten. Agamben übernimmt auch den antideutschen Affekt von Kojève, der Deutschland zum Agrarstaat und zur Kohlengrube des lateinischen Reiches machen wollte.
Daß die Reaktionen auf diesen Artikel Agambens kaum Entrüstung enthielten, hat vor allem damit zu tun, daß er kein germanisches Reich forderte und sich über die Einigungsmöglichkeiten anderer kultureller Lebensformen bedeckt hält.
Auf die Überlegungen Mussolinis, der die romanischen Völker als natürliche Verbündete ansah, nimmt Agamben keinen Bezug. (EL)
Eurosibirien
Das abenteuerliche Konzept eines »Eurosibirischen Sonnenreiches« geht auf den Franzosen Guillaume Faye (geb. 1949) zurück, der davon ausgeht, daß es infolge einer Konvergenz ökonomischer, ökologischer und politischer Katastrophen zu einer multipolaren Neuordnung der Welt kommen sollte.
Diese Neuordnung schließt einen Kollaps der europäischen Nationalstaaten und die Herausbildung neuer Regionalkollektive ein, die sich schließlich mit der Russischen Föderation zum »Großen Vaterland«, einer Eurosibirischen Föderation, zusammenschließen.
Hintergrund diese Konzeption ist zum einen Fayes Überzeugung, daß die Russische Föderation im Katastrophenzeitalter eine größere Stabilität besitze als das europäische Kernland. Zum anderen sieht Faye im Zusammenschluß Europas und Rußlands auch in Bezug auf natürliche Ressourcen eine geopolitische Notwendigkeit.
Während in Fayes Modell auf globaler Ebene quasi-imperiale Blöcke vorherrschen, die an Schmitts Großraumdenken, oder die geopolitischen Theorien der Eurasier erinnern, sind die unterschiedlichen Regionen seiner Föderation in vielerlei Hinsicht autonom, so zum Beispiel in Fragen des politischen Systems, der Sprache, Bildung und Kultur.
In seinen Schriften betont Guillaume Faye stets, daß es nicht sein Anspruch war, ein fertiges Raumordnungskonzept vorzustellen. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, die Vision einer möglichen post-katastrophalen Ordnung zu zeigen. Die Eurosibirische Föderation ist also weniger als fertiges Modell, denn als Ideenressource zu betrachten, die nur im Kontext seiner anderen Theorieansätze (»Konvergenz der Katastrophen«, »Archaeofuturismus«) verstanden
werden kann. (TLW)
Republik Europa
Ulrike Guérot (1964) ist dank zahlreicher Meinungsbeiträge, Talkshowbesuche, Programmbücher und qua ihrer Rolle als Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung die bekannteste linksliberale Befürworterin einer »Republik Europa«.
In dieser Republik gelten die klassischen Nationen nicht als Bausteine zwischen weiteren, sondern sollen als »überholt« negiert werden. Die Gründerin des European Democracy Lab (EDL) ist der Prototyp einer europäischen Idealistin, die jedenfalls zum Teil Richtiges analysiert – etwa die »Sehnsucht nach einem anderen Europa« als der EU, die Kritik der egoistisch-ökonomistischen Antworten –, aber aufgrund ihrer fehlenden Rückgebundenheit an Heimaterfahrungen und deren Räume Grundfalsches folgert.
»Ihr« Europa kennt keine ethnischen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten, die es als genuin europäisches Erbe zu bewahren gälte jenseits der Ideen der Aufklärung und des Kosmopolitismus. Der Bürger der »Republik Europa« lebt bindungslos, mithin zufällig auf dem Territorium Europas.
Sie fordert Wahlrecht für alle in Europa lebenden Menschen, die eine zentrale Regierung wählen müßten. Ihr Muster sieht einen Abgeordneten für eine Million Stimmen vor und enthält dabei die völlige Loslösung von nationalen Bindungen: ein Europäer, eine Stimme.
Bei Guérot findet sich auch die Forderung nach der Auflösung der Nationalstaaten: 60 bis 80 Regionen und »Metropolen« würden diese ersetzen, ein europäischer Einheitsstaat wäre der Deckel. Eine Besonderheit Guérots und ihrer Anhänger: die Politikwissenschaftlerin befürwortet die Schaffung neuer Städte für Flüchtlinge und Zuwanderer jenseits Europas in der Republik Europa.
Ob »Neu-Aleppo« oder »Neu-Damaskus«: Europäer sollten neue Ballungsräume zulassen, so wie Europäer früher in Amerika neue Siedlungen schaffen konnten – die kulturellen Unterschiede der neuen Zuwanderer bezieht Guérot in ihren Vergleich nicht mit ein.
Am 8. Mai 2045 soll die Gründung der Europäischen Republik erfolgen. Ob sie für diese ein Volk findet, bleibt bis dahin offen. (BK)