In Mit Linken leben beschrieben Lichtmesz und ich vor drei Jahren Begegnungen, Verwerfungen, familien‑, beziehungs- und freundschaftszerstörende Trennstriche zwischen Linken und Rechten. Der heuer neu herausgekommene Band Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik beinhaltet Gespräche zwischen Friedemann Schulz v. Thun (ja, Sie wissen schon, der mit dem „Beziehungsohr“ und dem „Sachohr“, ein echter Klassiker der seit den 70er Jahren populär gewordenen Kommunikationstheorie) und dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über die Hürden der Kommunikation zwischen den verfeindeten politischen Lagern.
Beide Autoren stehen politisch links, Schulz ist allerdings sowohl der intelligentere Linke als auch derjenige, der imstande ist, einen Diskurs abwechselnd von innen und von außen zu sehen. Er hat sich schließlich jahrzehntelang mit Gesprächsebenen herumgeschlagen. Die gute alte „Metaebene“, in der er einst die Dialogkompetenz der Zukunft sah, hat er längst dahin sortiert, wohin sie gehört: zu den schier unerschöpflichen Möglichkeiten streitanfälliger, mißverständnisaffiner und beziehungstötender Möglichkeiten menschlicher Gespräche. Das Gespräch-über-unser-Gespräch ist manches Mal sogar noch giftiger, als es das schlichte Gespräch ohne Diskussion über Tonfall, Kompetenzanmaßung und „rückwirkende Generalisierung“(„Immer hast du …“, „Nie willst du …“) ohnehin schon ist.
Pörksen und Schulz nehmen sich zu Beginn ihren großen gemeinsamen Referenzdenker vor: Paul Watzlawick und seine Anleitung zum Unglücklichsein (1983). Die kennt jeder, und daher liefert der Gesprächsband auch zunächst nicht sonderlich viel Neues. Es leuchtet sofort ein, daß auch und gerade die Rechts-Links-Kommunikation reichlich haarsträubende Versionen garantiert unglücklich machender Dialogmuster vorrätig hält.
Schulz v. Thun hat ein graphisches Modell schieflaufender politischer Dialoge entwickelt, das er „Diffamierungsquadrat“ nennt. Die beiden polaren politischen Lager stigmatisieren sich gegenseitig, indem sie aus der sachlichen Differenz („Willkommenskultur im Namen der Nächstenliebe und Menschenwürde“ vs. „Harte Abgrenzung im Namen der nationalen und kulturellen Identität und Stabilität“) moralische Vorwürfe entwickeln („Gutmenschentum“ vs. „Rassismus“). Diese Dynamik läuft unreflektiert mit stupender Erwartbarkeit immer gleich ab und führt zu immer denselben deadlock-Situationen.
Die beiden Theoretiker halten ein normatives Verständnis von gelingender Kommunikation dagegen. Auch an dieser Stelle ist Schulz der Pfiffigere, weil er genau weiß, daß „Verstehen, Verständnis und Einverstandensein“ dreierlei sind, während Pörksen nicht verhehlen kann, daß nur eine bestimmte politische Kommunikation in Wirklichkeit verständnisorientiert ist und „Rechtspopulisten“ in seinen Augen defizitär kommunizieren. Immerhin ist er weit von der Dummdreistigkeit der österreichischen Grünen-Politikerin Birgit Hebein entfernt, die vor ein paar Wochen auf Twitter verlauten ließ:
Ich bin nach wie vor überzeugt, die Menschen in Ö sind offen zu helfen, Schutz zu geben, Kindern Zukunft zu geben. Sprachbilder, die Angst erzeugen sollen, sind politisch kontraproduktiv. Politik ist dazu da Lösungen zu entwickeln, dazu gehört lösungorientierte Sprache. #WirHabenPlatz
„Lösungsorientierte Sprache“ – welch ein Euphemismus! – findet sich für die meisten Linken allein in ihrem eigenen politischen Programm.
Ist die Frage nach der Links-Rechts-Kommunikation überhaupt noch wichtig? Stecken wir nicht gerade mitten in einer gigantischen politischen Umwälzung? Jemand schrieb mir letzte Woche:
Dass es zu einer Erosion unserer Gesellschaft gekommen ist aufgrund von zersetzenden Partikularinteressen in Gestalt von Identitätspolitik, dass es zu einer Spaltung gekommen ist zwischen “links” und “rechts” bzw. progressiv und traditionalistisch, daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Doch dass dieses verdammte Virus jetzt auch unsere eigene Gruppe spaltet, das ist zu viel. Genau das beobachte ich aber seit einigen Tagen.
Wir haben es in der Tat, das beobachte ich seit Beginn der Corona-Kommunikation, mit einem neuen und geradezu exemplarischen Schulz-von-Thunschen Diffamierungsquadrat zu tun. Ein genauso tiefer, genauso beziehungszerstörender Riß wie der zwischen „rechts“ und „links“ ist in unglaublicher Geschwindigkeit zwischen “Coronagläubigen“ und „Coronaleugnern“ entstanden.
Daß der Begriff „Virusleugner“ (Spiegel über Trump) sich zu den bekannten Wörtern „Holocaustleugner“ und „Klimaleugner“ gesellt, spricht für seinen politreligiösen Bannfluchcharakter. Solche Bannflüche sind dazu da, bestimmte Kommunikationen fürderhin unmöglich zu machen, indem behauptet wird, der Gegenstand dieser Kommunikation sei schlechthin unbestreitbar. Das Wort „leugnen“ bedeutet das wissentliche Verneinen einer gegenständlichen Tatsache. Wer jedoch an der Existenz oder Gefährlichkeit des Coronavirus zweifelt oder behauptet, es sei nur ein vorgeschobener Popanz, „leugnet“ nicht wissentlich Fakten, sondern bestreitet nichts anderes als die gegnerische Position.
Ein Kommunikationsproblem wird zu einem Tatsachenproblem umgedeutet. Eine solche Umdeutung ist schieres kommunikatives Gift.
Innerhalb des „rechten Lagers“ finden sich vermutlich genauso viele und genauso vehemente Anhänger der Position einer realen Pandemiegefahr wie Anhänger der Position, die ebenjene bestreitet (Martin Lichtmesz hat dies bereits hier beleuchtet). Und möglicherweise verhält sich dies innerhalb des linken Lagers genauso, hier fehlt mir allerdings die repräsentative Stichprobe. Der neue kommunikative Riß hält sich nicht an vormalige politische Lagergrenzen, sondern verläuft quer dazu durch die Gesellschaft.
Mit Schulz v. Thun ließe sich ein „Diffamierungsquadrat“ zeichnen, in dem ungefähr folgende Sätze stünden:
Auf der Sachebene „Der Staat setzt wissenschaftlich bestätigte Maßnahmen ein um die Bevölkerung vor dem Virus zu schützen“ vs. „Der Staat hebelt unter dem Vorwand einer medizinischen Diagnose Bürgerrechte aus, um eine Agenda durchzusetzen“. Daraus lassen sich auf der Beziehungsebene behende Vorwürfe generieren: „Verschwörungstheorien“, „Nestbeschmutzer“, „Virusleugner“ auf der einen Seite, und „Mainstreamgläubige“, „Schlafschafe“ oder „Massenhysterie“ auf der entgegengesetzten Seite.
Ich befinde mich derzeit im ländlichen Exil, wo mich jedoch einige Beispiele erreichten.
- Ein Lehmbauer, ganzkörperdreckig bis auf die hellblauen Augen, wisperte: “Laßt euch nicht verarschen!” und schickte, als er Gleichgesinntheit spürte, ein Video mit einem Interview des wegen Leugnerei aus der Gemeinschaft der Rechtgläubigen ausgestoßenen Wodarg. Politisch ist der Typ sicher ein Linker.
- Ein Bekannter, Spezialist für kommunistische Literatur, führt derzeit einen Psychokrieg mit seiner Verflossenen, da diese den Kindern aus Hygienegründen Handschuhe anzieht und sie weder aus der Wohnung noch zu ihm läßt.
- Ein weiterer Mann, so höre ich, terrorisiert seine Ex, weil er glaubt, sie habe nur deshalb keine Virusangst, weil ich mit ihr in Mailkontakt stehe und sie indoktriniere.
Nicht wenige schwelende Beziehungsdramen, die gar nichts mit „Corona“ zu tun haben, werden derzeit über Bande gespielt (man bedenke diese Möglichkeit beim nächsten kreischenden oder weinenden Anrufer). Manche schwanken emotional mehrmals am Tag zwischen Überlegenheitsgefühl gegenüber den „Ängstlichen“ und frisch genährter Unsicherheit aufgrund der nächsten Coronatotenmeldung. Und ganz wenige spüren den Riß gar im eigenen Denken: nach reiflichem Bedenken festgestellte Unentscheidbarkeit der Positionen führt sie dazu, sich der weiteren Kommunikation zu diesem Thema zu entschlagen.
Schulz v. Thun ist unermüdlich in seiner heilsamen Dialogrettungsmission. Sein Gesprächspartner Pörksen kann es kaum glauben, daß Schulz sogar „geschult an der Logik des Wertequadrates im Totalzweifel des Verschwörungstheoretikers die Überdosierung einer im Kern positiven Eigenschaft entdecken“ würde, nämlich nicht alles, was ihm von offizieller Seite dargestellt wird, für bare Münze zu nehmen.
Echte Konspirationstheoretiker würden doch, meint Pörksen, jede Kommunikation killen, indem sie die Nichtbeweisbarkeit als besonders raffinierten Teil der Verschwörung deuten und sich so „selbstimmunisieren“ (Karl Popper) würden gegen Kritik. “Hmmm …”, überlegt Friedemann Schulz v. Thun:
freilich, und wahrscheinlich ist dann der Zeitpunkt gekommen, an dem man getrost kapitulieren sollte. Oder vielleicht die Kontroverse mit einem Feedback beenden: ‘Sie bringen das Kunststück fertig, zugleich ein Skeptiker und ein Gläubiger zu sein! – Aber der Gläubige in Ihnen scheint die Oberhand zu gewinnen …
Wir sind alle keine Kommunikationsgurus. Und doch haben wir bereits gut geübt. Die zugespitzte Rechts-Links-Kommunikation der letzten Jahre war unser Testfeld, keiner von uns war davon ausgenommen, mit Freund oder Feind politisch diskutieren zu müssen. Keiner blieb davon verschont, moralischen Keulen auszuweichen oder ihren Schlag stumm zu erdulden, eskalierenden Streit zu bewältigen, und selten einmal ein agree to disagree zu erringen.
Nun müssen wir die erworbenen Fertigkeiten auf ein neues Gebiet übertragen: jeder neue Gesprächspartner, Vertrauter oder Fremder, kann dem eigenen oder dem gegnerischen Lager angehören (weder-noch kommt so gut wie nie vor). Die Schwierigkeitsstufe ist höher, weil das Tempo ungeheuerlich ist und anders als im Widerstreit der politischen Lager, wo unsereins die Réaction, die Konservative Revolution, die Nouvelle Droite und den Konservatismus des 20. Jahrhunderts hatte, fast keine gut abgehangene Bezugslektüre vorliegt.
Nur ganz wenige Autoren taugen hier und heute als Orientierung, und das sind vor allem die zeitlos gültigen. Ein kommunikationstheoretisches Buch wie Die Kunst des Miteinander-Redens hilft beim Sortieren und bei der Eskalationshygiene, ist aber natürlich keine im ernsthaften Sinne erbauliche Lektüre. Kommunikation ist eben stets nur die Außenseite der Seele.
Nur wer zur Selbstentängstigung einigermaßen imstande ist, kann überhaupt in einen souveränen Dialog mit dem jeweils gegnerischen Lager treten und nicht bei der kleinsten Irritation seinerseits in Diffamierung und Hysterie verfallen. Die seelische Disposition dazu kann nur nach und nach erworben werden. Bestimmte Bücher können ein wenig „entängstigen“ (dieses Wort habe ich von Rudolf Steiner übernommen, der es im Zusammenhang mit dem Erzengel Michael gebraucht):
Ernst Jüngers Waldgang wäre gewiß ein solches Buch. Auf Josef Piepers Vom Sinn der Tapferkeit (nur noch antiquarisch erhältlich, aber dafür billig) bin ich in meinem Selbstrettung-Kaplaken eingegangen. Die Paulus-Briefe verkünden Licht in der Finsternis. Um nicht der Angst zu verfallen, (sei es die Ansteckungsangst oder die politische Angst, je nach Seite des Risses) bedürfen wir der entängstigenden Lektüre. Die können wir uns auch gegenseitig zustecken – her mit den Empfehlungen!
Waldgaenger aus Schwaben
Bei den Kameraden von der anderen Feldpostnummer finden Sie ebenso "Coronaleugner". Suchen Sie auf indymedia nach:
Corona und das Praxiskollektiv Reiche 121
verlinken möchte ich das nicht.
Vielleicht ist doch was dran an der Hufeisentheorie?
Ich denke aber eher es geht um Verhältnis zwischen Welt- und Menschenbild und der Fähigkeit zur Wahrnehmung von Fakten.