Der Welt-Beitrag steht derzeit hinter der »Bezahlschranke«.
Verfaßt wurde er von Thomas Wagner, einem undogmatischen linken Journalisten, dessen Buch über den Schnellrodaer Kern der Neuen Rechten, Die Angstmacher (Berlin 2017), Ellen Kositza so zusammenfaßte:
Es geht doch: Eine faire Auseinandersetzung, ohne dabei Sympathisant zu sein.
Dieses Urteil könnte auch über dem heutigen Artikel in der Axel-Springer-Tageszeitung stehen. Der Erscheinungstag ist dabei kein Zufall: Man rüstet sich für den Sozialparteitag der AfD am Wochenende. Es ist bereits der 11. Bundesparteitag der jungen Alternative.
Eben dieses »Event« im tiefstmöglichen Westen, in Kalkar bei Kleve, ist Wagners tagesaktueller Aufhänger. Denn der von der Bundesprogrammkommission erarbeitete Leitantrag »Zur Debatte über die künftige Ausrichtung der Alternative für Deutschland in Fragen der Sozialpolitik« – über ihn zu gegebener Zeit mehr – läßt Beobachtern der AfD-Tendenzen gewaltigen Raum für Deutungen zu.
In Jakob Augsteins Wochenzeitung der freitag zeigt sich beispielsweise der linke Sozialpolitik-Experte Gerd Bosbach überzeugt, daß der »neoliberale«, also marktliberale bis marktradikale Meuthen-Flügel mit dem fertigen Antrag einen Erfolg über sozial ausgerichtete Patrioten (Bosbach nennt sie verkürzt den »völkischen Flügel«) feiern darf:
Die Neoliberalen kommen aber vor allem an den Punkten zum Zuge, bei denen es wirklich um Konkretes wie die Rente geht. Hier kann der völkische Flügel nicht zufrieden sein. Vielleicht finden sie sich auf dem Parteitag mit dem Ergebnis der Programmkommission ab, um den Zusammenhalt in der zerstrittenen Partei zu stärken. Aber wenn die Mitglieder des Höcke-Lagers ehrlich zu sich selbst sind, ist die sozialpolitische Linie des Leitantrags eine Niederlage für sie.
Bosbach muß das so sehen. Denn nichts fürchten Akteure wie er mehr als eine solidarisch-patriotische (Teil-)Prägung der Alternative. Sein diesbezügliches Oszillieren zwischen Furcht und Respekt wird unter anderem an einer Stelle im Interview deutlich. So kommt er auf das zentrale Rentensujet zu sprechen, bei dem sich im Leitantrag keine der beiden Hauptseiten durchsetzen konnte.
Beide Seiten: Das meint einerseits die Meuthen-Strömung, welche die FDP hierbei liberal überholt und ein auf dem Freiheit des Individuums beruhendes, privatwirtschaftliches, aktienmarktbasiertes, finanzkapitalistisches Vorsorgesystem implementieren möchte.
Andererseits ist das der eher soziale Flügel, dessen fach- und sachpolitischer Kern in der Thüringer AfD zu finden ist. Dort hat man ein interessantes Rentenpapier zur Bewahrung und sukzessiven Modifizierung des bisher geltenden Umlagesystems vorgelegt, das sich nun, im Leitantrag des Bundesparteitags, an manchen Stellen nicht oder nur unzureichend durchsetzen konnte.
Selbst Bosbach mußte ja einräumen, daß die Thüringer AfD »eine vernünftig ausgestaltete Rente begründen« konnte, freilich mit einer »Einschränkung auf deutsche Staatsbürger«. Während sich dies für den Solidarischen Patriotismus unter Anknüpfung an die ihm innewohnende »landsmännische Parteilichkeit« (David Miller) von selbst versteht und Bosbachs gutmenschliche Empörung wohlfeil erscheint, ist dem linken Analysten ungeachtet seines Jargons hier beizupflichten:
Das Rentenkonzept im Leitantrag ist einerseits weniger explizit nationalistisch, gleichzeitig aber deutlich neoliberaler als der Vorschlag aus Thüringen.
Aber: Auch dies versteht sich von selbst. Denn ein Leitantrag ist kein weltanschauliches Handbuch für ein politiktheoretisch im besten Fall umfassend gebildetes Milieu, sondern im Regelfall ein Ausgleichen, Verständigen, Zusammenbringen, eben: ein Kompromiß.
Ihn kennzeichnet das, was die meisten Kompromisse ausmacht: Keiner der Akteure ist damit übermäßig glücklich, keiner hat sich vollständig durchgesetzt. So muß das auch wohl sein in einer Partei (was man mit einiger Berechtigung grundsätzlich skeptisch sehen darf).
Jene antifaschistischen Kreise, die das – naheliegende und zu erwartende – Abrücken vom Thüringer Weg auf Bundesebene einfach als einseitige Fortsetzung der »neoliberalen« Agenda der Meuthen-Storch-Paul-Clique einordnen, haben schlicht ein großes Interesse daran, daß die AfD so wahrgenommen wird, als volksferne liberale Klientelpartei, auch wenn diese gegnerische Einordnung zumindest in dieser apodiktischen Art und Weise zweifelsfrei in die Irre weist.
Das läßt sich sowohl an den suggestiven Fragen im freitag-Interview verdeutlichen als auch am Fragesteller selbst. Denn mit Sebastian Friedrich war Bosbachs Steilvorlagengeber just jener journalistisch regsame AfD-Gegner, bei dem nicht zuletzt in seinem mehrfach aufgelegten Buch Die AfD deutlich wird, daß er sich ganz zentral vor einer solidarischen Positionierung von AfD und Umfeld fürchtet. Eine sozialpolitisch versierte politische Rechte schadet seinem langfristig angelegten Hegemonieprojekt, Identitäts- und Sozialpolitik der zerklüfteten Linken konkurrenzlos zusammenzuführen und zu modernisieren.
Vom freitag zurück zur Welt. Liegt Wagner automatisch richtig, weil Friedrich und Bosbach falsch liegen? Wohl kaum. Wagner zum Leitantrag:
Meuthen fügt sich, Höcke setzt sich weitgehend durch.
Auch diese kategorische Bewertung sehe ich kritisch, da ich, wie angedeutet, den Leitantrag für einen Kompromiß mit leichten (!) Feldvorteilen für den marktliberalen Flügel werte.
Dessen ungeachtet ist Wagners Text ein seltenes Beispiel für eine themenbezogene, nichtdiffamierende Berichterstattung, die sich damit wohltuend von Volker Weiß, Andreas Speit und Konsorten abhebt.
Wagner führt zunächst junge rechte Akteure an, »die sich seit Jahren darum bemühen, die kapitalismuskritischen Arbeiten der anderen Seite so auszuschlachten, dass Gewinne für die Rechte zu erreichen sind«.
Mit Philip Stein verweist Wagner auf das ambitionierte Vorhaben, konservative und rechte Kapitalismuskritik als »Rammbock« gegen die Linke in Stellung zu bringen. Stein und seinen »Gleichgesinnten« gehe es, so Wagner umsichtig, »um mehr als bloße soziale Demagogie« – ein freundlicher Wink an die antifaschistischen Tertiärdenker des eigenen Beritts, die eben diese Unterstellung ad nauseam vorbringen.
Wagner schreitet dann entlang einiger Sentenzen aus der Anthologie Marx von rechts das Themenfeld ab. Einem Dieter Stein, der auch nach zahllosen Rückschlägen seinen Traum von einer AfD als WerteUnion-FDP-Synthese noch nicht begraben will, sei das alles »nicht geheuer« (weshalb man den Band Solidarischer Patriotismus noch nicht mal offiziell über den JF-Buchdienst bestellen kann).
Aber auch Götz Kubitschek fremdle zumindest phasenweise mit den sozialen Avancen der »neuesten« Rechten zwischen ihren Markern Solidarität, Identität und Staat – eine Feststellung, aus der man in unseren Breitengraden keinen Hehl macht.
Für mich ist der Solidarische Patriotismus die naheliegende Antwort auf die soziale Frage von rechts. Für meinen Verleger und Chefredakteur Kubitschek, der sich traditionsgemäß kritisch gegenüber »großer Theorie« zeigt, ist der Solidarische Patriotismus hingegen eine mögliche Antwort auf jene Frage.
Das ist legitim, führt regelmäßig zu produktiv-lebhaften Diskussionen – und unterstreicht damit den authentischen, ganz ohne marktschreierische Unterzeile auskommenden, eben inhärenten Anspruch der Sezession, eine Zeitschrift für Debatte zu sein.
Einig ist man sich schließlich in jener zentralen Stoßrichtung, die Wagner formidabel auf den Punkt bringt:
Das gemeinsame realpolitische Nahziel besteht darin, aus der AfD eine in breiten Schichten der Bevölkerung fest verankerte Volkspartei zu machen, die in sich die wesentlichen wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen versammelt und zwischen weit auseinander liegenden Positionen zu vermitteln vermag.
Just darum geht es: Während am Westberliner Hohenzollerndamm die Gesundschrumpfung der AfD auf eine FDP 2.0 plus Islamgegnerschaft weiterhin gefördert wird, gilt bei den “Schnellrodaern” das Prinzip der Sammlung des patriotischen Widerstandspotentials bei nicht hintergehbaren Bezügen auf Tradition, Volk und (solidarische, weil organische) Gemeinschaft.
Einen »theoretischen Baustein«, um dieser praktischen Sammlung näher zu kommen, liefere nun mein Buch Solidarischer Patriotismus. So führt es jedenfalls Wagner aus, der sich hernach ein wenig zu erschrocken darüber zeigt, daß konkrete Handlungsschritte »wohlweislich offen« gelassen werden würden.
Nun: Konkrete Umsetzungen eines »SolPat« können einstweilen nicht feststehen, weil geschichtliche Prozesse naturgemäß offen sind – zunächst geht es um inhaltliche Zurüstung, Bildung und der damit verbundenen Neujustierung von Teilen der politischen Rechten.
Wagner verweist im Anschluß auf die »Galionsfigur der Parteirechten«, Björn Höcke, und vermerkt dessen Rat an seine Parteifreunde, das Buch »unbedingt zu lesen« (einerlei, ob man sich in allem wiederfinden möge). Und so endet Wagners erfrischend sachlicher Beitrag mit der Empfehlung des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden:
Wenn es uns gelingt, beispielsweise durch das Konzept des Solidarischen Patriotismus, Solidarität und Identität zusammen zu denken und in konkrete Politikansätze zu übertragen, dann werden wir die neue, starke, gesamtdeutsche Volkspartei werden.
Dafür lohnt es sich doch, zu kämpfen. Wo 1,1 Milliarden Euro Förderung für antifaschistischen Mumpitz »gegen rechts« in Stellung gebracht werden müssen, kann man den Angstschweiß der falschen Querfront aus Establishment und linken konformistischen Rebellen förmlich riechen.
Die passende kalte Dusche: eine einige, solidarische, patriotische und endlich auch – strömungsübergreifend – professionell agierende AfD als Wahlpartei einer arbeitsteiligen Mosaik-Rechten.
Noch wäre das Preisgeben jeder Hoffnung auf diese zumal in Post-Corona-Zeiten zwingend notwendige Entwicklung verfrüht:
Man kann ohne Hoffnung leben, aber nicht aus Prinzip. (Volker Braun)
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Die Erstauflage von Benedikt Kaisers Buch Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts ist fast vergriffen. Die zweite Auflage befindet sich im Druck.
Volksdeutscher
Der Liberalismus - das Ende Deutschlands und Europas. Es wäre höchste Zeit, den Geisterbahn des Liberalismus zum entgleisen zu bringen, anstatt immer wieder zu reparieren und in Verkehr zu stellen.