an der Christlich-Sozialen Union in Bayern, kurz CSU.
Der Anspruch an sich selbst war einigermaßen selbstbewußt: Verschiedene Autoren des heterogenen Blattes, zum Teil selbst mit Unionshintergrund, versuchten mittels Stellungnahmen und kritisch-wohlwollenden Analysen den Kurs der Schwesterpartei, der großen Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU), zu korrigieren.
Es ging Hans Berger, Uwe Greve, Hannes Kaschkat, Hans-Helmut Knütter und Co. darum, die ab den 1960er Jahren nach links rückenden gesellschaftlichen Verhältnissen ein parteipolitisches Aufbegehren entgegenzusetzen. Man traute der CSU dieses Aufbegehren zu. Das gilt nicht nur für die genannten Namen, die – bis auf Knütter – heute überwiegend vergessen sind. Das betraf auch »einen der Väter der Neuen Rechten« (Armin Mohler über Armin Mohler) – sprich: einen der geistigen Mentoren auch dieser Zeitschrift, der Sezession.
Zwischen 1966 und ’69 lag jene Phase, in der Mohler mit Franz Josef Strauß, dem CSU-Giganten der Vergangenheit, korrespondierte und versuchte, auf die Richtungspolitik der Union Einfluß zu nehmen. Kernanliegen war, der »heimatlosen Rechten« langfristig zumindest eine wahltechnische Heimat zu bieten.
Mohler streute hierfür den Terminus »Vierte Partei« als Nahziel. Damit war eine bundesweit operierende CSU als moderater Rechtspartei gemeint, die neben CDU, Freidemokraten (FDP) und Sozialdemokraten (SPD) treten würde, um die Republik parlamentspolitisch ein Stück weit mehr nach rechts auszurichten (was die Christdemokraten prompt mit dem Kokettieren ob der Gründung eines bayerischen CDU-Landesverbandes konterten).
Mit Strauß, den Mohler seit der Spiegel-Affäre (1962) kannte, hoffte er, einen »deutschen de Gaulle« unterstützen zu können. Er fand, etwa in den Brüdern Robert und Marcel Hepp, faszinierende Verbündete. Aber die »gaullistische Welle«, die Mohler vorübergehend zu erkennen meinte, glich eher einer Ansammlung gaullistischer Tropfen, die der Strauß-Referent Marcel Hepp im CSU-nahen Bayernkurier und Mohler durch verfaßte Reden – die von Strauß inhaltlich stark abgeschwächt gehalten wurden – auf die potentiell interessierten Konservativen träufelten, ohne aber größere Resonanz finden zu können.
Es gab verschiedene Faktoren dafür, daß sich der stets polarisierende Strauß nicht zum deutschen Charles de Gaulle entwickelt. Neben der französischen Sonderlage des Status de Gaulles als Retter Frankreichs 1944/45, war es unterem auch die apodiktische US-Orientierung Strauß’, die dieser nicht ablegen wollte, um einen eigenständigen, authentischen »Dritten Weg« für die BRD zu verfolgen – jenseits von West- und Ostblock. Mohlers souveränistische Aufklärungsarbeit prallte am prowestlichen Machtpolitiker ab.
Strauß erwies sich also unterm Strich weder innen- noch außenpolitisch als ein deutscher autoritärer Typ jenseits des Parteiengezänks. Mohler gab die Hoffnung auf eine in seinem Sinne konservative Parteipolitik mit einem eher technokratischen Kopf an der Spitze des Apparats endgültig auf. Er registrierte überdies die finale Zaghaftigkeit und unantastbare CDU-Loyalität von Strauß und seinen Kompagnons und zog entsprechend eindeutig seine Konsequenzen.
Spätestens mit dem Abgesang »Wir und die CDU« (Criticón 26, Nov.-Dez. 1974) kann jedweder Flirt mit der Union als beendet angesehen werden. Mohler konzentrierte sich fortan auf seine tragende Rolle in der Siemens-Stiftung und seine vielfältige Publizistik, während die Sehnsucht nach der vierten Kraft weiter in kleinere, rein staatstragende Blätter wanderte – William S. Schlamms Zeitbühne wurde einige Zeit lang die Tribüne für dieses Ansinnen.
Warum dieser Rückgriff auf alte Debatten einer alten Zeitschrift? Weil die Quintessenz des damaligen Liebäugelns mit der CSU als vermeintlich besserer, konservativeren und patriotischeren CDU noch heute durch rechtsorientierte Kreise wabert. »Mit Strauß würde es das nicht geben«, »Wir bräuchten eine Strauß-CSU« oder auch »Strauß – und die AfD wäre überflüssig« sind Standardfloskeln einer lernresistenten Minderheit im betont bürgerlichen Rechtsspektrum. Vermeintliche Weisheiten, die selbst in der AfD, die ja als Oppositionskraft angeblich überflüssig würde durch eine Strauß-artige Unionspolitik, fröhlich Urständ feiert.
Ein sinnbildliches Beispiel hierfür bietet ein kleiner, aber vielsagender Twitter-Disput, den sich der amtierende CSU-Chef Markus Söder mit dem ehemaligen CDU-Mitglied und nunmehrigem AfD-MdB Joana Cotar lieferte. Söder ätzte am 17. Februar gegen die Alternative:
Franz Josef Strauß hätte zur AfD gesagt: Einmal Faschismus in Deutschland reicht.
Cotar erwiderte:
Franz Josef Strauß hätte die jetzige CSU zum Teufel gejagt.
Man kommt nicht umhin festzustellen: Söder liegt richtig, Cotar falsch.
Denn selbstverständlich hätte Franz Josef Strauß, der anno dazumal die rechtskonservativen Republikaner unter Franz Schönhuber wie kaum ein Zweiter attackierte und das Seinige dazu beitrug, die REPs als »Neofaschisten« zu isolieren, alles AfD-Gegnerische wie Söder gemacht – nur, seinem Format entsprechend, eben klüger, pointierter, unterhaltsamer, cleverer, nachhaltiger, jovialer, wirkmächtiger.
Just von Strauß stammt ja folgendes Zitat, das bis heute die Brandmauer »konservativer« Unionler gegen rechts stabilisiert:
Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.
Strauß ließ diesem Axiom immer wieder entsprechende Argumente und Taten folgen, und auch der bayerische Verfassungsschutz wurde just unter ihm bereits zum – im damaligen Bundesvergleich – besonders strengen Landesgeheimdienst, der – ganz Strauß-konform – alles »rechts von der CSU« ins Visier nahm.
Man kann nun 2021 gewiß darüber streiten, ob eine Strauß-geführte Bundes-CSU die ein oder andere Migrationswelle abgeschwächt hätte. Man kann darüber streiten, ob dadurch die ein oder andere gesamtgesellschaftliche, vorpolitische (d. h. metapolitische) Akzentverschiebung nach links ein wenig verzögert worden wäre. Man kann auch darüber streiten, ob Strauß jeden Nonsens der heutigen Merkel-Union mitgetragen hätte.
Darüber hinaus man kann wohl auch – wie der geschätzte Martin Lichtmesz – über die Frage sinnieren, ob die damaligen Strauß-CSUler nach objektiven Kriterien nicht sogar rechter waren als viele heutige liberalkonservative AfDler. (Wobei mit einem Bonmot des zeitweiligen Strauß’ Korrespondenz-Partner Mao zu entgegnen wäre: »Letzten Endes aber haben sie sich in Papiertiger, in tote Tiger, in butterweiche Tiger verwandelt. Das sind historische Tatsachen.«)
Worüber man nicht streiten kann, und dies allein ist für Gegenwart und Zukunft entscheidend, bleiben die Lehren aus der Geschichte, die Mohler und Kollegen bereits vor 50 Jahren für uns alle zogen: Mit dieser CDU/CSU – ob mit oder ohne der bloßen Symbolfigur Strauß als sympathischem Landesvater in München – ist keine grundlegende Kursänderung denkbar, keine grundlegende Erneuerung Deutschlands, keine grundlegende Offensive gegen liberale und linke Politiken.
Just dies wäre aber seit Jahrzehnten vonnöten, um Volk, Nation und Staat zu bewahren und beständig für die Zukunft auszugestalten, was damals wie heute zwingend gesellschaftliches, politisches und ökonomisches Umdenken erfordert. Es handelt sich dabei um Umdenkprozesse, die weit über die Inhalte wohlfeiler Bierzeltreden und pointiert antikommunistischer Rhetorik eines Franz Josef Strauß hinausgehen müßten, so sehr diese auch das konservative Gemüt umschmeichelten und als »Kleinbürgerstimmenfänger« (Nils Wegner) wirkten.
Diese Prozesse zur Renaissance unseres Landes vorzudenken, zu entwickeln, zu durchdenken und im parlamentarischen Feld auszutesten bzw. sukzessive zu erproben, wäre im übrigen die genuine Aufgabe einer Rechtspartei in Deutschland. Aus der Geschichte rechtsalternativer Gehversuche gewonnene Erkenntnisse müssen hier zwingend einfließen.
Dafür aber bedarf es »organischer Politiker« von rechts mit entsprechendem Bildungs- und Weltanschauungshorizont, die die vergangenen Projekte der eigenen Milieus mit all ihren Besonderheiten und Fehlschlägen kennen und die aus ihnen zu abstrahierenden zeitlosen Lehren beherzigen. Christdemokraten ohne christdemokratisches Parteibuch helfen hier kaum weiter.
Nur mit organischen Politikern könnte der Fetisch einer »CSU 2.0«, einer »CSU mit Eiern«, endlich zu Grabe getragen werden. Den Tod dieses Traums hat Criticón schon in den 1970er Jahren annotiert – es gibt keinen Grund, die Leichenruhe zu stören.
– –
Hierfür ist gewiß auch der heutige CSU-Motor Söder verantwortlich (auch wenn Namen an der Spitze christsozialer und christdemokratischer Formationen überwiegend Schall und Rauch sind).
In der aktuellen Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik (2/2021) beschäftigt sich Albrecht von Lucke mit Söder, dem letzten Kontrahenten des CDU-Vorsitzenden Armin Laschet um die Kanzlerkandidatur der Union. Es wird ausgerufen: »Der Kampf ums Kanzleramt«.
Tatsächlich ist die Frage, wer die beiden Schwesterparteien ins Schwarz-Grüne führt, noch offen, auch wenn Söder zuletzt durch die Coronaturbulenzen Sympathiewerte einbüßte. Werte, die aber überhaupt erst so ansteigen konnten vorher, weil die
Coronakrise (…) zum historischen Glücksfall für den Franken
wurde. Albrecht von Lucke diagnostiziert nämlich einen Corona-verursachten »perfekten Rollentausch« Söders:
Vom lange Zeit größten Merkel-Kritiker avancierte er förmlich zu deren Stalker. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz wich er, auch inhaltlich, bei keiner Pressekonferenz von der Seite der Kanzlerin. So wurde binnen eines Dreivierteljahres aus einem hoch unbeliebten Scharfmacher der beliebteste (männliche) Politiker des Landes, ein in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartiger Vorgang.
Man kann von Luckes »Scharfmacher«-Zuschreibung getrost als linke Marotte übergehen und dem Blätter-Redakteur zugestehen, daß er Söders »machiavellistisches Meisterstück« in vorliegendem Beitrag angemessen nachzeichnet.
Söders Vorgehen war deutlich berechnender und wirkmächtiger als es einst Strauß oder Edmund Stoiber leisteten: Er spielte seine Konkurrenten Jens Spahn und Friedrich Merz mal so, mal so gegeneinander aus, positionierte sich situationsspezifisch und gelang so in das nunmehrige Kopf-an-Kopf-Duell mit Laschet um die Kanzlerschaft.
Man kann Albrecht von Luckes Diagnose einer »brutalen Härte« Söders für überspitzt und unangemessen halten; aber daß Söder einiges von jenem »Willen zur Macht« (um der Macht willen) besitzt, der auch für Konrad Adenauer oder Angela Merkel so stilprägend war, ist schwerlich von der Hand zu weisen.
Von Lucke sieht nun zwei unterschiedliche Politikstile im Ringen um die Führung an der Spree aufeinandertreffen: Laschet wirke als vertrauensvoller »Teamplayer«, Söder inszeniere sich dagegen als Führungskraft, die auf Gefolgschaft angewiesen ist – und trifft dabei womöglich jenen Ton, der in einer anhaltenden Krise der Corona-Lockdown-Zeiten stärker nachgefragt würde.
»Vieles«, so weissagt es Albrecht von Lucke mit einiger Berechtigung,
spricht daher für einen Kanzlerkandidaten Söder – und damit für den ersten Kanzler der CSU.
Einer CSU wohlgemerkt, die damals, unter Strauß, wie heute, unter Söder, nicht die Rettung Deutschlands verheißen kann. 50 Jahre nach den lehrreichen Episoden Mohlers und der Brüder Hepp sollte diese Erkenntnis endlich auch im Umfeld der AfD final durchschlagen.
– –
Sind vergleichbare Appelle aus dem Dunstkreis der »Neuen Rechten« an die Lernfähigkeit rechtsorientierter Parteipolitiker »moralischer« oder amoralischer Natur? Ich würde sagen: weder noch, sie sind politisch-reflexiv.
Felix Heidenreich würde die zweite Variante präferieren, denn er schreibt in seinem »Schlaglicht« mit dem Titel »Rechte Hypomoral« in der genannten Ausgabe der Blätter:
Das eigentlich Neue und Gefährliche an der Neuen Rechten ist nämlich in der Tat gerade nicht, dass sie mehr moralisiert, sondern dass sie radikal entmoralisiert. (…) Es ist das konservative Lager, welches die Einhaltung der Spielregeln aufkündigt, und nicht das progressive Lager.
Unabhängig ob des Sinngehaltes der ersten Teilaussage kann man direkt zur zweiten übergehen und fragen: Vielleicht liegt diese Aufkündigung der Spielregeln ja auch daran, daß es schlichtweg die falschen Regeln falscher Akteure sind? Aber darum geht es dem Freiburger Politikwissenschaftler ja gerade eben. Er will die Spielregeln des »progressiven«, also kategorisch linken Lagers perpetuieren und außerhalb jeder Kritikwürdigkeit stellen, indem er die eigenen Strohmänner für bare Münze nimmt:
Das neurechte Angebot, alle Hemmungen fallen zu lassen, das Über-Ich zum Teufel zu jagen und ganztägig »die Sau rauszulassen«, endlich sein zu dürfen, wie man sein will, (…) ist sehr viel gefährlicher als jede denkbare Arroganz vermeintlicher Moralapostel.
Bei so eindeutiger Anwendungsrelevanz für das altbekannte Lichtmesz-Sommerfeld-Gesetz reiche ich entsprechende Passagen direkt an das genannte Autorenpaar weiter – es fällt einem selbst nicht mehr viel ein bei dieser Form der Realitätsumkehrung.
Der Beitrag wird nicht besser, wenn Heidenreich CDU/CSU verdeckt lobt, indem deren »Konservativismus« weiterhin
die Brandmauer zur AfD aufrechterhält – übrigens auch und gerade, indem er moralisiert.
(Wir erinnern uns an das Strauß-Zitat.)
Heidenreich sieht die Union dann gewissermaßen in der Pflicht, stärker mit Jesus als mit Darwin, nachhaltiger mit Benedikt (dem Papst, nicht dem Kaiser) als mit Nietzsche zu argumentieren. Das ist eine Verwechslung der (philosophischen und parlamentspolitischen) Ebenen und wird lediglich noch übertroffen durch folgende Passage, die sich falschen Weichenstellungen des Konservativismus widmen möchte:
Es mag dabei skurrile Mischformen geben, etwa wenn Götz Kubitschek Jesus Christus als eine Art Kriegsgott in Anspruch nimmt, der das Abendland erretten soll.
Dazu erstens: Welche Sezession liest Felix Heidenreich? Dazu zweitens: Was sucht derartiges Schwadronieren in einem Appell für eine (Re-)Moralisierung des Politischen? Das meint Heidenreich nämlich ernst: Er vermißt heute moralische Argumente und erkennt eine grassierende Absagekultur an Moralismen.
Heidenreich wendet sich hierbei direkt an Konservative:
Lassen sich nicht auch – und vielleicht sogar gerade – moralische Argumente finden gegen eine chaotische Migrationspolitik, eine unsoziale Klimapolitik, eine überschießende Gleichstellungspolitik? Oder gegen was auch immer am linksliberalen Lager Unbehagen bereitet.
Sicher lassen sich entsprechende moralische Argumente finden. Nur kann Moralpolitik von rechts dort gar nicht erst ansatzweise durchdringen, wo machtpolitisch – ob in Politik, Medien oder Wissenschaft – alle Zweifel ausgeräumt sind. Darüber schweigt sich Heidenreich freilich aus.
– –
Wer nicht schweigt ist das »Netzwerk Wissenschaftsfreiheit« (über das wir ausführlich im neuen Podcast debattieren). Einer der Akteure der Initiative, der Althistoriker Michael Sommer, wird in der Süddeutschen Zeitung vom 16. Februar zum Vorhaben interviewt.
Der Anlaß ist kurz erklärt: Ein Bündnis von 70 Professoren hat sich zusammengeschlossen, um publikumswirksam auf die Gefahren grassierender Unfreiheit im akademischen Beritt hinzuweisen – die Fälle Lucke (Hamburg), Sarrazin (Siegen) oder Baberowski (Berlin) mögen als aktuelle Aufhänger dienen.
Sommer wird nun von Johan Schloemann befragt – und Sommer geht direkt in die Defensive. Erst nach einigen Fragen und Antworten kommt er ein wenig aus sich heraus:
Erst einmal müssen wir klar unterscheiden zwischen meiner eigenen Meinungsfreiheit und Positionen, denen ich an der Universität einen Raum geben könnte. Ersteres muss sich auf jeden Fall auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Aber sagen wir zum Zwecke des Arguments, des Gedankenspiels einmal, ich würde so jemanden wie Björn Höcke einladen.
Der Name des Teufels wurde gedroppt. Schloemann entgegnet ob so viel Chuzpe Sommers nur:
Oha.
Sommer, ausholend-relativierend:
Wenn er da Parolen zum Besten gäbe, die nicht vom Grundgesetz gedeckt sind, dann würde ich sagen: Ich habe ihn als Anschauungsmaterial eingeladen. Die Studenten sind erwachsene Menschen, die können sich dann daran machen und analysieren: Was hat der Höcke da gesagt? A priori würde ich sagen: Damit hätte ich kein Problem. Die Einladung kann ja auch der Bloßstellung dienen.
Mit diesem Nachklapp desavouiert Sommer sein ureigenes Anliegen der ergebnisoffenen Forschung ein wenig – denn eine potentiell beabsichtigte »Bloßstellung« des Eingeladenen wäre kein offener Diskurs, sondern eine Begleiterscheinung ebenjener Entwicklungen, die Sommer et al. doch zu befehden angetreten sind.
Sommer aber zieht das Schwimmen vor:
Ich würde ja nicht den Raum für Höcke öffnen zum Zweck der Agitation. Ja, es könnte sein, dass er ihn dafür missbraucht. Aber ich bin derjenige, der diesen Raum definiert, und das ist ein akademischer Raum. Es ist kein Propaganda-Raum. Auch wenn Höcke es wohl versuchen würde, den Raum so zu besetzen…
Bei soviel selbstgewählter Was-Wäre-Wenn-Artikulation geht beinahe unter, daß Sommer einen wichtigen Punkt trifft. Denn wenn man Höcke per se nicht sprechen lassen darf, weil man fürchtet, daß die Zuhörer automatisch durch seine Wirkmacht geblendet sind,
dann ist das im Grunde doch eine Missachtung des Verstandes der Universität und der Studenten. Ich gehe dann davon aus, dass der Hörsaal so dumm ist, dass er für die etwaige Propaganda wirklich empfänglich ist.
Doch leider biegt Sommer wieder falsch ab:
Aber ich glaube, das akademische Auditorium ist smart genug, das zu durchschauen, seine Argumentationsstrategien zu analysieren, und vielleicht hätte ich damit sogar etwas Gutes erreicht.
Angetreten, um den Diskurs vor den linksradikalen Sittenwächtern zu schützen; geendet, indem man ein Feindbild ebenjener Kreise vorzuführen gedenkt. »Smart«, versteht sich.
Wobei: »Geendet« ist der falsche Begriff, denn die Gedankenspiele finden ihr Ende ja noch nicht wirklich. Schloemann hat Lunte gerochen. Höcke … Da gibt’s doch mehr solcher Köpfe:
Würden Sie auch den revisionistischen Historiker Karlheinz Weißmann einladen?
Sommer, ganz in seinem Abwägungselement:
Na ja, da käme es auch wieder darauf an: in welcher Funktion? Wenn er als Referent kommen sollte, der autoritativ die Ergebnisse seiner Forschung vorstellt, würde ich davon sicher Abstand nehmen, aus dem Zweifel daran, dass er ein guter Wissenschaftler ist. Wenn es aber darum ginge, bestimmte Denkstrukturen und Argumentationsmuster vor meinen Studenten explizit zu machen, könnte ich mir das schon eher vorstellen; dies bräuchte eine entsprechende Vorbereitung.
Bei so viel Subordination unter den Standpunkt des Verhörenden, pardon: Fragenden, geht beinahe schon wieder eine wichtige Kernaussage unter:
Universität heißt auch, sich mit Positionen zu beschäftigen, die nicht die eigenen sind.
Zur Bloßstellung, versteht sich? Man will doch in seinen Forderungen nicht zu weit gehen. Am Ende wird man zu bestimmten Empfängen nicht mehr eingeladen. Der sanfte Totalitarismus kann immerhin viele Gestalten annehmen. Für die einen Quasi-Berufsverbot, Verdachtsberichterstattung, sich sukzessive verschärfende Kriminalisierung und hors-la-loi-Setzung, für die anderen … vorenthaltene Schnittchen?
Aber genug der Polemik: Womöglich hilft das »Netzwerk Wissenschaftsfreiheit« den tatsächlich vom Mainstream Gecancelten ja doch zu ihrem im Grundgesetz verbrieften Recht der Wissenschaftsfreiheit (mehr dazu: Lothar Fritze in der 83. Sezession) und Karlheinz Weißmann wenn nicht zu einer Einladung zum ergebnisoffenen Universitätsdiskurs, dann doch zur regen Mitarbeit im Netzwerk?
Sommer dazu:
Wir haben einen Schutzmechanismus eingebaut, wenn auch schweren Herzens: Wer Mitglied werden will, der braucht zwei „Paten“. Das klingt vielleicht mafiös, aber es geht darum, dass man zwei Kollegen braucht, die sich für den eigenen Leumund verbürgen; das ist ein Mechanismus, um eine etwaige Unterwanderung zu verhindern. Und wir haben uns auf Promovierte im Hochschuldienst beschränkt, das sind fast alles Beamtinnen und Beamte, die einen Eid aufs Grundgesetz abgelegt haben.
Das mit dem Eid bekommt Weißmann hin, das mit dem Hochschuldienst nicht mehr – authentische Konservative wie er wurden nämlich schon mit präventiver Cancel Culture bedacht, als die 70 Erstunterzeichner des Manifests des »Netzwerks Wissenschaftsfreiheit« ihre Stimmen noch schonten und der altehrwürdige Bund Freiheit der Wissenschaft seiner 2015 dann erfolgten Auflösung ob zunehmender Isolation und Machtlosigkeit entgegen taumelte.
Vielleicht wird diesmal aber alles anders und aus Sommers zaghaften »Gedankenspielen« werden bald schon souveräne Setzungen samt unmißverständlicher Benennung der Verantwortlichen für die Verengung des Sag- und Tragbaren im Wissenschaftsbetrieb und darüber hinaus.
Allein, mir fehlt der Glaube.
Laurenz
@BK (1)
Empfinde Ihren Artikel wieder als brillant.
Aber diesmal entsteht Diskussionsbedarf, der vermutlich daher herrührt, daß ich FJS selbst noch erlebt habe (bin ca. 5 Jahre älter als der Chef).
1. Das heutige Partei-Programm der AfD ähnelt dem FJS - Programm oder ist links davon. 2. Als Strauß 1980 zur Bundestagswahl antrat, wurde FJS von der Antifa genauso organisiert bekämpft, wie wir heute. Habe das leibhaftig am Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Ffm erlebt. Diese Erlebnisse sind es wohl, was viele mit FJS verbindet. 3. FJS wurde in jüngeren Jahren mit seinen Souveränität erzeugenden Ideen als BM für Atomfragen & BverteidigungsM (zB eigene Atomwaffen) gestoppt. Das war sicher prägend in der Haltung zur USA. 4. Auch FJS machte den Laschet-Söder-Wendehals. Kritisierte er bis auf's Blut die Ost-Politik Egon Bahrs, machte er nach der Niederlage des Schwätzers Schmidt dasselbe & rettete die DDR vor dem Bankrott (DDR-Kredit).
Hier muß man weiter ausholen. Die Sowjetunion wurde im 20. Jahrhundert nie wirklich mit der Maßnahme des Holodomors belegt, im Gegensatz zu Deutschland/Japan (2x/1x) und anderen kleinen Völkern. Kennedy, wie Brandt, sorgten mit ihrer Sozi-Politik, unter dem Deckmantel der Humanität, dafür, daß der Warschauer Pakt länger überleben konnte, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46172370.html