Es ist kein gutes Zeichen, wenn sich die Schlagzeilen des SPIEGELS nicht mehr von einer Bildüberschrift auf web.de unterscheiden lassen. Vor wenigen Tagen begegnete mir wieder einmal so ein Fall.
„Berühmter Dichter als Hassprediger: Die dunklen Seiten des Heinrich von Kleist“, der Autor: Johannes Saltzwedel. Man kennt ihn hier vielleicht noch. Mir zuckte es jedenfalls direkt im Finger. „Sonntagsheld: Heinrich von Kleist, Artikel Spiegel“ steht seitdem in meinem Merkheftchen.
Heinrich von Kleist ist – wie Mishima – wieder so ein Kandidat von dem ein Bild an meiner Wand hängt. Es ist eine Abbildung von einem Gemälde von Max Slevogt, die ich vor zehn Jahren während der Abiturzeit aus meinem Arbeitsheft ausgeschnitten und eingerahmt habe.
Mir hat das Bild damals gut gefallen, besser als die anderen zeitgenössischen Kleist-Portraits, auf denen der Dichter wahlweise wie ein dicklicher Bubi, oder gleich wie eine Lesbe aussieht. Wahrscheinlich war es das melancholische Lächeln. Ein Gesichtsausdruck, der wohl nicht nur dem Autor Kleist, sondern auch den Lesern seiner Werke vertraut sein mag. Schaut so ein Hassprediger? Wenn es nach dem SPIEGEL geht, wohl schon. Egal.
Die Masche ist natürlich ein alter Hut: Auch vor zehn Jahren – da war, der zweihundertjährigen Todestagsjährung wegen, nämlich Kleistjahr – wusste meine damalige Deutschlehrerin mich und andere vor Kleistens rüpelhaftem Chauvinistenvokabular zu warnen.
Damals hieß man ihn wohl noch keinen Hassprediger. Aber selbstverständlich hatte jeder im Deutsch-LK mal mit dem Markierstift über den „Katechismus für die Deutschen“ drüberkritzeln dürfen – eine politische Zumutung, welche den Schülern heutzutage sicherlich erspart bleibt.
Obgleich ich damals mit Feuer und Flamme nicht nur für die literarische Romantik, sondern auch für den Nationalismus der Befreiungskriege brannte – es entstand sogar ein Gedicht „Lasset heut‘ die Luren klingen“ im triefigsten Ernst-Moritz-Arndt-Stil – haben mich Kleistens politische Schriften recht kalt gelassen. Auf die wirklich dicke rote Pille stieß ich kurioserweise in Ibsens „Volksfeind“, den wir ein paar Monate später lasen.
Da ging es dann auch nicht mehr um die Frage nach dem vereinten Deutschland, sondern um die nach Mehrheitsgesellschaft und Demokratie, aber davon erzähle ich vielleicht ein anderes Mal.
Sie merken schon: Ich habe eigentlich gar keine Lust über den SPIEGEL-Artikel zu schreiben. Verlinkt habe ich ihn auch nicht, denn es steht wirklich nichts neues drin. Es ist eigentlich bloß eine gute Seite aufgewärmte Zitat-Pampe, hauptsächlich geht es um die Franzosen, „dämmt den Rhein mit ihren Leichen“ usw.
Meine Empfehlung zum Sonntag also: Lesen Sie lieber was von Kleist. Das lohnt sich wirklich. Es muss ja nicht die „Hermannsschlacht“ sein, aber warum nicht mal das „Erdbeben von Chili“, „Michael Kohlhaas“, oder vielleicht sogar den oldschoolig anmutenden „Zweikampf“ zur Hand nehmen und ein bisschen staunen über die unverschämte Sprachgewahlt des gescheiterten Offiziersfamiliensprösslings?
Die wenigen, die diesen Texten gänzlich unvertraut sind, seien jedoch gewarnt: Zwischen zerspringenden Kinderschädeln und abfaulenden Schwurhänden sind seine frankenfeindlichen Schmähzeilen sicher eines nicht: die dunkelste Seite des Heinrich von Kleist.
Fredy
Wer Michael Kohlhaas nicht gelesen hat, hat wahrscheinlich nie gelesen, und darum nie verstanden.