Sonntagsheld (176) – Der SPIEGEL an seine Kinder

Der SPIEGEL räumt auf

Es ist kein gutes Zei­chen, wenn sich die Schlag­zei­len des SPIEGELS nicht mehr von einer Bild­über­schrift auf web.de unter­schei­den las­sen. Vor weni­gen Tagen begeg­ne­te mir wie­der ein­mal so ein Fall.

„Berühm­ter Dich­ter als Hass­pre­di­ger: Die dunk­len Sei­ten des Hein­rich von Kleist“, der Autor:  Johan­nes Saltz­we­del. Man kennt ihn hier viel­leicht noch. Mir zuck­te es jeden­falls direkt im Fin­ger.  „Sonn­tags­held: Hein­rich von Kleist, Arti­kel Spie­gel“ steht seit­dem in mei­nem Merk­heft­chen. 

Hein­rich von Kleist ist – wie Mishi­ma – wie­der so ein Kan­di­dat von dem ein Bild an mei­ner Wand hängt. Es ist eine Abbil­dung von einem Gemäl­de von Max Sle­vogt, die ich vor zehn Jah­ren wäh­rend der Abitur­zeit aus mei­nem Arbeits­heft aus­ge­schnit­ten und ein­ge­rahmt habe.

Mir hat das Bild damals gut gefal­len, bes­ser als die ande­ren zeit­ge­nös­si­schen Kleist-Por­traits, auf denen der Dich­ter wahl­wei­se wie ein dick­li­cher Bubi, oder gleich wie eine Les­be aus­sieht. Wahr­schein­lich war es das melan­cho­li­sche Lächeln. Ein Gesichts­aus­druck, der wohl nicht nur dem Autor Kleist, son­dern auch den Lesern sei­ner Wer­ke ver­traut sein mag. Schaut so ein Hass­pre­di­ger? Wenn es nach dem SPIEGEL geht, wohl schon. Egal.

Die Masche ist natür­lich ein alter Hut: Auch vor zehn Jah­ren – da war, der zwei­hun­dert­jäh­ri­gen Todes­tags­jäh­rung wegen, näm­lich Kleist­jahr – wuss­te mei­ne dama­li­ge Deutsch­leh­re­rin mich und ande­re vor Kleis­tens rüpel­haf­tem Chau­vi­nis­ten­vo­ka­bu­lar zu warnen.

Damals hieß man ihn wohl noch kei­nen Hass­pre­di­ger. Aber selbst­ver­ständ­lich hat­te jeder im Deutsch-LK mal mit dem Mar­kier­stift über den „Kate­chis­mus für die Deut­schen“ drü­ber­krit­zeln dür­fen – eine poli­ti­sche Zumu­tung, wel­che den Schü­lern heut­zu­ta­ge sicher­lich erspart bleibt. 

Obgleich ich damals mit Feu­er und Flam­me nicht nur für die lite­ra­ri­sche Roman­tik, son­dern auch für den Natio­na­lis­mus der Befrei­ungs­krie­ge brann­te – es ent­stand sogar ein Gedicht „Las­set heut‘ die Luren klin­gen“ im trie­figs­ten Ernst-Moritz-Arndt-Stil – haben mich Kleis­tens poli­ti­sche Schrif­ten recht kalt gelas­sen. Auf die wirk­lich dicke rote Pil­le stieß ich kurio­ser­wei­se in Ibsens „Volks­feind“, den wir ein paar Mona­te spä­ter lasen. 

Da ging es dann auch nicht mehr um die Fra­ge nach dem ver­ein­ten Deutsch­land, son­dern um die nach Mehr­heits­ge­sell­schaft und Demo­kra­tie, aber davon erzäh­le ich viel­leicht ein ande­res Mal.

Sie mer­ken schon: Ich habe eigent­lich gar kei­ne Lust über den SPIE­GEL-Arti­kel zu schrei­ben. Ver­linkt habe ich ihn auch nicht, denn es steht wirk­lich nichts neu­es drin. Es ist eigent­lich bloß eine gute Sei­te auf­ge­wärm­te Zitat-Pam­pe, haupt­säch­lich geht es um die Fran­zo­sen, „dämmt den Rhein mit ihren Lei­chen“ usw.

Mei­ne Emp­feh­lung zum Sonn­tag also: Lesen Sie lie­ber was von Kleist. Das lohnt sich wirk­lich. Es muss ja nicht die „Her­manns­schlacht“ sein, aber war­um nicht mal das „Erd­be­ben von Chi­li“, „Micha­el Kohl­haas“, oder viel­leicht sogar den old­schoo­lig anmu­ten­den „Zwei­kampf“ zur Hand neh­men und ein biss­chen stau­nen über die unver­schäm­te Sprach­ge­wahlt des geschei­ter­ten Offiziersfamiliensprösslings?

Die weni­gen, die die­sen Tex­ten gänz­lich unver­traut sind, sei­en jedoch gewarnt: Zwi­schen zer­sprin­gen­den Kin­der­schä­deln und abfau­len­den Schwur­hän­den sind sei­ne fran­ken­feind­li­chen Schmäh­zei­len sicher eines nicht: die dun­kels­te Sei­te des Hein­rich von Kleist.

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Kommentare (10)

Fredy

22. März 2021 00:20

Wer Michael Kohlhaas nicht gelesen hat, hat wahrscheinlich nie gelesen, und darum nie verstanden.

AlexSedlmayr

22. März 2021 04:46

Der Spigel-Artikel hat mich auch geärgert. Ich war sprachlos, dass der Autor sich wegen Kleistens Rabulistik in die Pantalonen macht.

Den ganzen Text durchzieht vor allem eines: historische und sonstige Unverständnis. Deutschland wurde die längste Zeit durch die Begehrlichkeiten seiner Anrainer-Staaten, insbesondere Frankreich, herumgestoßen wurde als es noch nicht geeint war und deshalb unter den Jungnationalen nach der Napoleonischen Schmach ein Feuer gerechter Wut und Ablehnung brannte, schreibt über Patrioten, denen die Unabhängigkeit und unbefleckte Ehre ihres Landes noch etwas bedeuteten.

Man wünsche sich wirklich manchmal ein Erdbeben wie in Chili, das das unterste nach oben kehrt.

Maiordomus

22. März 2021 05:46

Kleists quere Modernität demonstrieren Texten wie "Die Anekdote aus dem letzten preussischen Kriege", die zwar in Sachen Brutalität nichts zu wünschen übrig lässt. Ferner die brillant verfilmte Novelle "Die Marquise von O"  mit dem Befund, dass auch das "innerste Gefühl" über den Menschen täuschen kann, vgl., Komödie vom "Zerbrochenen Krug", ein Motiv, über das der unterschätzte Erzählmeister Heinrich Zschokke, dessen 250 Geburtstag ansteht, im Wettbewerb mit Kleist ebenfalls Profil gewonnen hat.

Zur Zeit der dt. Besatzung  wurde in Paris "Prinz Friedrich von Homburg" aufgeführt mit "Im Staub mit allen Feinden Brandenburgs!" (Schluss-Satz), Der literatur- und geschichtstheoretisch schlagende Text: "Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden", unvergleichliche Widerlegung der Franz. Revolution als eines angeblichen Sieges der Vernunft. Hegels und anderer "ruchloser Optimismus", die Geschichte betreffend, wird "avant la lettre" ad absurdum geführt. Und erst der angebliche Rassismus in der "Verlobung von Sto Domingo"; eindrücklichste Widerlegung der nicht nur beim SPIEGEL herrschenden. Illusionen, den Menschen betreffend!

 

RMH

22. März 2021 07:05

Die Erinnerung an Kleist kommt zur rechten Zeit.

Wenn sich das literarische Duo aus Schnellroda bei seinen Porträts einmal aus dem Muff der Zeit der ersten Hälfte des 20. Jhdts lösen will (wäre an der Zeit) und auf die Säulen des Parthenons der deutschen Akropolis blicken mag, dann wäre Kleist eine der Säulen, die man mit großen Gewinn näher betrachten und vorstellen kann.

Nemo Obligatur

22. März 2021 08:01

Eine Leseempfehlung für einen ganz kurzen Kleist-Text ist die "Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege".

Es gab und gibt vielleicht noch auf einer sehr bekannten Videoplattform den Mitschnitt einer, nun ja: "Lesung" wäre fast zu schwach gesagt, von Matthias Habich. Hörenswert.

Glast

22. März 2021 09:00

@Fredy

Michael Kohlhaas - einer der tiefsten Blicke in die deutsche Seele und so auch in die Meine. Ich glaube, ich hab das Büchlein seit meinem vierzehnten Lebensjahr 20 Mal gelesen.

"Herr, heut noch..."

Maiordomus

22. März 2021 10:01

@Obligatur: Ja, T e x t e  wie "Die Anekdote aus dem letzten Preussischen Kriege", eine der Lieblingsgeschichten von Kafka, erzähltechnisch das Meisterwerk schlechthin mit alptraumhafter Verzögerung in einem Moment, da einer eigentlich um Leben und Tod aus dem Dorf abhauen sollte, sich aber an Unverdrossenheit jenseits von Todesfurcht nicht übertreffen lässt: die "reissende Zeit" eines ultradramatischen Stils. Und eine in Aggression mündende Massenpanik wurde nie eindrücklicher zu Papier gebracht wie im "Erdbeben von Chili", hier wie bei der "Verlobung von Santo Domingo" der Einfürallemal-Abschied vom Gutmenschen. Tendenziell gestaltet Kleist je einen langen, oft dramatisch verlangsamten, dann wieder beschleunigten Satz mit all seinen "dergestalt-dass"-Zusammenhängen. Wenn der Satz zu Ende ist, können die Leichen weggetragen werden. Eine stärker apokalyptische Geschichte wie das "Erdbeben" wurde in deutscher Sprache wohl nie geschrieben, wobei aber doch für einen Augenblick der Traum von der heiligen Familie aufleuchtet mit Vater, Mutter, Kind, die als schon von der Gesellschaft zur Vernichtung Preisgegebene für einen Augenblick beim Ruhen an einem Baumstamm ein kleines Stündchen Familienglück geniessen. Zu allem hin die fürchterlichste Geschichte die Religion als das gute Gewissen bei der göttlichen Rache demonstrierend.

Ein gebuertiger Hesse

22. März 2021 11:56

Wir brauchen neue Sonntagshelden. Daß sich gerade heuer (gibt es einen schöneren Ösi-Begriff?), da uns so viele Grundrechte wie noch nie geraubt werden, kaum einer für diese herrliche Position anzubieten scheint, sagt etwas über das Elend out there und within.

Pferdefuss

22. März 2021 12:53

@ Till Lucas Wessels

So sehr ich mich darüber freue, dass Sie Heinrich Kleist als Helden, wenngleich lediglich als 'Sonntagshelden' vorstellen, frage ich mich, ob er erst dann unsere Aufmerksamkeit verdient, wenn sich der 'Spiegel' seiner bemächtigt und ihn entmachtet.

Gleichwohl, das war ein ersprießlicher Sonntagsspaziergang in die unvergängliche Vergangenheit großer Meister (Helden), die unentwegt von 'Spiegel'-Fechtern aller Art kleingeredet werden. Holen wir sie uns nicht nur auf 'Waldgängen', sondern beim 'Lustwandeln' im Barock, im Biedermeier, in der Romantik zurück!

Doch! Dass Sie sich vom 'triefigsten Ernst-Moritz-Arndt-Stil' nicht nur von Ihren, sondern Arndts Gedichten 'distanzieren', sagt mir weniger zu. Gehören zu seiner Literatur nicht so viele gedeihliche Züge/Stilmittel wie Pathos, Innigkeit, Begeisterung, Zorn,  Sentimentalität, Erhabenheit, die uns glattterdings/platterdings abhanden gekommen sind?

Pferdefuss

22. März 2021 13:14

@ Till-Lucas Wessels

Das hat mich erfreut, dass Sie Heinrich Kleist zum Helden, wenngleich nur zum  'Sonntagshelden' und über den Umweg des 'Spiegels' erkoren haben. Das könnte die Richtung sein, die 'Sonntagsspaziergänge' haben könnten: im Reich des Barocks des Biedermeier, der Romantik jene Helden aufzuspüren, die uns permanent durch 'Spiegelfechterei' geklaut werden. 

Ernst Moritz Arndt könnte ein weiterer Kandidat sein. Dass Sie allerdings auch seine Gedichte  mit Ihren Elaboraten 'im triefigsten Ernst-Moritz-Arndt-Stil' entsorgen, sagt mir weniger zu. Arndts Gedichte zeugen von Mut, Begeisterung, Pathos, Innigkeit, Reimkunst, das hat Deutschlands Nationalgesinnung befördert. Womit sonst.  

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