In dem Interview, das die Sezession mit dem ehemaligen Leiter der „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ beim Parteivorstand der AfD, Dr. Roland Hartwig, „über das Verhalten des Krisenvorstandes und den Verfassungsschutz“ geführt hat, wird als wesentlicher Vorwurf der „Mißbrauch des Verfassungsschutzes“ gegen die Oppositionspartei „Alternative für Deutschland“ (AfD) hervorgehoben.
„Mißbrauch“ ist der fehlerhafte Gebrauch von etwas, also dessen Einsatz wider den Brauch (Gewohnheit, Sitte, Etikette). Handelt also der „Verfassungsschutz“ (VS) wider die bundesdeutschen Gebräuche, wenn er von Amts wegen gegen eine Partei rechts der sog. Mitte unter dem Schlagwort „Rechtsextremismus“ mit nachrichtendienstlichen Mitteln und bekämpfender amtlicher Veröffentlichungstätigkeit vorgeht?
Diese Frage muß wohl verneint werden, wie schon das seinerzeitige Vorgehen gegen die Partei „Die Republikaner“ zeigt. Es ist zurückgehend auf die alliierte Lizenzierungspolitik, die entsprechend der Vorgabe Stalins, an die sich auch die USA zunächst orientieren wollten, den traditionell rechten Flügel des deutschen Parteienspektrums (Konservative und Nationalliberale) gekappt hat, gewissermaßen bundesdeutsche DNA, daß eine Rechtspartei nicht erwünscht ist. Letztlich deshalb hat „das Grundgesetz ganz bewußt einen neuen Typ der demokratischen Staatsform geschaffen, für den wir noch die richtige Vokabel suchen“ (so ein maßgeblicher Grundgesetzkommentator).
Daß die politische Linke dabei viel besser wegkommt (auch wenn es vorübergehend anders ausgesehen haben mag), ergibt sich aus der Begründung im Parlamentarischen Rat für den zentralen Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, wonach es eine Demokratie gebe, die weniger frei sei, nämlich die volksdemokratische und eine, die frei sei. Damit wird dem sog. Linksextremismus trotz begrifflicher Abgrenzung die demokratische Legitimität zugestanden.
Auch wenn sich die BRD nach dem Grundgesetz als die freie Demokratievariante sieht, so ist die politische Freiheit nach dem „neuen Typus der demokratischen Staatsform“ doch dahingehend modifiziert, daß der „Grundrechtsterror“ des Bürgers (GG-Kommentar!), also der „Mißbrauch“ insbesondere der Meinungsfreiheit, amtlich abgewehrt werden muß. Dies macht man, indem sichergestellt wird, daß die Bürger nicht allzu viel zu sagen haben, weil sie im Zweifel doch wieder Nazis wählen (so die grundlegende Haltung nach Einschätzung des SPD-Generalsekretärs Peter Glotz), also entsprechend den amtlichen Ideologiebewertungen „rechts“ wählen.
In diesem Kontext ist „Mißbrauch des Verfassungsschutzes“ als Kritik am VS wohl eher nicht zielführend, weil dieser in einer Weise angelegt ist, daß Gebrauch und Mißbrauch schwer unterscheidbar in einander übergehen. Näher als der Vorwurf des Mißbrauchs liegt der der „Demokratiefeindlichkeit“ bzw. des „demokratiefeindlichen Einsatzes“ des VS, der zudem den Vorteil sowohl einer systemimmanenten als auch einer systemtranszendenten Positionierung hätte.
Die eher systemimmanente Variante dieser Argumentationsweise, die vor allem bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zu verwenden ist, müßte sich vor allem auf folgende Punkte konzentrieren:
1. Die Gerichtsbarkeit muß davon überzeugt werden, daß mit dem VS-Regime und seinen Folgen ein Parteiverbotssurrogat (verdecktes Parteiverbot) errichtet worden ist. Ein derartiges Verbotssurrogat darf es verfassungsrechtlich jedoch nicht geben, weil dies gegen die Legalitätswirkung gerichtet ist, die der Monopolisierung des Parteiverbots beim Bundesverfassungsgericht („Parteienprivileg“) zugeschrieben und von der Rechtsprechung in zahlreichen Bereichen auch so praktiziert wird (etwa gleichberechtigte Zulassung zu gemeindlichen Räumen für parteipolitische Veranstaltungen), d.h. vor einem förmlichen Parteiverbot darf niemand mit rechtlicher Wirkung die Verfassungswidrigkeit einer Partei behaupten mit der Folge, daß der im Grundgesetz nicht enthaltene Begriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ als rechtlich irrelevant angesehen werden muß:
Die AfD ist schlicht und ergreifend eine legale Partei und eine Behörde, die dies in Frage stellt wie der VS, handelt rechtswidrig!
2. Die Folge einer rechtlich unzulässigen Vorwirkung eines Parteiverbots als Verbotssurrogat durch den VS ist nur zu vermeiden, wenn auch bezüglich des VS die Grundsätze gelten, welche die Rechtsprechung zur Regierungspropaganda entwickelt hat und nunmehr als Neutralitätsverpflichtung der Exekutive bekannt sind; dies bedeutet, daß VS-Berichte illegal sind, sofern sie bei Vorliegen rechtmäßigen Verhaltens in der parteipolitischen Tätigkeit politische Ideen, Argumentationsmuster, Geschichtsauffassungen („Revisionismus“) amtlich bekämpfen; letztlich sind damit VS-Berichte weitgehend illegal und deshalb abzuschaffen.
3. VS-Berichte sind auch deshalb illegal, weil sie gegen „Extremismus“ gerichtet und nicht auf die Tatbestände der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichtet sind; „Extremismus“ stellt keinen Rechtsbegriff dar, er findet sich in der Ermächtigungsgrundlage von VS-Gesetzen nicht und gerade hinsichtlich des „Rechtsextremismus“ hat das Bundesverfassungsgericht erkannt:
Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu ‚rechtsradikal‘ oder ‚rechtsreaktionär‘ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung.
Damit wird deutlich, daß die gegen den (ideologischen) „Extremismus“ gerichtete Tätigkeit des VS keine Rechtsfrage darstellt, sondern eine politische Frage, wofür jedoch der VS nicht zuständig ist, weil die Mitwirkung an der Meinungsbildung des Volks zwar der AfD zusteht, nicht jedoch dem „Verfassungsschutz“ und dem ihm übergeordneten Polizeiministerium!
4. Die Vorwürfe des VS gegen die AfD sind fast ausschließlich gegen Meinungsäußerungen gerichtet, stellen also eine staatliche Bewertung von Meinungen dar, was üblicherweise als „Zensur“ bezeichnet wird. Die Rechtsprechung ist davon zu überzeugen, daß sich das Zensur-Verbot des Grundgesetzes nicht nur gegen die sog. Vorzensur richtet, sondern entsprechend der im Parlamentarischen Rat geäußerten Meinung auch die sog. Nachzensur erfaßt.
In den totalitäre Regimes des 20. Jahrhunderts spielte in der Tat die gewissermaßen klassische Vorzensur (Vorlage eines Werkes vor Veröffentlichung bei einer Behörde) kaum eine Rolle, sondern die amtliche Meinungslenkung wurde durch Sanktionsdrohungen nach einer unerwünschten Ansprache oder Veröffentlichung herbeigeführt. Deshalb stellt die staatliche Ideenbewertung durch Inlandsgeheimdienste eine durch das Zensurverbot als rechtswidrig anzusehende Meinungslenkung dar.
5. Gegenüber diesen zentralen Punkten sollte die Argumentation nachrangig sein, daß etwa aus der geschichtlichen Einordnung der NS-Zeit als „Vogelschiß“ keine Gefährdung der Verfassung abzuleiten ist, weil dies gegen kein Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie etwa gegen die Unabhängigkeit der Gerichte gerichtet ist.
Es besteht sonst die Gefahr des Verhedderns, wenn man sich auf lange Diskussionen einläßt, ob etwa aus dem Begriff der „Umvolkung“ die Forderung nach Ausbürgerungen abzuleiten ist. Zugestanden werden kann, daß der Begriff politisch von konkurrierenden Parteien (oder auch innerparteilich) bekämpft werden darf, aber seine Verwendung durch private Organisationen stellt sich als nicht rechtswidrig dar und hat deshalb eine Behörde nicht zu interessieren.
6. Wichtig ist sicherlich die möglichst formale Argumentation, weil dies Ideologen einschüchtert, die nicht schnell genug festgestellt haben können, daß die AfD „verfassungsfeindlich“ sei, weil sie etwa glaubt, das Deutsche Reich würde noch fortbestehen und trüge die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland“; so könnte etwa die Rechtswidrigkeit der VS-Berichterstattung wegen Verletzung eines Anhörungsrechts vor Veröffentlichung geltend gemacht werden.
Ein Verwaltungsgericht hat zwar einmal diese Argumentation zurückgewiesen, aber die Bedeutung der Menschenwürdegarantie, die auch AfD-Mitgliedern zusteht und aus der sich das Anhörungsrecht ableitet, hat doch zuletzt immens zugenommen und stellt sich damit als so gewichtig dar, daß der Mangel der Anhörung auch durch die gerichtliche Auseinandersetzung nicht mehr geheilt werden kann, wie dies zwar grundsätzlich im Verwaltungsverfahrensrecht so vorgesehen ist. Aber hier geht es um Demokratiebeeinträchtigung, wo keine nachträgliche „Heilung“ eines Verfahrensverstoßes erlaubt sein kann.
Ohne die bisher erreichten gerichtlichen Erfolge der AfD gegen den VS herabwürdigen zu wollen: Es sind halt doch nur formale Erfolge und wer Böses unterstellt (Zweckpessimismus ist für einen Juristen immer vorteilhaft), könnte vermuten, daß man die AfD formal gewinnen läßt, umso überzeugender in der Sache klarmachen zu können, wie „verfassungsfeindlich“ und „rechtsextrem“ sie doch ist.
Sollte man also mit der aufgezeigten Argumentation bei den Gerichten nicht durchdringen und diese etwa erkennen, daß die geheimdienstliche Überwachung einer Oppositionspartei trotz ihres rechtmäßigen Verhaltens rechtmäßig wäre, weil sich etwa aus dem Bestreiten der Gleichwertigkeit der Kulturen der Verdacht eines Menschenwürdeverstoßes ergeben würde (weil Voodoo-Zauberei als genauso wertvoll wie die Fähigkeit zur Raketentechnik anzusehen ist), dann bekommt die Argumentation mit Demokratiefeindlichkeit doch eine systemtranszendierende Bedeutung.
Eine derartige Rechtsprechung, sollte sie in etwa dieser Weise ergehen, muß dann als Beleg für die grundlegende Änderungsbedürftigkeit des VS-Konzeptes dargestellt werden, das zum Zwecke des Demokratieerhalts mindestens wie folgt geändert werden:
Wie in normalen „liberalen Demokratien des Westens“, die nach der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts im KPD-Verbotsurteil ein Parteiverbot entsprechend Artikel 21 (2) GG nicht kennen – so wie dies auch der Weimarer Reichsverfassung fremd war – muß als Voraussetzung eines Parteiverbots das Vorliegen illegalen Handelns oder zumindest die nachweisbare Absicht hierzu, also zu einem illegalen Regierungserwerbs, postuliert werden.
Dies bedeutet vor allem, daß auch bei dem als „Verfassungsschutz“ fehlbezeichneten Staatsschutz eine sog. Gewaltgrenze gezogen werden muß und eine bloße „Wertgrenze“, die dann methodisch wohl unvermeidbar auf eine Ideologiegrenze hinausläuft, als rechtlich unbrauchbar erkannt wird, weil diese Werteausrichtung den politischen Mißbrauch fast unvermeidbar in sich trägt.
Idealer Weise ist diese Verwirklichung der Demokratie als Änderung des Grundgesetzes umzusetzen, indem die beiden relevanten Artikel 9 (2) GG zum Vereinsverbot und 21 (2) GG zum Parteiverbot unter Anlehnung an § 78 (2) der Verfassung des freien Königreichs Dänemark im Norden der nur freiheitlichen BRD in etwa wie folgt gefaßt werden:
- Artikel 9 … (2) Vereine, die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch die Vereinsbehörde aufgelöst.
- Artikel 21 … (2) Politische Parteien können bei Vorliegen der Voraussetzung eines Vereinigungsverbots (Artikel 9 (2)) durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden.
Um die genannten Forderungen umsetzen zu können, reicht eine parlamentarische Sperrminorität aus, weil eine derartige Änderung des Grundgesetzes zur Voraussetzung der Zustimmung zu anderen Grundgesetzänderungen gemacht werden kann, die von gegnerischen politischen Kräften angestrebt werden. Da die politische Linke, anders als die politische Rechte, immer wieder Grundgesetzänderungen anstrebt, würden sich schon Gelegenheiten ergeben, diese Forderung in den politischen Entscheidungsprozeß einzuführen.
Zumal diese Forderung auch für die politische Linke akzeptabel sein müßte, da auch sie damit rechnen muß, trotz grundsätzlicher Anerkennung der Volksdemokratie als irgendwie demokratisch wieder dem Mißbrauch ausgesetzt zu werden.
Dagegen sperren dürfte sich eher die sog. „Mitte“, der damit das Instrument „Verfassungsschutz“, also der Mißbrauch als solcher, aus der Hand genommen würde.
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Die ausführliche Studie des Verfassers Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative ist hier erhältlich.
zeitschnur
1. Sind Geheimdienste nicht immer ein "Staat im Staat" und prinzipiell einer vollständigen Kontrolle entzogen? Ich weiß nicht, wer hier wen kontrolliert, durchwuchert hat, seine Spielchen durchsetzt. Immerhin hängt der VS in all diesen unerwünschten Parteien massiv mit drin, wie man aus der Vergangenheit bei der NPD, genauso wie all den Seltsamkeiten bzgl. der RAF zumindest ahnt. Genauso die NSU-Geschichte. genauso all die Verflechtungen mit islamistischem Terror. Das Bild öffentlich zugänglicher Information bleibt immer extrem unvollständig. Immerhin ging das Treiben dieser Leute teilweise sogar bruchlos aus dem NS in die CIA über bzw den BND etc. Was erwarten wir da? Was meinen wir überhaupt mit "rechtsextrem"? Aus meiner Sicht werden wir von einer rechtsextremen, faschistoiden Kanzlerin regiert.
2. Wer zuviel Logik im Chaos sucht, ist auf einem sehr einsamen Posten. Und. Das Chaos kann man nicht revidieren und die Lüge wird mit der Wahrheit wohl kaum einen gepflegten Dialog führen.
3. Bloß er "Verfassungsschutz" heißt muss er nicht den Schutz des Grundgesetzes im Blick haben. Genauso wenig wie diese unsäglichen Autos mit der Aufschrift "Bevölkerungsschutz", deren Insassen dafür sorgen, dass wir jetzt schon nach 3 Monaten in der EU 6000 Impftote und 330 000 Schwerstgeschädigte haben (EMA-Statistik), auch nur entfernt Interesse daran haben, die Bevölkerung zu schützen, vor was auch immer.