Vor der 17. Folge des Schnellroda-Podcasts »Am Rande der Gesellschaft« kannte ich die Historikerin Hedwig Richter nur »von Twitter«. Keines ihrer Bücher war mir geläufig, ihre darin entfalteten Kernthesen waren mir weitgehend ebenso unbekannt wie der eigentliche Grund für die kleine Kontroverse um ihre Person.
Erik Lehnert war es vorbehalten, in einem für unseren Podcast durchaus untypischen (gleichwohl produktiven) Monolog einzuführen in die jüngsten Veröffentlichungen Richters: Demokratie. Eine deutsche Affäre und Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich.
Die Diskussion am Schnellrodaer Bibliothekstisch zeigte deutlich auf, daß man das Blätterrauschen um die »Affäre« für einigermaßen übertrieben hält, ja daß Richter als Historikerin und Autorin auch dann »keine von uns« sei, wenn ihre meinungsstarken und durchaus angriffslustigen Gegner das in ihren Kritiken des Richter-Doppelpacks implizieren. Doch dazu gleich mehr.
Wer eine Printvorstellung Hedwig Richters bevorzugt, wurde in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (v. 18.4.2021) fündig. »Die Pop-Historikerin« wird darin von Miryam Schellbach vorgestellt, Werk und die Reaktionen darauf untersucht und Antworten auf die Frage, was Richter zum »Star ihrer Zunft« und zur »Wissenschafts-Influencerin« machte, gesucht.
Für dieses Ansinnen geht Schellbach, Lektorin und taz-Autorin, zu den Wurzeln Richters:
Die Historikerin Hedwig Richter ist in Bad Urach aufgewachsen, einem tief protestantischen Kurort auf der Schwäbischen Alb, mit einem spätmittelalterlichen Marktplatz, dem traditionellen Schäferlauf und sinkenden Einwohnerzahlen, weil es die Jungen entweder ins nahe gelegene Stuttgart oder nach Berlin zieht.
Ebenfalls von dort stamme Cem Özdemir, der Grünen-Realo, der gleich Richter das »milde Lächeln perfektioniert« habe. Derlei Storytelling kann man getrost übergehen, wenn man sich für die Professorin an der Bundeswehr-Universität in München interessiert.
Schellbach kommt danach nämlich zur eigentlichen Thematik: Richter habe ein
ungewöhnlich erfolgreiches Buch über das nicht gerade bestsellertaugliche Thema der deutschen Demokratie geschrieben,
das aber
manche Fachkollegen nicht nur für überschätzt, sondern geradezu für unwissenschaftlich halten.
Zum Vorwurf gemacht werde ihr, daß sie sich an eine »breite Öffentlichkeit« wende, nicht an ein Fachpublikum. Ihr gehe jene Nüchternheit ab, die für ernste, sachliche Bearbeitung eines Gegenstandes nach Ansicht vieler Kollegen unabdingbar sei:
Im Ton einer Pop-Historiographie referiert sie die deutsche Geschichte, als wäre sie eine Netflix-Serie mit Cliffhanger und gutem Ausgang.
Dabei neige sie zur Vereinfachung (und zur Quellenamputation, worauf Lehnert im Podcast hinwies), was die einen ihr als übertriebene Popularisierung negativ anrechnen, andere, darunter der SWR-»Lesenswert«-Moderator Denis Schick, als »Bildungserlebnis« glorifizieren.
Aber auch Verrisse gibt es, etwa vom Historiker Andreas Wirsching. Der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte rezensierte das Demokratiebuch auf eine frappierend polemische Art und Weise. Als »veritables Ärgernis« empfand er Demokratie. Eine deutsche Affäre, was Lehnert nicht nachvollziehen konnte, wohingegen er wenig gegen Wirschings Vorwurf einzuwenden hatte, daß bei Richters Arbeiten ein »Mangel an Quellen- und Literaturkenntnis« vorliege.
Schellbach vermutet ein wenig Neid bei Wirsching auf seine medial präsente Kollegin, und auch daß Richter als »verhältnismäßig junge Frau« (Jahrgang 1973) kritisch beäugt werde, ist der FAS-Autorin einen Einschub wert. Aber erst nach gut der Hälfte des Textes trägt sie die entscheidende Kritik an Richter vor:
Richters streitbarster Punkt ist, dass sie den Nazi-Terror als Wegetappe des demokratischen Prozesses sieht. Damit, so sagt es ihr Kritiker Wirtsching, gehe aber ‘jede Präzision der Unterscheidung zwischen Demokratie und Demokratiefeindschaft verloren’ – und der Nationalsozialismus wird zu einer Art Zwischenstation auf dem langen Weg zur modernen Demokratie.
Über die Frage nach demokratischen Elemente im Hitler-Nationalsozialismus, über die sich früher lebende Historiker bereits kontrovers ausgetauscht hatten, springt Schellbach, politisch durchaus brisant, in die Gegenwart, um Richter – dabei offenkundig ins entschieden Parteiische übergehend, was dem Porträt nicht gut tut – vorzuwerfen, daß sie Linien in die Gegenwart zu ziehen bereit ist.
Was wir »Normalisierungspatriotismus« nennen würden, sieht Schellbach nämlich bei Richter vergegenwärtigt:
Dass die nationale Identität der Deutschen schuldfixiert an der Geschichte des Nationalsozialismus klebe, sei ein ‘überkommenes und einseitiges Verhältnis zur eigenen Vergangenheit’, hat Richter gerade gemeinsam mit Bernd Ulrich in einem Beitrag für die ‘Zeit’ geschrieben. Der Ruf nach einem positiv besetzten deutschen Nationalgefühl kommt bei Richter ähnlich unschuldig daher. Er ist es aber nicht.
Richter also doch »eine von uns«? Jedenfalls sieht das Schellbach so:
Daran könnte die neue Rechte Gefallen finden. Der Antaios-Verleger Götz Kubitschek und der Historiker Erik Lehnert, Geschäftsführer des vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführten ‘Instituts für Staatspolitik’, spöttelten neulich schon in ihrem Podcast zu Richters ‘Demokratie’-Buch: ‘Die ist eine von uns.’
Nun ist es sicherlich zu begrüßen, wenn junge Autoren von FAZ/FAS und taz »geistiges Manna« aus Schnellroda beziehen. Aber das sollte dann schon zu korrekter Rezeption führen. Im Podcast heißt es nämlich:
Wir sollten aber nicht den Fehler machen, zu sagen: Oh, das ist eine von uns.
Wenn Richters Kritiker derart unpräzise arbeiten, fällt der Vorwurf des »Mangels an Quellen- und Literaturkenntnis« umgehend auf sie zurück. Abhilfe schaffen kann bei Schellbach vielleicht (nein, ich glaube nicht wirklich daran) zweierlei: ein Probeheft der Sezession sowie ein Abonnement des »kanal schnellroda« bei YouTube. Und mir zeigt diese kleine »Affäre«, daß ich an der eigenständigen Lektüre des Richter-Doppelpacks nun doch nicht vorbei komme.
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Aber während wir über Bücher sinnieren, schafft das politmediale Establishment zunehmend Fakten auf dem angestrebten Weg zu einer grünen Machtübernahme in Deutschland.
Einerlei, welches Medium man in diesen Tagen am Bahnhofskiosk beäugt: Die einhellige Annalena-Baerbock-Euphorie kennt keine Unterscheidung in Boulevard- und Qualitätspresse. Noch nicht einmal die Neue Zürcher Zeitung kann als schweizerisches Gegengift zur bundesdeutschen Malaise herangezogen werden; denn auch dort schwärmt Anja Stehle (NZZ v. 20.4.21): »Zielstrebig und detailverliebt – Baerbock überholt Habeck«.
Nach einer kurzen Schilderung des Verhältnisses Baerbock–Habeck berichtet Stehle von einem Auftritt Baerbocks in Berlin:
Es waren Auftritte wie im Sommer 2020, als die Co-Chefin der Grünen anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der CDU eine Rede hielt. In den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin stand Annalena Baerbock selbstbewusst vor dem CDU-Publikum. Mit einem Mix aus Komplimenten an die Christlichdemokraten, Selbstironie und Selbstkritik bemühte sie sich damals um das konservative Lager, wohlwissend, dass es mit einer Kandidatur oder gar einem Wahlsieg nur klappt, wenn sie auch jenseits des grünen Kosmos begeistern kann. (…) Ihr politisches Verständnis sei in der Ära Kohl herangereift. Die Grünen seien gegen die Wiedervereinigung gewesen. ‘Das war ein Fehler.’
Nun begeht Stehle denselben Fehler wie viele Liberalkonservative, die nicht von ihrem Mythos »CDU-ohne-Merkel-gleich-konservatives-Lager« lassen können, aber das ist an dieser Stelle nicht entscheidend. Und auch ihre vermeintliche Reue ob der antinationalen Verweigerungshaltung der Wendejahre kann übergangen werden, zumal sie gegenüber der ARD kundtat, daß für sie »die Antifa nicht per se eine linksextremistische Organisation« sei, womit weiterhin Zweifel an ihrer Treue zu Land und Leuten bestehen dürfte.
Wichtiger ist der Vermerk der NZZ, wonach die Co-Chefin der Grünen »häufigster Talkshow-Gast im deutschen Fernsehen« ist. Denn dies ist ein Baustein der grünen Erfolgsgeschichte: die Verschmelzung mit den medialen Apparaten und den Eliten, die sie dominieren. Daß die bundesdeutschen Journalisten überproportional grün favorisieren, ist seit Jahren bekannt, daß der Nachwuchs der tonangebenden GEZ-Presse zu 92 Prozent für Rot-Rot-Grün optiert, immerhin seit einem Jahr.
Bräuchte es noch einen Beweis für die Bedeutung »metapolitischer« oder »vorpolitischer« Raumnahmen – die deutschen Grünen verkörperten ihn. Bei der Bundestagswahl 2017 blieben sie bundesweit einstellig, doch aufgrund ihrer jahrzehntelang vorbereiteten, erkämpften und nunmehr bisweilen aggressiv verteidigten Hegemonie in Gesellschaft, Medien und Kultur kann man lediglich vier Jahre später parlamentspolitisch ernten, was man auf metapolitischem Terrain arbeitsteilig und nachhaltig gesät hat.
Auf die sukzessive durchgesetzte grüne Kulturrevolution folgt grüne politische Macht; das ist die Essenz der erfolgreichen Synthese aus Meta- und Realpolitik.
afd-schnellroda-gramsci
“Wahlerfolge ohne vorhergehende meta- bzw. vorpolitische Raumnahmen sind allenfalls als Eintagsfliegen denkbar; nur kombinierte Strategie aus Meta- und Realpolitik kann Gesellschaft und Politik nachhaltig verändern.” https://t.co/2d2qCjGrAB via @welt
— Ulf Poschardt (@ulfposh) April 14, 2021
Ausgerechnet die Grünen setzen damit um, was Alain de Benoist, der Grandseigneur der »Nouvelle Droite« seit den 1970er Jahren einer oftmals auf diesem Felde blinden politischen Rechten ins Gewissen schrieb: Eine Hegemonie auf mehreren Ebenen ist nur dann zu erlangen, wenn eine politische oder weltanschauliche Bewegung ihre eigenen Ideen im kulturellen und im vorpolitischen (also: metapolitischen) Raum als führend zu setzen vermag, was langfristigen »Stellungskrieg« (Gramsci) mit sich bringen kann, aus dem man als Sieger hervorgehen muß.
Ist dies geschehen, verfügt man also über die kulturelle Hegemonie in einer Gesellschaft, kann wirkmächtige politische Hegemonie folgen, die sich in Wahlergebnissen materialisiert. Diese Benoist-Theorie richtet sich naturgemäß gegen Ansätze, nach denen zuallererst parlamentarische Wahlerfolge zu einer Tendenzwende führten. Benoist hielt und hält dies für einen fatalen Trugschluß – zunächst müsse die gesellschaftliche Stimmung in eine andere Bahn gelenkt werden, was der grünen Szene in Politik, Medien und Wirtschaft ganz formidabel gelingt.
Wenn Alain de Benoist in seinem Standardwerk Kulturrevolution von rechts postulierte, daß alle großen Umwälzungen der Geschichte
nichts anderes getan haben, als eine Entwicklung in die Tat umzusetzen, die sich zuvor schon unterschwellig in den Geistern vollzogen hatte,
dann wäre der mögliche grüne Triumph im September 2021 ein logischer parlamentspolitischer Kulminationspunkt jener metapolitischen Tendenzwende, die durch das grüne Lager arbeitsteilig und effektiv angestrebt wurde. Antifaschistisch, linksliberal und neobürgerlich – drei Eigenschaften, die den Charakter der Bundesrepublik 2021 ff. vergegenständlichen dürften.
Eine zuletzt vielerorts zirkulierende »akzelerationistische« Perspektive, wonach Grün-Rot-Rot die »schweigende Mehrheit« aufrütteln würde und nicht zuletzt die Union »ins Konservative« zurückholen würde, krankt an zweierlei: Erstens überschätzt man damit die Substanz und den kämpferischen Willen der konservativen Unionsreste, zweitens vergißt man, daß Baerbock, die auch in der NZZ als »Realo« angepriesen wird (was heißt das schon bei den Grünen?) ihre Vernetzungsarbeit längst geleistet hat:
Auftritte wie im Sommer 2020, als die Co-Chefin der Grünen anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der CDU eine Rede hielt,
geschehen nicht grundlos.
Die Union mag im September des Jahres Angela Merkel als Kanzlerin verlieren; ihren Drang zum opportunistischen Machterhalt um des Machterhalts willen ist dagegen seit Jahrzehnten parteiimmanent. Daß sie sich daher Baerbock andient und dem grünen Siegeszug der Metapolitik das i‑Tüpfelchen in Form eines grünen Siegeszugs in der Parlamentspolitik folgen läßt, indem sie zur schwarz-grünen Koalitionsbildung drängt, halte ich für deutlich realistischer als Grün-Grün-Rot.
Schlecht für Deutschland ist freilich beides. Die Milliardenförderung für antifaschistische Gruppen hatte immerhin die CDU/CSU-geführte Bundesregierung veranlaßt – da können die Grünen bis dato neidisch werden – und die »spürbare Aufwertung« des Antifaschismus erfolgte lagerübergreifend »in den letzten Jahren« (Eckhard Jesse in der NZZ v. 21.4.21).
Vom »kontaminierten Terminus des Antifaschismus« (Jesse) können sie mittlerweile folglich alle nicht lassen. Ob schwarz, gelb oder grün, rot oder dunkelrot – Antifaschismus ist jenes Vehikel, das der linksextremistischen Szene Bündnisoptionen bis weit in die liberale Mitte hinein verschafft.
Jesse warnt daher:
Ein demokratisches Verständnis vermag mit dem teils instrumentalisierten, teils verengten Begriff des Antifaschismus wenig anzufangen. Wer dies anders sieht, tippt in eine Antifaschismus-Falle.
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Ohne staatliche Finanzspriten wäre so manches Antifa-Projekt längst pleite. Das ist kein Lehrsatz des Wutbürgers, sondern seit Jahren triste BRD-Realität. Wohin das führt, sah man zuletzt im beschaulichen Dresden-Loschwitz, wo die Buchhandlung Susanne Dagens von linken Tätern heimgesucht wurde.
Im Gegensatz zu zahllosen Angriffen auf die sogenannte »alte«, nationalistische Rechte der vergangenen zwei, drei Wochen – alles Nötige dazu hier – hat dieser Anschlag es zumindest über die Seitenspalte der Provinzblättchen hinaus geschafft, obschon (noch?) nicht über die Landesgrenzen Sachsens hinaus.
Im Feuilleton der Sächsischen Zeitung (v. 22.4.21) fragt Oliver Reinhard:
Ist Gewalt gegen ‘Missliebige’ weniger verdammenswert?
Reinhard steigt ein mit einer Schilderung der Situation:
In der Nacht zum Montag haben Unbekannte einen Anschlag auf eine Dresdner Buchhandlung verübt, das Schaufenster eingeschmissen, eine Flasche mit Buttersäure hindurchgeworfen. Die war offenbar versehen mit einem Zünder; Bücher hätten möglicherweise Feuer fangen, noch schlimmere Folgen eintreten können – die 19-jährige Tochter der Buchhändler schlief allein in der Wohnung über dem Laden.
Der Autor weiß mitzuteilen, daß üblicherweise »solche Anschläge auf Kulturinstitutionen« in Deutschland
schnell sehr breiten und lauten Protest hervor. Schließlich gelten sie als Horte des Geisteslebens, der Gedanken- und Kunstfreiheit, als Symbole für das kulturelle Miteinander in jener Vielfalt, die das Grundgesetz garantiert, schützt, fordert und fördert. Doch in diesem Fall bleibt das Echo lokal begrenzt und der Aufschrei relativ verhalten, vor allem im lebendigsten Empörungsmedium Twitter. Womöglich, weil das Dresdner Buchhaus Loschwitz nicht irgendeine Buchhandlung ist.
Davon abgesehen, daß mir »rechte« Anschläge auf Buchhandlungen (!) schlechterdings nicht bekannt sind, hat Reinhard natürlich Recht: Trifft es Konservative oder zumindest Nicht-Linke, dann schweigt die Kulturschickeria ebenso wie die vereinigte Politik (Hintergründe: siehe grüne Hegemonie weiter oben).
Reinhard weiß aber zu vermelden, weshalb Susanne Dagen »in der Kritik« (ein Buttersäureanschlag ist dann rabiate »Kritik«?) stehe: Sie engagiere sich als Stadträtin für die Freien Wähler und initiierte die »Charta 2017« für mehr Meinungsfreiheit. Doch es kommt dicker:
Obendrein betreibt Frau Dagen einen Videotalk mit der rechtsradikalen Aktivistin Ellen Kositza, ist gut vernetzt mit dem neurechten „Institut für Staatspolitik“ des Thüringer Verlegers und Kositza-Ehemannes Götz Kubitschek und organisiert gelegentlich Veranstaltungen mit Leuten wie Martin Sellner, Kopf der ebenfalls rechtsradikalen Identitäten Bewegung.
Anstatt einfach die Gewalt zu verurteilen und in der linken Szene auf journalistische Spurensuche nach den Tätern zu gehen, wird also ein Popanz um »Rechtsradikalismus« (und eine obskure Identitäten Bewegung) aufgebaut, bei dem im Zuge der Namedropping-Agenda auch noch Thüringen mit Sachsen-Anhalt verwechselt wird, was einem sächsischen, also ebenfalls mitteldeutschen Medium durchaus schlecht zu Gesicht steht.
Aber vielleicht verschafft sich Reinhard auch nur den nötigen Absicherungsfreiraum, dessen jeder bedarf, der den Finger in die Wunde linksliberaler Meinungsdominanz legt:
Dass aus dem Bereich der Kultur in klassischen und sozialen Medien weniger „freiwillige“ – also nicht erst nachgefragte – Verurteilungen eines Anschlags auf den Laden einer „Neuen Rechten“ zu hören sind, scheint wenig verwunderlich. Ist doch das kulturelle Leben in Deutschland samt seiner zentralen Institutionen eher liberal bis links ausgerichtet und positioniert sich großteils deutlich gegen solche Ansichten, für die auch Susanne Dagen steht. Gegenteilig sieht es oftmals aus, wenn sich Anschläge gegen liberale bis linke Kulturorte richten; auf laute Aufschreie kann man sich nahezu verlassen.
Reinhard zu Gute zu halten ist, daß er in die virtuelle Jauchegrube des Antifaschismus steigt und dessen Obszönitäten der Leserschaft übermittelt:
‘Es ist lediglich das Eigentum einer völkischen Faschistin beschädigt worden, einer Frau, die auf ekelhafte Weise seit Jahren völkische Propaganda betreibt’, relativierte etwa eine Kommentatorin auf Facebook. Andere rechtfertigen die Gewalttat sogar mit ‘Argumenten’ wie ‘Wer faschistisches / rassistisches Gedankengut in sich trägt muss sich nicht wundern, wenn Angriffe passieren!’ Eine ebenso klassische wie vulgäre und im Kern zutiefst antidemokratische und rechtsstaatsfeindliche Täter-Opfer-Umkehr.
Klare Worte, immerhin. Jenseits von Dresden wäre es überdies undenkbar, daß Funktionäre der Stadtpolitik ihre Solidarität mit dem Opfer der linken Gewalt aussprechen. Dazu zählt der Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) ebenso wie die Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke). Während beide lokalen Granden ihre Betroffenheit in typischem Politsprech ausdrücken, wird Heiki Ikkola, Intendant des Societaetstheaters, deutlicher:
Das ist eine große Scheisse. Das sabotiert jede argumentative Auseinandersetzung, jeden Dialog. Wer immer das war: Ihr vertieft die Gräben in der Gesellschaft und schürt das erhitzte Klima weiter an. Ich kotze.
Damit könnte man es bewenden lassen. Doch muß sich – in Dresdens literarischer Welt unvermeidlich – auch der Schriftsteller Durs Grünbein zu Wort melden, und seine Bemerkung spricht Bände. Nach einer pflichtschuldigen Verurteilung des Terrors (»Der Anschlag ist ein Gewaltakt und absolut zu verurteilen«) setzt umgehend die Relativierung ein:
Im Übrigen sind derlei Anschläge, auch auf Büros von AfD-Abgeordnete, vollkommen kontraproduktiv und deshalb ärgerlich. Ich kann nur hoffen, dass daraus kein politisches Kapital geschlagen wird und wünsche mir zügige Aufklärung des Falls.
Kann ein Grünbein nicht einfach postulieren: Solidarität mit den Opfern jedweder Gewalt, Ende? Statt dessen sind die Taten »kontraproduktiv und deshalb [!] ärgerlich«, weil Rechte daraus womöglich »politisches Kapital« schlagen.
Mit einer solchen Wendung wird Dagen ein zweites Mal als Person angegriffen: erst durch die antifaschistischen Täter, dann durch einen antifaschistischen Dichter, dessen größte Sorge nicht die anhaltende Gewalteskalation linker Kreise ist, ja noch nicht mal die Gefahr für Leib und Leben von linker Gewalt Betroffener – wir erinnern uns an die weiter oben zitierte Zeile, wonach
die 19-jährige Tochter der Buchhändler allein in der Wohnung über dem Laden schlief.
Grünbein besorgt ausweislich der Stellungnahme gegenüber der Sächsischen eine potentiell denkbare politische Folgewirkung auf »Rechte«. Wenn Grünbein »aus Einsamkeit Humanist« ist (in: Zündkerzen), dann handelt es sich hierbei wohl um zeitgenössischen Humanismus im Endstadium der Depravation.
Es geht auch anders, wie Jörg Stübing zeigt, der die Buchhandlung »Büchers Best« betreibt. In einem Offenen Brief fragt der explizite Gegner der politischen Rechten:
Zählt Gewalt gegen Buchhändler nichts, wenn diese politisch unliebsam sind? Was ist mit Euch und Ihnen? Wo gibt es hier eine Erklärung / Positionierung dazu? Was sagt das Kulturamt? Die Seiten vom Literaturnetz Dresden, der Bibliothek, Literatur erleben in Dresden etc. voll mit dem Üblichen, als ob nichts geschehen wäre, nur nicht mit dem was hier deutlich die Regeln bricht.
Stübing schließt seinen emotionalen Appell:
Bitte tretet in Erscheinung, äußert Euch. Nicht bei mir. Draußen. Freiheit hat Ihre Kosten. Das sind sie.
Ein Appell, der wirkungslos verpuffen wird. Aber immerhin: ein Appell, namentlich gezeichnet, mit deutlich vernehmbaren Zorn. Das ist in Zeiten der anhaltenden Transformation der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in eine antifaschistische Tyrannei mehr, als es den Statthaltern und Charaktermasken der linksliberalen Hegemonie recht sein dürfte.
Jan
Die Grünen konnten den vorpolitischen Raum erobern, weil ihre Inhalte nicht kriminalisiert und verfolgt wurden und außerdem beim globalistischen Kapital auf Interesse stießen. Rechte Inhalte hingegen werden kriminalisiert, verfolgt und zensiert. Für's Kapital sind rechte Thesen nicht interessant, mitunter sogar störend und geschäftsschädigend. Die Rolle der Medien als grüne Multiplikatoren, die rechte Thesen ausgrenzen und diffamieren, ist hinreichend beschrieben worden.
Wie unter solchen Umständen im vorpolitischen Raum eine Hegemonie erzielt werden soll, ist mir schleierhaft.