Wer bestimmt – als Machthaber, mindestens als hegemonialer Meinungsbildner unsere Geschicke. Die Mehrheit, die Regierung? Wer genau legt die Richtung fest, deren Leitlinie wir erkennen – etwa daran, was vertreten werden darf und was als verwerflich gilt. Das als verwerflich Geltende – von Begriffen bis Handlungsweisen – nahm innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte jedenfalls enorm zu.
Kurzer Exkurs: Niklas Luhmann hat die Gesellschaft systemtheoretisch zu erklären versucht, u. a. über den Begriff der Autopoiesis. Die Einheit des Systems und alle Elemente, aus denen das System besteht, werden durch dieses System selbst produziert.
Luhmann unterscheidet zwischen sozialen und psychischen Systemen. Psychische existieren in der Umwelt sozialer, und soziale in der Umwelt psychischer Systeme. Soziale Systeme sind dabei wesentlich Kommunikation. Keine Kommunikation ohne Bewußtsein und kein Bewußtsein ohne Kommunikation. Kommunikationssysteme erscheinen im Sinne einer Selbstreferenz operativ geschlossen. Zugleich verweisen sie mittels Beobachtung auf jeweils anderes: Fremdreferenz.
Es ergeben sich Beobachtungen zweiter Ordnung: Um eine genutzte Unterscheidung beobachten zu können, muß sie bezeichnet werden, und genau das setzt eine andere Unterscheidung voraus, in deren Rahmen die erste Unterscheidung wiederum von anderen Unterscheidungen unterschieden wird. –
In Anwendung dessen: Die politische Rechte steht außerhalb der Mitte der „Mehrheitsgesellschaft“, die sich selbst für die Mehrheit hält und daher – „Wir sind mehr!“ – im Recht und im Besitz der Wahrheit und gerechtfertigten Moral wähnt. Dieser Platz im Abseits ist für die kritische Perspektive von außen nicht nur komfortabel, er ist der einzige Ort, von dem aus sich die „Mehrheitsgesellschaft“ überhaupt jenseits ihrer eigenen Autopoiesis beobachten läßt.
Daher ist die Rechte nicht an „geltende Grundvereinbarungen“ gebunden: Die Gedanken sind frei! Allerdings muß sie zu ihrer eigenen Verortung stets klären: Wer ist sie selbst? Wo steht sie? Wie spinnt sich wiederum ihre Autopoiesis? – Sie versucht solche Klärungen etwa in dramatischen Auseinandersetzungen innerhalb der AfD zwischen den verschiedenen Lagern zu realisieren.
Die Rechte, der politische Paria, vermag den „blinden Fleck“ der anderen zu erkennen, den diese selbst nicht sehen, aus dem heraus sie jedoch wahrnehmen und ihre Autopoiesis entwickeln. Könnten sie sich selbst kritisch anschauen, wären die „politisch Anständigen“ mindestens verwundert über das überdehnte Bündnis von CSU bis grün und links, also von einem überspannten Spektrum, das von Markus Söder bis zu Carola Rackete und zu den Antifa-Rotten reicht.
Angela Merkel, der durchaus etwas Sibyllinisches eignet, steht dafür als eine so seltsame wie ausdauernd-beständige Personifizierung, ja beinahe als ein Symbol. Sogar physiognomisch: Kein natürliches Charisma, das eben dadurch zum Super-Charisma avancierte.
Mittlerweile sieht Merkel so aus, als hätte sie all diese Kräfte der „Mitte“ integriert und alle Feldlinien auf sich ausgerichtet. Sie ist das Gesicht der Berliner Republik und steht ebenso für „Christdemokratie“ wie für „Sozialdemokratie“, Strömungen, die ihren Gründungsimpuls längst verloren und die es an sich selbst überhaupt nicht mehr gibt. Nichts Ursprüngliches verbindet sich damit; alles scheint durchgemerkelt.
In der „Jungen Freiheit“ kommentierte Holger Douglas das Klima-Urteil des Verfassungsgerichts sehr treffend, indem er die ihm innewohnenden Tendenz genau erfaßte:
„Der Spruch aus Karlsruhe ist letztlich die Erbsünde einer linksgrünen Politik, die einen Machtblock quer durch alle Institutionen installiert hat. (…) Merkel und der Bundestag haben Verwaltungsgerichte und Souveränität der Länder ausgeschaltet und das Bundesverfassungsgericht politisiert. Stephan Harbarth, neuer Gerichtspräsident, hat geliefert. Merkels Mann fürs Grobe hatte bekanntlich im Dezember 2019 den extrem umstrittenen Migrationspakt für Merkel mit seiner Rede im Bundestag („wer gegen diesen Pakt stimmt, handelt gegen das nationale Interesse Deutschlands“) durchgedrückt.”
Gewisse Unterscheidungsmerkmale innerhalb des politischen Breitbandes weist allein die FDP unter ihrem Retter und Alleinführer Christian Lindner auf, weil sie sich quasisozialistischen Grundvereinbarungen wie Vergesellschaftungstendenz, staatlicher Vormundschaft und staatserzieherischer Vereinnahmung zu entziehen versucht. Als Lindner nach der letzten Bundestagswahl zu einer nationalen Jamaika-Koalition nein sagte, tat er das Richtige. Insbesondere für sich und seine Partei.
Allerdings hat die FDP in der Gesellschaft kaum Gewicht, insofern mit der landläufigen Kritik am Neoliberalen gleich noch das Liberale wegerzogen werden soll. Die FDP interessiert daher eher sich selbst – und Christian Lindner. Ein Verlust. – In der Ablehnung der AfD und der Rechten stimmt sie wie selbstverständlich mit den Einheitsfrontlern der Altparteien überein. So wie alle anderen „Demokraten“ hält sie diese Kräfte für pathologisch und schädlich. Nationalliberale Strömungen, ausgehend von den Nationalliberalen im Kaiserreich und über die „Deutsche Volkspartei“ Gustav Stresemanns in Resten bis in die Bundesrepublik nachwirkend, sind längst versiegt oder eher trockengelegt. – Gerade deswegen ließ die Höcke-Kemmerich-Affäre in Thüringen aufhorchen.
Zurück zur neuen Volksfront von CSU bis Linksgrün, die künftig von den Grünen dominiert werden wird. Dieses Polit-Kartell mit immer weniger innerer Differenzierung konstituiert sich in den Akten seiner Kommunikation mittels gleicher Begriffe, Semantiken und Konnotationen. Aber: Wurde etwa die Forderung nach Toleranz in der Aufklärung eher den Herrschenden entgegengehalten („Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“, Schiller im „Don Carlos“), so ist sie gegenwärtig ein reiner Herrschaftsbegriff – ebenso wie „Demokratie“, „Weltoffenheit“, „Zivilcourage“, „Antirassismus“, „Inklusion” und viele andere Begriffe nurmehr als Herrschafts- und also Ausschlußbegriffe fungieren.
Kurios, daß namentlich den früher so oppositionsvitalen Linken und Grünen gar nicht auffällt, wie sich die Exekutive ihrer einstigen Protestbegriffe bedient und diese längst staatstragend geworden sind. Vollständige Assimilation. Mehr noch: Die schwarz-rote Regierung kommt grünen Forderungen von sich aus entgegen und dient sich dem Öko-Bio-Klientel an. Das mag darauf hindeuten, daß die linksgrüne Revolution evolutionär längst vollzogen wurde – im Interessenkompromiß mit dem Groß‑, also dem Finanzkapital, das in seinen globalen Marktinteressen gleichfalls „weltoffen“ ist und mit dem Ziel der Einnivellierung und Normierung des Verschiedenen seinem eigenen pragmatischen Universalismus folgt, der sich mindestens rhetorisch als anschlußfähig erweist.
Erst recht dann, wenn die Globalwirtschaft die Siegel „Fair Trade“ und „Nachhaltigkeit“ auf ihr überbordendes Warensortiment druckt. Viele linksgrüne Anhänger dürften in Konzernen längst zu „fairen“ Entscheidungsträgern aufgestiegen sein. Versteigt man sich mit der Behauptung, daß das, was in den letzten dreißig Jahren in Deutschland ablief, als erste erfolgreiche linke Revolution von oben gelten kann? Was die Linksgrünen im Bündnis mit dem modernen Kapital bisher erreichten, steht der von ihnen angeblich erwünschten „Diversität“ in jeder Hinsicht entgegen, und das Verfahren, politische Ziele zu erreichen, ist alles andere als „tolerant“.
Daß die grünlinke Revolution im Überbau kulturell und geistig vollzogen ist und sogar ein neubürgerliches Lifestyle-Milieu im Sinne eines Bio- und Fair-Trade-Hedonismus etablierte, zeigt sich an dem geradezu paranoiden bzw. haßgeladenen Aktionen „gegen Rechts“. Die Wahrnehmung, autopoietisch generiert, stimmt ja, jedenfalls in sich:
Da gibt es rechts immer noch welche, die es vernünftigerweise gar nicht geben dürfte, „Ewiggestrige“, denen man ihr krudes, abgrundböses Weltbild längst wegerzogen haben müßte, zumal immense öffentliche Mittel in diese Umerziehung fließen. Und doch gibt es sie. Immer noch! Und es kommen neue Varianten dazu, verunglimpft als Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Prepper und Reichsbürger.
Die in sich heterogene Rechte, von der biederen AfD bis nach Schnellroda aufgestellt, blickt auf den blinden Fleck der grünlinken Hegemonie. Dies vermögen die Protagonisten der grünlinken Bewegung selbst nicht. Sie erläutern ihre Weltanschauung und ihr Menschenbild, indem sie – längst ja staatstragend – die eigene Dogmatik aufrufen und durchweg apodiktisch verfahren. Diskussionen, mithin gedankliche Toleranz, wollen sie gerade nicht zulassen. Sie wollen ausgrenzen, müssen es gar, weil das, was sie vertreten, nach ihrem Selbstverständnis eben gar nicht in Frage gestellt werden darf. Rechte raus! – Wohin eigentlich?
Die politische Rechte ist die einzige Kraft, die eine zweite Lesart als Alternative zur offiziellen Verlautbarungsrhetorik der „politischen Klasse“ und zu den ihr weitgehend angepaßten Medien vermitteln kann. Ohne die Rechte gäbe es gar keinen politisch-intellektuellen Stoffwechsel mehr. Die von links betriebene Cancel-Culture und deren teils lächerliche, teils gespenstische Trigger-Warnungen lassen hingegen eine McCarthy-Ära von links befürchten. Wer – wie jüngst Hans-Georg Maaßen – den treffenden Begriff „Globalismus“ benutzt, gilt sogleich als Antisemit. Reflexe der Abwehr und Verunglimpfung zur Vermeidung genauer Auseinandersetzung. Der Umgang mit der einzigen Opposition erscheint irre hysterisch.
Zoff wie um Boris Pallmer verdeutlich das: Die Hypersensibilität der Gesellschaft läßt sich von den Possen eines Provinzpolitikers derartig reizen, daß Erregungswellen entstehen, auf denen der politische Narzißt dann zu surfen versucht. Eine berechnete Provokation mit Ironie, denn Witz ist der Linken mittlerweile völlig fremd. Ach, es muß nicht mal Witz sein; es reicht, wenn einer das farbige Wort “Negerschwanz” aus einem Chatverlauf von auf Mallorca urlaubenden Damen wiederholt. Was für belangloses Zeug, das zu Eruptionen führt. Während die Ökolinke Glaubensbekenntnisse zelebriert, übt sich die Rechte im genauen Analysieren. Dafür steht u. a. dieses Medium.
Die Rechte wird ihre Positionen festigen und die wesentlichen Themen bestimmen können. Dies muß durch alle Schmähung und Verunglimpfung hindurch über die Kritik der Begriffe und Sätze der anderen geschehen.
MARCEL
Die Rechte wird traditionellerweise (von Lenin bis Mao, ebenso von A. Guzmán oder Pol Pot) von der Linken immer neu "erfunden", damit das Feindbild nicht ausgeht. Selbst dann, wenn es die wirklichen Rechten nicht mehr geben sollte.
Der Artikel trägt den Titel "Blinder Fleck"- von ihm aus ließe sich zurückschlagen.
Je mehr Lockdown, desto mehr Überlebensnischen - vom Virus lernen!