Auch wenn ich an dieser Stelle ein wenig »pro domo« spreche: Seit der Gründung der Sezession im Jahr 2003 ist ein Korpus an Texten herangewachsen, dessen Bandbreite, Tiefgang und Tonfall in der rechten Publizistik Deutschlands einzigartig sind. Hieraus eine Bestenliste zu erstellen wäre schwierig und in jedem Fall eine subjektive Auswahl, die sich gewiß auch ganz anders treffen ließe. Man könnte einige wichtige Themenblöcke nennen, die kontinuierlich behauen wurden, und es sind bei weitem nicht alle.
Multikulturalismus und Einwanderung etwa waren in der Sezession schon lange vor 2015 ein Thema: Karlheinz Weißmann erteilte harte »Biblische Lektionen« (13 / 2006) und kam zu dem Schluß, »daß die Existenz von Nationen ein Ausnahmefall in der Geschichte ist«, multikulturelle Systeme, die »am besten despotisch zu beherrschen sind«, sind hingegen die Regel; Ellen Kositza ärgerte die »liberalen Islamkritiker« mit einer listigen und vielschichtigen Parteinahme für die »Kopftuchmädchen« (40 / 2011), Caroline Sommerfeld gab eine komplexe Antwort auf die (scheinbar) einfache Frage »Wer gehört zu uns?« (88 / 2019).
Metapolitische Strategien wurden durchdacht und debattiert und fielen schließlich auf fruchtbaren Boden. So führt eine gerade Linie von Felix Menzels »Ikonen schaffen – Vom Kampf um Aufmerksamkeit« (24 / 2008) zu den medienwirksamen Aktionen der Identitären Bewegung, deren Mastermind Martin Sellner unter anderem in Heft 79 / 2017 kompetent aus der Praxis sprechen konnte, wenn er über »Politische Paradoxien« nachdachte. Damit ist vor allem das Problem gemeint, daß sich eine aktivistische Gruppe innerhalb eines politischen Spektrums einerseits stark nach außen absetzen muß, um ihren inneren Zusammenhalt zu gewährleisten, andererseits aber Offenheit und Anschlußfähigkeit bewahren muß, um nicht »zu einer isolierten Sekte« zu verkommen.
Selbstverständlich hat die Sezession auch immer wieder die gefürchtete Systemfrage gestellt, was zunächst nichts anderes bedeutet als eine realistische Analyse, nach welchen Regeln das politische System tatsächlich funktioniert, ungeachtet seiner Selbstdarstellung. Was von den Machthabern heute als »Demokratie« bezeichnet wird, unterliegt schon lange einer Metamorphose zu einer Art »Demokratur«, wie Thorsten Hinz in seinem Beitrag »Zwischen Postdemokratie und Neototalitarismus« (74 / 2016) ausführte. »Demokratie« wird zur globalistischen Politik, deren Ziele »die Zerstörung der europäischen Völker und die Degradierung der Nationalstaaten zu bloßen Verwaltungseinheiten« sind. »Wehrhafte Demokratie« bedeutet in der Folge nichts anderes als eine wachsende »soziale Vernichtungsmacht« gegen Abweichler und Oppositionelle.
Thor v. Waldstein forderte daher in seinen »Zehn Thesen zum Widerstandsrecht« (70 / 2016), die Demokratie wieder auf ihr natürliches Fundament zu stellen, basierend auf der Feststellung, daß »der Souverän des Grundgesetzes das deutsche Volk« ist. Das Demokratieprinzip schütze »nicht irgendeine beliebige ›Demokratie‹ irgendwelcher ›Demokraten‹ auf BRD-Boden, sondern die Herrschaft des deutschen Volkes über den souveränitätsbefähigten Nationalstaat auf deutschem Staatsgebiet.« Daran anknüpfend plädierte Benedikt Kaiser für eine »Revolutionäre Realpolitik von rechts« (81 / 2017), mit dem Fernziel einer »Gesellschaftsordnung, in der soziale Gerechtigkeit und Staatsbewußtsein, Recht und Gesetz, Verantwortlichkeit und Solidarität« und die Pflicht gegenüber »Staat und Nation« wiederhergestellt werden.
Zu den grundlegenden Legitimationsmythen der Bundesrepublik zählt auch eine manipulative und einseitige Geschichtspolitik im Zeichen von immerwährender Schuld und nie endender Sühne. Auch hier übte die Sezession kontinuierlich Fundamentalkritik auf hohem Niveau, unter anderen in Beiträgen von Fritjof Meyer, Karlheinz Weißmann, Stefan Scheil und nicht zuletzt von keinem Geringeren als Ernst Nolte, dem wohl bedeutendsten Geschichtsdenker, den Deutschland nach 1945 hervorgebracht hat. In seiner Dankesrede »Dogma und Wissenschaft« (49 / 2012) stellte Nolte »ein freies Denken, das sich an den Maximen einer reflektierenden Wissenschaft orientiert«, einem »dogmatischen ›Absolutismus‹ des Geschichtsverständnisses« entgegen und warnte vor der Gefahr, daß sich dieser »in Deutschland und möglicherweise sogar in Europa durchsetzen wird«.
Eine weitere, immer wiederkehrende Fragestellung in der Sezession benenne ich nach meinem Buch Kann nur ein Gott uns retten? Es geht hier um den Verlust des Heiligen und der Transzendenz und seine Auswirkungen auf Gefüge, Gestalt und Schicksal der modernen Welt, um die religiösen Konsequenzen der Erfahrung einer totalen Ohnmacht gegenüber irdischen Verhältnissen und Verhängnissen, aber auch um die Frage, welche Pfade den einzelnen wieder auf die »Spur der entflohenen Götter« führen könnten. Dieses Thema durchzieht als roter Faden etliche meiner eigenen Beiträge, von »Fanal und Irrlicht« (20 / 2007) bis zur »Wallfahrt nach Chartres« (67 / 2015).
Und schließlich sei noch das Augenmerk erwähnt, das die Sezession stets auf Literatur und Dichtung gelegt hat. Die Spannweite reicht von der Pflege von »Klassikern« wie Hölderlin und George, Doderer und Bulgakow, Benn und Jünger, Mishima und Montherlant, über Vergessene, Außenseiter, Geheimtips oder stille Größen wie Horst Lange und Hans Bergel, Jean Raspail und Joachim Fernau, Rolf Schilling, Ismail Kadare und Günter de Bruyn, bis hin zu bekannteren Zeitgenossen wie Botho Strauß, Martin Mosebach und Uwe Tellkamp. In jedem Heft werden belletristische Neuerscheinungen besprochen, dabei als Literatur ernst genommen und beurteilt und nur in zweiter Linie nach ihrem metapolitischen oder gesellschaftsseismographischen Wert abgeklopft.
Mein erster Rückblick auf das noch junge Projekt Sezession erschien vor fünfzehn Jahren in der Jungen Freiheit (20 / 06) unter dem Pseudonym Michael Kreuzberg. Ich eröffnete ihn mit einem Zitat von Hans Zehrer, dem Chefredakteur der Monatsschrift Die Tat während ihrer konservativ-revolutionären Phase (1929 – 1933), in deren Umfeld sich ein intellektuell einflußreicher »Kreis« gebildet hatte, der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ins Abseits gedrängt wurde: »Die Intelligenz gerät heute in Gegensatz zu den Vorstellungen und Erwartungen des Kollektivs«, schrieb Zehrer unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. »Sie muß verzichten auf die Riesenauflagen der ›bestseller‹, auf die Staats‑, Wirtschafts‑, und Gewerkschaftspöstchen und auf den kleinen Tages-›job‹ in der Presse und Rundfunk, Film und Theater.«
Immerhin gelang es Zehrer, Unterschlupf in der amerikanischen Lizenzpresse zu finden, als Chefredakteur der Welt unter der Ägide Axel Springers. Auch wenn es ein wenig aus seinem zeitlichen Kontext gerissen war, ließ sich das Zitat, das ich in den Staatsbriefen von Zehrers Zögling Hans-Dietrich Sander gefunden hatte, mühelos mit der Lage der konservativen Intelligenz im Jahr 2006 verbinden. Kreuzberg notierte, daß weder Götz Kubitschek noch Karlheinz Weißmann als damalige Hauptverantwortliche der Sezession Illusionen zu hegen schienen, »die Publizistik könne in die Speichen der Zeitläufe greifen oder es zu mehr bringen als zu einer um fünf nach zwölf rehabilitierten Kassandra«, wobei die Aussicht auf Rehabilitation wohl schon zu optimistisch gedacht war. Dennoch bestehe kein Grund zur Untätigkeit: »Weder Niekischs Widerstand noch Zehrers Tat konnten die deutschen Verhängnisse abwenden. Ihre Schriften erreichten jedoch etwas Seltenes: strahlungsmächtige Kreise zu ziehen, ein geistiges Milieu zu prägen, ein Saatgut auszuwerfen, eine unverwechselbare Geste zu hinterlassen.« Das war der Mindestanspruch der Sezession und ist es bis heute geblieben.
Die Zielsetzungen der Herausgeber gingen natürlich weit über die bloße Geste oder die unverbindliche Pflege literarischer und weltanschaulicher Traditionen hinaus, was Ehrensache jedes ernsthaften Intellektuellen sein sollte. Das mentale Reservat des »aktiven Pessimismus« steht nicht unbedingt im Widerspruch zu dem Ehrgeiz, reale gesellschaftliche Veränderungen anstoßen zu wollen, sondern federt ihn nur ab. In den Worten Kubitscheks: Eine »Änderung der Verhältnisse« war anvisiert, durch »radikale Kritik, Klärung der Lage, Zuspitzung der Begriffe«. »Provokation«, »Unversöhnlichkeit« und »Ernstfall« waren die Schlüsselwörter der Selbstverortung.
»Auf ihrer Netzseite betonen die Herausgeber, daß man mehr als ein weiteres Mauerblümchen im Blätterwald der Schwafelzone sein möchte«, bemerkte Kreuzberg und zitierte ein Statement auf dem Ur-Blog der Zeitschrift: »Sezession ist eine politische Zeitschrift, in der realpolitisch, nicht gesinnungspolitisch gedacht wird. Sie unterstützt den Vorsatz ihrer Leser, Entscheidungen zu treffen. Kontroverse ist erwünscht, jedoch nicht als intellektuelles Spiel«.
Realpolitisch zu denken heißt aber auch, sich im klaren zu sein, daß man einer politischen, medialen, institutionellen und finanziellen Übermacht gegenübersteht. Wodurch verschafft man sich im Wettstreit der Ideen, wenn es denn dergleichen abseits des öffentlichen Kulissenschiebens überhaupt noch gibt, Aufmerksamkeit, Respekt und Einfluß, wenn einem all diese Rückendeckungen und Feldvorteile nicht zur Verfügung stehen? Durch die Liebe zur Wahrheit, durch klare Analysen, stilistische Brillanz, gelungene Provokation und überraschende Perspektiven? Oder eher formal, durch einen zupackenden Tonfall oder eine ansprechende Optik? Wie konzipiert man seine eigene Mannschaft, als »Traditionskompanie« (Weißmann) oder als »Wahrnehmungselite« (Kubitschek) oder bescheidener als »Zeigerpflanze« (wiederum Kubitschek)? War eher die Pflege eines »neuen Realismus« (Weißmann) das Ziel – als Programm für ein bürgerliches Publikum, das sich eine rationalere nationale Politik wünscht anstelle der utopischen und neurotischen Weltentwürfe der Bundesrepublik? Oder doch eher, so Kubitschek, die »expressive Loslösung«, die »Temperaturerhöhung«, die Wertschätzung des »romantischen Düngers«? Das Aufsuchen der Quellen »Glaube, Dichtung, Anderland«, um »das Mobilisierende, Magnetische, Elektrisierende gegen den Realismus (sei er alt, sei er neu, sei er vernünftig) zu stellen«? Dieser Disput über die »Spurbreite des schmalen Grats« und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, beide Mentalitäten zu vereinen, wurde zwischen Erik Lehnert und Kubitschek in Heft 53 / 2013 und erneut zwischen Weißmann und Kubitschek in Heft 59 / 2014 geführt; letztere sollten bald darauf getrennte Wege gehen.
Als unabhängige Zeitschrift mußte sich die Sezession auch der alten Frage stellen, welche Macht das Denken und der »Geist« überhaupt haben, und zwar allein auf sich selbst gestellt, ohne die großen Lautsprecher und Multiplikatoren der Stiftungen, der Massenmedien und sonstiger Propagandamaschinen. Erik Lehnert warf sie etwa im Themenheft »Macht« (48 / 2012) auf: »Eine Erörterung über die Macht des Geistes ist kein akademisches Glasperlenspiel, sondern eine notwendige Selbstvergewisserung für jeden, der am Kampf des Geistes um den Gang der Welt teilhat«, schrieb er. »Je mächtiger der personale Geist eines einzelnen ausgeprägt ist, um so eher hat er die Chance, im Kampf mit dem objektiven Geist, dem Zeitgeist, nicht unterzugehen.«
Wenn Lehnert nun bemerkte, daß es sich bei der »Macht des Geistes um das Zentrum der Macht überhaupt handelt, von der alle anderen Macht-Formen, ob militärische oder politische, abgeleitet sind«, dann verwies er auf einen »Geist«, den man weder machen noch ausdenken kann, der »weht, wo er will«, und der gerade auch durch seine »irrationalen Momente« wirkt: »Geist ist gerade nicht nur rational, bloßer Verstand. Die besseren Argumente allein genügen nicht. Der Kampf des Geistes wird über Ideen geführt und entschieden. Ideen zeichnen sich weniger dadurch aus, daß sie gut begründet sind, sondern daß sie als Wahrheit akzeptiert werden, für die genügend ›Verrückte‹ (Kaltenbrunner) bereit sind, vielleicht nicht ihr Leben, aber wenigstens ihren guten Ruf zu opfern. Vor allem also dadurch erhalten Ideen Macht.« Es ging Lehnert dabei nicht nur um die geistige Ermächtigung des einzelnen, sondern vor allem einer politischen Idee, die zunächst nur geistige Waffen zu ihrer Verfügung hat: »Für jede Opposition ist unverzichtbar, einen objektiven Gegengeist auszubilden«, schrieb er. »Das birgt zwar die Gefahr der Entfremdung und Isolierung, verhindert aber Zynismus. Der Erfolg mißt sich an der Stärke dieses Gegenbildes.«
In Heft 52 / 2013 näherte sich Götz Kubitschek der Frage nach der Stärkung dieses Gegenbildes auf einer anderen Marschroute. Wie Kreuzberg / Lichtmesz berief auch er sich zunächst auf Hans Zehrer und den Tat-Kreis, betonte aber, wie sehr sich die Lage des Konservatismus seit 1945 verändert hatte: Es gehe nicht mehr um Total- und Gegenentwürfe, sondern um »die Besinnung auf die Güter der abendländischen Tradition« und die »Stabilisierung der Substanz, nicht mehr um eine Revolte, sondern um Kurskorrekturen und – immerhin – um ein mutiges Aussprechen dessen, ›wie es wirklich ist‹.«
Diese »Minimalziele« führen allerdings in ein Dilemma, das etwa Hans Freyer auf den Punkt gebracht hatte: »Innerhalb der nivellierten Massengesellschaft komme Identitätsstiftungen der Rang einer ›haltenden Macht‹ zu. Und so stabilisiert jeder, dem seine Substanz, seine Identität, sein Gefüge von irgendwo außerhalb des Systems her zuwächst, heute jenes System, das für die Zersetzung erst verantwortlich ist.« Kann das schon alles gewesen sein? »Keinesfalls«, antwortete Kubitschek. »Denn das Politische ist zu Ende. Alles Große dämmert vor sich hin, und selbst die Erinnerung daran schläft ein. Das Radikale ist der Stachel, der wachhält. Das Experiment ist das Gebot der Stunde, der nutzlose Dienst eine schöne Geste. Die Fähigkeit, immer wieder voraussetzungslos über Tun und Lage nachzudenken, die Uhr neu zu stellen und aus dem Nichts zurückzukehren, ist die Grundlage des Widerstands.«
Das bedeutete ausdrücklich kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-Als-Auch, gerade für eine Zeitschrift, die den Akzent schon in ihrer visuellen Gestaltung auf Nüchternheit und Klarheit legte. Ohne die von Kubitschek skizzierte existentielle Fähigkeit, ohne den Traum, das Exzentrische, das Überschwengliche und das Unvernünftige, schöpferisch kanalisiert durch Lebenstüchtigkeit, Pragmatismus und Selbstdisziplin hätte es indes auch nie eine Sezession und ein »Schnellroda« gegeben – aber auch keine Identitäre Bewegung und keinen Martin Sellner, der das Prinzip der »Provokation« zu Erfolgen führte, die es im rechten Lager bis dato nicht gegeben hatte. Er hat dafür aber auch einen hohen Preis bezahlt, denn die Provozierten zeigten, daß sie nicht mit sich spaßen lassen und ihnen kein Mittel der Verfemung zu schmutzig ist.
Sellners Talent zur Tat blühte in einem Zeitraum auf, in dem »das Politische«, das Kubitschek 2013 für tot erklärt hatte, wieder aufzuwachen schien und die rechten Milieus revitalisierte. Einhundert Hefte Sezession aus achtzehn Jahren dokumentieren auch, wie im ewigen politischen Wartesaal BRD immer wieder die gleichen Dramen abgespult, die gleichen Rituale zelebriert, die gleichen Affekte bedient und die gleichen Waffen eingesetzt wurden, um die Deutungsmacht des Establishments zu bewahren. Die »Meinungskorridore« erlebten immer wieder Phasen, in denen sie sich endlich, endlich zu öffnen schienen, 2010 etwa durch den Erfolg von Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab, 2015 durch den Schock der »Flüchtlingskrise« und den darauf folgenden internationalen Boom des nationalen Populismus. In Deutschland forderten PEGIDA, die AfD und die Identitäre Bewegung das Establishment heraus und wurden von der Sezession und ihrem Umfeld kritisch-unterstützend begleitet. »Schnellroda« wurde zur landesweit berüchtigten, oft suggestiv aufgeblasenen Chiffre für finstere Einflüsterungen und Strippenziehereien, illustriert mit Homestories aus dem Ziegenstall.
Insbesondere in den Jahren 2016 und 2017 sah es mitunter tatsächlich so aus, als würden die Karten neu gemischt und die Verhältnisse zu tanzen beginnen, als bildeten sich neue und unerwartete intellektuelle und politische Allianzen, als würden die Bannflüche der politischen Korrektheit an Wirkung verlieren. Manche kokettierten damit, »mit Rechten reden« zu wollen, und kniffen unter dem Beifall des Feuilletons feige den Schwanz ein, als sich diese tatsächlich zum Duell bereit zeigten. Seither sind etliche Flutwellen der Repression und der Zersetzung auf den Fuß gefolgt, mit allen zur Verfügung stehenden feinen und groben Mitteln. Sie folgen der Logik des Machterhalts eines Systems, das der stigmatisierenden Gesinnungskontrolle, des Gaslichterns, und einer mit Abermillionen von Staatsgeldern geförderten Bewußtseins- und Propagandaindustrie bedarf, um seine Legitimität zu bewahren.
Und nicht zuletzt verfügt es über einen inoffiziellen terroristischen Arm in Form eines staatlich hochgezüchteten und gesponserten Linksextremismus, der die Rolle des auch physisch gewalttätigen Kettenhundes übernimmt. Seither hat in der Rechten eine große Desillusionierung eingesetzt: Die »mobilisierende Vorstellung«, man könne »ohne Rücksicht auf wirtschaftliche, technische und soziale Bedingtheiten doch so etwas wie ›reine Politik‹ treiben«, schrieb Kubitschek im Editorial von Heft 99 / 2020, »hat sich als Illusion erwiesen, der Weg zur Ernüchterung führte von PEGIDA über den Aufstieg der Alternative zuletzt mit Siebenmeilenstiefeln dorthin, wo zigtausend Bürger hilflos gegen eine zynische Staatsmacht anrennen.«
Die Sezession hatte stets zu viele Brocken bitterer und kalter, also: faktischer Wahrheit auf ihrer Seite, und darüber hinaus zu viele Autoren, die imstande sind, sie in klare Worte und mitreißende Polemik zu fassen, um von den Machthabern langfristig geduldet werden zu können. 2020 beschloß der Staat, das Institut für Staatspolitik zwanzig Jahre nach seiner Gründung per »Verfassungsschutz« zu »beobachten« und als »Superspreader von Haß und Gewalt« (Thomas Haldenwang) zu diffamieren.
Diese Sprache zirkuliert nicht erst seit der »Coronaviruskrise«, die weltweit zu bislang unvorstellbaren totalitären Verschärfungen geführt hat. Seit Jahrzehnten wird die politische Rechte von den ideologischen Institutionen des Staates und seinen medialen Gehilfen wie ein Virus behandelt: Bereits der bloßen physischen Anwesenheit eines »Rechts«-Infizierten im öffentlichen Raum wird eine hohe Ansteckungs- und Kontaminierungsgefahr zugeschrieben, weshalb Personen, Gedanken, Meinungen, Weltanschauungen, Haltungen, Worte, Bücher, Zeitschriften in Quarantänen isoliert werden müssen, und dies immer strenger und gründlicher, in der Hoffnung, die Inzidenzwerte der Infektionsfälle nach unten oder gar auf Null zu drücken.
Um diese Gefahr zu bekämpfen, setzt man auf Abstandsregeln, Kontaktverbote und doktrinäre Impfungen; auch »Masken« müssen getragen werden, zum Eigenschutz und zum Schutz der Gesellschaft, die nie wieder einer mentalen Epidemie zum Opfer fallen darf wie anno 1933. Vertreter des Staates verteidigen heute expressis verbis ihre »Wahrheitssysteme« (Michael Kretschmer), die gegen Infragestellungen, Korrekturen und Widerlegungen immunisiert werden müssen. Das bedeutet die Kontrolle der Informationen, der »Framings« und der Narrative, das bedeutet die autoritäre Anweisung, welche Nachrichten »Fake« sind und welche »Faktenchecker« das letzte Wort haben, nach den Vorgaben eines nackten Freund-Feind-Rasters.
Daß die Herren der Diskurse analog zum Coronavirus unsere »Gefährlichkeit« maßlos übertreiben, mag uns zuweilen schmeicheln und dazu verführen, unsere eigene Bedeutung zu überschätzen. Klargeworden ist jedenfalls eines: Sie wollen uns schlicht und einfach vernichten. Es ist ihnen egal, ob unsere Analysen zutreffen, ob wir gut schreiben können oder überraschende Perspektiven eröffnen. Der Staat, dem sie dienen, will sich und seine fix eingeschlagene Marschrichtung weder reformieren noch kritisieren lassen. Ernsthafte Kritik und Sezession kann er nicht mehr dulden, denn sie erscheint ihm längst nicht nur als »Verfassungsfeindlichkeit«, sondern als Angriff auf die Menschenrechte, die Menschenwürde, die Menschlichkeit und die Menschheit überhaupt, zusammengefaßt unter dem Schlagwort »Haß«, das den nötigen Dampf für die Hexenjagdmaschine abgeben soll.
Immerhin erfahren wir eine gewisse Selbstvergewisserung durch die Tatsache, daß dieser Kampf so gut wie niemals auf der sachlichen oder argumentativen Ebene geführt wird. Es werden nahezu ausschließlich grob präparierte Strohmänner attackiert. Diesen Job erledigen nicht nur linksextreme »Rechtsextremismusexperten«, sondern auch honorige Professoren in Staatsdiensten, die zuverlässig die bestellten Bretter abliefern. Um unser Denken anzugreifen, muß man es entstellen, Argumente unterschlagen, Ambivalenzen tilgen, Worte verdrehen und umdeuten. Das Ziel sind Filterung und Blockierung: Unsere Reichweite soll beschränkt, unsere Außendarstellung kontrolliert werden. Auch das ist nicht neu. Es hat uns zumindest dahingehend diszipliniert, eine äußerste Sorgfalt des Denkens, Schreibens und Formulierens zu kultivieren.
Das haben unsere Gegner nicht mehr nötig: Sie können nach Belieben Behauptungen aufstellen, Unwahrheiten verbreiten, sich hinter faulen Worthülsen verschanzen, niemand wird sie zur Rechenschaft ziehen, solange sie ihren Job erfüllen und das gewünschte Grundrauschen in Gang halten und vor Mißtönen schützen. Fairneß, Anerkennung, Redlichkeit, Differenzierung, geistige Freiheit, sogar Galgenhumor und Selbstironie – das sind Dinge, die sie sich längst nicht mehr leisten können und wollen. Dieser Luxus bleibt sozusagen uns vorbehalten. Dabei brauchen wir nicht im geringsten von unseren Grundpositionen abzurücken. Um die Strahlkraft der Idee zu bewahren, schrieb Erik Lehnert in seinem Aufsatz über die »Macht des Geistes«, dürfe sie »nicht den Eindruck erwecken, verhandelbar zu sein«, sie müsse aber andererseits »mit einem gewissen Spielraum vertreten werden, um nicht als ›fixe Idee‹ in den Bereich des Pathologischen abgeschoben zu werden.«
In letzteren werden wir ohnehin einsortiert wie sowjetische Dissidenten, egal, was wir schreiben, sagen oder tun. Die Mahnung, nicht zu erstarren und Spielräume offenzuhalten, bleibt jedoch bestehen. Das Holz unserer Bogen muß zugleich fest und elastisch sein. Unser personaler Geist hat indes heute wenig Aussichten, zu unserer Lebenszeit »objektiver Geist zu werden oder daran Anteil zu haben« (Lehnert). Damit bleibt uns nur mehr das »nutzlose Dienen« übrig. Machtansprüche können wir nicht glaubhaft stellen, wenn sie kein mächtiges Ohr finden. Alles, was wir tun können, ist uns darin üben, den vorherrschenden Machtanspruch kraft unseres personalen Geistes abzuwehren, und andere dazu ermutigen, es uns gleichzutun.