Die Bahnhofsbuchhandlungen sind die Schaufenster und durch die Grossisten weiterhin gewährte Werbeflächen, doch den eigentlichen Überlebenskampf führt man auf dem Terrain der Abonnements; sie allein sichern das dauerhafte Erscheinen.
Daß ein solches im Falle von Compact erwünscht sein sollte, habe ich an der ein oder anderen Stelle der »Sammelstelle« bereits ausgeführt. Als Brechstange des Populismus, die sicherlich die ein oder andere Frage überspitzt anfaßt, aber dann wiederum in Dossiers glänzt, für die andere Magazine oder Wochenzeitungen zu bieder und harmlos sind, hat Compact seinen Platz in der widerständigen Publizistik, erreicht überdies alte wie neue »Wutbürger«, und für so manchen neuen, bis dato womöglich sogar apolitischen Leser, erwies sich Compact als »Einstieg« in patriotische Sphären.
Die aggressiven Kampagnen des organisierten Antifaschismus legen nahe, daß man das auch beim Gegner mit Argusaugen verfolgt, nicht zuletzt deshalb, weil die Mannschaft um den streitbaren Jürgen Elsässer nun auch noch ein eigenes Online-TV-Format auf den »Markt« gebracht hat – täglich werden Nachrichten ausgestrahlt, daneben gibt es Sondersendungen.
Die neue Ausgabe (November 2021) des Printmagazins widmet sich dem Themenblock »Wie die Spritze die Gesellschaft spaltet«. Daniell Pföhringer zeigt dabei in seinem fundierten und faktenreichen Leitartikel auf, daß der politische Impfdruck das soziale Gefüge in Deutschland nachhaltig beschädigt hat.
Auch das Gespräch mit Beate Bahner, einer Medizinrechtlerin und Autorin eines stark nachgefragten Corona-Buchtitels (ein Kositza-Rezensionsvideo ist bald im »kanal schnellroda« online!), ist lesenswert, und Paul Klemms Report aus Frankreich sollte jeder gelesen haben, der wissen möchte, was auch in der BRD auf uns zukommen kann, denn der Pariser Weg könnte Vorbildfunktion auch für Berlin besitzen:
In Deutschland findet Frankreichs digitalisiertes Hygieneregiment samt Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen viele Bewunderer, vor allem in den Redaktionsstuben der etablierten Medien. Als «Umstritten und erfolgreich» adelte etwa die Tagesschau Macrons Zwangsmaßnahmen. Wolfgang Schäuble, die graue Eminenz der CDU, empfahl sie in der Impf- debatte als Modell: «Wir sollten durchaus schauen, wie Frankreich und andere Länder das Problem der mangelnden Impfbereitschaft angehen, welche Wege sie einschlagen.»
Klemm zeigt die Ambivalenzen und Gefahren dieser Wege eindrücklich auf.
Doch der eigentliche Höhepunkt für Sezession-Stammleser dürfte ein anderer Aspekt der November-Compact sein. Im Dossier, das sich der polarisierenden Frage möglicher Auswanderung aus politischen Gründen widmet, also einer virulenten Frage der Zeit, der sich Ellen Kositza auf unserem Blog widmete, ist eine Diskussion abgedruckt, deren Gesprächspartner verschiedene Steine des patriotischen Mosaiks darstellen: Neben Jürgen Elsässer sind dies Martin Sellner und Christoph Berndt, Chef der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion.
Den Aufschlag macht Elsässer, der auf Sellners These eingeht, wonach sich der patriotische Widerstand im Osten der BRD sammeln sollte, wo es noch erhebliche Resonanzräume gebe. Berndt ist umsichtig, hebt die Notwendigkeit hervor, weiterhin an das große Ganze zu denken und verweist als Vorbild daher auf den einzigen Erfolg der AfD bei der jüngsten Bundestagswahl. Das war das Ergebnis aus Thüringen:
Dass der Patriotismus im Osten stärker ist als im Westen – diesen Befund teilen wir sicherlich alle. Es widerspricht sich ja auch nicht, nach wie vor die Macht in ganz Deutschland anzustreben, und den Ausbau von Hochburgen oder auch Fluchtburgen im Osten voranzutreiben. Derzeit ändert sich an diesem Befund nicht viel. Was wir gesehen haben, war allerdings das bemerkenswerte Wahlergebnis in Thüringen, der erste Platz für die AfD mit einem Zugewinn an Stimmen – im Unterschied zu Sachsen, wo es auch den ersten Platz gab, aber zwei Prozent verloren wurden. Deswegen lohnt es, sich mit dem Beispiel Thüringen stärker zu beschäftigen,
woraufhin Sellner und Elsässer die Frage aufwerfen, inwiefern ein einzelnes Bundesland als Leuchtturm ausstrahlen muß. Der so oft als Elefant im Raum stehenden Frage nach einem größeren Aktionsradius für den Thüringer Parteichef Björn Höcke weicht Berndt nicht ansatzweise aus – er spricht es einfach offen aus:
Auf jeden Fall gehört Höcke in den Bundesvorstand, das ist völlig klar. Er hat tatsächlich gezeigt, wie man gewinnt – und das in einer Situation, wo die AfD insgesamt Stimmen verloren hat,
was aber nicht bedeute, daß man »den Westen« nun aufgeben solle oder gar die alte Idee einer Ost-West-Spaltung zu reaktivieren, im Gegenteil:
Ich sehe im Augenblick noch nicht die Notwendigkeit einer Ost-AfD. Wir müssen auf die Stärke der Gesamtpartei setzen, und de facto gibt es die Ost-AfD ja schon in Form der Ost-Landesverbände. Wir anderen Landesverbände, auch wir in Brandenburg, müssen von Thüringen lernen, was die Qualität der Arbeit angeht. Und die Querelen müssen aufhören, zumal sie sehr oft nicht politisch, sondern rein persönlich motiviert sind. Damit haben wir genug zu tun, wir brauchen jetzt keine organisatorische Aufspaltung. Und wenn wir in irgendeinem Bundesland Regierungsmacht bekommen, wird das Effekte haben und ausstrahlen: Unsere Bewegung wird eine ganz neue Dynamik bekommen,
wie Berndt im weiteren vorzüglich ausführt.
Bliebe da noch die Frage nach Sellners »Sezessionen« und regionalen Experimenten widerständiger Gegenwelten. Ist das nicht am Ende der Schritt ins Irrational-Obskure des Reichsbürgertums, ins Abgeschiedene, in die Weltflucht eigener Parallelstrukturen?
Nein, meint Sellner:
Ich will ja dezidiert nicht solche sektiererischen Experimente mit Kommunen, solche Mini-Sezessionen mit eigenen Wappen, eigenen Autokennzeichen, eigener Währung. Man schreckt damit die normalen Bürger ab und macht sich zum Ziel der Repression. Es gibt aber sehr viele Möglichkeiten auf der Ebene darunter, über Siedlungsvereine, Sparvereine, Genossenschaften, solidarische Netzwerke die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten auszunutzen.
Warum Berndt dann vor sich selbst erschrickt (»Mein Gott, jetzt rede ich schon wie ein Politiker«) und weshalb er sich mit Sellner (und Elsässer) uneinig zeigt, was das Potential der Querdenkerszene anbelangt, liest man am besten selbst in Compact nach – ob als Abonnent oder Kioskgänger.
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Ganz anders bewertet man naturgemäß die Lage der AfD im allgemeinen und der Thüringer AfD im besonderen im linksliberalen Milieu. In der aktuellen Ausgabe (11/2021) des führenden Periodikum dieses Lagers, den Blättern für deutsche und internationale Politik, das bereits im 66. Jahrgang erscheint, führt Jens Schneider Erhellendes und weniger Erhellendes zum vorgeblichen »Triumph der Rechtsradikalen« aus. Der Hauptstadtkorrespondent der Süddeutschen Zeitung möchte einen Überblick über die AfD »mit und nach Meuthen« bieten.
Zunächst referiert Schneider die Frühgeschichte Meuthens in der AfD, um ihn mit dem mittlerweile historisierten »Flügel« zu verbinden:
Meuthen verteidigte den Extremisten Höcke und huldigte dem immer mehr nach rechts abgedrifteten Alexander Gauland. Er verbündete sich mit beiden in großem Einverständnis, als ihre Macht durch die Vorsitzende Frauke Petry bedroht war. Er reiste zum „Kyffhäuser-Treffen“ des „Flügels“ von Höcke und dessen Strategen Andreas Kalbitz,
und ja wohl auch nach Schnellroda, was interessanterweise immer wieder in Vergessenheit zu geraten droht.
Dann jedoch wandte er sich ab und besann sich auf seine eigene Klientel, nährte den Spaltungskurs, suchte keine Versöhnung und Verständigung, lehnte Ausgleich mit seinen Gegenspielern ab, wollte mit seiner satten 2/3‑Mehrheit im Bundesvorstand und loyalen Apparatschiks einfach von oben durchregieren.
Doch schon
Meuthens Vorgänger Lucke und Petry mussten erleben, dass sie zunächst bejubelt, dann aber fallengelassen wurden, als sie Vorgaben machen wollten,
was ja nicht nur an anarchischem Hang zum Widerspruch, sondern auch daran liegen könnte, daß diese Vorgaben einfach objektiv falsch waren?
Einen Punkt macht Schneider tatsächlich in seiner ansonsten interessengeleiteten Analyse:
Es gibt wenig verlässliche Bündnisse oder treue Lager. Der AfD-Ehrenvorsitzende Gauland zog aus diesen diffusen Verhältnissen für sich den Schluss, es gar nicht erst auf große Machtproben ankommen zu lassen oder viel durch Führung erreichen zu wollen. Zu groß war seine Sorge, die Partei könnte sich verweigern,
und zu groß das Ego des Gauland-Widersachers Meuthen, der in den letzten Jahren seiner Ägide vor allem ein notorisch belastendes Ärgernis für die AfD zu sein schien. Hinzu kam eine notorische Ungewißheit:
Faktisch wusste man bei Meuthen nie ganz genau, was Überzeugung und was Opportunismus war,
wobei eine Konstante immerhin seine schroffe Ablehnung des längst erfolgreichsten AfD-Landesverbandes aus Thüringen darstellte:
Zu Recht erinnerte Meuthen daran, dass der Zauderer Höcke noch nie für ein Amt auf der Bundesebene der Partei kandidiert hat und größeren Konflikten stets aus dem Wege geht, wenn er sich seines Erfolges nicht sicher ist. Meuthens Irrtum war jedoch: Höcke musste gar nicht in den Konflikt gehen. Er musste nur bleiben und ausharren,
wobei sich, mit Christoph Berndt, fragen läßt: Bleibt das auch so?
Meuthen, das ist längst bekannt, bleibt im EU-Parlament, wird nicht mehr als Co-Parteichef kandidieren. Entgegen seiner stabilen Mehrheit im Bundesvorstand, die ihm weiterhin loyale Akteure wie Joachim Paul und Alexander Wolf zu sichern helfen und daher leicht nervös auf die Bundesvorstandsneuwahlen im Dezember schauen dürften, hat er innerhalb der Partei für eine bleibende Führungsrolle aber schlichtweg keine Mehrheiten mehr.
Schneider erinnert an die letzte Wahl:
Schon vor einem Jahr hatte Meuthens Rückhalt in der Partei nicht einmal für eine sichere Kandidatur zur Bundestagswahl gereicht. Er verzichtete auf einen Wechsel ins Berliner Machtzentrum und beließ es bei seinem weitgehend einflusslosen, aber lukrativen Sitz im Europäischen Parlament im fernen Straßburg, den er jetzt nicht aufgeben will,
was nichts daran ändert, daß er auf Bundesebene »keine Lust mehr (zeige), Gemeinsamkeiten vorzuspielen«.
Für Schneider dürfte Meuthens Abschied aus diesen Gründen »eine echte Zäsur sein«:
Es wird weiter manche in den Fraktionen und der Partei geben, die wieder näher zur Mitte und einen anderen Ton anschlagen wollen, ja sogar von Regierungsämtern träumen,
aber den Kurs, so der Journalist, würden andere vorgeben.
Ob das so sein wird oder nicht, entscheiden die Delegierten aller Landesverbände im Rahmen des Bundesparteitages im Dezember – also aus fast allen Landesverbänden, glaubt man diesem Twitter-Nutzer:
Der LV Berlin der #AfD darf keine Delegierten zum Bundesparteitag entsenden!
Grund sind Unregelmäßigkeiten bei der Delegierten-Wahl.
3 Personen wurden – auf Anwesiung v. Storchs (!) – auf die Wahlliste aufgenommen, nachdem die Aufnahme der Bewerbungen bereits beendet war.— Kreuz Acht (@KreuzAcht) November 10, 2021
Aber Schneider verkennt diesbezüglich die Situation: Es ist ja nicht so, daß man in der AfD eine Schwarz-Weiß-Situation vorfände, die sich etwa so gestaltete: Auf der einen Seite die Meuthenianer, die einen liberalkonservativen Kuschelkurs mit CDU/CSU und FDP befürworten als Entrebillet zur feinen Gesellschaft der Bundesrepublik, und auf der anderen Seite die Dogmatiker, die Fundamentalopposition um jeden Preis betreiben wollen.
Es sieht vielmehr so aus:
Jene, die den erstgenannten Kurs fahren wollen (gegen jede Empirie und Vernunft, oft aus habituellen und biographischen Gründen, etwa eigenen Altpartei-Sozialisationen), haben keinerlei Wahlergebnisse vorzuweisen, die sie auch nur in die Nähe von potentiellen Machtoptionen bringen.
Jene, die diesen Kurs von einem rationalen Blickwinkel aus für gescheitert halten, wissen demgegenüber, daß es realistischer Zukunftsoptionen bedarf, um überhaupt auch nur in die Nähe von künftigen Machtkonstellationen zu kommen – und sind dabei qua Wahlergebnisse auf einem guten Wege.
Ziel muß es demnach sein, in einzelnen (ostdeutschen) Modellregionen eine »Wende im kleinen« herbeizuführen, etwa über ein effektives Zusammenspiel der Mosaik-Rechten inner- und außerhalb des Parlaments. Kommt die AfD beispielsweise in Thüringen oder Sachsen bald auf »30 Prozent plus«, werden die Karten neu gemischt. Man kann dann auf Dauer keine stabilen 4er- oder 5er-Altparteienkonstellationen unter Einschluß der Linkspartei gewährleisten, weil das die Ost-CDU über kurz oder lang zerreißen würde.
Erst wenn dies geschieht – der wohlverdiente Untergang der »entkernten« Christdemokratie –, kann über neue Modi der Kooperation nachgedacht werden. Klar ist, daß man dann als AfD kein Bittsteller der »bürgerlichen« Kräfte mehr wäre (wie im Meuthen-Weg angedacht), die überhaupt erst die heutigen Verhältnisse Deutschlands bewirkt haben, sondern den Seniorpartner mit Richtlinienkompetenz verkörpern müßte.
Gelänge dies, könnte durch die sicher einsetzende Polarisierung ein Dominoeffekt einsetzen, der weitere Bundesländer nachfolgen ließe. Man darf also – mittel- und langfristig – darauf hoffen, daß ein Teilerfolg im Osten bei zunehmenden Krisensituationen auch im Westen letzte Hoffnungsregionen in den alten Bundesländern mitreißt, was bedeuten würde, daß Ostdeutschland unter Umständen eine »Pionierrolle beim populistischen Aufstand« (Steffen Mau) einnähme.
Fest steht für dieses Ansinnen: 30 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen und in Thüringen sind wirkmächtiger als 13 Prozent in – beispielsweise – Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, auch wenn dort viele Millionen Menschen mehr leben. Denn mit 30 Prozent plus kann man ein Bundesland erheblich gestalten (man erinnere sich an die weitreichenden föderalen Spielräume, die man nutzen und kämpferisch ausweiten müßte, von Bildungs- und Kulturpolitik bis hin zur inneren Sicherheit und Migrationsaspekten), und man kann damit auch im Bundesrat erheblich Aufsehen erregen, was die AfD benötigt, um überhaupt massenmedial dauerhaft »im Gespräch« zu sein.
Der Weg wäre also folgender: Nicht Anbiederung bis zum Untergang, aber auch nicht stumpfe Fundamentalopposition um jeden Preis, sondern nachhaltige Kärrnerarbeit im Fach- und Sachpolitischen, programmatische Vertiefung, populistische Zuspitzung (wo nötig), inhaltliche klare Kante bei Verzicht auf Pöbeltum. Ferner: Hervorhebung der Leuchttürme in Sachsen, Thüringen und anderswo, angestoßene Lernprozesse aus diesen Landesverbänden, Festigung des parteiinternen Zusammenhalts und finale Bewußtwerdung der AfD als Sammlungspartei unterschiedlich ausgerichteter, konstruktiver Patrioten, die sich mindestens über drei Dinge im klaren sind:
- Die Verteidigung des Eigenen, der Erhalt von Volk und Gemeinschaft, ist kein parlamentspolitisches Spiel mit netter Bezahlung, sondern Pflicht gegenüber denen, die vor uns wirkten, denen, die heute leben, und denen, die auf uns folgen.
- Es kann und muß unterschiedliche weltanschauliche Strömungen geben, natürlich auch inhaltliche Debatten und unterschiedliche regionale Schwerpunktlegungen strategischer und inhaltlich-programmatischer Natur; aber Punkt 1 ist nicht zu hintergehen, wollte man sich nicht selbst überflüssig machen respektive selbstverschuldet zur jüngsten Altpartei dieser Republik degradieren.
- Die Alternative für Deutschland ist kein Korrektiv für die »bürgerlichen Parteien« der extremen Mitte, sondern eine Alternative für Deutschland, im besten Falle: für das ganze Deutschland. Dafür aber muß im Dezember ein klares Signal vom Bundesparteitag ausgehen, das die Lethargie der AfD ein für alle mal beendet und endlich den an der Basis so schmerzhaft vermißten Aufbruch einleitet. Nur: Mit Kräften, die schon gestern von gestern waren, wird das Morgen nicht zu gestalten sein.
Laurenz
Es ist schon interessant, was ehemalige Volksparteien bereit sind, an Macht preiszugeben.
So wie die SPD 2013 darauf verzichtete, den Kanzler einer rot-rot-grün geführten Regierung zu stellen, verzichtet die CDU/CSU jetzt darauf, den Kanzler einer schwarz-gelb-blau geführten Regierung zu stellen.