Mit dem außenpolitischen Schachzug des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der den seit Jahren gehegten Traum der deutschen Asylindustrie, Migranten per Flugzeug nach Europa und am besten gleich nach Deutschland einzufliegen, als politisches Druckmittel in die Tat umsetzt, beginnen die 20er-Jahre mit einer Zuspitzung zweier Krisen, die man im Establishment für überwunden hielt.
Im Hinblick auf die Migrationskrise von 2015 ist man sich im polit-medialen Komplex schon länger einig, daß man diese Aufgabe zufriedenstellend bewältigt habe. An dem Fakt, daß die Asylantragszahlen auch die letzten Jahre weiterhin hoch blieben und mit dem Familiennachzug die Umvolkung über die Hintertür erfolgt, stößt man sich in Berlin nicht.
Warum auch? Für relevante Teile der bundesdeutschen Politik gehört die allumfassende »Diversifizierung« Deutschlands schließlich zur emanzipatorischen, post-kolonialen Beglückungsagenda. Hinsichtlich der Corona-Krise war man etwas weniger überzeugt, das Problem in den Griff bekommen zu haben.
Jedoch ließ eine Quote von rund 70 Prozent Geimpften im Establishment die Hoffnung aufkommen, man hätte das pandemische Schreckgespenst besiegt oder doch zumindest unter Kontrolle gebracht.
Dafür müßten die Impfstoffe aber etwas taugen. Wirft man ein Blick auf die aktuellen Inzidenzwerte, dann scheinen indes alle an die hastig entwickelten Impfstoffe geknüpften Versprechungen wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen. Am Rande der Gesellschaft überrascht das niemanden.
Sezession-Chefredakteur Götz Kubitschek, Sezession-Literaturredakteurin Ellen Kositza und Sezession-Redakteur Benedikt Kaiser betrachten die jüngsten Krisenzuspitzungen abwartend und zurückhaltend:
Folgt man dem emeritierten Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Wolfgang Streeck, dann läuft unter der Oberfläche noch eine dritte Krise, die in Verbindung zu den zwei erstgenannten Krisen steht und mit der Finanzkrise von 2008 im 21. Jahrhundert ein Gesicht bekommen hat: eine Krise des Finanzkapitalismus, eine Krise der »Hyperglobalisierung«.
Die einstigen gesellschaftlichen Bindekräfte, die den westeuropäischen Staaten Stabilität gaben, erodieren. Streeck sieht den Beginn eines Tauziehens um die politische Ordnung, das unsere Gesellschaften zu zerreißen droht. Mit seinem neuen Buch Zwischen Globalismus und Demokratie setzt er nun dort an, wo er in seinem letzten, Gekaufte Zeit, aufgehört hatte. Was braucht es, damit die Demokratiekrise, die nach Streeck zeitgleich eine kapitalistische Krise ist, überwunden werden kann?
Streeck setzt auf Regionalisierung, mindestens auf eine »reaktivierte nationale Wirtschaftspolitik«. Sogar eine »partielle Autarkie« und eine »relative Homogenität« als Stärkungsfaktor für »wechselseitiges Verantwortungsgefühl« wird propagiert, was Sezession-Redakteur Benedikt Kaiser in seiner Globalismus und Demokratie-Rezension in der Sezession 104 zu der Frage verleitete, was Streeck eigentlich noch von der liberalismus- und kapitalismuskritischen Strömung innerhalb der Neuen Rechten trenne.
Im Deutschlandfunk wurde das lesenswerte Buch bereits im August besprochen. Dort urteilte man:
Patentrezepte zum Durchwursteln füllen die Regale der einschlägigen Buchhandlungen. Das Verdienst der Streeckschen Analyse liegt darin, dass sie die Ahnung, dass größere politische Umbrüche bevorstehen und nur radikale Systemwandel die Krisen der Gegenwart bewältigen können, auf den Punkt bringt und zuspitzt. Auch wenn derzeit noch die Furcht vor den Konsequenzen unserer mehr oder weniger konturierten Einsichten in den Ernst der Lage grassiert – dieses Buch lockert den gedanklichen Boden für Wendungen ins Offene.
Hier geht es zur Sendung:
Wolfgang Streecks Globalismus und Demokratie erhalten Sie natürlich wie immer direkt hier, bei Antaios, dem größten konservativen Versandbuchhandel.
Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz erweitert die Streecksche Wahrnehmung des radikalen Umbruchs um eine weitere Facette, indem er in ihm die politische Dimension stärker fokussiert. Er sieht das bestimmende politische Paradigma des ausgehenden 20. Jahrhunderts, den Liberalismus, in der Defensive.
In der Defensive, weil er außerstande sei, die von ihm erzeugten sozio-ökonomischen Probleme, politisch zu lösen (Streeck dixit). Interessant an Reckwitzens Analyse ist, daß er den Liberalismus nicht einseitig als ein Phänomen der Mitte oder Mitte-rechts definiert, sondern weiter faßt:
Da geht es nicht nur um den Neo‑Liberalismus, sondern da ging es eben um eine Neukonfiguration des Politischen insgesamt, die Politik sollte nicht mehr primär Ordnung stiften, sondern im Grunde Ordnung dynamisieren, deregulieren, liberalisieren. Und das war jetzt eigentlich ein Projekt, das von links bis rechts das gesamte politische Spektrum umfasst hat,
äußert er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Das bewahrt Reckwitz davor, die linken »Empowerment«-Bewegungen als das Phänomen einer neuerlich entstanden »Identitätslinken« zu verklären, wie das gerne von liberalkonservativer Seite oder von ökonomisch orientierten Linken unternommen wird, sondern erkennt in ihnen die stringente Fortsetzung der linksliberalen Bürgerrechtsbewegungen der 1970er-Jahre:
Aber wenn Sie zum Beispiel an eine solche Bewegung wie Black Lives Matter denken oder überhaupt die Bewegung der Schwarzen in den USA, dann wäre das viel zu einfach, dort von Identitätspolitik zu reden. Ich würde eher sagen, dass es da eigentlich weiterhin um diesen klassischen progressiven Liberalismus geht, eigentlich in Verlängerung der Bürgerrechtsbewegung.
Derweil sieht Reckwitz uns auf eine »offene Situation« zusteuern, in der die Weichen für ein neues politisches Paradigma gestellt werden. Entweder schafft es der »Dynamisierungsliberalismus«, eine krisenbewältigende Metamorphose zu durchlaufen oder sich in seinem derzeitigen Erscheinungsbild zu stabilisieren, oder aber die rechte Alternative einer fundamentalen Verlangsamung der Dynamisierung wird als neues Paradigma das alte ersetzen.
Zum gesamten hörenswerten Gespräch gelangen Sie hier:
Sezession-Literaturredakteurin Ellen Kositza hat Reckwitz’ vielbeachtetes Hauptwerk Die Gesellschaft der Singularitäten hier rezensiert.
Für eine Lebensform, die Europa über Jahrhunderte gar Jahrtausende geprägt hatte, bedeuteten die von Streeck und Reckwitz analysierten Prozesse der Dynamisierung den Untergang. Das Landleben, wenn man so will der Inbegriff von Beständigkeit und einer auf Knappheit basierenden Ökonomie, geriet seit der Industrialisierung unter Druck.
Doch noch bis in die 1950er hinein, stand das Leben auf dem Lande dem Mittelalter näher als unserer heutigen Lebensweise, wie der Geograph Werner Bätzing in seinem Buch Das Landleben kenntnisreich nachzeichnet. Das sollte sich mit der einer vorangetriebenen »Rationalisierung« in der BRD und der Bodenreform in der DDR ändern.
»Traditionsreiche Fachwerkbauten in der Dorfmitte wurden abgerissen und machten Platz für sterile Neubauten und breitere Straßen. Der Dorfplatz wurde zum Parkplatz. Statt Menschen begegneten sich Autos. Dann verschwanden Eichen, Dorf-Linden, Bäcker, Schuster und Tante-Emma-Laden. Vielerorts kam der Pfarrer auch nur noch alle drei Wochen zum Gottesdienst ins Dorf«,
beschreibt der Norddeutsche Rundfunk den forcierten Wandel auf dem Land im Begleittext zu seiner Dokumentation Unsere Dörfer – Niedergang und Aufbruch. Landbesitz wurde neu verteilt, die Fluren bereinigt, eingeebnet. Dort, wo das menschliche Leben in industrielle Formen eingefügt wird, leidet auch die Natur.
Das Land wurde so zum Raum für Wenige abgewertet und erfährt eine bis heute andauernde Abwanderungswelle in die Städte. Die NDR-Doku beleuchtet diesen sozio-ökonomischen und ökologischen Niedergang, indem sie die Betroffenen zu Wort kommenläßt:
Laurenz
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Im neuen Schnellroda-Video spricht EK die "größte" oder deutlichste Wahrheit aus. Die Grenzbrecher erschaffen die unschönen Bilder.
Mit den Informationen über Streeck kann man leben. Dann liegt aber die SiN ganz vorne im Trend. Auch Donald Trump wird mit seinen Einfuhrzöllen bestätigt. Die Erpreßbarkeit der Politik durch den Globalismus macht jede demokratische Struktur zur Pharce. Allerdings werden Unternehmer erst dann in Schuh-, Bildschirm-, Klamotten-Produktion, etc., investieren, wenn die einheimischen Märkte auch langfristig geschützt werden. Dazu braucht man Vertrauen, welches ich so nicht sehe.
Reckwitz hingegen, kommt etwas dämlich oder dümmlich daher. Er beschreibt zwar wunderbar die Entwicklungen nach '45 im Soziologen-Deutsch, tut aber so, als wären die Entwicklungen, hin zum Neo- oder dynamischen Liberalismus aus sich selbst entstanden. Er schließt damit die Existenz geo-politischer Momentum', die entscheidend waren, völlig aus.