Auch gegenüber ihren einst liberalen, sozial- und christdemokratischen, jetzt aber völlig assimilierten Anhängseln gibt es diese Möglichkeit nicht mehr. Die Frage sollte jedoch anders gestellt werden: Gibt es überhaupt eine Gesprächsnotwendigkeit?
Allein der Streit um die Meinungsfreiheit (gerade im Gerangel um Uwe Tellkamp und sein beredtes Wort vom verengten Meinungskorridor wieder thematisiert) wird zur Farce. Die Berliner Republik entfernt sich von der Meinungsfreiheit eben dadurch, daß sie den „Diskurs“, die „Vielfalt“, die „Toleranz“, die „Weltoffenheit“ in einem penetranten und permanenten Dauerritual betont. Reine AgitProp-Kultur.
Man fühlt sich an die allgegenwärtigen Wandzeitungen und Transparente der DDR erinnert: Was andauernd rausgeschrien wird, glaubt keiner mehr und erkennt diese dreiste Penetranz als selbstreferentielle Grundübung des Systems; dazu bedarf es keiner freudianisch durchgestandenen Analyse der längst gesamtgesellschaftlich eingewachsenen und sich eigendynamisch verstärkenden Neurose.
Wenn die Meinungsführerschaft der Berliner Republik wie selbstverständlich davon ausgeht, sie wäre diskursorientiert, wäre gar tolerant und auf Vielfalt aus und pflegte so das, was Karl Raimund Popper mit einer „offenen Gesellschaft“ bezeichnete, so meint sie damit lediglich den Diskurs, die Toleranz und die Offenheit untereinander, also innerhalb der sich immer hermetischer abgrenzenden Meinungsführerschaft selbst, zu der man – wie in ideologischen Parteien oder religiösen Gemeinschaften – nur kraft eines Bekenntnisses gehört. Nur braucht es unter selbsterklärt Gleichen überhaupt keine Toleranz im Diskurs, insofern es eben genau an Vielfalt fehlt, wo alles so gleichgesinnt wie gleichgeschaltet ist.
Wer mitreden will, muß erst mal dazugehören (dürfen), also politisch korrekt erzogen oder ein Konvertit sein, dem man die Umkehr im Sinne der reinen Lehre abnimmt. Das ist einem als rechts oder rechtsextremistisch Markierten jedoch verwehrt. Es kommt nicht mal darauf an, ob man tatsächlich oder nach eigener Überzeugung rechts oder rechtsextremistisch wäre, denn darüber darf man gar nicht selbst befinden, die diagnostische Festschreibung obliegt allein der Meinungsführerschaft, im Konsil mit ihrem mittlerweile fest installierten Apparat von Deutungsbehörden und den ihr angeschlossenen Medien, die für sich vielleicht noch allerlei dürfen, nur eben nicht gegen Leitbekenntnisse verstoßen.
Davon gibt es nur noch eines: „Keinen Millimeter nach rechts!“ – Und eben dieser Millimeter ist nach Urteil der Meinungsführerschaft sehr, sehr schnell überschritten. Wenn das jedoch geschehen ist, droht dem Grenzgänger, so die Grundvereinbarung, der völlige Absturz – in den Orkus des Gewaltverherrlichenden, der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, des Rassismus und Antisemitismus, kurz in die vollständige und irreversible Verworfenheit, aus der es keine Erlösung mehr gibt.
Gesetzesanträge, die angeblich vor Rechtsextremismus schützen sollen, aber überhaupt die Opposition treffen und kriminalisieren wollen, sehen aus wie hier zitiert. Man beachte Wortwahl, Konnotationen und Gedankenführung.
Dank Google sind nicht einmal mehr Dienste und informelle Mitarbeiter nötig; alles liegt ja offen, kann mit ein paar Klicks „recherchiert“ werden, ohne daß da noch verifiziert werden müßte oder Zusammenhänge zu klären wären. Nein, es reichen die von Algorithmen gewichteten und gelisteten Links völlig aus, so wie in der untergegangenen Republik zur Beurteilung des Menschen allein die Akten genügten. Heute kann jeder Personalchef und Amtsleiter selbst Führungsoffizier sein, ohne noch auf Denunzianten und IMs und deren Berichte angewiesen zu bleiben. – Der Delinquent kommt nie und nimmer aus der Bredouille, bleibt doch die digitale Prangertafel auf ewig mit seinen Schandtaten beschrieben.
Die Meinungsführerschaft wird über die von ihr in fragwürdiger Zuschreibung vorgenommenen Verdikte, jemand wäre rechtsextremistisch, überhaupt nicht reden wollen, sie will dazu gar keine Argumentationen hören, denn das hieße ja, dem Feind ein Podium bieten und ihm gar Gehör schenken zu müssen, was gerade dem doch gar nicht zukommen darf. Wer doch zu argumentieren und sich zu erklären, gar noch dazuzugehören versucht, der hat die neuen Regeln nicht verstanden und mutet unfreiwillig komisch an.
Denn: Zu ihrer eigenen Selbstvergewisserung und Legitimation bedarf die Meinungsführerschaft dringlich des überall gewitterten Rechtsextremen. Wer mehr denn je Machtpolitik über Moral herleitet, wer einer Anthropologie folgt, nach der Menschen erst dann final gut und gerecht sind, wenn man ihnen jetzt endlich die Bedingungen dafür einrichtet, der muß – darin ganz bei Carl Schmitt – einen ihn selbst erst konstituierenden Feind generieren. Gerade jetzt, wo angeblich endlich und endgültig alle Lehren aus der Vergangenheit gezogen sind, die man vorher – Warum eigentlich? – leider überhaupt nicht zu ziehen verstand.
Dieser vom System benötigte Feind ist der Rechtsextreme. Er muß geradezu erfunden und stets neu ersonnen werden. Im Unterschied zu Schmitt jedoch ist dieser Feind nicht nur „hostis“, also Feind in der politischen Sache und Position, sondern gleichfalls „inimicus“, mithin privater Feind, also anrüchig-eklige, obszön-widerliche Person, die es an sich vernünftigerweise gar nicht geben dürfte, ein indiskutabler, gänzlich zu diskreditierender, ein aus- und wegzuschließender Fall, zwangsläufig-zwangsweise von aller Einflußnahme fernzuhalten, ja am besten irgendwie auszumerzen, weil ihm ganz entscheidende Attribute, die es für eine Zugehörigkeit bräuchte, abzusprechen sind.
Wollten wir uns also erklären, wollten wir uns rechtfertigen, beanspruchten wir gar, auf Augenhöhe zu gelangen, so ist das so lächerlich wie widersinnig. Denn so, wie man uns sieht, politisch durchpathologisiert, ein für allemal verworfen, total fehlgehend, fehlorientiert und fehl‑, ja mißgebildet müssen wir in der Ansicht der anderen bleiben, damit sie im Kontrast dazu weiter definieren können, was nun akzeptabel, tolerabel, konstruktiv und vor allem moralisch gerechtfertigt wäre – nämlich allein die Bekennergemeinschaft der nur in sich selbst sich divers, tolerant, und offen miteinander umgehenden Gemeinde. Solange „vielfältig“, solange die ausgegebenen Codes, Rituale und Beschwörungsformeln eingehalten werden.
Die Selbstgerechtfertigten bedürfen der Ungerechtfertigten wie die Inquisition des Ketzers und die Parteikontrollkommission des Renegaten. Die Meinungsführerschaft der Berliner Republik aber konstituiert sich nahezu vollständig über den geschmähten Rechten und das Gespenst des angeblich allgegenwärtigen untergründig aktiven Rechtsextremisten.
Die Meinungsführerschaft der Berliner Republik will gerade keinen Diskurs mit Opponierenden, im Gegenteil: Alle Opposition gilt sogleich als rechts, wenn sie wirklich Opposition ist. Der Herrschaftsmeinung liegt es fern, „Meinungsfreiheit“ zu gewähren, denn sie allein bezeichnet und regelt die Positionen, die vertreten werden dürfen.
Nur wenn die herrschaftlich veranschlagten Bedingungen erfüllt sind, dürfen ununterscheidbare Argumente ventiliert werden. Untereinander. Nach außen schließt man die Gemeinde der einzig guten Moral und Politik ab. Nach außen schweigt man die Gegenredner aus, die ein wiederzubelebender Diskurs gerade bräuchte; von ihnen läßt man sich nicht ankommen, man antwortet auf deren Signale nicht, man läßt sie draußen vor der Tür stehen wie in Franz Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“.
Was geht noch? – Die Sezession im Wortsinne. Nur bitte unverbockt und unverstockt – und eben nicht im Bewußtsein, das Alleingültige zu vertreten, sondern vielmehr im Sinne eines inneren Schulungsweges im Abseits: produktiv skeptisch, selbstkritisch, die Gedanken und Entwürfe beständig prüfend, demütig bleibend, anstatt selbstgefällig zu werden, gewissermaßen durchaus einer äußeren Armut und inneren Askese folgend, da nichts anderes bleibt und eben keine öffentlichen Mittel für die eigenen politischen Zwecke verbraten werden können. – Klarheit suchend!
Die Meinungsführerschaft hingegen hat ein ganzes System von Vereinen und Verbänden installiert, die mit ihren positiven Titeln – „Demokratie leben!“ – zu mächtigen und vermögenden Propagandabehörden hochsubventioniert wurden, denen sich linksgrün-korrekte Karrieristen anwanzen können, um einträgliche Anstellungsverhältnisse zu gewinnen, von denen aus der Weg überallhin offen steht – in jene Offenheit, die gemeint ist, also in die gedankliche Uniformität der Kolonne.
Exemplarisch: Mal wieder wollte mich eine Schule als Lehrer einstellen. Mal wieder lehnte der Schulamtsleiter dies ab, selbstverständlich ohne es der Schule zu erläutern. Die jedoch durfte mir nicht den wahren Grund schreiben, der darin besteht, daß ich als „rechtsextremistisch“ gelte und die Funktionäre damit unbedingt Recht behalten wollen; sie, die wackere und charaktergerade Leiterin, wurde gegen ihren Willen veranlaßt, mir entgegen allen Tatsachen mitzuteilen, daß meine Bewerbung nicht den Erfordernissen der Stellenausschreibung entspräche. Das ist neuerdings die stereotype Zurückweisungsformel des Schulamtes, nachdem es früher sogleich panisch die Stellenausschreibungen schloss, wenn mein Name erschien.
Und weil die redliche Dame nicht formulieren wollte, was so nicht der Wahrheit entspricht, sandte sie mir zwar das ihr aufgenötigte Schreiben, fügte im Kuvert aber ihren eigenen Kurzbrief hinzu:
Sehr geehrter Herr Bosselmann,
es tut mir aufrichtig leid.
Das beiliegende Schreiben ist uns offiziell zugegangen.
Es wurde der Wortlaut des Absageschreibens an Sie vorgegeben.
Wir sind verpflichtet, uns dieser Anordnung des Staatlichen Schulamts zu beugen.Mit freundlichem Gruß.
Erstens: So fängt Courage an: Indem man die Wahrheit sagt; zweitens: Wir müssen uns längst alle wieder beugen. Entwickeln wir den Mut, genau das nicht zu tun.
Rheinlaender
Mit den Ideologen der anderen Seite kann man gewiss nicht diskutieren. Meine Erfahrung ist aber, dass außerhalb des harten Kerns recht viele Menschen den offiziellen Vielfaltsdiskursen misstrauen und dankbar dafür sind, wenn man ihnen eine Sprache und Argumente dafür gibt, mit denen sie dies auf unangreifbare Weise ausdrücken können. Leider beschränken sich nicht unerhebliche Teile der Rechten darauf, jeweils nur das Gegenteil der offiziellen Propaganda zu behaupten oder auf emotionalisierte Weise ihre Empörung kundzutun.