In jeder Hinsicht: Finanziell derartig, daß es endlich jeder bemerkt, sowohl der „Verbraucher“ als auch der Staat, der wiederum von Volks-Vertretern und Funktionären dirigiert wird, die sich aus seinem Restvermögen unverdienterweise luxuriös bedienen können. Für alle andere wird je nach Kalkül klientelpolitisch umverteilt.
Die eigentliche neue Armut ist aber weniger am Verlust von „Kaufkraft“ abzulesen, sondern vielmehr an der fortschreitenden Verödung von Natur und Landschaft, also am Artensterben und so am Schwund einstiger Lebendigkeit rundum.
Radikalreaktionär gedacht:
Wie reich erschien hingegen das Leben und Erleben auf einem märkischen Gutsdorf um 1900. Man war zwar weniger weltläufig, aber das Dorf selbst war – eine Welt, wirtschaftlich, ökologisch, kulturell, religiös. Und sensuell dürfte mehr und Vielfältigeres zu verspüren und zu empfinden gewesen sein als bei modernen „Events“, abgesehen davon, daß die Reise häufiger nach innen ging, als daß man sich in die Welt und an die Welt verlor.
Zurück ins Heute:
Politisch zeigt sich die Verengung in der Reduzierung einstiger Diskussions- auf eine nurmehr selbstreferentielle Bekenntniskultur. Wo einst leidenschaftliche Diskurse geführt wurden, blieben Beschwörungsformeln übrig.
Wenn sich etwa „Vielfalt“ bzw. „Diversität“ so eindringlich beschworen finden, ist dies gerade ein Zeichen dafür, daß es sie in der Politik lebendig so nicht mehr gibt. Permanentes Bezeichnen und Benennen zeigt das Fehlen des Bezeichneten sicher an, mindestens den Schwund an Qualität. Werbung wirbt ja gleichfalls mit Attributen, die sich am Beworbenen nicht bestätigt finden.
Dies offenbart ebenso der Dauergebrauch der immer gleichen AgitProp- und Lifestyle-Begriffe: Toleranz, Respekt, Empathie, Authentizität, Identität, auch Courage und neuerdings Resilienz gehören dazu – fortlaufend benannt, eigentlich aber vermißt.
Die Semantik erscheint dabei verunklart, selbst bei früher kernigen Begriffen – Bildung zum Beispiel. Eigentlich wären diese Propaganda-Worte besser durchweg apostrophiert zu schreiben.
Wo alles langweilig fade wird, müssen die noch zum Mitmachen Bestellten ihre Tristesse ganz aufgedreht „total spannend“ finden. Auch so eine Phrase: „Das ist total spannend!“ Man weiß sogleich, es ist – im Gegenteil – öde; man soll es nur gefälligst spannend finden.
Je weiter Begrifflichkeiten zu Slogans, zum bloßen „Wording“ schrumpfen, um so weniger können oder wollen sie etwas Substantielles bezeichnen; vielmehr suggerieren sie ein politisches Als-ob:
Als ob noch von Demokratie die Rede sein könnte, wenn nur gut die Hälfte der dazu Berechtigten an Wahlen teilnimmt. Die nicht mehr mitmachen, entziehen sich bewußt der Farce oder führen eine weitgehend apolitische Existenz in der neuen Nischengesellschaft. Die in sich durchaus niveauvoll sein kann. Und wirklich total spannend.
Gewissermaßen werden die Worte ähnlich wie Dinge durch fortdauernden Gebrauch abgegriffen, schäbig und schmuddelig. Man beginnt wegzuhören, wenn von Demokratie, Weltoffenheit und Vielfalt die Rede ist, hat man doch längst die Erfahrung gemacht, daß ein selbstreferentielles System dieses Vokabular eben allein für die eigene Selbstreferenz nutzt und selbst kaum mehr weiß, was es damit zu formulieren versucht:
Im Beispiel:
„Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage!“ – Selbstverständlich gibt es keine Schule für Rassismus. Und ob jene, die plakativ gegen ihn aufzutreten meint, obwohl ja Anti-Rassismus immanenter Bildungsbestandteil ist, nun tatsächlich zu echter Courage erzieht und nicht doch eher zum tumben Nachsprechen von Geboten, erscheint fraglich. Und auch die Semantik von „Rassismus“ ist unklar, wenn etwa „Onkel Toms Hütte“ und die „Mohren-Apotheke“ als rassistisch gelten.
Man klicke sich durch die zitierte Website, lese aufmerksam und ausdauernd alles und vollziehe die Bildsprache nach. Dann weiß man, wie es laufen soll. Und wie die Berliner Republik sich selbst inszeniert. Die „urbanen Milieus“ sprechen das Soufflierte nach. Sie bilden das Neubürgertum, auf das sich die Hegemonen der Meinungsführerschaft stützen.
Je weiter ihre Politik ideell verarmt, um so aufgeregter gebärdet sie sich, um so lauter tritt sie auf, was unfreiwillig komisch wirkt – etwa wenn Figuren der Staats- und Parteiführungen bemüht sind, charismatisch zu erscheinen und „Stellung zu beziehen“. Wenn sie sich „couragiert“ aufzubauen versuchen gegen neue Feindbilder – das „dreckige“ Kohlendioxid, Putins „Vernichtungskrieg“ und vor allem die verfassungsfeindliche und terroristische „Gefahr von rechts“, jene Schimäre, mit der der politisch-ideologische Umbau der Gesellschaft legitimiert wird.
Dafür braucht es keinen Putsch, noch nicht mal eine Grundgesetzänderung. Prinzipielle politische Kurswechsel vollziehen sich durchaus evolutionär, nicht unbedingt revolutionär, dafür aber mit durchschlagender Eigendynamik. Hierzulande bereits mit dem Ergebnis, daß die Gleichschaltung des Gedanklichen und Publizistischen spürbar funktioniert. Selbst die Bürger verinnerlichen bereits wieder offizielle Sprachregelungen, die sie nur im vertraut Privaten noch überschreiten. Wer diesen Regeln nicht folgt, ist längst mit Sanktionen, etwa einem De-facto-Berufsverbot bedroht.
Einst offene Gesellschaften können fatalerweise in vormundschaftliche hinüberwachsen, gelingt es Kräften, kulturell, also sozusagen im Überbaulichen die Hegemonie zu erringen. Es ließe sich beschreiben, wie das in der Berliner Republik geschah. Unter anderem verleitete ein jahrzehntelang stabiler Lebenskomfort bestimmte Neu-Eliten zu der Annahme, der gewohnte Standard wäre so sicher, daß nun der Mensch nur noch politisch im Sinne bestimmter Ideale erzogen werden müsse und eine lebendige Auseinandersetzung um Ziele und Mittel sich nicht nur erübrige, sondern sogar schädlich wäre.
In Ergebnis ideologischer Bevormundung fühlen sich mittlerweile fast ein Drittel aller Deutschen wie in einer Scheindemokratie. Dies ergab eine Umfrage des Allensbach-Instituts, deren Ergebnisse als „erschütternd“ empfunden wurden.
Wenn insbesondere die Störungsmelder „Gesicht zeigen“, systemkonform angepaßt, ist das eben gerade kein Zeichen für Courage, insofern diese „Störungsmelder“ im Sinne einer Jugendorganisation des Staates agieren, inspiriert und protegiert vom Apparat und dem ihm nachgeordneten und aus Steuermitteln finanzierten Behörden und Stiftungen.
Das Programm solcher „Initiativen“ wird von Autoritäten verordnet und in Schulen über „Projektarbeit“ zum Erziehungsbestandteil eines neuen Staatsbürgerkundeunterrichts. Ein Blick ins Impressum offenbart schnell, wer lenkt und leitet – meist direkt Exekutivorgane, also Ministerien oder die von ihnen gesponnenen Netzwerke, beispielsweise unterm Dach der Bundeszentrale und der Landeszentralen für politische Bildung. Für nachwachsende und abgehalfterte Kader gibt’s da feste Versorgungsstellen. Stets frage man semantisch: Was genau ist beispielsweise mit einer bunten und offene Gesellschaft gemeint?
Mag sein, die Pose, die Aufführung, die „Performance“ und die „Präsentation“ waren schon immer wichtiger als die Tat; jetzt aber blieb allein die Show übrig und gilt für sich schon als „zielführend“. Funktioniert etwas nicht, heißt es sogleich, man hätte es noch nicht richtig zu vermitteln verstanden, nicht „niederschwellig“ genug, also vorzugsweise in „leichter Sprache“.
Zurück zur Verarmung:
Die ganze Welt wird enger. Welch eine Fülle schien sich einem noch in den Sechzigern und Siebzigern zu bieten, blickte man als Kind gedankenverloren in den Atlas. Alles Ferne wundervoll – gerade weil es nicht umstandsfrei zu erreichen schien. Man schrieb noch Luftpostbriefe auf seidenleichtem Papier …
Aber eine WhatsApp-Message fliegt schneller, nicht nur weil sie meist nichtig ist. Und die Antipoden dürfte man mit Billigfliegern flott erreichen, abgesehen davon, daß es im Supermarkt ganz selbstverständlich alles von sonstwo gibt, klar, auch frische Kiwis und pinke Äpfel aus Neuseeland.
Daß wir die Welt leerfressen und verbrauchen dürfen wie ein Supermarkt-Regal, avancierte zum allerersten Menschenrecht, so wie sich der einstige Bürger heute primär als Verbraucher versteht. Von den Linksökologen wird verheißen, der Globalverbrauch wäre weiterhin garantiert, wenn man nur auf technisch-innovative Weise die Produktion und Verteilung neu regele. Neu und gerecht, was bedeutet: Für jeden noch mehr, nur jetzt unter ethischen Labeln.
Verboten ist weiterhin nur eines – die Einschränkung. Denn wer sich – zumal aus moralischen, religiösen oder einfach vernünftigen Gründen – einschränkt, also der grundlegenden Tugend des Maßhaltens folgt, der versündigt sich am wesentlichsten Glaubensbekenntnis zur Trinität von Produktion, Verbrauch und Wachstum.
Auch grün soll die Menschheit auf Wachstumskurs bleiben, dies sogar forciert – nur eben nicht mehr durch böse „fossile“ Energieträger abgesichert, sondern etwa durch „grünen“ Wasserstoff und „saubere“ Antriebe. Dies, wird verkündet, könne man regeln, wachstumsorientiert, klar: Die Bevölkerung möge weiter wachsen, auf daß noch mehr Milliarden in den Genuß der Welt kämen, und die Produktionsgüter in milliardenfacher Tonnage auf innovative Weise mitwachsen. Alles endlich „fair trade“, alles „Bio“, alles mit Ethik-Siegel.
Der Krieg gegen den vermeintlichen Unmenschen Putin wird auch verstanden als der Kampf der ökologisch orientierten Demokraten und innovativ-kreativen Menschenretter gegen das fossile Gazprom-Monster, das die Welt an „Klimagasen“ zu ersticken droht und der Smartheit neuer Menschlichkeit so brutal wie plumpblöde entgegensteht.
Läuft erst alles nach den Maßgaben des neuökologisch, neuliberalen und neulinken Westens, dann, so die Verheißung, werden wir alle gerettet sein, ohne uns irgendwie einschränken zu müssen. Nur bitte das nicht – kein Maßhalten, keine Einschränkung, sondern dynamisiertes grünes Wachstum.
Aber alles, was der Mensch auslöst, ob fossil oder grün, zeitigt unweigerlich Folgen, da der Mensch auf der Welt eben keine bleibende Stadt hat. Für die ihn zeitweise bergende Kunstwelt, in der er allein lebensfähig ist, muß er die Natur technologisch verbrauchen und wird an ihr zwangsläufig schuldig.
Das war seine Erbsünde als fossiler Mensch, das wird sie bleiben, wenn er rundum grün all seine Bedürfnisse mit grünem Wasserstoff, Wärmepumpen und Solarzellen zu befriedigen versteht. Aus seiner Sonderrolle in und gegenüber der Natur kommt er nicht heraus. Nicht als der erste Adam, der er blieb und als der er den zweiten Adam ans Kreuz schlug, weil ihm dessen Aufforderung zur Umkehr nicht paßte.
Weiterhin ist der Mensch erlösungsbedürftig unterwegs und hat alles an sich Gute ins Transzendente gehoben. –
Nur predigt die Politik ihm mehr denn je eine Erlösung, die es so nicht geben kann: Sich zur Befriedigung längst maßloser Bedürfnisse legitimiert finden und dafür das große Technik-Besteck benutzen, nebenbei doch noch die Welt retten und währenddessen die anthropologische Unwucht harmonisieren, das funktioniert nicht. Wir unterminieren perspektivisch unsere natürliche Lebensgrundlage, die sich erst wieder regeneriert, wenn wir, der Sündenfall, getilgt sein werden.
Aber keine Sorge, bis dahin geht es für Wohlhabende weiter wie bisher – erst Teilhabe am Super-Markt, von dort dann, gut „eingestellt“, in den medizinisch-pharmakologischen Komplex, der das Stoffwechseln noch verlängert, bis die Maschinen abgestellt werden.
Wem das zu bitter ist:
Man sollte daran nicht verzweifeln, denn man kann nicht aus seiner Haut, also nicht aus seiner Art, aber: Man kann es als Problem aufgefaßt wissen und die Ursachen der Weltverarmung durch Überverbrauch kennen.
Wenn die „Great Acceleration“ zweifelsohne das Problem ist, dann sehe man sich vergleichend die Zeit davor an. Das märkische Gutsdorf um 1900 … – Alles hat seinen Preis. Nicht immer ist der mit Geld zu messen, oft eher mit Verlust.
Es gibt kein Zurück? – Nein. Genau das ist das Problem.
MARCEL
Der letzte Satz trifft es!