Gutes –„Oberschlesien – Mój Hajmat!“ lautet einer der Leitsprüche der Autonomistenbewegung zwischen Oppeln und Kattowitz.
Ihre Existenz, ihre Veranstaltungshinweise, ihre gewählte Form der Dreisprachigkeit (Deutsch, Polnisch, „Schlonzakisch“/„Wasserpolnisch“) und nicht zuletzt ihr kulturelles Engagement erinnern immerhin daran, daß die Geschichte Oberschlesiens eine eigene Form der regionalidentitären Existenz hervorgebracht hat und weiter hervorbringt.
Szczepan Twardoch ist wohl das zeitgenössisch beste (wenngleich einzige?) Beispiel für einen Autor, der diese so besondere Region Europas seinem Leser vertraut macht – in Polen wie in Deutschland.
Diese Vorrede ist bitter notwendig, denn die eigentlich naheliegende Oberschlesien-Manie hat – cum grano salis: trotz des Sezession-Autorenporträts (siehe hier) – viele unserer Leser noch immer nicht erreicht … Dafür kann ich aber mich kürzer halten bei der Buchbeschreibung: Lest (oder: Lesen Sie) Twardochs neusten Roman Demut!
Die Handlung stellt sicherlich kein intellektuelles Feuerwerk mit diversen zu enthüllenden „Meta-Ebenen“ dar. Aber sie ist spannend, informativ, unterhaltsam. Muß auch mal sein.
Alois Pokora, der Protagonist, ist ein Bergmannsohn aus dem Gleiwitzer Hinterland (wie Szczepan Twardoch) und erwacht als verwundeter deutscher Soldat im revolutionären Berlin des Herbstes 1918 in einem Krankenhaus.
Von da an gerät Pokora in den Hauptstadt-Strudel aus Linksradikalismus, Freikorps und ideologisierter Gewalt, und das Leben wird nicht einfacher, als er, zurückgekehrt in die Hajmat, nicht nur in Partei- und Volkstumskämpfe, sondern auch in familiäre Bredouillen gerät …
Das Ende des Werks läßt Twardoch ausreichend Spielraum für eine Fortsetzung. Vorgemerkt zur Weihnachtsempfehlung 2024/2025!
Szczepan Twardoch: Demut, Roman, 464 S., 25 €.
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Wahres – Manchmal geht selbst in der Verlagswelt alles ganz schnell: Als ich im April dieses Jahres an der jährlichen Iliade-Konferenz in Paris teilnahm, sprach mich ein sympathischer Franzose in fast akzentfreiem Deutsch an und stellte sich vor: Henri Levavasseur.
Der Name war mir, dies offen gesagt, nahezu unbekannt. Nur auf einem der kaplaken-ähnlichen Essaybände des gastgebenden „Institut Iliade“ hatte ich ihn schon vorher gelesen. Aus dem Gespräch ging recht schnell das Vorhaben hervor, seinen in Frankreichs Nouvelle Droite sehr gut aufgenommenen Band auch in die deutsche Sprache zu übertragen. Et voilà: Identität. Das Fundament der Gemeinschaft.
Levavasseurs profunde Studie eignet sich als Einführungsschrift für alle „neu Dazugekommenen“ in unserem Milieu ebenso wie als Handreichung für alle „Veteranen“, aufgrund der Stringenz der Ausführungen freilich auch (aufgeschlossenen) „Andersdenkenden“. Denn der Autor vermittelt Wissen, klärt Positionen und kann überdies auch brillant schreiben – eine seltene Kombination auf so dichtem Raum.
Was mir besonders gefällt, ist die Tatsache, daß einem dank Levavasseur wieder bewußt wird, daß „Identitätspolitik“ nicht in Bausch und Bogen abzulehnen ist, nur weil „woke“ Aktivistengruppen der extremen Linken Schindluder damit treiben.
Im Gegenteil: Wer die ideologische Verstiegenheit des politischen Gegners bekämpfen möchte, kann dies am besten, wenn er mit sich, seiner Herkunft und seinen eigenen Vorstellungswelten im reinen ist – wenn seiner Denk- und Lebensweise also eine eigene Identitätspolitik zugrunde liegt. Dieser schmale und doch tiefschürfende Band weist dies nach.
Henri Levavasseur: Identität. Das Fundament der Gemeinschaft, 112 S., 14 €.
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Schönes – Mit dem „Haus an der Uferstraße“ in Moskau, dem legendären „Haus der Regierung“ (siehe meinen Beitrag dazu hier), begann die dezidiert „stalinistische“ Architekturpolitik sich stärker denn zuvor in Stein zu meißeln.
Dabei war dieses konstruktivistische Bauwerk seines Schöpfers und späteren Bewohners Boris Iofan (1891–1976) nicht dessen größter Traum: Dieser bestand vielmehr im „Palast der Sowjets“, der nie verwirklicht wurde und dem man angesichts der erhaltenen Materialien eine gewisse Ähnlichkeit mit Albert Speers „Germania“-Entwürfen nachsagen könnte.
Weshalb findet sich nun eine Bildbiographie Iofans unter der Rubrik „Schönes“? Nun: Iofans pathosgeladene Bauen prägt bis heute das faszinierende Moskauer Stadtbild zwischen Neu und Alt, Konstruktivismus und Neoklassizismus, Zuckerbäckerstil und Plattenbau (usw.) mit. Aber was weiß man – was weiß jedenfalls ich – schon über die dafür verantwortlichen Architekten?
Wladimir Sedow hat ein Werk vorgelegt, das auch Interessierte ohne immense architekturhistorische Vorkenntnisse an die Hand nimmt und mit reichlich Arbeitsskizzen, Zeichnungen und Fotos ein lebhaftes Bild von den Baustilen jener Epoche des „totalen Staates“ vermittelt.
Iofan, in Odessa geboren, verbrachte ausgerechnet in Italien seine entscheidenden Lehrjahre. Gemäß seinem Werkbiographen Sedow hat Iofan dort intensiv den Futurismus studiert, aber nicht in Gänze angenommen. Gleichwohl war Iofan fasziniert, und er blieb es trotz der „faschistischen Revolution“ unter Benito Mussolini. Erst Mitte der 1920er Jahre verließ er das schwarze Italien in die rote Sowjetunion – nicht ohne seine Architekturarbeiten dort als „Vorbereitungsetappe für die Arbeit in der UdSSR“ zu definieren.
Aus diesem Grund wird man auf den 300 reich bebilderten Seiten immer wieder herausgefordert, sich mit den Fragen zu beschäftigen: Wie nah waren sich „faschistisches“ und „sozialistisches“ Bauen in den 1930er und 1940er Jahren? Wer inspirierte hier wen? Aber auch: Wo verwirklichte sich eine praktisch gewordene Megalomanie und wo blieb sie pragmatisches Stückwerk?
Wer eintauchen will in diese Themengebiete, wird mit vorliegendem Bild-Text-Band seine schöne Freude haben.
Wladimir Sedow: Stalins Architekt. Aufstieg und Fall von Boris Iofan, 304 S., 28 €.
Laurenz
@BK
Was mich bei der Nouvelle Droite Frankreichs interessieren würde, ohne 20 Bücher lesen zu müssen, ist, wie die Neue Rechte Frankreichs mit dem Nationalismus oder auch der Identität umzugehen gedenkt?
Natürlich hat die französische Rechte durch die imperiale, römische Struktur Frankreichs mehr Schlagkraft, als die Deutsche Rechte im mehr föderalen Deutschland. Aber welcher konservative französische Verlagschef würde sein Journal schon Sécession nennen. Das ist doch fast undenkbar. Dieser systemische Unterschied in Sprache & Staatsstruktur birgt seit der Niederlage des Vercingetorix & dem Sieg Armins vor über 2k Jahren kaum überbrückbares Konfliktpotential. Welchen Kompromiß ist die Französische Rechte in der Zukunft bereit einzugehen?