Diesmal grüßt sie sogar aus Übersee.
Und diese Grüße haben es in sich. Denn sie werden aus der Washington Post entsendet. Die ist, man erinnere sich kurz, kein Nischenblatt, kein linkes oder rechtes Tendenzmedium, sondern Teil des hegemonialen politmedialen Machtblocks. Sie ist immerhin die größte Tageszeitung der Hauptstadt der USA, Washington, D.C, und wird global rezipiert.
Das gibt den Enthüllungen, die heute morgen (21. April) veröffentlicht worden sind, erstmal ihre besondere Relevanz. Es geht um Sahra Wagenknecht, ihre große Friedensdemo in Berlin und um zwei Flügelparteien des bundesdeutschen Parlamentarismus: AfD und Die Linke.
Der Kreml, so heißt es in der Überschrift, versuche, Deutschlands politische Linke und politische Rechte feierlich zu vereinen. Ziel sei ein lagerübergreifendes »Antikriegsbündnis«. Das würden russische Dokumente belegen, die der Zeitung vorlägen.
Der Bericht setzt mit Eindrücken von der Friedensdemo von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht am 25. Februar 2023 ein. Jürgen Elsässer, Compact, wird zitiert, die allgemeine Stimmung vor dem Brandenburger Tor wiedergegeben. Anwesend waren Linke, Rechte, Nonkonformisten aller Couleur – und jetzt wird es spannend.
Geheimdienstinformationen behaupten, daß die »Querfront« aus Links und Rechts bereits Anfang September 2022 von russischen Offiziellen als Ziel ausgegeben wurde:
But marrying Germany’s extremes is an explicit Kremlin goal and was first proposed by senior officials in Moscow in early September, according to a trove of sensitive Russian documents largely dated from July to November that were obtained by a European intelligence service and reviewed by The Washington Post.
Weiter wird behauptet, daß mindestens ein Wagenknecht-Vertrauter und mehrere AfD- Vertreter mit russischen Stellen diesbezüglich in Kontakt stünden. (»But interviews show at least one person close to Wagenknecht and several AfD members were in contact with Russian officials at the time the plans were being drawn up.«)
Es sei auch explizit um eine nötigenfalls zu startende »neue politische Formation« zusätzlich zur AfD gegangen, die mehrheitsfähig antreten müßte, um als Friedenskraft zu reüssieren:
The aim of a new political formation, according to a document dated Sept. 9, would be to win “a majority in elections at any level” in Germany and reset the AfD to boost its standing beyond the 13percent the party was polling at then.
Der Beitrag ergeht sich danach in diffusen rußlandkritischen Vorbehalten. Ressentiments werden in westlerischem Sound reproduziert, die man aus dem Kalten Krieg zu genüge kennt.
Erhellender wird es dann wieder, als es zur Personalien Wagenknecht konkreter wird. Diese wurde von der Washington Post mit den »Leaks« konfrontiert. Sie erwiderte, es gäbe »keinerlei Kooperation oder Bündnis« (there would not be “any cooperation or alliance”) zwischen ihr und AfD-Kräften. Derlei Gedankengänge und Vorwürfe seien »absurd«, und sie fügte selbst hinzu, sie sei
not been in contact with anyone from the Russian state or any of its representatives.
Unglaubwürdig macht den Bericht der Washington Post indes gewissermaßen ein Kronzeuge der Anklage. Bei diesem handelt es sich ausgerechnet um Ralph Niemeyer, einen etwas undurchsichtigen Geschäftsmann, dessen Haus im Zuge der Reichsbürger-Ermittlungen durchsucht wurde, und der einst mit Wagenknecht verheiratet gewesen ist.
Dieser bestätigt der US-Zeitung, daß
“there are certain people in Russia who have [an] interest” in a union between Wagenknecht and the far right.
Wie ernst das zu nehmen ist? Man weiß es nicht.
Niemeyer setzt nach:
I know from private talks with these people that they are aware of the potential that this would have.
Zugleich verneint Niemeyer, ob er sich vorstellen könne, daß Wagenknecht russische Unterstützung annehmen würde. Wagenknecht selbst gab den US-Journalisten – mit Recht – zu verstehen, daß sie private Kontakte (etwa zu Niemeyer) nicht öffentlich kommentieren werde.
In der weiteren Folge des umfangreichen Artikels werden AfD-Politiker erwähnt, die irgendwann mal in Rußland gewesen seien mögen. Es wird viel insinuiert, angedeutet, vorgeworfen. Wenig Ertragreiches kommt dabei raus; auch die russischen Dokumente, die geleakt wurden, geben offenbar nichts final Belastendes gegen die zu Wort kommenden AfD-Personen – von Petr Bystron (eher rußlandfreundlich) bis Andreas Kalbitz (eher rußlandkritisch) – her.
Deutlich wird, daß die russischen Dokumente, die der Washington Post vorliegen, offenbar nichts Substantielles belegen können, außer daß die Russen ein Zusammengehen von Wagenknecht-Linken und AfD-Rechten offensiv goutieren würden.
Aber für die Wahrscheinlichkeit, ob derlei einst geschehen würde, wissen die amerikanischen Berichterstatter nur auf Niemeyer zu verweisen, der der Querfront mit der AfD tatsächlich das Wort redet. Mit einer eigenständigen Liste könnte Wagenknecht auf 10 bis 20 Prozent kommen, mit der AfD gemeinsam wäre eine Mehrheit in Deutschland möglich, schwärmt Niemeyer. Gleichwohl räumt er ein, damit bei seiner Ex-Frau immer noch auf Granit zu beißen.
Am Ende des Tages bleibt immer etwas hängen bei derlei »Hintergrundenthüllungen«. Spiegel-Autoren dürften sich bestärkt darin sehen, daß Wagenknecht, AfD und Co. eine prorussische Sauce seien, Kritiker von US-Leitmedien derweil, daß ein Ausscheren aus dem atlantischen Loyalitätszusammenhang automatisch bedeuten wird, als verkappter oder offener prorussischer Agent diffamiert zu werden.
Das ist die alte Schule der gut geölten US-Propagandamaschinerie aus dem Kalten Krieg, die problemlos reaktiviert werden kann, weil entsprechende Kontinuitätslinien nie stillgelegt wurden, sondern phasenweise nur ein wenig Relevanz an andere Phänomene (wie den »War on Terror«) abzugeben hatten.
Was bleibt also von dem großen Enthüllungswurf? Eigentlich wissen wir jetzt nur, daß die Russen für eine »Querfront« eintreten und wenn diese nicht zu erreichen ist (wovon russische Offizielle wie Sezession-Leser gleichermaßen ausgehen dürfen), eine eigene Wagenknecht-Partei befürworteten. Aber ist das überraschend? Eigentlich nicht.
Jede geopolitische Kraft von Format, die sich parteipolitische Partner in anderen Ländern wünscht, versucht indirekt oder, wie im Regelfall die US-Amerikaner, direkt, solche Partner zu finden oder sogar zu stärken.
Daß Russen nun daran interessiert sind, daß die Anti-Kriegs- und Anti-NATO-Flanke der deutschen Politlandschaft ein wenig an Kraft und Einfluß zugewinnt, kann ebensowenig verblüffen wie der Umstand, daß Amerikaner zufrieden sind mit der transatlantischen Einheitsfront von Grünen und SPD, CDU/CSU und FDP bis zu den Ausläufern in Teilen der äußersten Rechten.
Und die Wagenknecht-Partei, kommt sie, kommt sie nicht? Ein Videoauszug nährt neue Gerüchte, sogar mit Datumsangaben. Bei der Freien Presse in Chemnitz wird Sahra Wagenknecht gefragt, ob ihre neue Partei kommt, und falls ja, wann. Die Antwort ist definitiv keine Verneinung:
„…wäre es ja vernünftig, wenn da eine Kraft entstünde.“
„Und die kommt jetzt im Oktober?“
„über Datumsangaben möchte ich hier nicht spekulieren.“
„Aber sie kommt?!“
*hihihi*@dieLinke wäre klug beraten, #Wagenknecht jetzt die Tür zu weisen. Die Würfel sind gefallen. 1/5 pic.twitter.com/fdTy888fbJ— Lorenz Gösta Beutin ☮️ Нет войне! (@lgbeutin) April 20, 2023
Aber die Probleme würden bleiben. Wo ist die Basis, die die neue Partei trägt; wo die Aktivposten mit idealistischem Überschuß, die bereit sind, die Mühen der Ebenen (von Kreisverbandssatzung bis Infostand) zu durchschreiten, Tag für Tag, Woche für Woche?
Freund und Feind Wagenknechts wissen beide: Sie ist eine Medienintellektuelle von Format, eine belesene und eloquente Buchautorin, eine Repräsentantin. Aber kann sie führen, aufbauen, koordinieren?
Ich bezweifle das stark. Am Ende wird es eine Liste Wagenknecht zur Europawahl geben, diese zieht in Brüssel/Straßburg ins Parlament ein, kostet der AfD als establishmentkritische Protestpartei locker vier bis sechs Prozentpunkte – und scheitert dann am nachhaltigen bundesweiten Strukturaufbau.
Das Gute daran ist, daß die Partei Die Linke diesen Aderlaß nicht überleben wird. Ohne Wagenknecht werden zwar zwei Drittel der Partei durchatmen, aufatmen, frei atmen – aber eine woke-grüne Großstadtpartei mit extravaganten Nischenvorlieben verliert erstens ihre Fraktionsstärke im Bundestag und wird zweitens diese auch 2025 nicht mehr erlangen.
Im Klartext heißt das: Eine Linke-ohne-Wagenknecht wird zur Regionalpartei in Berlin, Leipzig-Connewitz, Erfurt und Bremen, aber keine Kraft, der man die bundesweite Fünfprozenthürde ernstlich zutrauen könnte.
Was nach der linken Zersplitterung als Frage im Raum steht, ist folgendes Problem: Wie geht es mit der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) weiter? Als organisierende und Orientierung vermittelndes Zentrum der Mosaiklinken ist sie abhängig von der Existenz einer bundesweit präsenten Linkspartei. Die wird es aber nicht mehr geben.
Folgerichtig naht auch das Ende der RLS – jedenfalls in der Form, wie wir sie kennen. Machtpolitisch sind das positive Nachrichten in tristen Zeiten.
RMH
"Daß Russen nun daran interessiert sind, daß die Anti-Kriegs- und Anti-NATO-Flanke der deutschen Politlandschaft ein wenig an Kraft und Einfluß zugewinnt, kann ebensowenig verblüffen wie der Umstand, daß Amerikaner zufrieden sind mit der transatlantischen Einheitsfront von Grünen und SPD, CDU/CSU und FDP bis zu den Ausläufern in Teilen der äußersten Rechten."
Das ist die Kernerkenntnis zu diesen Enthüllungen - sicher wird auch irgendeine niedere linke- oder AfD- Knallcharge in eitler Selbstgefälligkeit irgendwelche "Kontakte" unbedeutenderer Art mit russischen Geheimdienstkreisen pflegen (man darf hier mit Outings rechnen), aber das gibt es bei der anderen Seite vermutlich auch in Kreisen mit echter Relevanz. Jede Seite braucht ihre nützlichen Idioten im Sinne Lenins, aber zur Definition des nützlichen Idioten gehört ja auch, dass diese nicht im expliziten Auftrag handeln, sondern unbewusst im guten Glauben an "das Gute".
Von daher: Wenn in einem Krieg eine Opposition mit dem Parfum "Arbeitet für den Feind" benebelt wird, um ihr ein gewisses Hautgout zu verpassen, ist das Ausdruck dafür, dass man diese Aktionen ernst nimmt.