Die Frustration über die Ampelpolitik und die Selbstherrlichkeit ihrer politischen Aushängeschilder hat ein massives Unzufriedenheitspotential aufgebaut. 82% der Bürger geben an, daß sie mit der aktuellen Bundesregierung unzufrieden sind. Das ist der höchste Negativwert für eine Regierung seit knapp 20 Jahren.
Diese Unzufriedenheit sammelt sich nun vordergründig in einem wachsenden Wählerpotential der oppositionellen Kräfte. Laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Ipsos“ hat die AfD seit der letzten Bundestagswahl 2021 bis zu 59% neue potentielle Wähler hinzugewonnen und konnte seitdem zugleich 90% ihrer Kernwählerschaft seit der letzten Bundestagswahl halten.
– – –
Wagenknechts bisherige Ausbeute
Die aktuelle Disruption innerhalb des etablierten Parteienblocks ermutigt weitere kleinere Akteure zur Teilnahme an Wahlen. Am 27. 1. 2024 soll sich nun tatsächlich die Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gründen, nachdem ein formaler Verein die letzten drei Monate damit beschäftigt war, die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen zusammenzutragen.
Die Ausbeute ist angesichts der hohen Erwartungen und der medialen Resonanz relativ gering ausgefallen. Mit 1,2 Millionen Euro an Spenden mag die Wagenknecht Partei womöglich einen Parteitag und einen soliden Europawahlkampf führen, doch die Landtagswahlkämpfe in den Ost-Bundesländern sind laut Auskunft der Vereinsvorsitzenden Amira Mohamed Ali keineswegs gesichert.
Auch personell gab es bis auf einen Ex-Bundestagsabgeordneten und einen Ex-Oberbürgermeister keine größeren Überraschungen mehr. Die großen Austrittswellen aus der Linkspartei, aber auch der AfD blieben bisher aus. Den Glanz des neuen Parteiprojektes bildet weiterhin nur Sahra Wagenknecht, die aber bereits jetzt keine sonderliche Lust mehr hat, als Frontfrau zur Verfügung zu stehen.
Wagenknecht hat strategisch nahezu alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Sie hat sich selbst klein gehalten und die Verantwortung für das Projekt auf andere, weitgehend unbekannte Gesichter übertragen und zugleich ein völlig harmloses bis langweiliges Programm präsentiert:
- Das Thema Migration wird zweitrangig behandelt.
- Das Momentum für ein friedenspolitisches Profil kommt mindestens ein Jahr zu spät.
- Die wirtschaftspolitischen Punkte hätten auch aus jedem anderen beliebigen Parteiprogramm (wahlweise SPD oder CDU) abgeschrieben werden können.
Einige Umfrageinstitute haben inzwischen Abstand davon genommen, das Potential einer Wagenknecht-Partei zusätzlich zu messen. Zu unterschiedlich fallen die Ergebnisse aus – zwischen 3 und 14%. Ohne reale demoskopische Härtetests und Referenzen bleiben Wählerpotentiale politische Luftschlösser.
Nun scheint Wagenknecht nicht die einzige Protagonistin zu sein, die Wählergruppen auf neue Weise verknüpfen will. Bei ihr ist es der zumindest theoretisch interessante Ansatz eines „Linkskonservatismus“. Aber es gibt noch andere.
– – –
Der liberalkonservative Parteienfriedhof
Der Aufstieg der AfD hat die Statik des weitgehend festgefügten bundesrepublikanischen Parteiensystems ins Wanken gebracht und neue ideologische Konfliktstrukturen konstituiert. Von der „Euro-Nischenpartei“ hat sie sich als eine echte politische Sammlungsplattform entwickelt, die bereits auch mit eigenen Wertemilieus aufwarten kann.
Die Breite des politischen Raumes, der durch die AfD schrittweise ausgebaut wird, schafft logischerweise auch Anreize für Absetzbewegungen, die sich zumeist in Gestalt von Kleinparteiprojekten zwischen Union und AfD profilieren. Die Prämisse ist dabei immer die gleiche: Eine als „rechtsradikal“ stigmatisierte AfD und eine gleichzeitig nach links verschobene Union hinterlassen einen politischen Freiraum, der durch eine neue Partei besetzt werden könnte.
Gleich drei ehemalige AfD-Parteivorsitzende haben diese Besetzung versucht, zwei davon (Lucke und Petry) mit eigenen Parteiprojekten. Der Ex-AfD-Vorsitzende Meuthen hat sich zumindest den organisatorischen Aufwand einer Parteineugründung gespart und erhoffte sich über seinen Politpromi-Status in der Zentrums-Partei einen großen Erfolg.
Die Geschichten dieser Projekte sind kurz. Petrys „Blaue Partei“ überlebte nur zwei Jahre das politische Geschäft und konnte auf Landesebene nur Wahlergebnisse unter 0,5% einfahren. Luckes LKR (jetzt nach mehreren Namensänderungen „Wir Bürger“) kam bei Wahlen ebenfalls nie über 1% der Stimmen hinaus. Und auch Jörg Meuthens Kurzausflug zur Zentrumspartei endete mit einer Reihe von nicht ausreichenden Unterschriften zum Wahlantritt und dem Parteiaustritt Meuthens vor wenigen Monaten.
Man könnte also meinen, daß der Realitätscheck dieser neuen „liberalkonservativen“ Parteiprojekte bei manchen Liebäugelnden zu etwas mehr Demut und gründlicherer Analyse führen sollte. Nicht so aber bei Protagonisten wie dem Publizisten und Unternehmensberater Markus Krall oder dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, die schon seit längerer Zeit die Öffentlichkeit immer wieder mit Ankündigungen einer eigenen Partei füttern.
Beider Überlegungen scheinen nun in ein fortgeschritteneres Stadium gekommen zu sein. Für den 22. Januar 2024 ist eine Pressekonferenz angesetzt, auf der die programmatischen und personellen Eckdaten einer neuen Partei präsentiert werden sollen. Maaßen kündigte an, auf der kommenden Mitgliederversammlung der Werteunion einen entsprechenden Antrag einzubringen, der die Parteigründung vorbereiten solle.
Jeder Beobachter mit halbwegs gesunder politischer Intuition wird für diese Projekte ein grandioses Scheitern vorhersagen. Maaßen und Krall reduzieren die politische Wettbewerbsstruktur ausschließlich auf die Angebotsseite. Sie verstehen aber nichts von der tatsächlichen Wählernachfrage und den wesentlichen Faktoren und Bedingungen, wie sich erfolgreiche neue Parteien im System festsetzen und langfristig halten können.
Selbst wenn wir bei Maaßen und Krall die Eigenleistung voraussetzen (organisatorische Grundbasis, finanzielle Mittel, Programm und tatsächliche Wahlantritte), so ist die Nachfrageseite zumeist die Achillesferse, an der sich Erfolg oder Mißerfolg einer neuen Partei entscheiden.
Angesprochen auf die Pläne zur Parteigründung gab Krall gegenüber der Berliner Zeitung Auskunft, daß er die „verwaiste Mitte“ im politischen Spektrum ansprechen wolle. Ein ebenfalls noch unbestätigter, aber heiß gehandelter Name des neuen Parteiprojektes, die ehemalige AfD-MdB Joana Cotar, sprach in einem Interview davon, daß es insbesondere darum geht, ein repräsentatives Angebot für die „heimatlosen Konservativen“ zu schaffen, die sich weder mit der Union noch mit der AfD identifizieren können.
– – –
Phantom “Politische Mitte”
An diesen Aussagen wird bereits ein völlig verfehltes Verständnis über die sogenannte „politische Mitte“ deutlich. Die „Mitte“ ist im politischen Kontext kein Standort, der unverrückbar wäre. Sie ist Schwankungen und Verschiebungen unterworfen. Krall und Co hoffen, ihre Projekte als sogenannte „Catch-All-Parteien“ zu platzieren, die ohne stabilisierendes gesellschaftliches Milieu oder ideologischen Unterbau einfach nur ein undefiniertes Wählerlager im Mitte-Spektrum aufsaugen sollten.
Nicht ganz ohne Größenwahn hofft Krall dabei sogar auf eine „Halbierung“ der Unionsparteien. Krall versteht jedoch nichts von der Struktur der Unionswählerschaft. Diese ist in erster Linie alt und wählt die CDU/CSU bereits seit Jahrzehnten. Sie ist geprägt von festen Milieustrukturen über christlich-konfessionelle Gruppen bis hin zu großen Lobbyverbänden für Innere Sicherheit oder Landwirtschaft.
Auch der aktuelle Unionszuwachs auf 33% dürfte sich weniger aus einem völlig neuartigen Unzufriedenheitspotential speisen, als vielmehr ein Wählertransfer von enttäuschten ehemaligen SPD-Anhängern aus der „Mitte“ zur Union sein. Die „heimatlose-konservative Mitte“ ist eine reine Projektion von Krall, sie ist die fatale Übertragung einer politischen Echokammer auf die bundesdeutsche Gesamtwählerschaft.
Auch Maaßen können im Interview mit Alexander Wallasch die Schuhe gar nicht groß genug sein, mit denen er jetzt die politischen Gipfel der Republik erklimmen will. Er setze „auf Sieg“ und wolle mittelfristig sowohl die Merz-CDU als auch die Söder-CSU als politische Größe absetzen. Man habe als Werteunion zuvor „ausgiebige Analysen“ zu den Potentialen einer WerteUnion-Partei durchgeführt.
Ich kann nichts zur Qualität und dem Umfang dieser Analysen sagen, aber sollte jemand Maaßen tatsächlich ein sicheres 20% + X Potential bescheinigt haben, dann sind Zweifel an der Gründlichkeit und auch Ernsthaftigkeit dieser Analysen angebracht. Vermutlich hat man einfach nur ein paar alte und längst bekannte Potential-Umfragen ausgegraben, mit denen auch LKR-Akteure an den baldigen Durchbruch der 20%-Schallmauer glauben.
Man muß es nochmals betonen: Potentialanalysen haben in der Wahlforschung nur dann Aussagekraft, wenn auch reale Faktoren und Variablen wie längerfristige Parteiidentifikationen oder die Stabilität und Kontinuität des Wahlverhaltens hinzutreten. Demoskopische Vorhersagemodelle werden erst dann wissenschaftlich robust, wenn sie auch mit Realdaten und Erfahrungswerten gefüttert werden können.
Das Ego von Maaßen und Krall ist am Ende offensichtlich größer als ihr strategisches Gespür. So will man (vermutlich auch aus Zeitgründen) zur kommenden Europawahl gar nicht antreten, sondern sich auf die im Herbst stattfindenden Ostwahlen konzentrieren. Anstatt also kleinere Brötchen zu backen und sich ohne 5%-Hürde zunächst im Europaparlament erste Strukturen aufzubauen, glaubt man jetzt schon fest an die großen Wahlerfolge gegen Ende dieses Jahres.
Die Spaltung und Implosion der Union ist für Maaßen bereits fest einkalkuliert und wird für den Erfolg des Projektes schon als Prämisse vorausgesetzt. Auch das ist Ausdruck einer völligen Selbstüberschätzung:
Die Werteunion zählt laut eigenen Angaben rund 4.000 Mitglieder. Vor einiger Zeit wurden die Strukturen auch für Nicht-CDU-Mitglieder geöffnet. Der Verlust von im schlimmsten Falle 1% der Mitgliederschaft dürfte den Akteuren im Konrad-Adenauer-Haus wohl kaum größere Kopfschmerzen bereiten.
Benedikt Kaiser hat schon vor zwei Jahren auf die illusorische Traumtänzerei von einer vermeintlichen Reformationskraft innerhalb der CDU durch Personen wie Maaßen und Co hingewiesen.
Denn selbst wenn Maaßen drei, vier, fünf weitere »konservative« CDU-CSU-Bundestagsabgeordnete zusammenbrächte, die mit ihm gemeinsam einen vermeintlichen Aufbruch ins verklärte Gestern zu einer vermeintlich guten Alt-Union finden würden: Was wäre das schon angesichts von vielleicht 250, vielleicht 300 andersdenkenden Unionspolitikern, die der größte Bundestag aller Zeiten bereit halten wird?
Und auch jetzt sind große Zweifel angebracht, daß Maaßen und Co eine nennenswerte Politprominenz aus der Union aufsaugen werden. Kaum ein Landtags- oder Bundestagsabgeordneter der Union wird das Risiko eingehen, die eigene politische Karriere zu zerstören. Außerdem ist dem Projekt WerteUnion-Partei immer auch der Stempel des ehemaligen CDU-Hinterbänklertums aufgedrückt. Niemand möchte mit Leuten kooperieren, die als innerparteilich gescheitert gelten.
Daher fällt das Fazit nicht schwer:
- Krall und Maaßen leisten mit ihrer Parteigründung aus dem Stamm der Werteunion vielleicht einen guten Fanservice für ihre digitalen Unterstützer und Leser.
- Das Potential mag optimistisch geschätzt auch im niedrigen sechsstelligen Bereich liegen, aber ist dennoch Lichtjahre von der 5% Hürde oder gar Halbierungsträumen von CDU und AfD entfernt.
- Den Akteuren einer neuen liberalkonservativen Partei fehlt jegliche Definitionsmacht über die von ihnen adressierte „bürgerliche Mitte“.
- Der Konservatismus taugt höchstens als Chiffre für einen bestimmten Habitus, nicht aber für eine konkrete und mobilisierungsfähige politische Idee.
Laurenz
Wagenknecht scheitert, weil Sie nie verlautbart hat, Angela Merkel persönlich als Bundeskanzler ersetzen zu wollen. Krall & Maaßen sind doch eher gekaufte Gestalten, die vor allem bei den Bonner-Republik-Träumern, Roland Tichy, ein bißchen Achgut & dem kleinen Wallasch gehypt werden. https://www.alexander-wallasch.de/gesellschaft/adieu-cdu-maassens-werteunion-wird-partei Das hat vor allem damit zu tun, daß besagte Medien nie ihre Leser mit einfachen Worten über die Deutsche Parteien-Struktur aufgeklärt haben. Maaßen ist seit 1978 CDU-Mitglied & hat mutmaßlich aus Opportunismus die gesamte Merkel-Diktatur unterstützt, ein treuer Weggefährte der Abrißbirne Germany's. Um Glaubwürdigkeit zu erzeugen, hätte Maaßen sofort nach seiner Amtsenthebung eine neue Partei gründen müssen. Aber jetzt, vor den 3 Landtags-Wahlen mit gewaltigen AfD-Prognosen im sogenannten Osten, Zufälle gibt's. Habe auch nie verstanden, was die "verwaiste Mitte" politisch klassifizieren soll? Die 5 Haupt-Anliegen Maaßens sind aus dem AfD-Partei-Programm abgeschrieben. Die AfD ist etabliert. Der Wähler wird, wenn, zum Original greifen. Die Werteunion ist völlig bedeutungslos. Was juckt die CDU-Eiche, wenn die WU-Sau sich an ihr reibt.