Es war wohl so gemeint, daß KI nun alles übernehmen könnte, wofür jetzt noch “bloße Handwerker” zuständig sind, die Gefälligkeiten nach bestimmten Strickmustern produzieren, um den lustlosen “Betrieb” der sogenannten “Kultur” in Gang zu halten. Man müßte das alles nicht mehr “Kunst” nennen, wenn es von Maschinen auf Zuruf erledigt werden kann.
Und wozu bräuchte man es dann überhaupt noch? Der ganze Schwindel hinter dem “Kulturbetrieb”, der so tut, als ginge es ihm um “Kunst”, würde sichtbar werden und irgendwann bräuchte auch das noch vorhandene Publikum nicht mehr heucheln, daß ihm gefällt, was es da konsumiert oder daß es irgendetwas davon verstünde.
Übrig bleiben würde, gemäß dieser Idee, nur mehr das, was wirkliche Künstler zu schaffen vermögen. Sollen diese dann die Hilfe der KI verschmähen?
Genügt dann ein “bloßer” visionärer Designer, ein Mausklick-Michelangelo, der seine Statuen und Ölgemälde nach dem Entwurf einfach ausdrucken läßt, was viel bequemer ist, als Marmorblöcke zu behauen oder Farben mischen und Pinsel führen zu lernen? Das einzige “Handwerk” das er dann noch beherrschen müßte, wäre der geschickte Umgang mit einer Software. Noch nie in der Geschichte wäre es so einfach, Kunstwerke zu schaffen!
Kann man sich auch umgekehrt vorstellen, daß eine KI eine Symphonie “schreibt”, eine ganz neue “im Stil von Beethoven” oder zum Beispiel die “Unvollendete” von Schubert “vollendet”, und daß diese dann von einem menschlichen Orchester feierlich aufgeführt wird? Oder KI-generierte Theaterstücke, die von einem “echten” Ensemble gespielt werden?
Passend zu dieser Debatte hat nun Apple einen bizarren Werbespot veröffentlicht, der mit verblüffender Unverhohlenheit meine Befürchtungen zu bestätigen scheint.
Das Filmchen mit dem Titel “Crush!” bewirbt den “all-new iPad Pro”:
Outrageous performance by the first-ever M4 chip. With the breakthrough Ultra Retina XDR display. All in the thinnest Apple product ever. iPad has never been this powerful. Or this thin.
Er beginnt mit einem tickenden Metronom und einem Schallplattenspieler, der automatisch eingeschaltet wird, auf dem Teller liegt “All I Need Is You” von Sonny & Cher. Das nächste Bild zeigt ein Arrangement von Gegenständen in einer Art Lagerhalle unter einer riesigen Stahlpresse: elektronische Geräte wie Fernsehbildschirme und Soundanlagen, aber auch eine Büste im klassischen Stil, ein Öl- oder Acrylgemälde, auf dem ein Hund zu sehen ist, Kerzen, Lampen, Reißbretter, eine Schneiderpuppe, ein Globus, eine Kreidetafel, eine Gitarre, ein Klavier, eine Trompete, ein Schlagzeug-Set, Kameraobjektive, Bücher, Kollektionen von Farbtuben und ‑töpfen, also allerlei Material für kreative Betätigung, dazu ein paar gelbe Gummibälle, die wie “Emojis” aussehen.
Das alles wird nun langsam und gleichsam rituell von der Stahlpresse krachend, platzend und zersplitternd demoliert, geschreddert und zerquetscht, in genüßlichen, quasi pornographischen Naheinstellungen (den Emojis werden die Augenbälle aus dem Kugelleib gepreßt). Die Musik verstummt, nachdem die Presse ihr grausames Zerstörungswerk vollendet hat. Am unteren Preßblock rinnen die Farben herab wie Blutbäche.
Dann folgt eine Art “magische” Explosion, der obere Pressblock hebt sich, die Musik setzt wieder ein, der Schrott ist verschwunden, und an seiner Stelle kommt, simsalabim!, ein schmales, schwarzes Rechteck zum Vorschein, über dessen glänzende Oberfläche regenbogenfarbene Strahlen tanzen. Das also ist alles, was du brauchst.
Man hört die Stimme einer jungen Frau mit einem dezent rauchigen Beiklang: “The most powerful i‑Pad ever is also the thinnest.” Wow! Geil. Cool. Nais. Lit. Cringe?
Die Botschaft ist offenbar, daß dieses schicke, schmucke, smarte Wunderding nun all den Krempel, der unter der Presse zerquetscht wurde, in sich komprimiert und damit überflüssig macht. Es kann für dich Musik machen, Bilder herstellen, Wörter schreiben, fotografieren, alle nur erdenklichen Funktionen in einem einzigen mirakulösen kleinen Gerät, das bequem in jede Hosentasche paßt.
Wozu aber diese Aggressivität? Diese genußvolle Zerstörung der Gegenstände, mit denen man “analog”, mit Menschenhand also, Musik macht, Bilder herstellt, Skupturen formt, Wörter schreibt? (Immerhin scheint der Film ein KI-Produkt zu sein, bei dem keine echten Musikinstrumente zu Schaden kamen. Vielleicht hätte man einen Disclaimer hinzufügen sollen: “No pianos were harmed in the making of this film.”)
Ist der Spot “ehrlich”, wie Dushan Wegner meint, indem er mit einem merkwürdig ungenierten Sadismus die Auslöschung der “menschlichen Kreativität” feiert? Er wirkt zunächst wie eine eindrucksvolle, wenn auch nicht sehr subtile dystopische Satire, bis man kapiert, daß die verstörend in Szene gesetzte “Message” unironisch völlig ernst gemeint ist.
Das makabre Zerstörungsfest hat bislang eher negative Reaktionen hervorgerufen, die Kommentarfunktion auf Youtube wurde wohlweislich deaktiviert. Ein Kommentator von Unherd schreibt dazu:
Als Apple diese Woche seinen vielgeschmähten “Crusher”-Werbespot veröffentlichte, behauptete Paul Graham, Gründer des Tech-Inkubators Y Combinator, daß “Steve [Jobs] diesen Spot nicht rausgebracht hätte. Derartiges zu sehen, hätte ihn geschmerzt.”
Die Apple-Werbung greift den TikTok-Trend der “Crusher ASMR”-Videos auf, in denen Gegenstände – von Fußbällen über Vasen und Kerzen bis hin zu Spielzeug – unter die unerbittliche Stahlkolonne industrieller hydraulischer Zerkleinerungsmaschinen gelegt werden. Manche Dinge lassen sich gut zertrümmern: Sie lassen sich befriedigend kompaktieren oder mit einem sauberen “Knall” zerbrechen, während andere Dinge lediglich zerdrückt oder zerknittert werden. Der Werbespot zeigt die Zerstörung von Gitarren, Klavieren, Farbtöpfen – das Material der Kreativität – zu einem glänzenden Spiegel aus Stahl: das neue iPad Pro.
Der Schauspieler Hugh Grant bezeichnete den Spot vollmundig als “Zerstörung der menschlichen Erfahrung, mit freundlicher Genehmigung von Silicon Valley”. Seine Empörung machte die Runde, und Apple entschuldigte sich gestern und räumte ein, “das Ziel verfehlt” zu haben.
Warum kam der Spot so schlecht an? Der Autor meint:
Der von Steve Jobs beschworene Traum von Silicon Valley war naiv. Blickt man heute auf die berühmte Apple-Werbekampagne “Think Different” mit ihren Beschwörungen von Martin Luther King und Albert Einstein zurück, fehlt es schwer, darin keine fehlgeleitete Baby-Boomer-Sentimentalität zu sehen. Dieser Traum läuft seit dem Tod von Jobs im Jahr 2011 auf Autopilot, während sich die Welt um ihn herum verändert hat.
Figuren wie [Apple CEO] Tim Cook – fade Supply-Chain-Typen – haben in Ehrfurcht und im Gedenken an ihren Gründer diese Richtung weiter verfolgt und die minimalistische Stimmung aufrechterhalten. Dabei haben sie nicht bemerkt, daß die nach Kiefern duftende Utopie von Cupertino durch baufällige Autobahnen mit Städten verbunden zu sein scheint, die zunehmend an “Blade Runner” erinnern.
Das ist der Grund, warum Apples Zermalmer so schlecht abschnitt. Für die Führungskräfte des Unternehmens ist es leicht, sich vorzustellen, keinen Besitz zu haben; es ist leicht für sie, in einer Green-Tech-Wunderwelt zu leben. Aber es ist schwieriger für alternde Millennials, die vierte Welle der technologiebedingten Lohnkompression in ihrem Arbeitsleben zu überstehen. Oder nach der Arbeit in Häuser zurückzukehren, die durch quantitative Vereinfachung und Masseneinwanderung verkleinert wurden.
Manche Kommentatoren haben den neuen Spot mit einem berühmten alten aus dem Jahr 1984 verglichen, inszeniert von Ridley Scott: Eine blonde Athletin mit einem Hammer (man beachte überhaupt den damaligen Mangel an “diversity”), ein Symbol für Apple und seine innovative Technologie, zerstört den Bildschirm des “großen Bruders”, auf den die hypnotisierten, gleichgeschalteten grauen Massen starren.
“Ihr werdet sehen, daß 1984 nicht wie ‘1984’ wird”, verspricht der Spot, und dies dank der befreienden Kraft der PCs für jedermann, der Welt geschenkt von dem heroischen Idealisten und Innovator Steven Jobs.
Der totalitäre Schurke war für Jobs damals IBM, und er selbst sah sich und Apple in der Rolle des libertären Rebellen gegen den Todesstern. Der neue Spot, vierzehn Jahre nach seinem Tod, scheint zu suggerieren, daß 2024 in der Tat wie “1984” ist, was der Führung des Konzerns offenbar gar nicht aufgefallen ist.
Ähnlich wie die berüchtigten Spots des Weltwirtschaftsforums (“You will own nothing and you will be happy”), die wie ihre eigenen Parodien wirken, zeigt “Crush”, daß die Utopie der “Eliten” die Dystopie der noch einigermaßen “normalen Menschen” ist. Jedenfalls offenbart sich hier eine tiefe Kluft in der Wahrnehmung der Welt.
Der Hollywood Reporter bohrte nach:
Der vielleicht aufschlußreichste Kontrast [zu Ridley Scotts “1984”-Spot] ist jedoch die “Think Different”-Kampagne der späten 90er Jahre, mit der wissenschaftliche und kulturelle Koryphäen des 20. Jahrhunderts für ihre unkonventionellen Ideen gefeiert wurden. Was würden diese Leute von “Crush” halten? Würde Picasso das Einplätten einer Skulptur feiern? Würde Bob Dylan die Zertrümmerung einer Gitarre und eines Plattenspielers bejubeln? Würden Jim Henson und Kermit der Frosch die Vernichtung von Marionetten gutheißen? Würde Miles Davis der Zerstörung dieser Trompete applaudieren?
Die Wahrheit ist wohl, daß die Versprechen individueller Freiheit durch “demokratisch” verfügbare Spitzentechnologie für die Massen schon 1984 illusorisch waren. Für alle, die wirklich “different” denken, wirkte schon die berühmte “Think Different”-Kampagne, in der unkontroverse Figuren und linksliberale Ikonen wie Bob Dylan, Einstein oder Martin Luther King als “misfits” (“Außenseiter”) und “Rebellen” gefeiert wurden, wie eine schale Selbstbeweihräucherung.
Als 2007 das iPhone zeitgleich mit dem Smartphone auf den Markt kam, bedürfte es des “rebellischen” Marketings und der “Befreiungs”-Rhetorik von 1984 nicht mehr. Die konkurrierenden Imperien Apple und Microsoft hatten sich die Welt untereinander aufgeteilt, ihre Produkte waren zum Bestandteil des täglichen Lebens von Milliarden von Menschen geworden.
Der “Home Computer” wurde von seiner Steigerungsstufe, seinem “Upgrade”, dem Allzweck- und Allzeit-Accessoire iPhone weitgehend abgelöst, durch einen Mini- und Kompakt-Computer, der inzwischen so gut wie jeden einzelnen Menschen, der uns auf der Straße begegnet, rund um die Uhr begleitet.
Hat dies nun dazu geführt, daß heute mehr Menschen als zuvor “anders” denken? Hat dies dazu geführt, daß sie “freier” sind als die Menschen, die noch keine Computer besaßen? Ist es dadurch schwieriger oder leichter geworden, sie “gleichzuschalten” und zu steuern?
Keiner der dopaminsüchtigen Schlafwandler, die heute unentwegt, in jeder Lebenslage ihre Körper verbiegen, in den kleinen “Black Mirror” starren und ihn nicht aus der Hand legen können, denkt, daß er irgendetwas mit den grauen, homogenisierten, im Gleichschritt marschierenden, gehirngewaschenen Kolonnen aus “1984” zu tun hat, wenn ihm dieses Sinnbild totalitärer Herrschaft (das aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, aus Langs “Metropolis” stammt) denn überhaupt noch geläufig ist.
Das Problem scheint weniger in dem Umstand zu liegen, daß der “Rebell” von einst heute nun selbst Imperator des Todessterns geworden ist, während weit und breit keine Jedi-Ritter zu sehen sind, die ihn herausfordern oder seine Macht auch nur in Frage stellen.
Sondern offenbar sitzt im Wesen der Technologie selbst ein unerbittlicher Teufel, der sich in dem “Crush”-Spot ungeniert offenbart hat.
Volksdeutscher
Wenn wir die Kunst Michelangelos bewundern und feiern, dann bewundern und feiern wir gleichzeitig davon untrennbar sein handwerkliches Können, sein künstlerisches Handwerk mit, das seine Kunst erst möglich machte. Erst dem Handwerk ist es zu verdanken, daß es Zeichen und durch sie Lesbarkeit von all dem gibt, was wir als Kunst erkennen und als solche benennen. Es ist eine der krankesten Vorstellungen der Moderne, die man offensichtlich noch nicht in Gänze überwunden hat, die Idee der reinen Kunst zu propagieren und verwirklichen zu wollen, die Kunst von den "Schlacken des Handwerks" reinigen zu müssen. Die Moderne huldigt einer Reinheitsideologie, das ist die Kunst ohne Handwerk. Das evoziert das Bild des Künstlers, der gottgleich alles in Kunst verwandelt, worauf er zeigt, ohne es zu berühren, ohne eine Technik in Anspruch zu nehmen: "Steh auf und gehe!" Könnte diese Wahnvorstellung Wirklichkeit werden, verschwände damit die Subjektivität der Kunst und mit ihr das Subjekt der Kunst: Der Künstler. Ohne ihn gibt es jedoch keine Kunst, denn Götter sind nicht subjektiv. Bereits gegen Ende des XIX. Jahrhunderts kamen die ersten Ideen zur Auflösung der Kunst auf wie die der "Soziologie des Sehens", wovon sich Künstler wie Odilon Redon angeekelt fühlten. Es blieb nicht dabei, in der Spätmoderne setzte der von links unterwanderte Kunstbetrieb mit der Floskel "Jeder ist ein Künstler" zur Eliminierung des Künstlers in der Kunst nach.