Nun gab es ihn am 3. Mai in Wien “live” zu sehen, als Gast der “Aktion451”, in einem geheimen, schloßartigen, bis auf den letzten Stuhl vollgepackten Kellergewölbe mit Kaminfeuer und Kerzenlicht.
Ich kam nur wegen des Mannes, nicht wegen des Themas “Künstliche Intelligenz”, das mir in der Regel nur schlechte Laune bereitet. Umso angenehmer war ich überrascht, am Ende etwas Hoffnung gefaßt zu haben, daß auch dieser Golem irgendwann seine Grenzen erreicht haben wird. Der Diskussion entnahm ich jedoch, daß andere Besucher “Schattis” Ausblick als eher “pessimistisch” empfanden.
Den wesentlichen Inhalt seines Vortrags kann man sich in diesem Video anhören, das er vor einem Jahr veröffentlicht hat. Für wenig begründet hält er die Furcht vieler KI-Apokalyptiker wie etwa Eliezer Yudkowsky vor dem Ereignis der “Singularität”, jener hypothetische Moment, in dem die Maschine ein Selbstbewußtsein und einen eigenen Willen entwickeln und anfangen könnte, sich gegenüber der menschlichen Spezies sehr unfreundlich zu verhalten: Der Stoff zahlloser Science-Fiction-Filme.
Technologie-Enthusiasten neigen dazu, in grenzenlosen Phantasien über die Machbarkeit von Dingen zu schwelgen, die man sich vor kurzem kaum vorzustellen wagte; manche wollen die menschliche Spezies optimieren und durch technologische Eingriffe ihre Evolution beschleunigen und steuern, andere wiederum träumen von vollkommener Gesundheit oder gar davon, den Tod abzuschaffen.
Schattenmachers Vortrag hingegen handelte von Grenzen: nicht nur der technischen Machbarkeit oder der mathematischen Möglichkeiten, sondern auch der materiellen Ressourcen, die für die “Tour de Force” der modernen Welt notwendig sind, wie etwa fossile Energien. Diese werden eines Tages erschöpft sein, und “alternative” oder “erneuerbare” Energien, mit denen man die technologische Zivilisation auf dem gleichen Level weiterbetreiben könnte wie man es heute tut, sind bis dato ein Phantom geblieben. Es mag noch ein paar Jahrhunderte dauern, aber irgendwann wird eben Schluß sein mit unserer heutigen Art zu leben.
Besonders interessant fand ich die ziemlich gut begründete These, daß analog zur geographischen Erforschung der Welt auch die Bandbreite der essentiellen, bahnbrechenden Erfindungen und Entdeckungen, die man noch machen kann, im wesentlichen erschöpft sei, und dies bereits etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts.
Technischer Fortschritt wächst linear, nicht exponentiell, und das betrifft auch die wachsenden Fähigkeiten von Computern. Zu erwarten sind allenfalls quantitative, aber nicht qualitative Steigerungen ihrer Leistung. (“Qualitativ” in dem Sinne, daß sie ihr Wesen verändern, zum Beispiel, daß ihre Art der “Intelligenz” menschenähnlicher wird.)
Ich dachte an diesem Punkt an Aldous Huxley, der bereits in den fünziger Jahren die Ansicht vertrat, daß die Erforschung der äußeren Welt nun weitgehend abgeschlossen sei, und nun die “Psychonauten” an der Reihe seien, um das menschliche Bewußtsein zu erforschen und seine Fähigkeiten zu steigern. Dieser Gedanke kam ihm nach bewußtseinserweiternden Erfahrungen mit Meskalin und LSD.
Die Sinnes- und Reizsimulationen, die man heute bereits durch neuronale Manipulation erzeugen kann, weisen womöglich in diese Richtung.
Vor Jahren sah ich mal auf Twitter einen kurzen Film (leider kann ich ihn nicht mehr finden), in dem, irgendwann in naher Zukunft, ein etwa vierzehnjähriges Mädchen von seinen Eltern im Krankenhaus besucht wird, nachdem es einen Chip eingepflanzt bekommen hat, der sein Hirn in eine Art Computer vewandelt hat.
Nicht nur konnte das Mädchen nun in ihrem Kopf Informationen abrufen, als hätte sie “Google” eingebaut, es war auch imstande, willentlich euphorische Bewußtseinszustände “einzuschalten”, oder Sinneseindrücke zu “fühlen”, etwa Wind und Regen, wenn ich mich recht erinnere. Mein erster Gedanke war, daß man mit einem solchen Chip auch unfaßbar grauenhafte Foltermethoden erfinden und anwenden könnte.
Schattenmacher ist von Haus aus Naturwissenschaftler, aber auch eine Art “Schüler” von Ted Kaczynski, ohne allerdings dessen radikale Technologiefeindlichkeit zu teilen. Dieser Hintergrund verlieh seinen Ausführungen besonderes Gewicht. Sein Zugang bleibt vorrangig analytisch. Geradezu niedlich erklang danach die Frage aus dem Publikum, wie man denn KI “für rechts” nützen könne.
Am Schluß erfuhr ich aus dem Munde des Moderators des Abends, was ich bislang nicht wußte, daß sich das rechte Lager gerade in “Raketennationalisten” und “Returner” aufspaltet (Martin Sellner bezeichnete sich selbst als “Teilzeit-Neoluddit”, also als jemanden, der sozusagen nebenberuflich Maschinen stürmt.)
Ich bin definitiv ein “Returner”, und sogar der Gedanke, daß irgendwann die fossilen Rohstoffe ausgehen werden, läßt mich eine gewisse Erleichterung verspüren.
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Mein letzter Beitrag über die Nutzung von KI für Kunst, “Kunst” und Propaganda ist sowohl auf Zustimmung als auch auf Widerspruch gestoßen. Wie bei fast allen anderen Dingen auch, die mir etwas bedeuten, stehe ich hier (wohl) mal wieder auf verlorenem Posten.
Einwände, ich sei eine Art “Neo-Luddit” finde ich irrelevant. Andere bohren tiefer: Ist die Situation nicht analog zur Erfindung der Photographie, die manche Maler in Angst versetzte, ihr Beruf könnte überflüssig werden?
Gab es nicht im Bereich der Musik ähnliche Befürchtungen, als Synthesizer aufkamen, gab es da nicht auch Argumente à la “nahezu mühelos, auf Zuruf und Knopfdruck” und “weil ihnen das Element der Anstrengung, des Leidens, des tatsächlichen Könnens fehlt”?
Der Germanist Marc Pommerening bemerkte auf Twitter:
Vorsichtig und widerwillig beziehe ich eine Gegenposition. Könnte KI, auch von mir verabscheut, womöglich die “Idee der Kunst” retten, indem sie das bloße Kunsthandwerk übernimmt?
Problemlos imitieren lässt sich das Klischeehafte, eine Manier, etwa die von Amanda Gorman, wird so überzeugend nachgeäfft, das sie ihr Vorbild bloßstellt. ‘Wilhelm Kachel’ ist ein Plakatmaler, dessen eindimensionaler Sicht auf die Welt KI entgegenkommt.
Gefährlich wird KI nicht der Kunst sondern der Kultur und ihrem Betrieb, zunächst den Lektoren und Dramaturgen, dann den Kulturbetriebshandwerkern in den Medien, den Verfertigern des Gefälligen, zudem den Impressarios des Innovativen, deren Epigonalität KI sichtbar macht.
Er hat auch den Schnipsel eines Interviews mit Francis Ford Coppola aus den frühen neunziger Jahren gepostet, “zur #KI Diskussion”:
Für mich besteht die große Hoffnung darin, dass es jetzt diese kleinen 8‑mm-Videorekorder und so weiter gibt und dass Leute, die normalerweise keine Filme machen würden, sie machen. Und eines Tages wird ein kleines, dickes Mädchen in Ohio der neue Mozart sein und mit dem kleinen Kamerarecorder ihres Vaters einen wunderschönen Film drehen. Und mit einem Schlag wird die so genannte Professionalität des Films für immer zerstört sein. Und er wird wirklich eine Kunstform werden.
Jean Cocteau soll schon 1947 gesagt haben:
Film wird erst dann zu einer Kunst werden, wenn seine Materialien so wenig kosten wie Bleistift und Papier.
Cocteaus Diktum, dessen Quelle und Kontext ich nicht ausfindig machen konnte, beruht wohl auf dem Bedauern, daß Filme vom Kommerz abhängen, weil sie teuer sind, was ihren Kunstanspruch mindert. Die Idee dahinter ist, daß Film erst dann wahrhaftig Kunst sein wird, wenn er sich von seinem Status als Konsumartikel emanzipiert hat.
Ähnlich äußerte sich auch Andrej Tarkowskij:
Das Kino ist eine unglückliche Kunst, denn sie hängt vom Geld ab. Nicht nur, weil ein Film sehr teuer ist, sondern auch, weil er vermarktet wird wie Zigaretten usw. Ein Film ist gut, wenn er sich gut verkauft. Aber wenn das Kino Kunst sein soll, wäre eine solche Annahme absurd: Sie würde bedeuten, daß Kunst nur dann gut ist, wenn sie sich gut verkauft. Da ich das sehr gut weiß, beschwere ich mich nicht. Ich kann keine Sonderbedingungen für meine Filme verlangen, denn diese Bedingungen gibt es nicht. Der Film für das große Publikum kann nicht poetisch sein.
Was Coppola sagt, ist “demokratisch”, was Tarkowskij sagt, “aristokratisch” – aber ebenso, was Cocteau sagt, obwohl es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag.
Ich denke, Coppola, selbst Schöpfer von Meisterwerken, die sehr viel Geld kosteten und einen erheblichen Aufwand benötigten, hat hier nur ein bißchen “virtue signalling” betrieben, indem er etwas Nettes gesagt hat. Näher betrachtet, ist es ziemlicher Unsinn. Ohne “Professionalität”, wie auch immer man sie definieren möchte, kann man weder einen großen und noch einen “kleinen” Film machen.
Inzwischen haben die Filmaufnahmen von Smartphone-Kameras eine erstaunliche technische Qualität erreicht, aber keineswegs lauter kleine Hitchcocks und Kubricks hervorgebracht. “Mozarts” entstehen nicht durch die einfache und billige Verfügbarkeit des Materials, mit dem sie arbeiten.
Für eine Komposition brauchte Mozart vom Materialaufwand her nur Feder und Papier. Aber dahinter stand eine musikalische Ausbildung von Kindesbeinen an, und das undemokratische, unerzeugbare Geschenk des Genies (der Film Amadeus mit Tom Hulce geht allerdings in die Irre, wenn er das Genie als einen Menschen zeichnet, der für seine Kunst kaum arbeiten und sich anstrengen muß).
Und schließlich, contra Pommerening, glaube ich nicht, daß das “Handwerk” an einer Kunst Nebensache ist. Und wenn sich ihr Material verändert, verändert sich auch ihr Charakter. Es macht einen großen Unterschied, ob man tatsächlich in einen Dschungel fährt, um dort wie Coppola oder Werner Herzog, einen Film zu drehen, damals noch auf richtigem Filmmaterial in der Büchse, das belichtet wird und entwickelt werden muß, oder ob man den Dschungel z. B. von einem Computer generieren läßt.
Kann man sich einen Michelangelo vorstellen, der seine Skulpturen ausschließlich am Rechner entwirft und dann per 3D-Drucker ausdrucken läßt? Gewiß kann man das, aber würden wir ihn und seine Werke dann auch ebenso bewundern, wie den Schöpfer der in Handarbeit entstandenen Sixtinischen Kapelle?
Wohl kaum, und ich denke sogar, daß wir uns betrogen fühlen würden.
Le Chasseur
"Am Schluß erfuhr ich aus dem Munde des Moderators des Abends, was ich bislang nicht wußte, daß sich das rechte Lager gerade in “Raketennationalisten” und “Returner” aufspaltet (...) Ich bin definitiv ein “Returner”, und sogar der Gedanke, daß irgendwann die fossilen Rohstoffe ausgehen werden, läßt mich eine gewisse Erleichterung verspüren."
Von den Amischen lernen heißt Siegen lernen.
https://www.telepolis.de/features/Das-Leben-der-unbeugsamen-Amischen-als-nachhaltiges-Zukunftsmodell-9707300.html