Weihnachtsempfehlungen 2025 – Kositza beginnt

Wenn es auf Weihnachten zugeht, veröffentlichen wir hier traditionell Vorschläge unserer Redaktionsmitglieder für Buchgeschenke. Wie im vergangenen Jahr, haben wir die Kategorien lesen, lernen und schauen aufgerufen. Ich mache den Anfang:

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

LESEN – “Ein schö­ner, grau­sa­mer Roman”, urteil­te Pier Pao­lo Paso­li­ni. Eigent­lich soll­te das genü­gen. Un borg­he­se pic­co­lo, pic­co­lo war 1976 erschie­nen. Geni­al, daß er nun auf Deutsch wie­der­auf­ge­legt wur­de, mit einem gül­ti­gen Nach­wort von Italo Calvino.

Alle Bespre­chun­gen die­ses wuch­ti­gen Stücks Lite­ra­tur neh­men lei­der das Wesent­li­che vor­weg. Ich möch­te das ver­mei­den. Inso­fern bloß so viel:

Gio­van­ni Vival­di und sei­ne Frau sind sehr klei­ne Bür­ger in Rom. Er ist ein win­zi­ger Beam­ter. Alle Hoff­nun­gen ruhen auf dem ein­zi­gen Kind, dem begab­ten Mario. Des­sen Kar­rie­re muß doch gelin­gen! Vater Gio­van­ni tritt einer Frei­mau­rer­lo­ge bei, um die Chan­cen sei­nes Soh­nes zu ver­stär­ken. Nach dem kru­den Mau­rer-Ritu­al… geht alles schief. Und wie. Was für eine Wucht!

Vin­cen­zo Cera­mi: Ein ganz nor­ma­ler Bür­ger, Roman, Alex­an­der Ver­lag Ber­lin,  166 S., 22 € — hier bestel­len.

– –

LERNEN – Daß der lin­ke Dra­ma­turg Bernd Ste­ge­mann mitt­ler­wei­le ein inter­es­san­ter Essay­ist gewor­den ist, der über den Tel­ler­rand hin­aus­zu­schau­en ver­steht, hat­ten wir bereits in den letz­ten Jah­ren fest­ge­stellt. Sei­ne jüngs­ten Büch­lein über „Wut­kul­tur“ und „Iden­ti­täts­po­li­tik“ waren enorm klug, ambi­gui­täts­be­gabt und mit­hin anschluß­fä­hig auch für rech­te Leser.

Was der „ungläu­bi­ge Katho­lik“ Ste­ge­mann nun über die per­sön­li­che wie kol­lek­ti­ve Glau­bens­kri­se ver­faßt hat, geht aller­dings weit über das Prä­di­kat „nett zu lesen“ hin­aus. Sei­ne fei­nen Beob­ach­tun­gen tref­fen ins Mark der west­li­chen Gesell­schaft, sie rüt­teln exis­ten­zi­ell auf, ver­mö­gen zu erschüt­tern. All die wert­vol­len christ­li­chen Gewißheiten

ver­lo­ren ihren Sinn, sobald mein Geist wie­der in die Gegen­wart glitt. Es braucht die Sakra­men­te, es braucht das Ritu­al der Mes­se. Nie­mand ist für sich allei­ne katho­lisch, und nie­mand wird gläu­big, weil er Bücher liest.

Aber es gibt reich­lich Ersatz­re­li­gio­nen. Ste­ge­mann seziert die­se kri­tisch. Unbe­dingt lesens­wert, grandios.

Bernd Ste­ge­mann: Was vom Glau­ben bleibt. Wege aus der athe­is­ti­schen Apo­ka­lyp­se. Klett-Cot­ta, 280 S., 25 € — hier bestel­len.

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SCHAUEN – Die­ser opu­len­te Band ist sicher etwas für ech­te Biblio­phi­le mit dem etwas grö­ße­ren Geld­beu­tel. Etwas „zum Ver­er­ben“. Man kann wirk­lich stun­den­lang in die­sen groß­ar­ti­gen Por­träts schwel­gen, weil sie zur Essenz, ja: unse­rer Leu­te dringen.

August San­der (1876- 1964) hat sei­ne „Men­schen des Jahr­hun­derts“ in sie­ben Kate­go­rien auf­ge­teilt: Der Bau­er, Der Hand­wer­ker, Die Frau, Die Stän­de, Die Künst­ler, Die Groß­stadt und, tat­säch­lich: Die letz­ten Menschen.

Wir tau­chen hier ganz tief ein in das, was man wohl „Volks­see­le“ nen­nen darf. Die Bil­der stam­men aus den 1910er bis 1950er Jah­ren, die meis­ten aus den Zwan­zi­ger­jah­ren. Schaut euch die „Immo­bi­li­en­mak­le­rin“ an. Den „Jung­bau­ern“, die „Künst­le­rin“, den Phi­lo­so­phen“ (wie schön, Max Sche­ler) den „Fremd­ar­bei­ter“, und bit­te auch die „Blin­den“ und das „Explo­si­ons­op­fer“- das alles sind wir.

Man beden­ke, daß alle Bil­der mit Groß­for­mat­ka­me­ras bei natür­li­chem Licht auf­ge­nom­men wur­den. In einer Zeit, da die Ana­log-Foto­gra­fie am Aus­ster­ben ist, steigt der doku­men­ta­ri­sche Wert die­ses schwer­ge­wich­ti­gen Monu­ments. Was für eine unge­heu­re Wucht, was für ein Werk!!

August San­der: Men­schen des 20. Jahr­hun­derts, Schirm­er und Mosel, 808 Seiten,128 € — hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (9)

ofeliaa

2. Dezember 2024 00:14

Ich sage nicht, man solle das Buch nicht lesen. Ich widerspreche der Aussage, man werde uneingebunden in eine religiöse Gemeinschaft nicht gläubig. Die gesamte Bibel ist Hinweis, dass ein gleichgeschaltetes Gottesverständnis nicht richtig sein KANN. Dies ist damit gemeint, sich «keine Bilder von Gott zu machen» – sobald man Gott verallgemeinert, ist die Botschaft Jesu Christu verloren: Du sollst Gott lieben mit DEINEM ganzen Herzen. Wenn man definiert, WER GOTT IST, wie man zu beten hat, wie die Beziehung aussehen soll – begeht man den grössten Frevel, an der menschlichen Seele. Ihr Heil liegt einzig und allein in der individuellen Beziehung zu Jesus. Kirche und Co. verhindern mit der Gleichschaltung der Rituale unter Umständen diese Entwicklung, den Zustand des DIALOGES. Sind somit gegen den Heiligen Geist – es stellt die grösste Sünde dar, die einzig unverzeihliche – und wieso? Weil sie die persönliche Beziehung (via des Heiligen Geistes) überlagern, bis hin zu unmöglich machen kann. Der einzige Weg zu Gott führt über das INDIVDUELLE Gespräch. In der Stille findet man Gott, nicht umsonst. Stille ist, wenn du alleine bist. Das ist der SCHMALE Weg. Dein Geist kommuniziert allein mit dem Geist Gottes. That`s the whole idea/message. Das ist die frohe Botschaft – doch die frohe Botschaft kommt erst am Schluss, sie ist, sie MUSS bedingt sein, durch einen leidvollen – weil entwicklungsreichen (!) Weg. Weil man ihn alleine gehen muss. -> Um zu merken: Ich bin nicht allein. 

Freier

2. Dezember 2024 03:48

Zur letzten Empfehlung:
Es gibt auf Youtube ein sehr schönes Video mit dem Titel "Das deutsche Volksgesicht", ebenso mit Bildern aus jener Zeit. Das möchte ich empfehlen.

Laurenz

2. Dezember 2024 09:00

@Ofeliaa ... Da Sie nicht abstrakt bleiben, muß ich Ihnen widersprechen. Da Sie in die persönliche Definition von Gott & Jesus gehen, bleiben Sie im Biblischen Kontext. Sie wissen doch gar nicht, wer mit Ihnen kommuniziert. Daß Hildegard von Bingen Ihre Lichtgestalt Gott nannte, war überlebensnotwendig. Neben spirituellen Erfahrungen, die ML hier beschreibt https://sezession.de/69248/einige-gedanken-ueber-magie-1 & klugerweise nur abstrakt Magie nennt, habe ich sehr wohl Spiritualität gemeinsam mit anderen erfahren. Auch Konzerte & Sportfeste können "magisch", also spirituell sein, sogar ein Krieg. Ein in Mark & Bein gehendes Erlebnis war die Karfreitagsprozession in Lohr am Main, wie auch die Teilnahme an vielen Familienaufstellungen. Dort gibt es, wie in aller Magie & Spiritualität, Regeln, aber die begreifen sich eher als naturgesetzlich, nicht moralisch. Der christliche Glaube der ersten 100 Jahre unterschied sich eklatant von dem der nächsten 1.900 Jahre bis heute. Das späte Aufschreiben der Evangelien bildet quasi den Übergang. Der wesentliche Inhalt des christlichen Glaubens im Anfang war die baldige Rückkehr Jesu Christi. Angesichts dessen, brauchte man nichts aufschreiben. Und weder Sie noch ich waren seinerzeit dabei, wissen also nichts, kennen nur Nacherzählungen.

Adler und Drache

2. Dezember 2024 10:54

@Kositza: Zeichnet Stegemann denn wirklich einen "Weg aus der atheistischen Apokalypse"? Hat er eine tragfähige Idee, wie der Glaube zu fördern sei? 
 

Kositza: Es ist natürlich kein Ratgeber mit einer Liste mit 15 wirksamen Tipps hintendrin. Aber er ist sehr, nja, konstruktiv, und die letzten knapp 50 Seiten zeichnen Wege auf.Ich bin wirklich begeistert u. denke, Sie werden es mögen!

Adler und Drache

2. Dezember 2024 11:15

@Laurenz
Die frühen Christen schrieben nichts auf, weil das Aufschreiben im Gegensatz zur öffentlichen Verkündigung etwas Heimliches war, das somit nicht von der Gemeinde beurteilt werden konnte. Ein Akt, der im Verborgenen geschah und bei dem etwas verborgen werden sollte, in der Regel irgendwelche abseitigen Lehren, die mit den apostolischen Lehren nicht übereinstimmten. 
Nicht das Ausbleiben der Parusie (was übrigens die "Gegenwart des Heiligen" bedeutet, nicht eine "Wiederkunft"), nicht die Frage der terminlichen Festlegung endzeitlicher Ereignisse (zu der es höchst unterschiedliche Antwortversuche gab, die aber letztendlich allesamt auf "nischt Genaues weiß man nicht" hinausliefen) motivierte die Niederschrift der Evangelien, sondern die Notwendigkeit, mit orthodoxen Schriften auf die Irrlehre-Schriften zu reagieren.

Gracchus

2. Dezember 2024 13:13

Ich würde alle drei nehmen - bis auf das 3., weil ich schon einen dicken Band von August Sander habe. Man kann sich nur schwer sattsehen daran. 
In den "Stegemann" habe ich digital reingelesen. Erstaunlich. Genannt werden zu Anfang Pieper & Guardini, zwei Autoren, die eben die Fähigkeit besaßen, über die katholische Welt hinauszustrahlen (wobei Stegemann aus dem schwarzen Münster stammt - wie der inzwischen abgedriftete R. Polenz). Liest man die ersten Seiten, kommt man auf den Gedanken, dass Agnostiker das Wesentliche des Glaubens besser erfassen. 
In Sachen "Glauben" kann ich Martin Schleske, international bekannter  Geigenbauer,  empfehlen. 

Gracchus

2. Dezember 2024 13:27

@ofeliaa: schön gesagt; stimme Ihnen zu, mit der Einschränkung, dass dies ein "Zeichen unserer Zeit" ist; auch dies sollte man nicht ver Die Hl. Messe möchte ich indes nicht missen. Ansonsten erwecken die Kirchen den Eindruck, den Herausforderungen der Zeit nicht gewachsen zu sein - das fängt schon mit der Sprache an. 
Ich glaube, @Laurenz, dass @ofeelia Ihre Belehrungen nicht nötig hat.

Diogenes

2. Dezember 2024 14:45

Teil 1/2
 
Volksseele ist der Charakter oder die Essenz durch das Wesen, die Art dessen was Volksgeist und Volkskörper der Deutschen erdenken, erschaffen, in Stadt und Land pflegen/kultivieren, also in Formen, Farben und Klängen von Heimat, Volk und Nation verwirklichen. In dem Sinne muss der aufmerksame Betrachter zwingend das "Wir" bzgl. "Fremdarbeitern" hinterfragen. Es scheint so plastisch-wabernd unfassbar wie die Horizontdefinitionen eines "Links/Rechts-Scheindualismus" oder der Beliebigkeit des Allerlei wurzelloser Zeitgenossen in irgendeiner der Gesprächsrunden der antideutschen Großmedien, die in ihrer Selbstbeweihräucherung tatsächlich meinen der Gastarbeiter/Fremdarbeiter der in Art und Wesen dem Deutschen fremd ist könne in unserer Heimat Wurzel schlagen. Was die Staatspolitik der BRD oder RÖ verschlafen oder bewusst verdrängt haben muss Jahrzehnte später als Gewohnheitsrecht geduldet werden? ...

Diogenes

2. Dezember 2024 14:46

Teil 2/2
 
Nein. Hier geht es um Grundsätzliches/Unvereinbares in der Weltbeschau. Wenn es so wäre wie diese Zeitgenossen behaupten müsste man sich als deutscher Volksangehöriger (und Jahrzehnte/Generationen später) in diesen fremdvölkischen (oder meinetwegen fremdidentitären) Angesiedelten als Spiegelbild der Volksseele wiedererkennen. Ich sehe kein deutsches Spiegelbild in diesen Fremden. Die Volksseele schwindet aus Stadt und Land und schließlich aus dem Gedächtnis und Geist in dem Grad der Duldung der antideutschen Staatspolitik der Überfremdung/Umvolkung.
 
So gehen Völker und ihre Reiche zugrunde. Die ursprünglichen Träger des Volkstums sterben aus und das Schicksal eines z.B. Konstantinopels wird im Anfassen, Schmecken, Sehen, Sprechen, Sein erfassbar. Es ist eine Sache über Schicksal zu lesen und eine andere Schicksal zu erleben. Wobei ich Konstantinopel als Gleichnis wähle, weil sich hier die europäisch-christliche Glaubensgemeinschaft selbst der größte Feind war (der letztliche Niedergang Konstantinopels resultiert in seiner Wurzel aus der Plünderung durch verräterische Kreuzritter und innerreligiöse Rechthaberei). So ist auch der Deutsche sein größter Feind. Wenn er geeint ist, wirkt er große Dinge welche die Vorstellung übersteigen, aber gespalten und uneins, verliert er sich als Großes selbst im Kleinklein. Darin sind wir Spiegelbild des Allbewussten („Völker sind Gedanken/Aspekte Gottes/Göttlicher Ordnung des Universums“).