Fünfzig Jahre Kindergeld

pdf der Druckfassung aus Sezession 8 / Januar 2005

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

sez_nr_8Es ist Eltern­abend. Die Autorin hat Fahr­dienst und außer drei Müt­tern den Säug­ling dabei. „Ach, wie süß“, meint die eine Mit­fah­re­rin zur ande­ren, „da könn­te man doch glatt …– naja, vor­bei ist vor­bei. Aber – nein, wie süß! Elke, wär das nicht was für dich, noch so’n Klei­nes?“ Die Ange­spro­che­ne winkt ab. „Ach, hör mir bloß auf! Wol­len ja, wenn’s bloß ums Wol­len gin­ge! Das ist bei uns ja seit Mona­ten das gro­ße The­ma, des­halb: sei bloß ruhig! Ste­fan löchert mich bald jeden Abend damit: ‚noch ein Baby, ach bit­te, und wie­so nicht …‘“ Ste­fan ist der acht­jäh­ri­ge Sohn von Elke, die außer­dem noch eine zwei Jah­re jün­ge­re Toch­ter, Marie, hat. „Die Hort­ne­rin sagt, immer wenn er sei­ne Haus­auf­ga­ben gemacht hat, will er zu den Krip­pen­kin­dern abdamp­fen, und dann küm­mert er sich ganz rüh­rend um die Klei­nen. Und die Marie, die spielt ja schon immer das alles mit ihren Pup­pen: Wickeln, füt­tern, aus­fah­ren … Was haben wir denen schon erklärt! Ste­fan, sag ich immer, das geht nicht. Das kön­nen wir uns nicht leis­ten. Aber der gibt ja nicht auf! ‚Dann teil ich halt mein Zim­mer‘, sagt der doch glatt. Ich dann: Aber Urlaub, Auto, Fern­se­her – Ste­fan, das wär’ dann alles nicht mehr! Oder möch­test du auf das alles ver­zich­ten: Aus­flü­ge, Geschen­ke? Da wird er dann doch nach­denk­lich. Aber da muß man sich halt ent­schei­den!“ Elke und ihr Mann sind bei­de voll berufs­tä­tig, fah­ren zwei gro­ße Autos und leben im abbe­zahl­ten Eigen­heim. Die ande­re Mut­ter pflich­tet ihr bei: „Ja, ja. Heu­te hat man’s schon schwer. Da muß man sich das gut über­le­gen. Wer hat heu­te schon das Geld?“ Die drit­te nickt zustim­mend. Sie hat selbst fünf Kin­der, 25 die Ältes­te, vier der Jüngs­te. „Heu­te wür­de ich das auch nicht mehr ris­kie­ren.“Am 1. Janu­ar 2005 fei­ert das Kin­der­geld sei­nen fünf­zigs­ten Geburts­tag. Es war Franz-Josef Wuer­me­ling (1900 – 1986), der es der­einst aus der Tau­fe hob. Das fami­li­en­po­li­ti­sche Modell des CDU-Poli­ti­kers hat eine Wür­di­gung ver­dient – es war erfolg­reich wie kei­nes danach.
Das Kin­der­geld-Gesetz wur­de zuvor am 14. Okto­ber 1954 nach einer Kampf­ab­stim­mung gegen den Wil­len von SPD, FDP und Deut­scher Par­tei ver­ab­schie­det. Die CDU /CSU-Frak­ti­on hat­te damals zum ers­ten Mal in ihrer zwei­ten Legis­la­tur­pe­ri­ode die abso­lu­te Mehr­heit angewendet.
Das ers­te Kabi­nett unter Ade­nau­er hat­te noch kein Fami­li­en­mi­nis­te­ri­um geführt, wohl aber eine „Kampf­grup­pe für die Fami­lie“ mit dem fünf­fa­chen Fami­li­en­va­ter Dr. Franz-Josef Wuer­me­ling an der wort­füh­ren­den Spit­ze. Der Katho­lik Wuer­me­ling hat­te bereits im preu­ßi­schen Par­la­ment poli­ti­sche Erfah­rung gesam­melt. Als Lan­des­rat und Finanz­de­zer­nent der Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung Kas­sel wur­de er 1938 aus poli­ti­schen Grün­den zwangspensioniert.
Der Fami­li­en­las­ten­aus­gleich von 1949 sah nur durch steu­er­li­che Frei­be­trä­ge eine Ent­las­tung von Fami­li­en vor. Bezie­her gerin­ger Ein­kom­men konn­ten schwer von die­sen steu­er­li­chen Kin­der­frei­be­trä­gen pro­fi­tie­ren. 1953 wur­de dann der Fami­li­en­po­li­tik der Rang eines Minis­te­ri­ums zuteil, und Wuer­me­ling, stu­dier­ter Rechts­wis­sen­schaft­ler und Volks­wirt­schaft­ler, wur­de als ers­ter Bun­des­mi­nis­ter für Fami­li­en­fra­gen berufen.

Vehe­ment lehn­te Wuer­me­ling es ab, Fami­li­en­po­li­tik unter den Bereich sozia­ler Für­sor­ge zu sub­su­mie­ren. Fami­li­en­po­li­tik sei Staats­po­li­tik, beton­te er wie­der­holt, sie sei eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­be, ein „Anlie­gen des gan­zen Vol­kes und damit für jeden Ver­ant­wort­li­chen und über jeden Inter­es­sen­streit ein­zel­ner Grup­pen erha­ben.“ Wuer­me­ling sah sich als Sprach­rohr des gesell­schaft­li­chen Mit­tel­stan­des, wes­we­gen dem Kin­der­geld­ge­setz von sei­nen Geg­nern auch ein „klas­sen­er­hal­ten­der Cha­rak­ter“ ange­krei­det wur­de. Daß sei­ne Poli­tik einen „Klas­sen­cha­rak­ter“ trug, ist nicht ganz falsch. „Kin­der sind für Staat und Gesell­schaft nicht nur dann von Inter­es­se, wenn sie nicht satt zu essen haben. Sie sind in jeder sozia­len Schicht gleich wich­tig. Des­halb muß auch im Mit­tel­stand und in ande­ren sozi­al bes­ser­ge­stell­ten Schich­ten ver­hin­dert wer­den, daß der Besitz von meh­re­ren Kin­dern prak­tisch zur Aus­sto­ßung die­ser Fami­lie aus ihrer sozia­len Schicht führt“. In der vor­in­dus­tri­el­len, durch Hand­werk und Bau­ern­tum gepräg­ten Wirt­schaft, so führ­te Wuer­me­ling aus, war die Fami­lie selbst der wesent­li­che Trä­ger der Pro­duk­ti­on: „Kin­der waren damals, auch wirt­schaft­lich gese­hen, Nut­zen, nicht Belas­tung. In der Indus­trie­ge­sell­schaft trat an die Stel­le der kol­lek­tiv-fami­li­är erar­bei­te­ten Exis­tenz­grund­la­ge die Tren­nung von Haus­halt und Arbeits­platz. Der nun ange­stell­te Werk­tä­ti­ge erhielt einen Leis­tungs­lohn, des­sen Höhe nicht von der Anzahl der zu ver­sor­gen­den Fami­li­en­mit­glie­der abhängt, son­dern von sei­ner Leis­tung“. Der öko­no­mi­sche Druck, dem somit die kin­der­rei­che Fami­lie im Ver­hält­nis zur kin­der­ar­men aus­ge­setzt wur­de, bewirk­te einen radi­ka­len Rück­gang der Gebur­ten­zif­fern: „Der Leis­tungs­lohn, volks­wirt­schaft­lich eine Not­wen­dig­keit, steht dem Ledi­gen in glei­cher Höhe zu wie dem Fami­li­en­va­ter. Letz­te­rer ist daher mit sei­ner Fami­lie der Ent­beh­rung preis­ge­ge­ben. … In höhe­ren Ein­kom­mens­schich­ten wird die Fami­lie mit meh­re­ren Kin­dern in der Regel vom Lebens­stan­dard ihrer sozia­len Schicht ausgeschlossen“.
Kin­der­rei­che Fami­li­en soll­ten sich „auch wirt­schaft­lich wie­der eini­ger­ma­ßen gleich­be­rech­tigt inner­halb der sozia­len Schich­ten bewe­gen kön­nen, in die sich der Fami­li­en­va­ter durch Fleiß und Leis­tung her­auf­ge­ar­bei­tet“ habe. Die sozia­le Gerech­tig­keit wer­de nicht schon dadurch ver­letzt, daß die Aus­gleichs­leis­tun­gen bei einem Ein­kom­men von 2000 DM höher sind als bei einem Ein­kom­men von 400 DM, mein­te Wuer­me­ling. Es käme „dar­auf an, daß gera­de unse­ren weit­hin kul­tur­tra­gen­den Mit­tel­schich­ten nicht aus­ge­rech­net dann die Erfül­lung ihrer wich­ti­gen kul­tu­rel­len Auf­ga­ben unmög­lich gemacht wird, wenn sie die­se an ihren Kin­dern und damit für unse­re Zukunft wirk­sam wer­den las­sen wol­len“. Die höchs­te steu­er­li­che För­de­rung wur­de Bezie­hern von monat­li­chen Ein­künf­ten zwi­schen 500 und etwa 2200 DM bei min­des­tens drei Kin­dern zuteil. 1961 war das steu­er­li­che Ein­kom­men von Fami­li­en mit Kin­dern 100 Pro­zent höher als 1953. Durch Wuer­me­lings Maß­nah­men wur­den 80 Pro­zent der Fami­li­en mit drei Kin­dern, 90 Pro­zent sol­cher mit vier Kin­dern steu­er­frei. Für Bezie­her nied­rigs­ter Ein­kom­men, die von Steu­er­frei­be­trä­gen nicht pro­fi­tier­ten, for­der­te Wuer­me­ling ein Kin­der­geld bereits ab dem zwei­ten Kind.

Hell­sich­tig beschrieb Wuer­me­ling, wie eine Sing­le­ge­sell­schaft (von der damals frei­lich noch nicht die Rede war) den Markt beherr­schen und damit eine neue „gefühl­te Bedürf­nis­la­ge“ ent­ste­hen wür­de. „Heu­te steht das ‚Gol­de­ne Kalb‘ in Gestalt des rie­si­gen Waren­hau­ses der Augen­blicks­gü­ter in unse­rer Mit­te und lockt uns, nur noch im Heu­te zu leben, nur noch den Griff zu tun nach Kon­sum und Genuß. … So ver­führt schran­ken­lo­ser Kon­sum den Men­schen dazu, Geschicht­lich­keit und eige­ne Bedeu­tung sei­nes Daseins zu ver­ges­sen. Es ver­sklavt ihn an das Heu­te und redu­ziert sein Lebens­ziel auf die Sor­ge um den Lebensstandard“.
Kin­der­lo­se und Kin­der­ar­me wür­den durch ihre wirt­schaft­lich star­ke Kauf­kraft die Pro­duk­ti­on eines Über­ma­ßes luxu­riö­ser Kon­sum­gü­ter pro­vo­zie­ren und sei­en damit in der Lage, einen „maß­geb­li­chen Ein­fluß auf die Ent­wick­lungs­ten­den­zen der gan­zen Pro­duk­ti­on aus­zu­üben. Die­se wird dadurch mehr und mehr der Deckung des eigent­li­chen Lebens­be­darfs ent­frem­det.“ Das Ange­bot des Mark­tes zwin­ge zur Ein­be­zie­hung der Kauf­kraft einer eben­falls erwerbs­tä­ti­gen Frau in die fami­liä­re Gesamt­kauf­kraft. Die „Haus­frau­en­ehe“ stell­te – und stellt heu­te mehr denn je – somit einen Gegen­satz zu den öko­no­mi­schen Inter­es­sen der Indus­trie dar. Damit schließt sich gleich­sam unter der Hand der Kreis zu den von Engels, Bebel und Hork­hei­mer auf­ge­stell­ten For­de­run­gen, die Frau in den Pro­duk­ti­ons­pro­zeß mit­ein­zu­be­zie­hen. Dies wie­der­um ist ein tra­gen­des Ele­ment des sozia­lis­ti­schen Staa­tes: Nur durch Kap­pen des engen Ban­des zwi­schen Mut­ter und Kind, durch Kin­der­be­treu­ung und –erzie­hung in staat­li­chen Ein­rich­tun­gen kön­nen fami­liä­re Struk­tu­ren zuver­läs­sig abge­baut und lang­fris­tig der freie, sozia­lis­ti­sche Mensch geschaf­fen wer­den. Im übri­gen ist die­ser heu­te längst kon­sens­fä­hi­ge Ruf nach – mög­lichst ganz­tä­gi­ger – außer­häus­li­cher Kin­der­be­treu­ung nur eines von zahl­rei­chen fami­li­en­po­li­ti­schen Kon­zep­ten (Abtrei­bungs­recht, flä­chen­de­cken­de Ver­sor­gung mit Kon­tra­zep­ti­va, Gleich­stel­lung jeg­li­cher „Familien“-formen mit der Ehe, Schei­dungs­recht), wel­che die heu­ti­ge Poli­tik samt gesell­schaft­lich rele­van­ter Kräf­te naht­los von den mar­xis­ti­schen 68er-Vor­vä­tern Reich, Hork­hei­mer und Mar­cu­se über­nom­men haben.
Wuer­me­ling dem­ge­gen­über beton­te den Vor­rang der För­de­rung „inner­lich gesun­der Fami­li­en“ und daß „unse­re Kin­der nicht Kin­der des Staa­tes, son­dern Kin­der der Fami­lie“ sei­en. Eine eigent­lich bana­le Aus­sa­ge, deren Selbst­ver­ständ­lich­keit in heu­ti­gen Dis­kus­sio­nen an den Rand gedrängt wird. Zeit­ge­nös­si­scher Fami­li­en­po­li­tik gilt das Kind par­tei­über­grei­fend und unver­brämt als öko­no­mi­scher Faktor.
Einen vol­len finan­zi­el­len Aus­gleich zur Deckung der Kin­der­kos­ten streb­te Wuer­me­ling indes nicht an. Kin­der­geld soll­te allen­falls ein Drit­tel der tat­säch­li­chen Kos­ten decken. Gegen einen hun­dert­pro­zen­ti­gen Aus­gleich sprä­chen neben wirt­schaft­li­chen Grün­den vor allem ethi­sche Erwä­gun­gen: „Der Zwang zum Ver­zicht auf mate­ri­el­le Güter bedeu­tet auch sitt­li­che Stär­ke. … Die Opfer­be­reit­schaft, zu der die Mehr­kind­fa­mi­lie gezwun­gen ist, ist auch ihre sitt­li­che Stär­ke und hat den güns­tigs­ten Ein­fluß auf ihre Cha­rak­ter­bil­dung.“ Wohl­stand soll­te nicht als Mög­lich­keit erwei­ter­ten Kon­sums ver­stan­den wer­den: „Wohl­stand für alle heißt: Frei­heit und Selbst­ver­ant­wor­tung eines jeden. Wohl­stand hat einen inne­ren Sinn, der … sich nicht dar­in erschöpft, den Men­schen von der Sor­ge um sei­ne mate­ri­el­le Exis­tenz zu befrei­en. Wohl­stand will Frei­heit des Wer­dens und Unab­hän­gig­keit der per­so­nen­haf­ten Ent­schei­dung ermög­li­chen. Wohl­stand zielt dar­auf, daß die Exis­tenz des Bür­gers nicht zuerst auf den Staat, auf das Kol­lek­tiv, son­dern auf ihn selbst gegrün­det ist.“

Wäh­rend noch der Fami­li­en­be­richt von 1968 von durch­schnitt­li­chen Auf­wen­dun­gen in Höhe von 135 Mark pro Kind und Monat aus­ging, wird das Exis­tenz­mi­ni­mum (das ja nicht den Durch­schnitt, son­dern die unters­te Gren­ze bezeich­net) eines Kin­des heu­te mit 288 Euro monat­lich bezif­fert, die durch­schnitt­li­chen Auf­wen­dun­gen – wobei unklar bleibt, was dar­in ein­ge­rech­net ist – betra­gen laut Rena­te Schmidt gar 1188 Euro.
Es mag an dem unse­li­gen Erbe der erst ein Jahr­zehnt über­wun­de­nen NS-Poli­tik gele­gen haben, daß Wuer­me­ling von dem Begriff der Bevöl­ke­rungs­po­li­tik betont Abstand hielt. Dazu kam ein christ­li­cher und lebens­ge­setz­li­cher Anspruch: Bevöl­ke­rungs­po­li­tik ernied­ri­ge „den Men­schen und die Fami­lie zu Funk­tio­nä­ren des Kol­lek­tivs und ent­weiht den hei­li­gen Bereich der Ehe und Fami­lie zu men­schen­un­wür­di­gem Funk­tio­närs­tum“, befand der Poli­ti­ker. Nicht Quan­ti­tät, son­dern Qua­li­tät möge zäh­len. Dem­nach soll­te Fami­li­en­po­li­tik so gestal­tet und struk­tu­riert wer­den, daß sie in opti­ma­ler Wei­se zur Staats­er­hal­tung und –sta­bi­li­sie­rung beitrage.
Obgleich also der­ar­ti­ge Sekun­där­wir­kun­gen nach Wuer­me­lings Dafür­hal­ten als eher irrele­vant erach­tet wur­den, zei­tig­ten sei­ne Maß­nah­men über­deut­li­che Wir­kung in den Gebur­ten­ra­ten. Der Zahl von rund 780. 000 Gebur­ten bei sei­nem Amts­an­tritt 1953 stan­den sie­ben Jah­re spä­ter etwa 950.000 Neu­ge­bo­re­ne gegen­über – mit Todes­fäl­len abge­gli­chen bedeu­te­te dies einen Gebur­ten­über­schuß von 6,4 Pro­zent. Wäh­rend unter den Ehe­jahr­gän­gen 1947 – 1950 45 Pro­zent der Paa­re mehr als ein Kind hat­ten, waren es bei den Ehe­jahr­gän­gen 1961 – 1963 67 Prozent.
Vor Wuer­me­lings Amts­an­tritt pro­pa­gier­ten 8 Pro­zent das Ide­al der Kin­der­lo­sig­keit, wei­te­re 19 Pro­zent hiel­ten die Ein-Kind-Ehe für wün­schens­wert, 50 Pro­zent die Zwei-Kind-Fami­lie. Bereits 1958 hat­te sich das Bild deut­lich zuguns­ten der kin­der­rei­chen Fami­lie ver­scho­ben. Nur­mehr 1 Pro­zent der Befrag­ten streb­ten die Kin­der­lo­sig­keit an, 4 Pro­zent wünsch­ten ein, 46 Pro­zent zwei, 38 Pro­zent drei Kinder.
Wel­che Bedeu­tung die Vor­stel­lung einer „idea­len Kin­der­zahl“ hat, kann man anhand der jüngst ver­öf­fent­lich­ten Zah­len ermes­sen: Kin­der­wunsch und tat­säch­li­che Kin­der­zahl haben sich bin­nen der letz­ten Jah­re bei­na­he ange­gli­chen, wäh­rend zuvor dem eigent­lich favo­ri­sier­ten Zwei-bis drei-Kin­der-Modell nur die gesell­schaft­li­chen Umstän­de ent­ge­gen­zu­ste­hen schie­nen. 16 Pro­zent der 18 – 34jährigen Deut­schen wol­len heu­te kin­der­los blei­ben – euro­pa­weit sind es wenig mehr als fünf von Hundert.
Zu den Maß­nah­men des Wuer­me­lingschen Minis­te­ri­ums zähl­ten neben Kin­der­geld und steu­er­li­chem Fami­li­en­las­ten­aus­gleich die För­de­rung fami­liä­ren Wohn­ei­gen­tums, ein stren­ges Schei­dungs­recht, das die Schei­dung gegen den Wil­len des schuld­los geblie­be­nen Gat­ten ver­bot (und damit NS-Recht ver­schärf­te), ver­stärk­ter Schutz schuld­los ver­las­se­ner Müt­ter und Kin­der sowie eine Fahr­preis­er­mä­ßi­gung bei der Bun­des­bahn. In der Durch­set­zung jenes soge­nann­ten „Wuer­me­ling-Pas­ses“, der eine Hal­bie­rung des Stre­cken­ta­rifs für Kin­der aus kin­der­rei­chen Fami­li­en bis zum Alter von 25 Jah­ren bedeu­te­te, hat der Name die­ses pro­fi­lier­ten Poli­ti­kers übri­gens bis in die Neun­zi­ger Jahr über­lebt. Erst unter der Ägi­de Clau­dia Nol­tes wur­de die­se Fahr­preis­er­mä­ßi­gung abgeschafft.

Über­haupt ging es nach Wuer­me­lings Ära im wesent­li­chen abwärts. Der Minis­ter, der sich zeit sei­nes Wir­kens hef­tigs­ter Kri­tik der ande­ren Par­tei­en aus­ge­setzt sah und am Ende star­ke Dif­fe­ren­zen mit Kohl aus­trug, schied 1962 aus der Regie­rung. Noch unter sei­nem Nach­fol­ger Bru­no Heck (1963 – 1968), der das Kin­der­geld auf 50 DM für das drit­te, 60 für das vier­te und 70 für das fünf­te Kind anhob, wur­de weit­ge­hend (minus Kon­sum­kri­tik, dafür deut­lich atlan­tisch geprägt) eine Fami­li­en­po­li­tik betrie­ben, die die­sen Namen wohl ver­dien­te. Wie sein Vor­gän­ger wand­te er – übri­gens selbst Vater von sechs Kin­dern – sich gegen ver­sor­gungs­staat­li­ches Den­ken und woll­te die fami­liä­re Erzie­hung in den Mit­tel­punkt der mensch­li­chen Sozia­li­sa­ti­on gestellt sehen: „Die Fami­lie kann ihre urei­gens­te Auf­ga­be nur dann erfül­len, wenn Staat und Gesell­schaft ihr Schutz und Hil­fe gewäh­ren, sie kann nicht ein­fach dar­auf ver­wie­sen wer­den, sich an die gesell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen anzu­pas­sen, die sich dau­ernd verändern.“
An den fol­gen­den Fami­li­en­mi­nis­tern wird deut­lich, daß es mit­nich­ten die poli­ti­sche Lin­ke war, die die Auf­lö­sung der alten Fami­li­en­struk­tu­ren und ethi­scher Vor­stel­lun­gen vor­an­trieb. Bereits Aen­ne Brauk­sie­pe enga­gier­te sich vehe­ment für Ganz­tags­schu­len, unter Hei­ner Geiß­lers Ägi­de – in der immer­hin Erzie­hungs­geld und -„urlaub“ eta­bliert wur­den – ersetz­te man den längst alt­ba­cken anmu­ten­de Begriff der Gat­ten­lie­be durch den aus der Wirt­schaft ent­lehn­ten Ter­mi­nus der „Part­ner­schaft“, die Hob­by-Katho­li­kin Rita Süss­muth (1985 – 1988) säku­la­ri­sier­te die Ehe voll­ends und bahn­te die Gleich­stel­lung von Ver­hei­ra­te­ten mit Lebens­part­ner­schaf­ten an – auch wenn die Defi­ni­ti­on „Fami­lie ist, wo man gemein­sam aus einem Kühl­schrank ißt“ nicht von Frau Pro­fes­sor stammt. Ursu­la Lehr (1988 – 1991) brach­te die For­de­rung nach einem Aus­bau von Krip­pen und Krab­bel­stu­ben („Selbst­ver­wirk­li­chung“ der Mut­ter!) auf die bis heu­te aktu­el­le poli­ti­sche Tages­ord­nung, und unter Han­ne­lo­re Rönsch wur­de der Schwan­ger­schafts­ab­bruch per „sozia­ler Indi­ka­ti­on“ (jed­we­de dro­hen­de „Über­for­de­rung“ der wer­den­den Mut­ter) Gesetz.
Ange­sichts die­ser Atta­cken gegen das Kind blie­ben fami­li­en­po­lit­sche Maß­nah­men Augen­wi­sche­rei. Erst 1975 wur­de durch Katha­ri­na Focke (SPD) ein Kin­der­geld auch für das ers­te Kind in Höhe von 50 DM ein­ge­führt. Unter Chris­ti­ne Berg­mann schließ­lich, der Fami­li­en­mi­nis­te­rin im ers­ten Schrö­der­schen Kabi­nett, wur­de das Kin­der­geld auf die heu­te gül­ti­ge Höhe von 154 Euro für jeweils die ers­ten drei Kin­der und 179 Euro für jedes wei­te­re Kind angehoben.
Eine Fami­lie mit drei Kin­dern erhält somit in unse­rem Land 462 Euro Kin­der­geld, bis zum zwei­ten Lebens­jahr inner­halb gewis­ser Ein­kom­mens­gren­zen zusätz­lich 300 Euro Erzie­hungs­geld pro Monat. Steu­er­li­che Kin­der­frei­be­trä­ge und beacht­li­che wei­te­re Leis­tun­gen wie Bau­kin­der­geld, Miet­zu­schüs­se (wozu man nicht Bezie­her von Sozi­al­hil­fe zu sein braucht!) und die kos­ten­freie Mit­ver­si­che­rung in den gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen kom­men hin­zu. Das sind weder Almo­sen, noch kenn­zeich­net dies, wie oft blind­lings behaup­tet, im euro­pa­wei­ten Ver­gleich eine stief­müt­ter­li­che Fami­li­en­po­li­tik. Den­noch wur­den zu kei­ner Zeit weni­ger Kin­der gebo­ren als heu­te und hier, im sat­ten Hartz IV-Land der Zweit­wa­gen, Dritt­fern­se­her und des Tou­ris­mus­booms. Daß unser Land mehr Kin­der braucht, ist ein Kon­sen­s­the­ma wie kaum ein ande­res, Fami­li­en­po­li­tik als „Gedöns“ (Ger­hard Schrö­der) zu bezeich­nen, wagt heu­te nie­mand mehr.

Die Fron­ten der vor­ge­schla­ge­nen Rezep­te wider den Gebär­streik sind durch­läs­sig, ver­lau­fen aber unge­fähr wie folgt: Wäh­rend Kon­ser­va­ti­ve heu­te eher dazu ten­die­ren, dem „Beruf Mut­ter“ durch Erhö­hung geld­wer­ter Anrei­ze zu ver­stärk­ter Aner­ken­nung zu ver­hel­fen, geht die pro­gres­si­ve Rede ver­mehrt von der zu ver­bes­sern­den Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf – als wäre die viel­fach her­auf­be­schwo­re­ne „Zwick­müh­le Kind oder Kar­rie­re“ tat­säch­lich das Züng­lein an der Waa­ge, wo es um eine wahr­haft exis­ten­ti­el­le, vita­le Ent­schei­dung gehen soll­te. Kar­rie­re, die­ses tau­send­fach nach­ge­plap­per­te Echo­wort, bedeu­tet doch den gesell­schaft­li­chen, sich peku­ni­är nie­der­schla­gen­den beruf­li­chen Auf­stieg durch vol­les Enga­ge­ment, meint geis­ti­ge Her­aus­for­de­rung und see­li­sche Erfül­lung – das Gros der Super­markt­kas­sie­re­rin­nen, Bank­kauf­frau­en und Tele­fo­nis­tin­nen dürf­te dabei nicht gemeint sein. Den Wil­len zum Kind, zu Kin­dern wird – wel­che Regie­rung auch immer – weder durch Krip­pe und Hort oder die der­zeit pro­pa­gier­ten „Loka­len Fami­li­en­bünd­nis­se“ noch durch wei­ter ver­stärk­te Finanz­leis­tun­gen in Köp­fe und Her­zen implementieren.
Edmund Stoi­ber hat­te im Wahl­kampf­jahr 2002 die Ein­füh­rung eines Fami­li­en­gel­des von bis zu 600 Euro pro Kind in Aus­sicht gestellt. Schrö­ders Ver­spre­chen, in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode das Kin­der­geld von 154 auf 200 Euro auf­zu­sto­cken, ist bis­her nicht ein­ge­löst wor­den. In ihrem pro­gram­ma­ti­schen Buch S.O.S. Fami­lie nennt Minis­te­rin Rena­te Schmidt, die dar­in so sym­pa­thisch-hand­fest wie ande­rer­seits auch ideo­lo­gisch ver­irrt argu­men­tiert, Beden­ken gegen eine gren­zen­lo­se Anhe­bung finan­zi­el­ler Anrei­ze: all­zu „groß­zü­gig bemes­se­ne Ali­men­te“ könn­ten „dazu füh­ren, zusätz­li­che Kin­der in die Welt zu set­zen, um den Brannt­wein­kon­sum des Erzeu­gers zu maxi­mie­ren“. Sol­cher Aus­sa­ge dürf­te Wuer­me­ling wohl zuge­stimmt haben. Die staats­bür­ger­li­che Sub­stanz, die der Fami­li­en­po­li­ti­ker der­einst vor­ge­fun­den hat­te, war eine ande­re als die heu­ti­ge. Er tat sein mög­li­ches, sie zu erhal­ten und zu bes­sern. Noch ein­mal Wuer­me­ling: „Es darf nicht über­se­hen wer­den, daß alle staat­li­che Fami­li­en­po­li­tik auf die Dau­er erfolg­los blei­ben muß, wenn die inne­re ethi­sche Kraft­quel­le in der Fami­lie ver­lo­ren­geht. Über allen wirt­schaft­li­chen Erwä­gun­gen und Maß­nah­men steht das Sit­ten­ge­setz als wich­tigs­te Grund­la­ge von Fami­lie, Volk und Staat.“ Sol­che Rede frei­lich ist gänz­lich inop­por­tun im Zeit­al­ter der Mas­sen und der „Bevöl­ke­run­gen“.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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