Es ist Elternabend. Die Autorin hat Fahrdienst und außer drei Müttern den Säugling dabei. „Ach, wie süß“, meint die eine Mitfahrerin zur anderen, „da könnte man doch glatt …– naja, vorbei ist vorbei. Aber – nein, wie süß! Elke, wär das nicht was für dich, noch so’n Kleines?“ Die Angesprochene winkt ab. „Ach, hör mir bloß auf! Wollen ja, wenn’s bloß ums Wollen ginge! Das ist bei uns ja seit Monaten das große Thema, deshalb: sei bloß ruhig! Stefan löchert mich bald jeden Abend damit: ‚noch ein Baby, ach bitte, und wieso nicht …‘“ Stefan ist der achtjährige Sohn von Elke, die außerdem noch eine zwei Jahre jüngere Tochter, Marie, hat. „Die Hortnerin sagt, immer wenn er seine Hausaufgaben gemacht hat, will er zu den Krippenkindern abdampfen, und dann kümmert er sich ganz rührend um die Kleinen. Und die Marie, die spielt ja schon immer das alles mit ihren Puppen: Wickeln, füttern, ausfahren … Was haben wir denen schon erklärt! Stefan, sag ich immer, das geht nicht. Das können wir uns nicht leisten. Aber der gibt ja nicht auf! ‚Dann teil ich halt mein Zimmer‘, sagt der doch glatt. Ich dann: Aber Urlaub, Auto, Fernseher – Stefan, das wär’ dann alles nicht mehr! Oder möchtest du auf das alles verzichten: Ausflüge, Geschenke? Da wird er dann doch nachdenklich. Aber da muß man sich halt entscheiden!“ Elke und ihr Mann sind beide voll berufstätig, fahren zwei große Autos und leben im abbezahlten Eigenheim. Die andere Mutter pflichtet ihr bei: „Ja, ja. Heute hat man’s schon schwer. Da muß man sich das gut überlegen. Wer hat heute schon das Geld?“ Die dritte nickt zustimmend. Sie hat selbst fünf Kinder, 25 die Älteste, vier der Jüngste. „Heute würde ich das auch nicht mehr riskieren.“Am 1. Januar 2005 feiert das Kindergeld seinen fünfzigsten Geburtstag. Es war Franz-Josef Wuermeling (1900 – 1986), der es dereinst aus der Taufe hob. Das familienpolitische Modell des CDU-Politikers hat eine Würdigung verdient – es war erfolgreich wie keines danach.
Das Kindergeld-Gesetz wurde zuvor am 14. Oktober 1954 nach einer Kampfabstimmung gegen den Willen von SPD, FDP und Deutscher Partei verabschiedet. Die CDU /CSU-Fraktion hatte damals zum ersten Mal in ihrer zweiten Legislaturperiode die absolute Mehrheit angewendet.
Das erste Kabinett unter Adenauer hatte noch kein Familienministerium geführt, wohl aber eine „Kampfgruppe für die Familie“ mit dem fünffachen Familienvater Dr. Franz-Josef Wuermeling an der wortführenden Spitze. Der Katholik Wuermeling hatte bereits im preußischen Parlament politische Erfahrung gesammelt. Als Landesrat und Finanzdezernent der Provinzialverwaltung Kassel wurde er 1938 aus politischen Gründen zwangspensioniert.
Der Familienlastenausgleich von 1949 sah nur durch steuerliche Freibeträge eine Entlastung von Familien vor. Bezieher geringer Einkommen konnten schwer von diesen steuerlichen Kinderfreibeträgen profitieren. 1953 wurde dann der Familienpolitik der Rang eines Ministeriums zuteil, und Wuermeling, studierter Rechtswissenschaftler und Volkswirtschaftler, wurde als erster Bundesminister für Familienfragen berufen.
Vehement lehnte Wuermeling es ab, Familienpolitik unter den Bereich sozialer Fürsorge zu subsumieren. Familienpolitik sei Staatspolitik, betonte er wiederholt, sie sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ein „Anliegen des ganzen Volkes und damit für jeden Verantwortlichen und über jeden Interessenstreit einzelner Gruppen erhaben.“ Wuermeling sah sich als Sprachrohr des gesellschaftlichen Mittelstandes, weswegen dem Kindergeldgesetz von seinen Gegnern auch ein „klassenerhaltender Charakter“ angekreidet wurde. Daß seine Politik einen „Klassencharakter“ trug, ist nicht ganz falsch. „Kinder sind für Staat und Gesellschaft nicht nur dann von Interesse, wenn sie nicht satt zu essen haben. Sie sind in jeder sozialen Schicht gleich wichtig. Deshalb muß auch im Mittelstand und in anderen sozial bessergestellten Schichten verhindert werden, daß der Besitz von mehreren Kindern praktisch zur Ausstoßung dieser Familie aus ihrer sozialen Schicht führt“. In der vorindustriellen, durch Handwerk und Bauerntum geprägten Wirtschaft, so führte Wuermeling aus, war die Familie selbst der wesentliche Träger der Produktion: „Kinder waren damals, auch wirtschaftlich gesehen, Nutzen, nicht Belastung. In der Industriegesellschaft trat an die Stelle der kollektiv-familiär erarbeiteten Existenzgrundlage die Trennung von Haushalt und Arbeitsplatz. Der nun angestellte Werktätige erhielt einen Leistungslohn, dessen Höhe nicht von der Anzahl der zu versorgenden Familienmitglieder abhängt, sondern von seiner Leistung“. Der ökonomische Druck, dem somit die kinderreiche Familie im Verhältnis zur kinderarmen ausgesetzt wurde, bewirkte einen radikalen Rückgang der Geburtenziffern: „Der Leistungslohn, volkswirtschaftlich eine Notwendigkeit, steht dem Ledigen in gleicher Höhe zu wie dem Familienvater. Letzterer ist daher mit seiner Familie der Entbehrung preisgegeben. … In höheren Einkommensschichten wird die Familie mit mehreren Kindern in der Regel vom Lebensstandard ihrer sozialen Schicht ausgeschlossen“.
Kinderreiche Familien sollten sich „auch wirtschaftlich wieder einigermaßen gleichberechtigt innerhalb der sozialen Schichten bewegen können, in die sich der Familienvater durch Fleiß und Leistung heraufgearbeitet“ habe. Die soziale Gerechtigkeit werde nicht schon dadurch verletzt, daß die Ausgleichsleistungen bei einem Einkommen von 2000 DM höher sind als bei einem Einkommen von 400 DM, meinte Wuermeling. Es käme „darauf an, daß gerade unseren weithin kulturtragenden Mittelschichten nicht ausgerechnet dann die Erfüllung ihrer wichtigen kulturellen Aufgaben unmöglich gemacht wird, wenn sie diese an ihren Kindern und damit für unsere Zukunft wirksam werden lassen wollen“. Die höchste steuerliche Förderung wurde Beziehern von monatlichen Einkünften zwischen 500 und etwa 2200 DM bei mindestens drei Kindern zuteil. 1961 war das steuerliche Einkommen von Familien mit Kindern 100 Prozent höher als 1953. Durch Wuermelings Maßnahmen wurden 80 Prozent der Familien mit drei Kindern, 90 Prozent solcher mit vier Kindern steuerfrei. Für Bezieher niedrigster Einkommen, die von Steuerfreibeträgen nicht profitierten, forderte Wuermeling ein Kindergeld bereits ab dem zweiten Kind.
Hellsichtig beschrieb Wuermeling, wie eine Singlegesellschaft (von der damals freilich noch nicht die Rede war) den Markt beherrschen und damit eine neue „gefühlte Bedürfnislage“ entstehen würde. „Heute steht das ‚Goldene Kalb‘ in Gestalt des riesigen Warenhauses der Augenblicksgüter in unserer Mitte und lockt uns, nur noch im Heute zu leben, nur noch den Griff zu tun nach Konsum und Genuß. … So verführt schrankenloser Konsum den Menschen dazu, Geschichtlichkeit und eigene Bedeutung seines Daseins zu vergessen. Es versklavt ihn an das Heute und reduziert sein Lebensziel auf die Sorge um den Lebensstandard“.
Kinderlose und Kinderarme würden durch ihre wirtschaftlich starke Kaufkraft die Produktion eines Übermaßes luxuriöser Konsumgüter provozieren und seien damit in der Lage, einen „maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklungstendenzen der ganzen Produktion auszuüben. Diese wird dadurch mehr und mehr der Deckung des eigentlichen Lebensbedarfs entfremdet.“ Das Angebot des Marktes zwinge zur Einbeziehung der Kaufkraft einer ebenfalls erwerbstätigen Frau in die familiäre Gesamtkaufkraft. Die „Hausfrauenehe“ stellte – und stellt heute mehr denn je – somit einen Gegensatz zu den ökonomischen Interessen der Industrie dar. Damit schließt sich gleichsam unter der Hand der Kreis zu den von Engels, Bebel und Horkheimer aufgestellten Forderungen, die Frau in den Produktionsprozeß miteinzubeziehen. Dies wiederum ist ein tragendes Element des sozialistischen Staates: Nur durch Kappen des engen Bandes zwischen Mutter und Kind, durch Kinderbetreuung und –erziehung in staatlichen Einrichtungen können familiäre Strukturen zuverlässig abgebaut und langfristig der freie, sozialistische Mensch geschaffen werden. Im übrigen ist dieser heute längst konsensfähige Ruf nach – möglichst ganztägiger – außerhäuslicher Kinderbetreuung nur eines von zahlreichen familienpolitischen Konzepten (Abtreibungsrecht, flächendeckende Versorgung mit Kontrazeptiva, Gleichstellung jeglicher „Familien“-formen mit der Ehe, Scheidungsrecht), welche die heutige Politik samt gesellschaftlich relevanter Kräfte nahtlos von den marxistischen 68er-Vorvätern Reich, Horkheimer und Marcuse übernommen haben.
Wuermeling demgegenüber betonte den Vorrang der Förderung „innerlich gesunder Familien“ und daß „unsere Kinder nicht Kinder des Staates, sondern Kinder der Familie“ seien. Eine eigentlich banale Aussage, deren Selbstverständlichkeit in heutigen Diskussionen an den Rand gedrängt wird. Zeitgenössischer Familienpolitik gilt das Kind parteiübergreifend und unverbrämt als ökonomischer Faktor.
Einen vollen finanziellen Ausgleich zur Deckung der Kinderkosten strebte Wuermeling indes nicht an. Kindergeld sollte allenfalls ein Drittel der tatsächlichen Kosten decken. Gegen einen hundertprozentigen Ausgleich sprächen neben wirtschaftlichen Gründen vor allem ethische Erwägungen: „Der Zwang zum Verzicht auf materielle Güter bedeutet auch sittliche Stärke. … Die Opferbereitschaft, zu der die Mehrkindfamilie gezwungen ist, ist auch ihre sittliche Stärke und hat den günstigsten Einfluß auf ihre Charakterbildung.“ Wohlstand sollte nicht als Möglichkeit erweiterten Konsums verstanden werden: „Wohlstand für alle heißt: Freiheit und Selbstverantwortung eines jeden. Wohlstand hat einen inneren Sinn, der … sich nicht darin erschöpft, den Menschen von der Sorge um seine materielle Existenz zu befreien. Wohlstand will Freiheit des Werdens und Unabhängigkeit der personenhaften Entscheidung ermöglichen. Wohlstand zielt darauf, daß die Existenz des Bürgers nicht zuerst auf den Staat, auf das Kollektiv, sondern auf ihn selbst gegründet ist.“
Während noch der Familienbericht von 1968 von durchschnittlichen Aufwendungen in Höhe von 135 Mark pro Kind und Monat ausging, wird das Existenzminimum (das ja nicht den Durchschnitt, sondern die unterste Grenze bezeichnet) eines Kindes heute mit 288 Euro monatlich beziffert, die durchschnittlichen Aufwendungen – wobei unklar bleibt, was darin eingerechnet ist – betragen laut Renate Schmidt gar 1188 Euro.
Es mag an dem unseligen Erbe der erst ein Jahrzehnt überwundenen NS-Politik gelegen haben, daß Wuermeling von dem Begriff der Bevölkerungspolitik betont Abstand hielt. Dazu kam ein christlicher und lebensgesetzlicher Anspruch: Bevölkerungspolitik erniedrige „den Menschen und die Familie zu Funktionären des Kollektivs und entweiht den heiligen Bereich der Ehe und Familie zu menschenunwürdigem Funktionärstum“, befand der Politiker. Nicht Quantität, sondern Qualität möge zählen. Demnach sollte Familienpolitik so gestaltet und strukturiert werden, daß sie in optimaler Weise zur Staatserhaltung und –stabilisierung beitrage.
Obgleich also derartige Sekundärwirkungen nach Wuermelings Dafürhalten als eher irrelevant erachtet wurden, zeitigten seine Maßnahmen überdeutliche Wirkung in den Geburtenraten. Der Zahl von rund 780. 000 Geburten bei seinem Amtsantritt 1953 standen sieben Jahre später etwa 950.000 Neugeborene gegenüber – mit Todesfällen abgeglichen bedeutete dies einen Geburtenüberschuß von 6,4 Prozent. Während unter den Ehejahrgängen 1947 – 1950 45 Prozent der Paare mehr als ein Kind hatten, waren es bei den Ehejahrgängen 1961 – 1963 67 Prozent.
Vor Wuermelings Amtsantritt propagierten 8 Prozent das Ideal der Kinderlosigkeit, weitere 19 Prozent hielten die Ein-Kind-Ehe für wünschenswert, 50 Prozent die Zwei-Kind-Familie. Bereits 1958 hatte sich das Bild deutlich zugunsten der kinderreichen Familie verschoben. Nurmehr 1 Prozent der Befragten strebten die Kinderlosigkeit an, 4 Prozent wünschten ein, 46 Prozent zwei, 38 Prozent drei Kinder.
Welche Bedeutung die Vorstellung einer „idealen Kinderzahl“ hat, kann man anhand der jüngst veröffentlichten Zahlen ermessen: Kinderwunsch und tatsächliche Kinderzahl haben sich binnen der letzten Jahre beinahe angeglichen, während zuvor dem eigentlich favorisierten Zwei-bis drei-Kinder-Modell nur die gesellschaftlichen Umstände entgegenzustehen schienen. 16 Prozent der 18 – 34jährigen Deutschen wollen heute kinderlos bleiben – europaweit sind es wenig mehr als fünf von Hundert.
Zu den Maßnahmen des Wuermelingschen Ministeriums zählten neben Kindergeld und steuerlichem Familienlastenausgleich die Förderung familiären Wohneigentums, ein strenges Scheidungsrecht, das die Scheidung gegen den Willen des schuldlos gebliebenen Gatten verbot (und damit NS-Recht verschärfte), verstärkter Schutz schuldlos verlassener Mütter und Kinder sowie eine Fahrpreisermäßigung bei der Bundesbahn. In der Durchsetzung jenes sogenannten „Wuermeling-Passes“, der eine Halbierung des Streckentarifs für Kinder aus kinderreichen Familien bis zum Alter von 25 Jahren bedeutete, hat der Name dieses profilierten Politikers übrigens bis in die Neunziger Jahr überlebt. Erst unter der Ägide Claudia Noltes wurde diese Fahrpreisermäßigung abgeschafft.
Überhaupt ging es nach Wuermelings Ära im wesentlichen abwärts. Der Minister, der sich zeit seines Wirkens heftigster Kritik der anderen Parteien ausgesetzt sah und am Ende starke Differenzen mit Kohl austrug, schied 1962 aus der Regierung. Noch unter seinem Nachfolger Bruno Heck (1963 – 1968), der das Kindergeld auf 50 DM für das dritte, 60 für das vierte und 70 für das fünfte Kind anhob, wurde weitgehend (minus Konsumkritik, dafür deutlich atlantisch geprägt) eine Familienpolitik betrieben, die diesen Namen wohl verdiente. Wie sein Vorgänger wandte er – übrigens selbst Vater von sechs Kindern – sich gegen versorgungsstaatliches Denken und wollte die familiäre Erziehung in den Mittelpunkt der menschlichen Sozialisation gestellt sehen: „Die Familie kann ihre ureigenste Aufgabe nur dann erfüllen, wenn Staat und Gesellschaft ihr Schutz und Hilfe gewähren, sie kann nicht einfach darauf verwiesen werden, sich an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen, die sich dauernd verändern.“
An den folgenden Familienministern wird deutlich, daß es mitnichten die politische Linke war, die die Auflösung der alten Familienstrukturen und ethischer Vorstellungen vorantrieb. Bereits Aenne Brauksiepe engagierte sich vehement für Ganztagsschulen, unter Heiner Geißlers Ägide – in der immerhin Erziehungsgeld und -„urlaub“ etabliert wurden – ersetzte man den längst altbacken anmutende Begriff der Gattenliebe durch den aus der Wirtschaft entlehnten Terminus der „Partnerschaft“, die Hobby-Katholikin Rita Süssmuth (1985 – 1988) säkularisierte die Ehe vollends und bahnte die Gleichstellung von Verheirateten mit Lebenspartnerschaften an – auch wenn die Definition „Familie ist, wo man gemeinsam aus einem Kühlschrank ißt“ nicht von Frau Professor stammt. Ursula Lehr (1988 – 1991) brachte die Forderung nach einem Ausbau von Krippen und Krabbelstuben („Selbstverwirklichung“ der Mutter!) auf die bis heute aktuelle politische Tagesordnung, und unter Hannelore Rönsch wurde der Schwangerschaftsabbruch per „sozialer Indikation“ (jedwede drohende „Überforderung“ der werdenden Mutter) Gesetz.
Angesichts dieser Attacken gegen das Kind blieben familienpolitsche Maßnahmen Augenwischerei. Erst 1975 wurde durch Katharina Focke (SPD) ein Kindergeld auch für das erste Kind in Höhe von 50 DM eingeführt. Unter Christine Bergmann schließlich, der Familienministerin im ersten Schröderschen Kabinett, wurde das Kindergeld auf die heute gültige Höhe von 154 Euro für jeweils die ersten drei Kinder und 179 Euro für jedes weitere Kind angehoben.
Eine Familie mit drei Kindern erhält somit in unserem Land 462 Euro Kindergeld, bis zum zweiten Lebensjahr innerhalb gewisser Einkommensgrenzen zusätzlich 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat. Steuerliche Kinderfreibeträge und beachtliche weitere Leistungen wie Baukindergeld, Mietzuschüsse (wozu man nicht Bezieher von Sozialhilfe zu sein braucht!) und die kostenfreie Mitversicherung in den gesetzlichen Krankenkassen kommen hinzu. Das sind weder Almosen, noch kennzeichnet dies, wie oft blindlings behauptet, im europaweiten Vergleich eine stiefmütterliche Familienpolitik. Dennoch wurden zu keiner Zeit weniger Kinder geboren als heute und hier, im satten Hartz IV-Land der Zweitwagen, Drittfernseher und des Tourismusbooms. Daß unser Land mehr Kinder braucht, ist ein Konsensthema wie kaum ein anderes, Familienpolitik als „Gedöns“ (Gerhard Schröder) zu bezeichnen, wagt heute niemand mehr.
Die Fronten der vorgeschlagenen Rezepte wider den Gebärstreik sind durchlässig, verlaufen aber ungefähr wie folgt: Während Konservative heute eher dazu tendieren, dem „Beruf Mutter“ durch Erhöhung geldwerter Anreize zu verstärkter Anerkennung zu verhelfen, geht die progressive Rede vermehrt von der zu verbessernden Vereinbarkeit von Familie und Beruf – als wäre die vielfach heraufbeschworene „Zwickmühle Kind oder Karriere“ tatsächlich das Zünglein an der Waage, wo es um eine wahrhaft existentielle, vitale Entscheidung gehen sollte. Karriere, dieses tausendfach nachgeplapperte Echowort, bedeutet doch den gesellschaftlichen, sich pekuniär niederschlagenden beruflichen Aufstieg durch volles Engagement, meint geistige Herausforderung und seelische Erfüllung – das Gros der Supermarktkassiererinnen, Bankkauffrauen und Telefonistinnen dürfte dabei nicht gemeint sein. Den Willen zum Kind, zu Kindern wird – welche Regierung auch immer – weder durch Krippe und Hort oder die derzeit propagierten „Lokalen Familienbündnisse“ noch durch weiter verstärkte Finanzleistungen in Köpfe und Herzen implementieren.
Edmund Stoiber hatte im Wahlkampfjahr 2002 die Einführung eines Familiengeldes von bis zu 600 Euro pro Kind in Aussicht gestellt. Schröders Versprechen, in dieser Legislaturperiode das Kindergeld von 154 auf 200 Euro aufzustocken, ist bisher nicht eingelöst worden. In ihrem programmatischen Buch S.O.S. Familie nennt Ministerin Renate Schmidt, die darin so sympathisch-handfest wie andererseits auch ideologisch verirrt argumentiert, Bedenken gegen eine grenzenlose Anhebung finanzieller Anreize: allzu „großzügig bemessene Alimente“ könnten „dazu führen, zusätzliche Kinder in die Welt zu setzen, um den Branntweinkonsum des Erzeugers zu maximieren“. Solcher Aussage dürfte Wuermeling wohl zugestimmt haben. Die staatsbürgerliche Substanz, die der Familienpolitiker dereinst vorgefunden hatte, war eine andere als die heutige. Er tat sein mögliches, sie zu erhalten und zu bessern. Noch einmal Wuermeling: „Es darf nicht übersehen werden, daß alle staatliche Familienpolitik auf die Dauer erfolglos bleiben muß, wenn die innere ethische Kraftquelle in der Familie verlorengeht. Über allen wirtschaftlichen Erwägungen und Maßnahmen steht das Sittengesetz als wichtigste Grundlage von Familie, Volk und Staat.“ Solche Rede freilich ist gänzlich inopportun im Zeitalter der Massen und der „Bevölkerungen“.